1.
Kapitel
Die riesige Halle, die von Fackeln hell erleuchtet
wurde, war erfüllt von den monotonen Gesängen einer fremden Sprache. Im
hinteren Teil der Halle stand ein großer, blutbefleckter Altar, hinter
dem ein Priester sich, in Trance versunken, im Rhythmus der Gesänge, die
von knapp zwei Dutzend weiteren Priestern, die in einigen Schritt
Entfernung vor dem Altar knieten, intoniert wurden, leicht hin und her
wiegte. Auf einen Schlag verstummten die Gesänge, der Priester erwachte
aus seiner Trance und sprach in einer seltsamen, zischenden Sprache, die
kein Außenstehender verstanden hätte:
“Das Buch ist wieder aufgetaucht; ich fühle
seine magische Energie! Bald schon werden wir es wieder in unseren
Händen halten und dann ist der Tag nicht mehr fern, an dem unser Meister
wieder unter uns weilen wird. Lasst uns ein Opfer bringen, damit unserer
Suche Erfolg beschieden ist!“
Er klatschte in die Hände, worauf eine Gruppe
Gefangener – einige Menschen, eine Elfe und sogar ein Zwerg – von
einigen Wachen herangeführt wurden. Die meisten der Gefangenen starrten
geistesabwesend vor sich hin, standen wohl unter Schock oder dem
Einfluss eines Zaubers oder einer Droge, doch eine der menschlichen
Frauen wehrte sich immer wieder gegen ihre Ketten.
Nachdem die übrigen Priester sich erhoben hatten,
trat der erste Priester hinter dem Altar hervor - einen Stab, an dessen
Spitze ein riesiger Smaragd saß, in der einen Hand haltend - und machte
den Wachen ein Zeichen, den ersten Gefangenen zum Altar zu bringen.
Rituelle Sprüche, die wie kehliges Krächzen und tiefes Zischen klangen,
ließen den Smaragd am Stab hell aufleuchten und als die dunkle Magie
begann, sich wellenartig in der Halle auszubreiten, wurde der Kopf des
Gefangenen zurückgerissen und eine der Wachen trennte mit einem langen
Dolch mit wellenförmiger Klinge blitzartig den Kopf vom Rumpf. Während
die Wache den Kopf achtlos auf einen Haufen weiterer Köpfe hinter dem
Altar warf, von denen manche verwesten, andere bereits nackte Schädel
waren, hoben die beiden anderen Wachen, die den Körper hielten, die
Leiche hoch und trugen sie zu einer, einige Schritt weit entfernten
Grube, in die sie sie hineinwarfen. Das hungrige Kreischen, das mit dem
Verschwinden der Leiche fast augenblicklich einsetzte, ließ die Frau,
die nicht unter Drogen- oder Magieeinfluss zu stehen schien, in Panik
geraten und sie begann wild zu schreien.
Einer nach dem anderen wurden die Gefangenen
geschlachtet und ihre Köpfe auf den Haufen geworfen, nachdem ihnen die
dunkle Magie ihre Lebensenergien entzogen hatte und ihre Leichen
verschwanden in der Grube, aus der anhaltend das Gekreische der
gefütterten Wesen drang. Die Schreie der Frau wurden immer hysterischer
und ihre Stimme überschlug sich, während sie sich zusammenkrampfte und
versuchte, sich ihrer Ketten zu entledigen. Schließlich war sie allein
mit den Priestern und Wachen; auf ein Zeichen des Priesters mit dem
Smaragdstab packten die Wachen sie und zerrten sie zum Altar, rissen ihr
die Kleider vom Leib, so dass sie nackt vor dem Priester stand und hoben
sie auf den Altar, wo sie festgebunden wurde. Der Priester schwang den
Stab und stieß mit dem juwelenbesetzten Ende auf die Frau ein, derweil
er in seiner fremden Sprache sang und immer wilder wurden die Schreie
der Frau, doch langsam siegte die Erschöpfung und sie sank in die
befreiende Ohnmacht, noch bevor der Priester den Stab beiseite legte und
einen langen Dolch zog, um sein blutiges Ritual zu vollenden. Dann
wandte er sich wieder zu den anderen Priestern um und zischte:
“Sendet die Jäger aus!“
~/~
Schweißgebadet schreckte er aus dem Schlaf; die
sommerliche Schwüle, die derzeit auch nachts nicht nachließ, tat ihr
Übriges, doch seit einigen Wochen plagten ihn vermehrt Albträume, die
von unsagbarem Schrecken handelten. Wesen von schier unglaublicher
Bosheit fielen über die Lande her und ihrer dunklen Magie fielen alle
zum Opfer, die sich ihnen in den Weg stellten. Nie konnte er auch nur
einen Blick auf ihr Aussehen erhaschen, da ihre Gestalten stets von
schwarzen, weiten Kapuzenumhängen verborgen waren, doch manchmal meinte
er, sie in einer seltsamen, zischenden ihm vollkommen unbekannten
Sprache reden zu hören. In anderen Szenen seiner Träume sah er, wie
diese Wesen einem anderen, weitaus mächtigeren Wesen huldigten, doch
auch dessen Gestalt blieb stets verborgen, doch um den Hals trug der
Gehuldigte ein Amulett, das eine Aura dunkler Magie ausstrahlte, die so
grell war, dass außer den Umrissen des Amuletts keine weiteren Details
erkennbar waren; dennoch hatte Kain das Gefühl, dass er das Schmuckstück
von irgendwo her kannte.
Kain erhob sich und schritt ans Fenster seines
Schlafraumes in der ersten Etage seiner kleinen schmucken Villa, die im
Stadtteil Eldanor in einer ruhigen Straße zwischen Badehaus und Akademie
lag und die er seit seiner Ernennung zum Statthalter von Drachenauge
bewohnte. Die Hoffnung auf etwas Abkühlung wurde auch am offenen Fenster
nicht erfüllt, denn kein Lufthauch regte sich. Selbst die nachaktiven
Bewohner des Gartens schienen unter der Schwüle zu leiden, denn es war
ungewohnt still. Ein kaum wahrnehmbares Rascheln und eine Bewegung am
Rande der Schatten, die die Bäume und Büsche im Mondlicht warfen,
erregten seine Aufmerksamkeit, doch so angestrengt er auch in die
Dämmerung starrte, er konnte nichts Verdächtiges entdecken.
Achselzuckend tat er das Ereignis als Nachwirkung seiner Albträume ab
und schlenderte in den angrenzenden Raum, wo sich etliche Bücher in den
Regalen entlang der Wände fanden. Sein Blick fiel auf ein Buch, das
zwischen zwei, drei anderen auf einem kleinen Tisch lag, der neben einem
lederbezogenen Sessel, der einzigen Sitzgelegenheit im Raum, stand, und
stutzte. Schon als er das Buch vor einiger Zeit im Turm des Kalin Wael
gefunden hatte, war ihm dessen magische Aura aufgefallen, doch da es in
einer ihm unbekannten Sprache verfasst war, hatte er es, nachdem er es
einige Male hastig durchgeblättert hatte, auf diesen Tisch gelegt und es
fast schon aus seinen Gedanken verdrängt.
Doch in diesem Augenblick war etwas anders; er
hatte den Eindruck, dass die Aura gerade so gleißend hell war, dass
selbst ein Unkundiger der arkanen Mächte sie hätte sehen können, so wie
er ein Talglicht in der Dunkelheit sähe. Er nahm das Buch in die Hand,
schlug es auf und blätterte ziellos darin herum, nur um plötzlich inne
zu halten. Die Abbildung, die er anstarrte, brannte sich geradezu in
sein Gehirn, als er sie als ein Abbild des Amuletts aus seinen Träumen
zu erkennen glaubte. Fieberhaft überlegte er, was dies wohl zu bedeuten
hätte und kam zu dem Schluss, dass es nun an der Zeit wäre, endlich den
Inhalt des Buches zu entschlüsseln. Nach weiteren Minuten der Überlegung
beschloss er dann, zuerst jemanden zu Rate zu ziehen, der damals an den
Geschehnissen, die sich um den Fund des Buches rankten, beteiligt war
und setzte sich nieder. Er nahm Pergament, Federkiel und Tinte hervor
und begann, einen Brief zu verfassen, den er am kommenden Morgen durch
einen Boten überbringen lassen wollte.
~/~
Nachdenklich legte Elessar die Stirn in Falten; er
saß an dem Arbeitstisch im Versammlungsraum des Aiyeona und hatte den
Brief, den ein Bote am Morgen aus Drachenauge überbracht hatte, nun
mehrmals gelesen und konnte sich keinen Reim auf das Gelesene machen.
Albträume von einer Invasion des Bösen und von einem Amulett, dessen
Abbildung in einem Buch zu finden sei, das in einer unbekannten Sprache
verfasst war... all das klang doch sehr verworren. Doch wie auch immer,
Elessar hatte auf der Heimreise vom Turm des bösen Druiden Khalin Wael
aus den Gesprächen der Gefährten wohl erfahren, dass auch ein
augenscheinlich magisches Buch unter den Fundsachen gewesen war, doch
hatte er selbst es weder gesehen, geschweige denn in Händen gehalten.
Und nun hatte er einen Brief von Kain erhalten, in dem der Bäcker ihn um
Hilfe bat, da er in letzter Zeit mit seltsamen Geschehnissen
konfrontiert wurde, die ihn nun aufs Äußerste zu beunruhigen schienen.
Da es sich in erster Linie um die Entzifferung eines unbekannten
Schriftstückes handeln würde, kam dem Paladin als erstes Telora Mondsee
in den Sinn; die Lichtelfe, die er seit vielen Jahren kannte und die
seit mehreren Mondläufen mit ihrem Lebensgefährten Georg vom Tiefengrund
im hiesigen Tempel des Paladin wohnte und sich um die dortige, bald
eröffnende Bibliothek kümmerte, war ein Unikat in Sachen Gelehrsamkeit
und Wissen. Sie hatte auf ihren unzähligen Reisen in die entlegensten
Winkel der Welt alle möglichen und unmöglichen Kenntnisse erlangt und
beherrschte mehr als drei Dutzend verschiedene neuzeitliche und
altertümliche Sprachen in Wort und Schrift. Und da ihre Wissbegierde
keine Grenzen kannte, würde der Paladin nicht einmal besonders viel
Überzeugungsarbeit leisten müssen, um sie zum Mitkommen zu bewegen.
So erhob er sich, um sich auf den Weg zum Tempel zu
machen, und verließ schnellen Schrittes den Aiyeona, indem er immer
mehrere Stufen auf einmal nahm. Am Fuße des ewigen Baumes wäre er
beinahe mit Varnayrah zusammen gestoßen, die gerade die ersten Stufen
nach oben erklommen hatte. Elessar begrüßte die Freundin mit einem
erfreuten Lächeln und fragte sie, ob sie zu ihm oder zu Carthangiel
wollte, als ihm etwas in den Sinn kam; Varnayrah war damals ebenfalls
mit von der Partie gewesen und hatte sogar den ersten Kampf gegen die
Druidin bestritten, die sie überhaupt erst auf die Fährte des Kalin Wael
gebracht hatte. Er berichtete ihr in knappen Worten von Kains Brief und
fragte die Elfe dann, ob sie nicht Lust hätte, ihn und Telora nach
Drachenauge zu begleiten. Mit einem sorgenden Blick auf ihren inzwischen
beträchtlich gerundeten Bauch fügte er schließlich hinzu:
“Wir könnten die alte Kutsche nehmen, die in der
Kaserne steht, und so hättest Du Gelegenheit, ohne größere Mühe nach
Drachenauge zu kommen und könntest Altarion mit einem unangekündigten
Besuch überraschen. Er würde sich bestimmt freuen. Was meinst Du?“
Nachdem Varnayrah nach kurzem Zögern zugestimmt
hatte und sich zu ihrer Gästehütte begab, um sich reisefertig zu machen,
eilte er zum Tempel, wo er Telora alles berichtete; wie erwartet war die
Lichtelfe sofort Feuer und Flamme und sagte ihre Mitreise zu. Sie
versprach, sofort mit den Vorbereitungen für die Abreise zu beginnen und
so schlug Elessar den Weg zur Kaserne ein, wo er im Stall nach dem
Hufschmied suchte. Er erklärte ihm, wieso er die Kutsche benötigte und
bat ihn, diese in Augenschein zu nehmen und eventuelle Schäden zu
beseitigen und zwei der Arbeitspferde auszusuchen, die die Aufgabe
übernehmen würden, das Gefährt nach Drachenauge zu bringen. Dann sprach
er bei seinem Freund und Ordensbruder Kjeldor vor, der derzeit die
Leitung der Kaserne innehatte und bat ihm darum, einen Soldaten
abzukommandieren, der entsprechende Kenntnisse im Umgang mit der Kutsche
hatte. Als kurz nach der Mittagsstunde alle Vorbereitungen abgeschlossen
waren, machten Varnayrah, Telora und Elessar sich dann als Fahrgäste der
Kutsche auf den Weg in die Hauptstadt des Reiches und da sich die vier
Waldläufer, die Varnayrah bereits auf der Reise von Drachenauge nach
Sha’Nurdra begleitet hatten und für ihren Schutz verantwortlich fühlten,
nicht überzeugen ließen, dass ihrer Königin und Freundin auf dieser
Reise keinerlei Gefahren drohten, schlossen sie sich zu Pferde den drei
Reisenden an, so dass sich bald schon eine kleine Reisegruppe auf der
Straße durch die Elfenwälder bewegte. Wie nicht anders zu erwarten, war
natürlich auch Tan’le, Varnayrahs Luchs mit von der Partie; mal lag er
faul zwischen Elessars oder Varnayrahs Füßen in der Kutsche, mal jagte
er ungestüm neben dem Gefährt her.
Wie erwartet verlief die Reise entspannt und
ereignislos, so dass die drei Gefährten am späten Nachmittag das
östliche Stadttor von Drachenauge passierten. Langsam fuhr die Kutsche
die Hauptstraße entlang durch den Stadtteil Larindar und passierte
schließlich die immergrüne Hecke, die den Übergang von der Unterstadt
nach Eldanor kennzeichnete. Nachdem sie die Kathedrale passiert hatten,
bogen sie rechts ab in die Straße, die zum Badehaus und zur Akademie
führte und hatten schon bald das Anwesen des Statthalters erreicht. Beim
Aussteigen jedoch rutschte Varnayrah aus – anscheinend spielte ihr
Kreislauf verrückt und sie übersah zudem eine Wasserlache – und
verstauchte sich den Knöchel. Elwing half ihr wieder auf die Beine und
so begrüßte Kain schließlich die drei Gefährten als Gäste in seinem
Haus; nachdem Elessar Kain und Telora einander vorgestellt hatte, bat
dieser die drei, ihm in den Speisesaal zu folgen, wo er bereits für
Speis und Trank gesorgt hatte, damit die Gefährten sich nach der Reise
stärken konnten. Nach dem Essen schritt der Magier dann in seine
Bibliothek, um das besagte Buch zu holen, und übereichte es der
Bibliothekarin, die es sofort in Augenschein nahm. Sie schlug das Buch
auf und studierte die ersten Seiten, wobei sie immer wieder den Kopf
schüttelte; nach einigen Minuten begann sie dann die Seiten schnell
durchzublättern, nahm das Buch am Einband und schüttelte es, um lose
Seiten zu finden und untersuchte anschließend eingehend den Einband
selbst. Schließlich nahm sie ein kleines Messer zur Hand und trennte am
hinteren inneren Einband eine unauffällige Naht auf. Mit einem Lächeln
zog sie aus diesem Versteck mehrere Bögen Pergament, darunter auch eine
glattgestrichene, versiegelte Spruchrolle, die sie nach einem Blick auf
das Siegel beiseite legte. Dann überflog sie die losen Seiten und
blickte dann in die Runde, worauf sie zu sprechen begann:
“Nun, das Buch selbst ist in einer mir
unbekannten Sprache verfasst und ich kann die Schriftzeichen auch nicht
im Entferntesten einer der mir bekannten Sprachen zuordnen, aber es
birgt ganz offensichtlich nicht nur die Geheimnisse, die darin
niedergeschrieben wurden, sondern ist darüber hinaus von einer magischen
Aura mir ebenfalls unbekannten Ursprungs umgeben. Die Notizen auf den
losen Pergamenten scheinen stückweise Übersetzungen des Buchinhaltes zu
sein und sind zum Teil in der Handelssprache gehalten, teils sind sie
auch druidischen Ursprungs und ein weiterer Teil ist in einer mir
ebenfalls unbekannten Sprache verfasst, die mich jedoch stark an eine
Sprache der isuanischen Ureinwohner erinnert.
Die Aussagen der Notizen, bei denen es sich um
Versuche auszugsweiser Übersetzungen zu handeln scheint, sind jedoch
sehr vage; sie handeln von einem Artefakt, dessen Name sowohl in den
druidischen, als auch in den handelssprachlichen Notizen nur
unvollständig als „Das Auge des ...gottes“ wiedergegeben wird.“
Die Elfe blickte wieder auf die Pergamente und
schien einen Moment lang zu überlegen; dann sprach sie weiter:
“Ich kann versuchen, die Schriftzeichen auf dem
dritten Pergament mit den mir bekannten isuanischen Schriften zu
übersetzen, aber es ist nicht gesagt, dass dabei etwas Vernünftiges
zustande kommt. Möglicherweise könnten wir aber in der Bibliothek zu
Drachenauge weitere Informationen finden.“
Noch während Telora gesprochen hatte, hatte Kain,
der die ganze Zeit über die Spruchrolle in den Händen gehalten hatte,
das Siegel gebrochen und die Rolle geöffnet. Fast enttäuscht darüber,
dass er auf die gleichen unverständlichen Schriftzeichen wie in dem Buch
stieß, überflog er den Text. Ziemlich am Ende erregten einige Worte der
unbekannten Sprache seine Neugier und so las er die Passage mehrmals und
versuchte dann, die Worte auszusprechen. Plötzlich warf er die
Spruchrolle von sich, als hätte er sich die Finger daran verbrannt;
erstaunt über die unerwartete Wirkung seiner Worte stieß er unvermittelt
die Luft aus und blickte auf die seltsame Erscheinung vor sich, um im
nächsten Moment zu versuchen, sich von seinem Stuhl zu erheben.
Elessar, der zu einer kleinen Anrichte am Fenster
getreten war, um seinen Krug mit Met zu füllen, vernahm plötzlich einen
Aufschrei und ein ersticktes Keuchen hinter sich. Er wandte sich zu den
Gefährten am Tisch um und hätte beinahe den Krug umgestoßen, als er das
Bild, das sich ihm bot, erblickte. In der Mitte des Raumes, wo gerade
eben noch der Tisch gestanden hatte, pulsierte ein bläulicher Nebel, der
zum Teil durchscheinend war und noch immer den jenseitigen Teil des
Raumes erahnen ließ, doch im Zentrum schien er seltsam stofflich und wie
durch einen Tunnel konnte man auf der anderen Seite einen unbekannten
Ort erkennen. Varnayrah und Telora schienen sich bereits auf dieser
anderen Seite zu befinden und gerade wurde auch Kain von dem Wirbel
erfasst und verschwand darin. Der eine Moment, den Elessar zögerte, zum
Tisch zu eilen, um seinen Gefährten zu helfen, schien auszureichen, ihn
auf dieser Seite des Tores, das wohin auch immer führte, zurückzulassen,
denn schon begann der Nebel zu schrumpfen und zu verblassen und war im
nächsten Augenblick vollständig verschwunden; der Paladin aber blieb
alleine in einem Raum zurück, der wirkte, als sei nichts Ungewöhnliches
geschehen.
~/~
Was war geschehen? Wo waren seine Freunde hin? Noch
immer überrascht von den erst wenige Augenblicke zurückliegenden
Ereignissen stellte Elessar sich immer wieder diese beiden Fragen und
versuchte, sich an jedes Detail der letzten Minuten zu erinnern. Während
Telora über die Möglichkeit einer Übersetzung einer der Schriften
sinnierte, war er aufgestanden, um sich einen zweiten Krug Met zu nehmen
und dann hatte er einen Aufschrei – war es Varnayrah oder Telora
gewesen? Er konnte es nicht sagen... – gehört und sich dem Tisch
zugewandt, doch da war es bereits zu spät gewesen. Da sprang ihm die
Schriftrolle ins Auge, die ein paar Schritte entfernt auf dem Boden lag
und plötzlich fiel ihm es ihm ein: vor dem Aufschrei hatte er ein
Murmeln gehört, eine Art Rezitation. Ob es etwas mit der Schriftrolle zu
tun hatte? Hatte Kain etwa einen Zauber gesprochen und so dieses
seltsame Tor heraufbeschworen? Er hob das Pergament auf und blickte auf
die Schriftzeichen, doch sie sagten ihm nichts. Auch ihm war die Schrift
vollkommen unbekannt und seine Kenntnisse der Magie reichten nicht
einmal annähernd, um ihn erkennen zu lassen, welcher Teil des Textes
einen Zauberspruch darstellen könnte oder ob der Text überhaupt einen
Zauberspruch enthielt. Der Priester sah nur eine Möglichkeit; er musste
sich, wie Telora es vorgeschlagen hatte, zur Bibliothek begeben und dort
um weiteren Rat fragen. Möglicherweise fand sich ja ein Gelehrter, der
ihm weiter helfen konnte. So klaubte er die losen Pergamente vom Boden
auf, faltete sie sorgfältig zusammen und verstaute sie hinter seinem
Gürtel und ergriff dann das Buch, verließ den Raum und ging nach unten.
Als er durch die Tür ins Freie trat, blickten ihn
die Waldläufer, die sich dort aufhielten, fragend an und er erklärte
ihnen rasch die Situation. Da er derzeit keine Möglichkeit wusste, wie
sie Hilfe leisten konnten, bat er sie, auf jeden Fall an Ort und Stelle
zu verharren und darauf zu achten, ob die verschwundenen Gefährten
wieder auftauchten und möglicherweise Hilfe benötigten, dann verließ er
das Anwesen und machte sich auf den Weg zur Drachenburg, um die dortige
Bibliothek aufzusuchen. Da er sich inzwischen recht gut in Drachenauge
auskannte, hielt er sich nicht auf der Straße, die sie am Nachmittag
gekommen waren, sondern nahm die nächste Seitenstraße. Nach zwei
weiteren Seitenstraßen würde er so auf dem kürzesten Wege auf die
Hauptstraße treffen, die zum Tor in der Mauer, die Ynis Eldea von
Eldanor trennte, führte. Die Seitenstraßen waren zu dieser späten Stunde
zwar mangels ausreichender Beleuchtung recht finster, doch da er sich in
einem der besseren Viertel der Hauptstadt befand, rechnete er eigentlich
nicht mit Wegelagerern oder sonstigem Gesindel und so schritt er mit
weit ausladenden Schritten über das Pflaster in die gewünschte Richtung,
ohne besondere Vorsicht walten zu lassen. Schließlich trat er aus der
letzten Seitenstraße, die er zu durchqueren hatte, auf die Hauptstraße,
die hier auf dem letzten Stück vor dem Tor von hohen Bäumen statt von
Häusern gesäumt war; die Straße war in beide Richtungen menschenleer und
die mächtigen Bäume warfen dunkle Schatten im fahlen Licht der
Talglichter, die in den hier vereinzelt am Straßenrand stehenden
Laternen brannten. Er war noch ein gutes Stück vom Tor entfernt, als ein
Geräusch ihn herumfahren ließ; aus dem Schatten der Bäume waren fünf
dunkle Gestalten getreten, die nun auf ihn zukamen und ihn langsam
einkreisten. Sie hatten alle weite Kapuzenumhänge an, die keinen Blick
auf die unter dem Stoff verborgenen Personen zuließen und jeder einzelne
von ihnen schien unbewaffnet, zumindest bis auf einen knorrigen Stab,
der sie allesamt als Magier auszeichnete.
Elessar schätzte den Weg, der noch bis zum Tor und
den dort diensthabenden Wachen und kam zu dem Schluss, dass es zu weit
für einen schnellen Lauf sei, denn die Magier waren bereits zu nahe und
hatten den Kreis um ihn schon fast geschlossen; so ergriff er seinen
Kriegshammer und machte sich bereit, um deutlich zu machen, dass er sich
nicht kampflos ergeben würde. Einer der Magier, offensichtlich der
Anführer, kam einen weiteren Schritt auf ihn zu. Als der Magier vor ihm
stand konnte Elessar im Schatten der Kapuze kalte, gelb leuchtende Augen
erkennen und dann gab die Gestalt seltsame kehlige und zischende Laute
von sich, während sie mit ihrem Stab immer wieder auf das Buch deutete,
das der Paladin noch immer in der einen Hand hielt. Obwohl der Priester
kein Wort verstand, war es doch offensichtlich, was die Fremden wollten
und so schüttelte er verneinend den Kopf und sprach:
“Bei Paladin, ich verstehe eure Worte nicht! Und
ich weiß auch nicht, ob ihr mich versteht, aber das Buch mag der
Schlüssel zu dem Aufenthaltsort meiner Gefährten sein, deshalb sollt ihr
Ausgeburten einer unbekannten Hölle es nicht erhalten!“
Der Fremde schien zornig zu werden und er deutete
weiterhin auf das Buch, während sein Tonfall fordernder wurde; doch als
er erkannte, dass Elessar seine Meinung nicht ändern würde, schritt er
drohend auf Elessar zu und begann einen seltsamen Singsang anzustimmen,
während die anderen es ihm gleichtaten. Der Paladin erkannte, dass der
Magier einen Zauber rezitierte und handelte; blitzschnell hob er seinen
Kriegshammer und wollte ihn auf den Angreifer niederschmettern, doch
einen winzigen Moment, bevor der Waffenkopf den Feind berührte, umgab
diesen eine bläulich schimmernde Aura, die den Großteil des Schadens zu
absorbieren schien, denn der Fremde zuckte nur unmerklich zusammen und
gab einen Laut von sich, der mehr Ausdruck der Überraschung, als des
Schmerzes war, doch zumindest hatte er die Konzentration verloren und er
musste seinen Zauber abbrechen. Die anderen Fremden hatten dagegen
weniger Glück; sie hatten nicht damit gerechnet, dass der Schlag des
Paladins auch ihnen Schaden zufügen konnte und so vernahm der Priester
ihre Schmerzensschreie hinter sich, als sie unerwartet von der Macht
Paladins getroffen wurden. Er überlegte kurz, ob er den Magier, der ihm
am nächsten stand, noch einmal angreifen sollte, doch schnell kam er zu
dem Schluss, dass er den offensichtlichen Schutzzauber wohl kaum
durchbrechen konnte und so wandte er sich einem der anderen Magier zu,
in der Hoffnung, dass nicht alle Angreifer durch einen ähnlichen Zauber
geschützt waren. Er war sich bewusst, dass er keine großen Chancen
hatte, wenn ihm niemand zu Hilfe eilte und so sprach er ein Stoßgebet zu
seinem Herrn, dass er ihm Schutz gewähre und machte sich bereit für
einen erneuten Angriff.
~/~
Die Sonne hatte den Zenit vor nicht allzu langer
Zeit überschritten und brannte erbarmungslos auf die Landschaft nieder;
trotz eines leichten Windes war die Hitze fast unerträglich und weit und
breit war kein Schatten zu entdecken. Ringsum waren die Überreste von
Gebäuden zu sehen; Witterungseinflüsse und der Zahn der Zeit hatten die
Grundmauern jedoch fast vollständig abgetragen, so dass man die einstige
Pracht dieser Bauwerke nur noch erahnen konnte. Freie Flächen dazwischen
deuteten auf ein ausgeklügeltes Netz von Wegen und Straßen. Ruinen, Wege
und Straßen, alles war von einem feinen Sand bedeckt und außerhalb der
Grenzen der ehemaligen Siedlung oder was auch immer es gewesen sein
mochte, erstreckte sich eine ausgedehnte wüstenähnliche Landschaft. So
weit das Auge blicken konnte, sah man nur eine endlos erscheinende, bis
zum Horizont reichende Ebene, über der die Luft vor Hitze flirrte; kein
Gewächs konnte in dieser Wüste überleben und auch Lebewesen, so es denn
welche gab, waren nicht auszumachen. Am Rande des Ruinenfeldes erkannte
man eine flache Senke und von deren jenseitigem Rand aus schien sich
etwas wie ein dunkles Band in die der Sonne zugewandten Richtung zu
schlängeln und auf einen sich in einiger Entfernung am Horizont deutlich
von dem umgebenden Flachland abhebenden dunklen Schatten zuzulaufen.
Plötzlich wurde die Stille der Landschaft durch ein
eigenartiges Ereignis gestört; inmitten einer Ruine eines offensichtlich
ehemals weiträumigen Gebäudekomplexes bildete sich ein bläulicher Nebel,
aus dem nacheinander drei Personen sowie ein Luchs erschienen. Nachdem
der Nebel geschrumpft und das seltsame Tor regelrecht in sich
zusammengefallen war, kam langsam Bewegung in die Gruppe. Das
Schwindelgefühl, das durch den Übergang von einem Ort zum anderen
verursacht wurde, ließ langsam nach; Kain, Varnayrah und Telora schauten
einander verwirrt an und Telora fragte:
"Wo sind wir? Was ist geschehen?"
Dann wandte sie sich an Varnayrah und fügte mit
einem besorgten Blick hinzu:
"Wie geht es Euch? Ich hoffe, es ist alles in
Ordnung..."
Während sie Varnayrahs Antwort wartete, blickte sie
sich um, um einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort zu erhalten.
2.
Kapitel
Obwohl keiner der Magier weitere Anstalten machte,
ihn anzugreifen, erkannte Elessar die Ausweglosigkeit der Situation und
so fixierte er den Magier, der das Buch von ihm verlangt hatte, mit
seinem Blick, um zu erkennen, was ihn wohl als nächstes erwarten würde.
Anscheinend schien seine Bitte von Paladin erhört worden zu sein, denn
plötzlich schob sich eine Speerspitze in sein Blickfeld, die den Magier
an der Stelle bedrohte, an der unter der dunklen Kapuze seine Kehle zu
vermuten war. Der Priester wagte es nicht, den Blick von dem Magier zu
nehmen, um zu sehen, wer ihm da zu Hilfe eilen wollte, doch als Silvana
fragte, ob sie behilflich sein dürfe, erkannte er die Stimme der Amazone
und er nickte dankbar. Der Magier dagegen schien weder Silvana, noch den
Speer zu beachten, sondern hielt seinen Blick unverwandt auf Elessar
gerichtet.
In den nächsten Augenblicken schien sich die Straße
mehr und mehr zu beleben, denn nacheinander erklangen gedämpfte Stimmen,
die Elessar teils erkannte, ihm teils aber auch unbekannt waren. In der
Hoffnung, dass die Situation nun ein wenig ausgeglichener sei, wagte er
es nun, die Augen von dem Magier zu nehmen und schaute sich langsam um.
Ein paar Schritte hinter dem Magier war Rileona aus den Schatten der
Bäume getreten und das metallische Klicken, mit dem eine Armbrust
gespannt wurde und das überlaut in der momentanen Stille zu vernehmen
war, wusste er, dass sie den Vermummten vor ihm anvisierte. Der Paladin
entspannte sich und wollte gerade das Wort ergreifen, um den Magier
anzusprechen, als die Situation unerwartet eskalierte. Elessar vernahm
ein erschrecktes Zischen und schaute sich um; ein Mann in der Begleitung
Christians, offensichtlich auch ein Soldat, war an einen der Magier
herangetreten und hatte ihm, mehr oder weniger ohne Vorwarnung, seine
Faust ins Gesicht gerammt oder zumindest dorthin, wo er das Gesicht in
der Dunkelheit unter der Kapuze vermutete. Als wäre diese Handlung ein
unsichtbares Signal gewesen, überschlugen sich plötzlich die
Ereignisse.
Christian schien mit einem Zauber beschäftigt zu
sein und achtete nicht weiter auf das Geschehen und auch Silver und
Thorgrimm hatten während ihrer Unterhaltung einen der Magier für einen
Moment aus den Augen gelassen. Dieser stieß nun eine Hand mit
ausgestreckten Fingern in die Richtung des unbekannten Soldaten und
murmelte leise ein paar Worte, die keiner der Umstehenden verstand; im
nächsten Augenblick schoss ein Blitz aus den Fingerspitzen des Magiers
und traf den Mann mit voller Wucht, so dass er in die Knie ging. Die
elektrisierende Energie war so mächtig und wurde durch die Kettenrüstung
des Opfers derart verstärkt, dass der Mann das Gefühl hatte, die
Augäpfel würden ihm aus den Höhlen treten; für einen Moment schien die
Zeit stillzustehen, doch dann erreichte der Schmerz das Gehirn und er
heulte vor Schmerzen auf. Noch während er sich vor Schmerzen wand,
züngelte der Blitz weiterhin über seine Rüstung und fand schließlich den
Weg zu Christians Rüstung, von wo er auf Thorgrims Rüstung überging und
schließlich Elessar erreichte. Nahezu unvermindert war die Macht des
Zaubers, so dass auch diese drei Gefährten aufschrieen und auf die Knie
fielen, nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, der nicht aus
Schmerzen bestand.
In dem Moment, in dem der Schmerzensschrei des
Magiers erklang, den die Faust getroffen hatte, wandte der Magier vor
Elessar den Kopf und erfasste Silvana mit seinen stechenden, gelben
Augen. Die Amazone hatte das Gefühl, sich tief in diesem kalten, bösen
Blick zu verlieren und dann zischte der Magier ein Wort, das sich in den
Ohren Silvanas wie “Ssssssshirazzzzzzzzzz“ anhörte; ein schwarzer
Nebel schien aufzuziehen und die Dunkelheit um die Gefährten noch weiter
zu verstärken und Silvana war die Erste, die meinte, die bösen Schatten,
die in diesem Nebel umher geisterten zu sehen. Furchterregende Dämonen
mit teuflischen Fratzen und rasiermesserscharfen Klauen schienen sich
von allen Seiten zu nähern und die Amazone wurde von einer
unbeschreiblichen Furcht erfüllt; so tief war die Furcht, dass sie um
ihr Leben fürchtete, den Speer fallen ließ und mehrere Schritte
zurückwich, bis sie mit dem Rücken an einen der Bäume am Straßenrand
stieß.
Auch Rileona und Silver wurden von dem Nebel
erfasst; die Druidin entdeckte plötzlich jene Skelettkrieger, gegen die
sie bereits mehrmals gekämpft hatte – auf dem Quellberg und im Turm des
Khalin Wael – und brach in Panik aus, als sie gewahrte, dass zwei
Dutzend dieser Untoten auf sie zuhielten, während sie ihre rostigen,
schartigen Waffen schwangen und sie mit ihren blicklosen, bleichen
Schädeln anzugrinsen schienen. Die Armbrust entfiel ihren zitternden
Händen und landete mit einem harten Geräusch auf dem Asphalt der Straße,
während sie mühevoll versuchte, sich auf dem Pferd zu halten. Der
Waldelf dagegen sah sich plötzlich der Druidin aus dem Wald gegenüber,
die von einem halben Dutzend der Geisterwölfe begleitet wurde; während
die Druidin mit ihrem Amulett winkte und ihn dabei höhnisch angrinste,
machten die Geisterwölfe sich daran, Silver mit gefletschten Zähnen
einzukreisen, so dass ihm keine Chance bleiben würde. Wie gebannt ließ
er seinen Blick wandern, um alle Gegner im Auge behalten zu können, war
aber sonst zu keiner weiteren Bewegung fähig.
~/~
Nachdem sich Kain, Telora und Varnayrah von ihrem
Standpunkt aus ein Bild ihrer Situation gemacht hatten, einigten sie
sich darauf, dass die Waldelfe sich das dunkle Band näher ansehen
wollte, während die anderen beiden sich in den Ruinen umschauen würden.
So machte Varnayrah sich mit Tan’le auf den Weg zum Rand des
Ruinenfeldes, während Kain und Telora begannen, die Überreste des
Raumes, in dem sie sich befanden, näher in Augenschein zu nehmen.
Nachdem die Lichtelfe über die Überreste eines Podestes gestolpert war,
die unter dem Sand verborgen lagen, räumte sie mit den Füßen ein wenig
des Sandes beiseite und bat Kain dann um Hilfe, der daraufhin mit den
Händen nachhalf. Alsbald waren die Überreste freigelegt und was zum
Vorschein kam, deutete mehr oder weniger auf einen Altar oder eine
sonstige Ritualstätte hin. Vor dem „Altar“ fanden sich unter dem Sand
dann auch noch die Überreste eines Fußbodenmosaiks in Form eines
Pentagramms, aber außer, dass es sich bei dem Gebäude offensichtlich um
eine Art Tempel gehandelt haben musste, waren an diesem Ort keine
weiteren zu finden. Auch in den übrigen Gebäuderesten war nichts
wirklich Interessantes zu finden, so dass die beiden Gefährten schon
bald feststellen mussten, dass sie mehr oder weniger ihre Zeit
verschwendeten.
In der Zwischenzeit hatte Varnayrah den Rand der
flachen Senke erreicht, die an der breitesten Stelle einen Durchmesser
von ungefähr 60 Schritt aufwies und in der Mitte wohl nicht mehr als 10
Schritt tief sein mochte. Nach einigen weiteren Schritten am Rand der
Senke entlang war auch das dunkle Band besser zu sehen und die Waldelfe
erkannte, dass es sich um das Bett eines ehemaligen Flusses handelte,
der in den Zeiten, in denen er noch Wasser führte, eine Breite von 8 und
eine Tiefe von 5 Schritt hatte. Die Ufer des Flusses waren mehr oder
weniger steil gewesen und am Rande des Flusslaufs und im Flussbett
selbst waren an verschiedenen Stellen kleinere und größere, teils sogar
mannshohe Findlinge zu sehen. Und auch der dunkle Schatten, auf den das
Flussbett zulief, war von hier aus als Gebirge zu erkennen.
Plötzlich wurde Tan’le unruhig und begann leise zu
winseln und selbst Varnayrah hatte das unbestimmte Gefühl, dass sich
etwas geändert hatte. Trotz der Hitze hatte sie das unbestimmte Gefühl,
zu frösteln und so schaute sie sich um. Ein Blick zum Horizont über den
Ruinen bestätigte ihre Ahnung, denn dort verdunkelte sich bereits der
Himmel, und so machte sie sich auf den Weg zurück zum Rand des
Ruinenfeldes, um Kain und Telora zu rufen.
~/~
Inzwischen waren fast alle Gefährten außer Gefecht
gesetzt und so beschränkten sich die Magier darauf, weitere Schutz- und
Heilzauber zu wirken; anscheinend hatten sie nicht wirklich vor, einen
der Gefährten zu töten, wenn auch keinem Sinn und Zweck dieses Vorgehens
einleuchtete. Elessar, der durch den Blitz ebenfalls in die Knie
gebrochen war, versuchte verzweifelt, das Buch in seiner kraftlos
gewordenen Hand zu halten, doch es war zwecklos. Das Buch fiel zu Boden
und noch bevor der Paladin es ergreifen konnte, zischte der Magier, der
ihm gegenüber stand, ein paar unverständliche Worte; der Elf spürte eine
seltsame Leere, die sowohl seine Gedanken, als auch seine Bewegungen
augenblicklich stoppte. Nur mehr fähig, lediglich seine Augen zu
bewegen, musste er tatenlos mit ansehen, wie der Magier sich das Buch
schnappte und einen Befehl ausstieß, der die anderen in ihren Zaubereien
innehalten ließ. Schnell und unerkannt und ohne weiteres Aufsehen zu
erregen, verschwanden die fünf Gestalten in Richtung Marktviertel und
die Gefährten waren allein. Die Magier waren kaum außer Sichtweite, als
der Bann von den Gefährten abfiel und alle wieder Herr ihrer Selbst
waren. Erschöpft raffte Elessar sich auf und wandte sich an die anderen:
“Habt Dank für Eure Hilfe! Unglücklicherweise
sind die Diebe mit einem Gegenstand entkommen, von dem das Leben unserer
Königin abhängen könnte. Doch es bleibt keine Zeit für lange Worte;
einige von uns sollten die Magier verfolgen, um zumindest
herauszufinden, wohin sie verschwunden sind. Da sie in der Überzahl wohl
mehr oder weniger unbesiegbar scheinen, solltet ihr unbedingt einen
offenen Kampf vermeiden.“
Der Paladin blickte fragend in die Runde, um zu
sehen, wer sich für die Verfolgung bereit erklären würde; im selben
Moment nahm er mehrere Bögen Pergament hinter seinem Gürtel hervor und
fuhr fort:
“Und die anderen könnten mich in die Bibliothek
begleiten; möglicherweise könnten uns diese Dokumente auch von Hilfe
sein.“
3.
Kapitel
Langsam kamen die verletzten Drachenritter wieder
auf die Beine; Christian, der ebenfalls ziemlich angeschlagen war,
versuchte einen Zauber zu wirken, doch gelang ihm dies erst im zweiten
Anlauf, als er sich soweit erholt hatte, dass er auch mit seiner
Konzentration keine Probleme mehr hatte. Schnell fühlten die anderen,
wie die Lebenskräfte ihre geschundene Körper durchströmten und ihnen
neue Kraft verliehen. Schnell meldeten sich einige Freiwillige auf
Elessars Bitte, die geflohenen Magier zu verfolgen, um Informationen
über den Verbleib des gestohlenen Buches zu erhalten. So machten sich
Silvana, Thorgrim und Rileona bereit, den Magiern hinterher zu eilen,
während Christian und MGDiablo Elessar zur Bibliothek begleiten wollten;
Silver wollte erst nach Hause eilen, um seine Ausrüstung zu holen und
meinte, er würde anschließend vom Steinbruch zur Bibliothek kommen, doch
Silvana schlug vor, dem Elfen ihre Wölfin mitzugeben, so dass er die
Amazone und die sie begleitenden Gefährten ohne Schwierigkeiten finden
könne. Der Waldelf stimmte diesem Vorschlag zu und machte sich sofort
auf den Weg, während die drei Gefährten sich auf den Weg zum Marktplatz
machten.
Nachdem sie eilig einige Haupt- und Nebenstraßen
durchquert hatten, ohne auf Verstohlenheit zu achten, erreichten sie
bald den großen Marktplatz im Herzen Larindars; Stille lag um diese
Uhrzeit über dem Platz und alle Marktstände waren entweder verdeckt oder
abgebaut und nur wenige der Fenster in den Geschäftshäusern um den
Marktplatz herum waren noch erleuchtet. Die Gefährten hielten inne und
ließen ihre Blicke über den leeren Platz schweifen, doch nichts regte
sich; Silvana nutzte die Gelegenheit, ihre Rüstung anzulegen und kaum
war sie fertig damit, erklang hinter ihr auch schon ein erfreutes
Hecheln, das die Ankunft Silvers und Shanjas bekundete. Nachdem sie kurz
die Lage besprochen hatten, überquerten sie im Schutz der Schatten der
Stände und Buden den Marktplatz und inspizierten die Reihen der
Geschäftshäuser auf der gegenüberliegenden Seite. Sie waren kurz davor,
die hoffnungslose Suche aufzugeben, als sie das vorletzte Geschäftshaus
auf dieser Seite erreichten und Silver die Gefährten mit der erhobenen
Hand zurückhielt. In keinem der Fenster des Hauses zeigte sich ein
Licht; an der linken äußeren Hauswand zeigte sich eine schräg
verlaufende Tür, die offensichtlich in den Keller des Hauses führte und
dort hatte der Waldelf in den Schatten der Büsche im Garten des Hauses
eine schwache Bewegung wahrgenommen. Eine dunkle Gestalt, die fast
vollständig mit der Dunkelheit verschmolz, schien diesen Eingang zu
bewachen, doch offensichtlich hatte sie die Gefährten noch nicht
bemerkt.
~/~
Zur gleichen Zeit begaben sich Elessar, Christian
und MGDiablo, ein Soldat der Nightoner Stadtwache, wie der Paladin
inzwischen erfahren hatte, zur Bibliothek in der Drachenburg. Unterwegs
berichtete der Paladin von den abendlichen Vorkommnissen und zeigte den
beiden die Pergamente, die er hatte retten können. An der Bibliothek
angekommen, pochte er an die Tür und wartete, bis man ihnen öffnete. Der
Paladin begrüßte den Bibliothekar höflich und entschuldigte sich für die
späte Störung. Trotz der späten Stunde gewährte man ihnen Einlass, weil
Elessar den Bibliothekar inzwischen kannte; war er doch bereits einige
Male hier gewesen, um den Wissensaustausch zwischen der königlichen
Bibliothek und derjenigen, die er im Tempel des Paladin zu Sha’Nurdra
eröffnen wollte, voranzutreiben und erstaunt sahen die Gefährten, dass
sie nicht die Einzigen waren, die zu dieser Nachtstunde noch an Wissen
interessiert waren. An einem der Tische saß ein älterer Mann in einer
weißen Robe, der in ein dickes, sehr alt aussehendes Buch vertieft war.
Der Paladin stellte dem Bibliothekar seine beiden Begleiter vor und
erklärte ihr Anliegen; anschließend bat er seine Gefährten darum, auf
eigene Faust nach Informationen zu suchen, die ihrer Meinung nach zur
Aufklärung des Rätsels beitragen könnten.
~/~
Als Varnayrah die Veränderung des Wetters bemerkte,
kletterte sie aus dem Flussbett und eilte zum Rand des Ruinenfeldes, um
Kain und Telora zu warnen. Die beiden waren noch mit der Untersuchung
des „Altarraumes“ beschäftigt und Kain hatte Telora gerade nach ihrer
Meinung zu der Schriftrolle gefragt. Die Lichtelfe teilte dem Magier
ihre Schlussfolgerungen mit und bemerkte, dass sie der Meinung sei, dass
die Schriftrolle der eigentliche Schlüssel zum Auffinden des im Buch
erwähnten Artefaktes sei und entgegnete gerade auf Kains Idee mit der
Reversibilität des Zaubers, dass sie es als sehr gefährlich erachte,
diesen Versuch zu wagen.
“Ich glaube nicht, dass dieser Zauber durch
Rückwärtssprechen umgekehrt werden kann und selbst wenn, wäre es extrem
gefährlich, wenn man nicht den exakten Wortlaut des Zaubers kennt. Ich
würde es nicht...“
In diesem Moment ertönte Varnayrahs Warnruf und
Kain reagierte als Erster und setzte sich in Bewegung zu der Senke, an
deren Rand Varnayrah stand, wobei er der Königin zurief, sie wären
unterwegs, und auch Telora, die mitten im Satz unterbrochen worden war,
blickte kurz in die angegebene Richtung und eilte dann hinter Kain her.
Varnayrah hatte Kain und Telora vor dem Sandsturm
gewarnt und sich dann sofort hinter einem der Findlinge im Flussbett,
der ihr den größten Schutz versprach, in Sicherheit gebracht. Obwohl die
Gefährten schnell reagierten und so schnell als möglich zu der Stelle
rannten, wo sich Senke und Flussbett vereinigten, schafften sie es nicht
ganz. Ganz plötzlich setzte der Sturm mit all seiner Macht ein und
Sandkörner bahnten sich ihren Weg mit aller Härte durch den Stoff, der
ihre Körper bedeckte. Bis Kain eine einigermaßen windgeschützte Stelle
erreichte, an der der Sand ihn nur noch in hektischen Wirbeln, aber
weitaus geschwächter traf, hatte er bereits mehrere kleinere
Schürfwunden im Gesicht und an den Händen davon getragen. Telora traf es
gar noch härter, denn sie verlor für einen Moment die Orientierung und
stolperte in der durch den umherwirbelnden Sand verursachten Dunkelheit
über einen Stein und stürzte den fünf Schritt tiefen Abhang, den das
ehemalige Flussufer hier bildete, hinunter und prallte mit dem Kopf
schwer gegen einen der Findlinge. Sie kam zwar gerade noch benommen hoch
und konnte sich hinter den Findling schleppen, so dass sie vor dem Sturm
weitgehend geschützt war, doch im nächsten Moment umgab sie völlige
Finsternis und sie sank in eine erlösende Ohnmacht.
So fanden Kain und Varnayrah die Lichtelfe, sobald
der Wind wieder nachgelassen hatte und sie ihren Schutz verlassen
konnten. Da die Hitze bereits wieder einsetzte und den Gefährten zu
schaffen machte, dauerte es nicht lange, bis Telora erschöpft und
verletzt aus ihrer Ohnmacht erwachte. Leise stöhnend setzte sie sich auf
und begann, langsam ihr Fußgelenk zu massieren. Entschuldigend blickte
sie nacheinander Kain und Varnayrah an und meinte:
“Es tut mir leid, wenn ich Euch zur Last falle,
doch die Hitze macht mir sehr zu schaffen; ich würde alles für einen
Schluck Wasser geben. Meint Ihr nicht auch, wir sollten in Richtung
dieses Gebirges wandern?“
Langsam kam sie auf die Beine und machte sich
daran, das Flussbett zu verlassen, als sie plötzlich inne hielt und nach
oben blickte. Am Rande des Flussbetts, einige Schritt über ihnen standen
vier Wüstenwolfe und starrten zähnefletschend und knurrend nach unten zu
den Gefährten.
4.
Kapitel
Trotz ihres feindseligen Gebarens machten die Wölfe
keinerlei Anstalten, zum Angriff überzugehen, sondern standen nur
abwartend da und ließen die Gefährten nicht aus den Augen. Varnayrah
warnte die beiden anderen vor unüberlegten Handlungen und näherte sich
langsam dem Tier, das sie als den Leitwolf zu erkennen meinte und
versuchte dann, sich auf das Nurti’sandra der Wölfe einzustimmen, um mit
ihnen in Kontakt zu treten und auf diese Weise einen Konflikt zu
vermeiden. Sie wusste nicht zu sagen, ob es an der Hitze lag oder ob die
Wölfe sich vor ihr verschlossen, doch so sehr sie sich auch bemühte, es
gelang ihr nicht, die Tiere zu erreichen. So wandte sie sich langsam mit
einer Entschuldigung zu den beiden Gefährten und schlug vor, sich im
Schutz des Flussbetts in Richtung Gebirge auf den Weg zu machen und
alles zu vermeiden, was einen Angriff der Wölfe zur Folge haben könnte.
Kain und Telora stimmten dem ohne zu zögern zu und
nachdem Kain seine Magie genutzt hatte, um einen Steintitanen zu
erschaffen, der sie wenigstens zum Teile beschützen würde, half er
Telora auf die Beine und stützte sie, damit sie besser voran käme. So
machten sie sich schließlich auf den Weg und obwohl die Wölfe sie am
ehemaligen Ufer des Flusses entlang begleiteten, schienen sie dennoch
den stummen Titanen ebenso wie Tan’les unerschrockenes und
entschlossenes Fauchen soweit zu respektieren, dass sie keine Anstalten
machten, an weniger steilen Abschnitten in das Flussbett hinunter zu
steigen, um anzugreifen.
Sie waren nun bereits mehrere Stunden unterwegs und
die sengende Hitze machte ihnen immer mehr zu schaffen; ihre Zungen
fühlten sich an wie ein trockener Schwamm, der sich immer mehr in ihrem
Rachen ausdehnte und ihnen zusätzlich die Luft zu nehmen schien. Kain
war nassgeschwitzt, weil er zusätzlich Telora, deren Fuß es schlechter
ging, stützen musste, und verlor auf diese Weise noch schneller die
letzten Feuchtigkeitsreserven seines Körpers und Varnayrah fürchtete
inzwischen um das Leben des Babys, wenn sie nicht bald aus der Sonne
kämen und etwas zu trinken fänden. Doch langsam wurde der dunkle
Schatten am Horizont größer und die Gewissheit, dem Gebirge näher zu
kommen, gab ihnen neue Hoffnung auf Rettung, auch, wenn sie nicht
wussten, was sie dort erwarten würde.
Irgendwann mussten die Wölfe verschwunden sein,
denn als sie endlich eine schwarze Linie vor sich im Flussbett sahen,
die den Übergang in den Schatten des Gebirgszuges kennzeichnete und die
Sonne bereits hinter den Felsen zu verschwinden begann, wurde der
ehemalige Flusslauf flacher und sie erreichten eine Stelle, an der in
früherer Zeit eine Furt gewesen sein musste. Erst als sie sich hier
umschauten, bemerkten sie die Abwesenheit der Wölfe und so atmeten sie
erleichtert auf, weil wenigstens diese Gefahr gebannt schien. Hinter der
Furt wurde das Flussbett wieder tiefer und verlief geradewegs zum Fuß
des Berges, an dem eine Senke auf einen weiteren kleinen See hindeutete,
der ebenfalls ausgetrocknet war und dessen Zulauf unter dem Berg gelegen
haben musste, der jetzt aber durch mehrere große Felsbrocken versperrt
wurde. Nicht sehr weit von der Senke erkannte man in der ihnen
zugewandten Felswand einen dunkleren Fleck von einigen Schritt Ausmaßen,
bei dem es sich wohl um den Eingang zu einer Höhle handeln musste, zu
dem das Gelände von der Furt aus sanft anstieg und in einer Art Plateau
vor der Höhle endete.
Im Schatten des Felsmassivs war der stete Wind, der
den ganzen Tag heiß über ihre Haut gestrichen war, merklich kühler und
der nahende Abend tat sein Übriges, um die Gefährten nun frösteln zu
lassen. Rasch überbrückten sie die wenigen Schritte bis zu dem Plateau
und erkannten, dass es sich bei dem dunklen Fleck tatsächlich um den
fast drei Dutzend Schritt breiten und 10 Schritt hohen „Eingang“ zu
einer Höhle handelte, einer Höhle von so gigantischen Ausmaßen, dass das
verbleibende Tageslicht nicht ausreichte, sie vollkommen auszuleuchten
und es nicht möglich war, von draußen alle Einzelheiten zu erkennen.
Linker Hand, wo das Tageslicht noch ein Stück der Höhle ausleuchtete,
erkannte man einen, wohl künstlich angelegten Wasserlauf mit einem
kleinen Wasserbecken an seinem Ende. Das einzige weithin hörbare
Geräusch war die fast fröhliche Melodie des Wassers, das aus einer
unsichtbaren Quelle über den Wasserlauf rann und in das Becken
plätscherte. Die linke seitliche Höhlenwand und der Hintergrund des
Höhlenraumes lagen in völligem Dunkel, während auf der rechten Seite in
der Dämmerung mehrere Gänge zu sehen waren, die weiter ins Innere des
Berges und somit noch tiefer in die Finsternis zu führen schienen. Doch
dominiert wurde der Höhlenraum von etwas anderem: in der Mitte des
Raumes, unweit von dem Wasserbecken stand eine Art Thron von ungefähr
zweieinhalb Schritt Größe, der einem Sitzenden einen umfassenden
Überblick über das Plateau und das gesamte darunter liegende Tal
einschließlich der Furt erlaubte. Auf dem Thron schien jemand zu sitzen,
doch bei genauerem Hinschauen erkannte man, dass diese Person schon
lange tot sein musste; an den einstmals ungeschützten Stellen zwischen
Harnisch, Arm- und Beinschienen zeigten sich weiße Knochen und durch das
Visier des Helmes blickten lediglich zwei leere Augenhöhlen. Die Rüstung
war aus einem unbekannten Material und ihrem Aussehen nach ein
Meisterwerk; kein Staubfleck lag auf ihr und statt ihrem
offensichtlichen Alter zu entsprechen, machte sie - ebenso wie das
Amulett, das an einer Kette um den Hals lag und der mächtige Zweihänder,
den der einstige Krieger quer über seine Oberschenkel gelegt hatte und
der noch immer in dieser Position verharrte - den Eindruck, als sei sie
eben erst poliert worden. Und nur ein Magier konnte die unterschwellige,
doch überaus mächtige Aura fremder, doch keineswegs böser Magie spüren,
die die gesamte Höhle einzunehmen schien.
~/~
Nachdem Elessar, Christian und MGDiablo sich in der
Bibliothek getrennt hatten, um jeder für sich auf die Suche nach
wertvollen Informationen zu gehen, durchsuchte der junge Soldat ein ihm
endlos erscheinendes egal mit Büchern und Pergamenten über Artefakte
aller Art, um einen Hinweis auf das gesuchte Artefakt, das Auge eines
unbekannten Gottes, zu finden. Da er Schwierigkeiten hatte, viele der
Bücher überhaupt zu verstehen, sammelte er die mit den
vielversprechendsten Titeln und schleppte diese auf den Armen nach vorne
zu den Lesetischen, wo sich die Gefährten nach der Suche wieder treffen
wollten. Während sie noch auf Christian warteten, sichteten Elessar und
MGDiablo die gesammelten Werke, doch in keinem fand sich auch nur ein
verwertbarer Hinweis. Umso erfreuter zeigten sie sich, als Christian
wenig später ebenfalls mit einem Buch zurück kam, das seiner Meinung
nach sehr vielversprechend aussah; es enthielt nach seinen Worten einige
Tafeln mit den gleichen Schriftzeichen, wie sie in dem Pergament, das
der Paladin bei sich trug, zu finden waren. So könnten sie sich daran
machen, die Worte zu übersetzen, doch die folgenden Worte des
Statthalters dämpften die aufkommende Hoffnung bereits wieder.
Mit Schrecken überprüfte der Paladin die Aussage
Christians und befand, dass sie kaum eine Chance auf eine Übersetzung
hätten, wenn mehr als die Hälfte der notwendigen Tafeln fehlte. Mit
deutlich weniger Hoffnung wollte Elessar sich auf die Suche nach
weiteren Dokumenten machen, als der Gewandete, der bei ihrem Eintreten
in sein Buch vertieft schien, aufblickte, sich erhob und zu ihnen trat.
Er deutete eine Verbeugung an und sprach:
“Verzeiht, die Herren, wenn ich mich einmische!
Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Halaster Schwarzmantel und ich
weile derzeit in Drachenauge, um mich meinen Studien über unbekannte
Magie zu widmen. Ich habe ungewollt gehört, worüber Ihr gesprochen habt
und ich habe vor einigen Monden eben jenes Buch, über das Ihr spracht,
studiert. Und ich bin mir sicher, dass es damals noch vollständig
erhalten war. Zeitgleich hat damals jedoch auch ein anderer Mann, ich
glaube, mich zu erinnern, dass es ein Druide war, nach diesem Buch
gefragt... Wartet bitte einen Moment!“
Halaster wandte sich um und rief nach dem
Bibliothekar, der kurz darauf erschien; der Magier nahm das Buch mit
einem entschuldigenden Nicken aus Elessars Hand und zeigte es dem
anderen Mann. Nachdem er erklärt hatte, worum es ging und was er
vermutete, überlegte der Bibliothekar einen Moment, bevor er antwortete:
“In der Tat, Halaster hat Recht! Das Buch war
ehemals vollständig und seit er es studiert hat, wurde es nur mehr von
einem anderen Besucher verlangt. Es handelt sich um einen alten Druiden,
ein kleiner schrulliger Kerl, der meines Wissens nach in einem kleinen
Häuschen am Rande des Hafenviertels wohnt. Am besten werde ich morgen
einmal bei ihm vorbei schauen und nachfragen. Oder möglicherweise würdet
Ihr, Elessar, das für mich übernehmen?“
Der Bibliothekar blickte Elessar fragend an und so
nickte der Paladin und meinte:
“Nun, da wir unbedingt die Informationen aus dem
Buch benötigen, denke ich, dass wir das gerne übernehmen. Am besten
gleich, denn Eile ist angesagt und am besten nehmen wir das Buch hier
mit! Natürlich werden wir es auch wieder zurück bringen. So gehabt Euch
wohl und habt Dank! Dank auch an Euch, werter Halaster, für Eure Hilfe!“
So verabschiedeten sich Elessar, Christian und
MGDiablo und verließen die Bibliothek, um sich auf den Weg zum
beschriebenen Häuschen am Rande des Hafenviertels zu machen. Die drei
begaben sich auf direktem Weg zu Hafenviertel, wobei sie die Straße
nahmen, die an der das Zwergenviertel Umraschkor umgebenden Stadtmauer
entlang führte. Auf diesen Weise waren sie eine Zeit lang nur wenige
Straßen vom Marktplatz und ihren Gefährten entfernt und wenn sie von den
Vorgängen dort gewusst hätten, wären sie ihnen wohl zu Hilfe geeilt.
Doch so eilten sie durch die leeren Straßen und Gassen und erreichten
alsbald den Rand des Hafenviertels und hatten auch innerhalb kürzester
Zeit das Häuschen in der angegebenen Straße ausfindig gemacht. Da in
einem der Fenster noch Licht zu sehen war, betraten sie den kleinen
Vorgarten und klopften mehrmals an die Türe; als die Tür einen Spalt
geöffnet wurde und jemand fragte, was sie um diese Zeit noch wünschten,
entschuldigte Elessar sich für die späte Störung und erklärte danach die
Situation, worauf sich die Tür vollends öffnete und sie hereingebeten
wurden.
In dem Raum, in dem sie sich nun befanden, brannten
mehrere Talglichter, um die Finsternis zu vertreiben und in dem
Halbdunkel, das sie erzeugten, erkannten die Gefährten einen Druiden in
einer langen schwarzen Robe; die Kapuze hatte er zurückgeworfen, so dass
sie sein Gesicht und das haarlose Haupt erkennen konnten, doch niemand
hätte vermocht, das Alter ihres Gegenübers zu schätzen. Er bat die
Gefährten an einen großen Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem mehrere
Bücher und jede Menge beschriebener und unbeschriebener Bögen Pergament
verstreut lagen. Eine Zeit lang unterhielten sich die Gefährten über das
Buch und über die fehlenden Seiten und der Druide erklärte, dass er zwar
das Buch vor einiger Zeit in der Bibliothek gelesen hätte, aber damals
sei es noch vollständig gewesen und er hätte keine Ahnung, wie die
Seiten abhanden gekommen wären. Er gab ihnen auch bereitwillig Auskunft
über den Inhalt der fehlenden Seiten, soweit er sich erinnern konnte und
bot ihnen dann seine Hilfe bei der Übersetzung des betreffenden
Pergamente an, so sie dies wünschten. Erfreut nahm Elessar das Pergament
hervor und wollte es gerade dem Druiden reichen, als dieser inne hielt;
auf das offensichtlich aus dem Nebenraum kommende Geräusch erhob er sich
und entschuldigte sich für einen Moment, worauf er eilig den Raum
verließ.
Nachdem sie eine Zeit lang vergebens gewartet
hatten, ohne dass der Druide wieder aufgetaucht wäre, warf der Paladin
einen neugierigen Blick auf die auf dem Tisch liegenden Pergamente; als
er dabei einige hin- und herschob, kam plötzlich ein Buch mit einem ihm
wohl bekannten Einband zum Vorschein und er stieß einen überraschten Ruf
aus.
“Siehe da! Unser Druide scheint mehr zu
verbergen, als er vor uns offen legt...“
Während er das Buch vollends hervornahm, erklärte
er Christian und MGDiablo:
“Dies ist das gestohlene Buch! Wie es wohl in
die Hände unseres Gastgebers gelangte? Aber mich dünkt, wir sollten uns
einmal nach ihm umschauen, denn möglicherweise hat er inzwischen etwas
bemerkt und das Weite gesucht.“
Der Paladin erhob sich, schritt zu der Tür, durch
die der Druide den Raum verlassen hatte, und öffnete sie vorsichtig. Im
Halbdunkel dahinter war am anderen Ende des Flures eine weitere Tür zu
erkennen, sowie eine nach oben führende Treppe, doch so angestrengt sie
auch lauschten und in die Dämmerung starrten, es war weder etwas zu
sehen, noch etwas zu hören.
~/~
Nachdem Silver einen der Magier in den Schatten
entdeckt hatte, der den Eingang zum Keller des Hauses zu bewachen
schien, entwickelten die Gefährten einen Plan, wie sie den Fremden
überwältigen könnten; während die Frauen für Ablenkung sorgen sollten,
würde der Elf sich durch den Garten von hinten an den Magier
anschleichen, um ihn außer Gefecht zu setzen. Gesagt, getan, machte der
Elf sich sofort in Begleitung der jungen Wölfin auf den Weg, um sich dem
Gebäude in einem weiten Bogen zu nähern, damit er an der Rückseite
hoffentlich unbemerkt in den Garten eindringen konnte; kaum war er
zwischen den Büschen angelangt, nahm er einen faustgroßen Stein auf, um
diesen als Waffe gegen die Wache zu nutzen. Dann schlich er vorsichtig
weiter, bis er die dunkle Gestalt im Blickfeld hatte; durch die tief in
das Gesicht gezogene Kapuze war nicht zu erkennen, wem oder was die
Aufmerksamkeit des Fremden galt.
Während der Waldläufer sich von den Gefährten
entfernte, zogen die beiden Frauen alle ihrer Meinung nach für die
kommende Vorstellung überflüssigen Kleidungsstücke aus und gaben sie dem
verdutzten Thorgrim zur Aufbewahrung; dann schwankten sie - für einen
Beobachter musste es scheinen, dass sie offensichtlich betrunken waren -
die Straße entlang und unterhielten sich lautstark über eine
bevorstehende Liebesnacht. Wie zufällig blieben sie dabei vor dem
Gebäude stehen, in dessen Garten der Magier in den Schatten stand.
Silver wartete geduldig auf die verabredete
Ablenkung und Augenblicke später wurden Stimmen auf der Straße zum
Marktplatz laut, zwei weibliche Stimmen, die sich anhörten, als hätten
die Sprecherinnen dem Weingeist an diesem Abend etwas zu sehr
zugesprochen und wären nun auf dem Weg zu ihrem Nachtlager,
offensichtlich zu einem gemeinsamen Lager, wie es sich anhörte.
Plötzlich rief Rileona von der Straße aus in das Dunkel des Gartens:
"Und duuuu! Glotz’ uns nich so an. Du bist wohl
scharf auf zwei Mädschen, was?"
Der Magier, der wohl der Meinung gewesen war, dass
die Frauen ihn nicht entdeckt hatten, hatte sich bisher von der
Vorstellung der Frauen nicht beirren lassen, doch nun, offensichtlich
entdeckt, wandte er den Kopf in Silvanas und Rileonas Richtung; er
sprach kein Wort, trat jedoch zwei Schritte nach vorne aus den Schatten
heraus. In diesem Moment sprang Silver mit einem lautlosen Satz auf den
Magier zu und holte mit dem Stein in seiner Hand weit aus, um diesen
gegen die Schläfe des Fremden krachen zu lassen. Als der Stein traf,
spürte der Elf seltsamerweise kaum Widerstand und hörte ein Geräusch wie
das Splittern dünner Knochen; sein Gegenüber schrie erschreckt auf und
taumelte, konnte sich jedoch mit letzter Kraft fangen und begann eine
Beschwörung zu murmeln. Doch noch bevor er diese beenden konnte, tauchte
Thorgrim, der die Ausrüstung der Frauen abgelegt und sich im Schutz der
Dunkelheit und seines magischen Mantels an den Garten heran geschlichen
hatte, aus den Schatten auf und schlug mit der Breitseite seine Axt zu.
Da er nicht wissen konnte, was der Waldelf einen Augenblick früher
erlebt hatte, legte er ungewollt etwas zu viel Kraft in den Schlag und
schlug dem Magier damit endgültig den Schädel ein. Mit einem Stöhnen
sackte der Fremde in sich zusammen, dann lag Stille über dem Garten.
5.
Kapitel
Nachdem MGDiablo sich anschickte, die Treppe hinauf
zu steigen, um in der oberen Etage nach dem Rechten zu schauen und
Christian den zweiten Raum im Erdgeschoss näher in Augenschein nehmen
wollte und Elessar bat, im Lesezimmer zu warten, um notfalls Verstärkung
rufen zu können, nickte der Paladin zur Bestätigung und blieb an der Tür
stehen, um bei Gefahr im Verzug sofort reagieren zu können. Etliche
Minuten später hörte er noch immer die leisen Geräusche, die die beiden
Soldaten beim Durchsuchen der Räume verursachten, doch sonst war im
ganzen Haus nichts zu hören und so machte er sich daran, die Pergamente
und Bücher auf dem Tisch eingehender zu untersuchen. Der Elf schlug das
wiedergefundene Buch auf, um nach der Seite mit der Abbildung und dem
Text der Inschriften zu suchen, doch erstaunt musste er feststellen,
dass eben jene Seiten aus dem Buch gerissen worden waren, ähnlich wie
die in dem Buch aus der Bibliothek. Auf den herumliegenden Pergamenten
waren Kritzeleien zu finden - irgendjemand schien wohl mit den
Schriftzeichen experimentiert zu haben, um den Text in dem gestohlenen
Buch zu entziffern - und Elessar versuchte interessiert, einen Sinn
hinter den Symbolen und Runen zu finden, doch da er die Schrift nicht
kannte, war dies ein mehr oder minder fruchtloses Unterfangen.
MGDiablo war in der Zwischenzeit auf den oberen
Stufen angekommen und nahm plötzlich einen intensiven, süßlichen Geruch
wahr, der immer stärker wurde, je mehr er sich der einzigen Tür im
Obergeschoss, die einen Spalt offen stand, näherte. Der Soldat war sich
sicher, dass er diesen Geruch kannte, doch im ersten Moment konnte er
ihn nicht recht zuordnen, weil sich auch diverse fremde Gerüche, die in
diesem Haus vorherrschten, dazu gesellten, doch als er vorsichtig die
Tür aufgestoßen hatte und in das Halbdunkel des Raumes dahinter spähte,
wurde der Geruch derart penetrant, dass er plötzlich instinktiv wusste,
worum es sich handelte: es war der Geruch des Todes. Nachdem er einen
weiteren Schritt in den Raum gemacht hatte, kroch der Mond hinter einer
Wolke hervor, warf seine bleichen Strahlen durch das Fenster und
beleuchtete die gespenstische Szenerie; der Raum war ein Schlafraum,
dessen Einrichtung aus einem Schrank, einem Schreibtisch mit mehreren
Schubladen, einem Stuhl und einem Bett bestand. Und auf eben jenem Bett
lag ein Toter; das Mondlicht beleuchtete seine vor Schreck verzerrte
Miene und es war klar zu erkennen, dass es sich um die Leiche eines
kahlköpfigen Mannes – eines Druiden? – handeln musste. Dem Geruch und
den ersten Anzeichen der Verwesung nach musste er jedoch bereits einige
Zeit hier liegen.
Der Raum, den Christian betrat, quoll über vor
Kisten jedweder Art; irgendjemand schien dieses Zimmer als eine Art
genutzt zu haben, denn außer den Kisten, die an allen Wänden, teilweise
bis unter die Decke, gestapelt waren und auch mitten im Raum teilweise
den Weg versperrten, befand sich kein Möbelstück darin. Lediglich die
der Tür gegenüberliegende Wand war nicht zugestellt, denn dort befand
sich ein übergroßer offener Kamin, der fast die gesamt Wand in Anspruch
nahm. Seltsamerweise befanden sich weder Rückstände von Brennmaterial,
noch Asche in der Feuerstelle und auf dem Fußboden zeigte sich bei
genauerem Hinsehen eine seltsame halbrunde Schleifspur, die sich von
einer Wandseite des Kamins in die Mitte des Raumes zog.
~/~
Kurz bevor sie die Hoffnung gänzlich verloren und
Durst und Erschöpfung sie zu übermannen drohten, erreichten die
Gefährten die Höhle und entdeckten als Erstes das Wasserbecken; ohne
sich weiter umzuschauen wurde der Durst gestillt und der Staub von den
verkrusteten Gesichtern gewaschen. Nachdem sie sich einigermaßen bei
Kräften fühlten, begann Varnayrah Teloras Knöchel zu versorgen;
anschließend sank sie erschöpft zu Boden und lehnte sich gegen eine der
Höhlenwände. Sie schloss einen Moment die Augen; doch aufgrund der
inzwischen merklich gesunkenen Temperaturen und ihrer Erschöpfung begann
sie zu zittern und öffnete sie wieder, um zu Kain hinüber zu blicken und
ihn nach einer Idee für ihr weiteres Vorgehen zu fragen, doch noch bevor
sie eine Antwort erhielt, schloss sie die Augen erneut und glitt sofort
in einen leichten Schlaf.
Erst leise und zaghaft, dann immer lauter und
eindringlich bittend hörte die Elfe eine Stimme in ihren Träumen, die
sie aufforderte, die Tunnel zu durchschreiten und tiefer in den Berg zu
wandern. Langsam erhob sie sich und schaute sich in der Höhle um, die
nun von unzähligen flackernden Fackeln hell erleuchtet war; die Elfe
wandte sich dem ersten der Tunnel zu und bemerkte nun, dass diese von
erstaunlich großem Durchmesser waren, so dass selbst ein in der Mitte
des Weges stehender, sehr großer Mann mit ausgestreckten Armen wohl
nicht die Seitenwände und die Decke berühren konnte. Schritt für
Schritt, anfangs sehr zögerlich ob ihrer natürlichen Furcht vor Höhlen,
dann jedoch immer schneller, eilte sie den Tunnel entlang, um zu sehen,
was an dessen Ende wohl auf sie wartete. Bald schon konnte sie einen
hellen Fleck weit vor sich ausmachen, der wohl das Ziel ihres Weges
kennzeichnete und sie hielt mit unverminderter Eile darauf zu, um...
Während Varnayrah Telora versorgte, hatte Kain
begonnen, sich an diesem Ort, an den das Schicksal sie geführt zu haben
schien, umzusehen. Er schritt zu dem Thron, nahm das Skelett näher in
Augenschein und klopfte ihm sogar freundschaftlich auf die Schulter des
Harnisches. Als er das kühle, unbekannte Metall berührte, spürte er eine
Welle magischer Kräfte, die ihn durchfluteten, doch der
kameradschaftliche Klaps führte dazu, dass der Helm mitsamt dem Schädel,
auf dem er saß, etwas verrutsche und das Geräusch veranlasste den
Magier, die Hand von dem Harnisch zu nehmen. Doch der Magier ergriff nun
den Griff des Zweihänders, zog das Schwert aus der Scheide und
vollführte damit ein paar Schlagbewegungen gegen einen unsichtbaren
Gegner; die magische Aura des Schwertes vermittelte ihm ein Gefühl der
Macht, das er, der normalerweise kein Schwert im Kampf führte, nie
gekannt hatte und übermütig führte er die Klingenspitze an die Brust des
toten Kriegers, wo das Amulett baumelte und die letzten Reste des
Tageslichtes reflektierte. Varnayrahs Worte registrierte er beiläufig
und, ohne sich zu ihr umzudrehen, warnte er sie davor, einzuschlafen. So
bemerkte er nicht, dass sie tatsächlich einschlief – und auch Telora war
inzwischen vor Erschöpfung eingenickt - denn die Präsenz der Magie hatte
ihn nun vollständig in ihren Bann gezogen; jedoch war er nicht sicher,
ob nun Gefahr von dieser Magie drohte oder nicht und so streckte er
langsam die Hände aus, um das Amulett zu berühren. Seine Finger
schlossen sich um das Metall und Kain meinte, einen kühlen Luftzug zu
spüren, doch tatsächlich regte sich in der Höhle kein Windhauch;
stattdessen wurde er von einer weiteren Welle arkaner Energie erfasst,
die so stark war, dass sich das Bild der Höhle vor seinen Augen
veränderte.
Unwillkürlich konzentrierte er sich auf diese
Vision, die ihm vorkam, als lege sich ein weiteres Bild über das
vorhandene; er konnte noch immer den toten Krieger sehen und wenn er
sich umblickte, sah er noch immer Varnayrah, die, mit dem Rücken an die
Höhlenwand gelehnt, dasaß und die Augen geschlossen hatte, doch davor
spielte eine weitere Szene und er sah Gestalten, die schon lange tot
waren und Stätten, die schon lange aus dem Gedächtnis der Lebenden
verschwunden waren. Die Höhle war eine goldene Halle, die von unzähligen
Fackeln erleuchtet wurden, die ihre tanzenden Schatten an die Wände
warfen und neben dem Thron, der glänzte, als sei er aus purem Gold,
standen riesige gedeckte Festtafeln, an denen Angehörige einer längst
verstorbenen Rasse speisten. Fremd und doch vertraut, menschenähnlich,
aber mit Elfenohren. Groß und schlank wie Elfen, doch breiter in den
Schultern und mit kräftigeren Armen. Die Magie pulste in gleichmäßigen
Abständen durch Kains Hand und seinen Arm hinauf und er bemühte sich,
das Gelächter zu hören und die Worte der fremden Wesen zu verstehen. Zur
gleichen Zeit versuchte er, das Amulett über den Kopf des
Skelettkriegers zu streifen; zuerst stieß er auf Widerstand, als sich
die Kette in einem der Wirbel verhakte, doch ein kleiner Ruck genügte
und die Kette war frei... während der Helm samt Schädel dem Magier
scheppernd vor die Füße fiel. Das Geräusch des fallenden Metallhelms
riss den Magier aus seiner Konzentration und die Vision verblasste; auch
Varnayrah und Telora ließ das Geräusch aus dem Schlaf schrecken und
beide sahen sich einem verwirrten Kain gegenüber.
~/~
Silver und Thorgrim zerrten den Leichnam der Wache
hinter die Büsche und nachdem der Zwerg sich versichert hatte, dass
niemand den Zwischenfall bemerkt hatte, machte er sich auf, um das Haus
von außen näher in Augenschein zu nehmen; langsam schritt er an der
Hauswand entlang und versuchte, in eines der Fenster zu spähen, doch
alle Fenster im Erdgeschoss waren sorgsam verhängt und kein Lichtschein
drang durch die dicken Vorhänge nach draußen. Da auch die Haustür
verriegelt und nur unter Lärm geöffnet werden konnte, musste der Zwerg
am Ende seiner Untersuchungen unverrichteter Dinge zu den Gefährten
zurückkehren.
Silvana und Rileona nutzten die Zeit, ihre
Ausrüstung wieder anzulegen und machten sich dann daran, sich der
schrägstehenden Tür, die der Magier offensichtlich bewacht hatte, zu
nähern. Sie wollten herausfinden, was sich Wichtiges hinter dieser Tür
verbarg und so fasste die Amazone nach dem Türgriff und drückte die
Klinke. Fast augenblicklich fuhr ein Blitz aus dem Metall des Griffes
und der elektrische Schlag jagte in ihre Fingerspitzen und raste Arm und
Schulter hinauf bis zum Gehirn, wo er in einer Welle aus Schmerz
explodierte. Als Silvana sich von dem Schreck erholt und der Schmerz
nachgelassen hatte, öffneten die beiden Frauen vorsichtig die beiden
Flügel der Tür und spähten die Treppe hinunter in die Finsternis. Nichts
war dort unten zu erkennen, außer dass die Treppe nicht, wie erwartet,
in Richtung unter das Hauses zu einem Keller führte, sondern parallel
zur Hauswand in die Dunkelheit führte. Leise war das glucksende Geräusch
von Wasser und ab und zu das Quieken von Ratten zu hören.
Nachdem Thorgrim sich entfernt hatte, begann der
Waldelf, den Leichnam zu untersuchen, ob er etwas Nützliches finden
konnte. Zuerst durchsuchte er den Umhang und fand in einer der
geräumigen Taschen auch bald zwei Phiolen, die er einsteckte.
Anschließend schlug Silver die Kapuze des Magiers zurück, um die Wunde
am Kopf genauer zu untersuchen, doch es war zu dunkel, um irgendetwas zu
erkennen. In dem Moment, in dem Silvana die Falle auslöste und der Blitz
die Umgebung für einen kurzen Moment taghell erleuchtete, schreckte auch
Silver von seinen Untersuchungen hoch. Bevor der Garten wieder in
Dunkelheit gehüllt wurde, erhaschte der Waldelf aus dem Augenwinkel
einen kurzen Blick auf das Gesicht des Toten, doch er war nicht sicher,
ob ihm seine Phantasie nicht einen Streich gespielt hatte. Er war der
Meinung, dass er einen seltsam geformten Kopf mit grau-grüner,
schuppiger Haut erblickt hatte... den Kopf einer Schlange.
6.
Kapitel
Als MGDiablo die Tür zu dem Raum im Obergeschoss
vollends öffnete, raubte ihm der Verwesungsgeruch beinahe den Atem und
er hielt sich einen Ärmel schützend vor die Nase, um überhaupt den Raum
betreten zu können, ohne sich erbrechen zu müssen. Der Soldat gewahrte
den Toten auf dem Bett und warf einen Blick auf ihn, ohne jedoch die
Todesursache erkennen zu können; nachdem die Luft langsam wieder besser
wurde, da die Tür nun eine Zeit lang offen stand, fiel das Atmen wieder
etwas leichter und MGDiablo machte sich daran, den Raum zu durchsuchen.
Er öffnete den großen Schrank, doch fand darin außer Kleidung nichts
Besonderes; auch die Untersuchung des Schreibtisches förderte außer
einem Bündel Kräuter, einem kleinen Lederbeutel mit Tabak und einer
kleinen Phiole, die einen Heiltrank enthielt, nichts Interessantes zu
Tage. Zuletzt legte er sich sogar auf den Boden, um unter dem Bett nach
Spuren suchen zu können, doch auch hier fand sich nichts und so machte
der Soldat sich auf den Weg nach unten, um seinen Gefährten von dem Fund
zu berichten.
Er betrat den Raum, in dem sie sich zuvor mit dem
verschwundenen Druiden unterhalten hatten, in dem Moment, in dem
Christian Elessar soeben von der Geheimtür im Nebenraum erzählte, die er
im Nebenraum entdeckt hatte. Der Statthalter hatte die Kisten in dem
Raum unberührt gelassen und war sofort zu dem Paladin geeilt, um seine
Informationen weiterzugeben. Als er jedoch MGDiablos Bericht hörte,
schlug er vor, den Geheimgang noch eine Weile warten zu lassen und erst
nach oben zu gehen, wo er den Toten mit Hilfe seiner Magie
wiedererwecken wollte, um möglicherweise wichtige Informationen von dem
Verstorbenen zu erhalten.
So eilten die drei Drachenritter die Treppe hinauf
und während Elessar und MGDiablo auf Christians Anraten an der Tür
zurückblieben, schritt der Magier zum Bett und begann sich auf seine
Magie zu konzentrieren. Christian schien einige Mühe zu haben, den
Zauber zu vollenden, denn nur langsam begann der Tote sich zu verändern
und nach einigen Momenten, die den Anwesenden fast wie eine kleine
Ewigkeit vorkamen, kam der Druide zu sich und begann, sich zu regen. Von
der Tür aus beobachtete der Paladin, wie der Mann die Augen aufschlug
und sich langsam aufsetzte; er schüttelte den Kopf ein-, zweimal hin und
her, als wolle er ein Schwindelgefühl vertreiben, dann erhob er sich.
In dem Moment, in dem Christian seine ersten Frage
stellte, bemerkte der Paladin, dass etwas nicht stimmte. Mit seltsam
leeren Blick machte der Druide einen Schritt auf Christian zu und
öffnete den Mund; doch die Vermutung, dass er auf die Frage des
Statthalters antworten wolle, erwies sich als falsch; er entblößte zwei
Reihe schwarzer, halb verfaulter und teilweise abgebrochener Zähne und
hob seine wie Klauen gebogenen, noch immer teilweise verwesten Hände, um
Christian mit einem bösartigen Fauchen anzufallen. Elessar trat einen
Schritt in den Raum und plötzlich erstrahlten seine Handflächen in einem
seltsam bläulichen Licht, das sich kegelförmig ausbreitete; es erfasste
unter anderem den lebenden Leichnam, der zwar einen Augenblick innehielt
und mit einer der Hände abwehrend in Richtung des Lichtstrahls
fuchtelte, doch dann setzte er seinen Weg in Richtung des Statthalters
fort und holte mit einer seiner Klauenhände zu einem mächtigen, gegen
Christians Hals gerichteten Schlag aus. Mit vor Anstrengung
zusammengepressten Lippen wandte Elessar sich an MGDiablo und rief ihm
zu:
“Eilt Euch und helft Christian; der Untote ist
zu mächtig, als dass ich ihn bannen kann.“
~/~
Silver wagte seinen Augen kaum zu trauen, als der
Blitz, der Silvana traf, die Szenerie erhellte und er den Schlangenkopf
des getöteten Magiers gewahrte. Da alles nun wieder in Dunkelheit
gehüllt war, beschloss er, den Kopf mitzunehmen, um ihn gemeinsam mit
den Gefährten zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sie wieder Licht hätten,
näher zu untersuchen. So nahm er sein Jagdmesser hervor und trennte
damit den Kopf fachmännisch vom Rumpf, schnitt ein passendes Stück Stoff
aus der Robe des Magiers und wickelte den Kopf darin ein. Nachdem er das
Bündel zusammen mit den beiden Phiolen, die er zuvor entdeckt hatte, im
Rucksack verstaut hatte, begab er sich zu der Tür, wo Rileona gerade
damit beschäftigt war, der verletzten Silvana einen Heiltrank
einzuflößen.
Nachdem es der Amazone wieder besser ging und sie
wieder auf den Beinen war, erzählte Silver von seinem seltsamen Fund und
öffnete auch das Bündel, doch außer Thorgrim, der im Dunkeln
einigermaßen sehen konnte, erkannte keiner der Gefährten weitere
Details. So merkte der Zwerg nur an, dass es tatsächlich den Anschein
hatte, dass es sich um den Kopf einer überdimensionalen Schlange
handelte, doch auch er verwies auf einen Ort und einen Zeitpunkt, wo sie
mehr Licht zur Verfügung hätten; auch mit dem Inhalt der Phiolen wussten
die Gefährten aufgrund der Dunkelheit nichts anzufangen. So einigten
sich die Drachenritter, die Tür, die eben noch mit einer Falle gesichert
gewesen war, zu öffnen, um zu sehen, wohin sie führte. Kurzerhand und
ohne auf den Lärm, den sie verursachte, zu achten, trat Silvana die Tür
einfach ein und offenbarte so eine kurze schräge Treppe, die nicht, wie
erwartet, in den Keller des Hauses, sondern parallel zum Haus in einen
niedrigen Gang führte, der den Geräuschen nach zur Kanalisation
Drachenauges führte.
Obwohl sie keine Fackel zur Hand hatten,
beschlossen die Gefährten, in den Gang zu treten, um herauszufinden,
wohin er führte und warum die Tür zu diesem Gang so gut gesichert worden
war. Thorgrim, der von den vieren am besten in der Dunkelheit sehen
konnte, ging mit kampfbereiter Axt voraus und gab den anderen
geflüsterte Informationen darüber, was er erspähte. Nach ungefähr
zwanzig Schritt näherten sie sich einer Wand und Thorgrim hatte erst den
Eindruck, dass sie sich in einer Sackgasse befanden, doch auf der
Stirnwand, vor der er zum Stehen gekommen war, entdeckte er bei genauem
Hinschauen ein Stück über seiner zwergischen Sichthöhe eine seltsame
Rune auf der Wand; als er seine Hand hob, um sie auf den Stein zu legen
und die Rune zu betasten, um sie näher zu untersuchen, fuhr seine Hand
regelrecht durch den Stein durch und er entdeckte, dass sie beinahe
einer Illusion erlegen wären.
Nachdem sich das Erstaunen der Gefährten über diese
Entdeckung gelegt hatte, traten sie einer nach dem anderen durch die
angebliche Wand und fanden sich in einem Gang der Kanalisation wieder;
sie standen in einer knapp mannshohen, runden Röhre, die auf beiden
Seiten einen zwei Schritt breiten, feuchten Weg bereit hielt, um sich in
den dunklen Gängen bewegen zu können. In der Mitte floss träge eine
trübe, schmutzige Brühe, deren Gestank keinen Zweifel darüber aufkommen
ließ, was da alles im Wasser schwimmen mochte, und das zuvor gedämpft
hörbare Fiepen der Ratten war nun um einiges lauter. Der Gang führte
sowohl nach links, als auch nach rechts in die Dunkelheit und in jeweils
knapp zwanzig Schritt Abstand konnte der Zwerg abzweigende Tunnel
erkennen. Auf der Wand, durch die sie gerade getreten waren, zeigte sich
die gleiche Rune und nachdem Thorgrim sich einen Moment in beiden
Richtungen umgeschaut hatten, entdeckte er an der Abzweigung auf der
rechten Seite noch einmal eine Rune der gleichen Art. Nachdem der
Gevatter den Gefährten von dieser Entdeckung berichtet hatte,
beschlossen die Gefährten, diesem "Wegweiser" zu folgen und so machten
sie sich, geführt von Thorgrim, auf den Weg durch die finsteren,
stinkenden Tunnel der Kanalisation der Hauptstadt Dragonias.
Es kam den Gefährten wie eine Ewigkeit vor, die sie
durch die Kanalisation schlichen und nach den entsprechenden Runen
suchten, die ihnen den Weg zu einem unbekannten Ziel zu weisen schienen;
mehrmals verliefen sie sich und mussten zur letzten Abzweigung
zurückkehren, bis sie die Richtung, die die Rune angab, richtig gedeutet
hatten und ihren Weg fortsetzen konnten. Langsam vergingen die Stunden
und die Nacht neigte sich ihrem Ende zu, wie unschwer an den heller
werdenden Flecken zu erkennen war, die hin und wieder über ihnen
auftauchten, wenn sie einen der vielen Einstiege in die Kanalisation
passierten und zuletzt hatten sie fast die Hoffnung aufgegeben,
überhaupt noch an ein Ziel zu gelangen. Schon lange hatten sie die
Orientierung verloren und keine Idee, wo in Drachenauge sie sich
überhaupt befanden, als Thorgrim ratlos stehen blieb und meinte, dass er
seit der letzten Abzweigung keine weitere Rune mehr entdeckt hatte. Die
Drachenritter machten Halt und waren kurz davor zu kapitulieren und sich
den nächsten Ausgang zu suchen, um endlich wieder an die frische Luft zu
gelangen, als Rileona sich gegen die nahegelegene Wand lehnte, um sich
im nächsten Augenblick vor den Augen der Gefährten regelrecht in Luft
aufzulösen. Die zurückbleibenden Mitglieder der Gruppe schauten einander
verwundert an, dann deutete Thorgrim jedoch auf die Wand neben sich;
obwohl keine Abzweigung in der Nähe war, prangte knapp über dem Kopf des
Zwergen eine Rune auf der Wand.
~/~
Als die beiden Elfen aus dem Schlaf hoch schreckten
und sich erhoben, stand Kain mit dem Zweihänder in der einen und dem
Amulett in der anderen Hand vor dem Thron und schaute von dem
herabgefallenen Schädel zu den beiden Gefährtinnen und wieder zurück. Er
versuchte, die Atmosphäre mit einem Witz zu lockern und erzählte dann
von seiner Vision, doch Varnayrah und Telora schauten den Magier nur
ungläubig an und wechselten einige unmissverständliche Blicke. Doch Kain
ließ sich nicht beirren und detaillierte seine Ausführungen, dann
drückte er Telora das für die zierliche Lichtelfe viel zu große Schwert
in die Hand und erzeugte eine Lichtkugel, die ihnen bei der Erforschung
der restlichen Höhle behilflich sein sollte. Dann nahm er Varnayrah am
Arm und zog sie hinter sich her. Doch die Waldelfe bremste sein
ungestümes Verhalten und hielt noch einmal inne, um von ihrem Traum zu
berichten; dann wies sie in Richtung des Tunnels, den sie in ihrem Traum
entlang geschritten war und ließ Kain mit seinem magischen Licht den
Vortritt.
Lange Zeit schritten sie den gewundenen Gang
entlang, ohne dass sie außer ihren Schritten auch nur einen Laut
vernahmen und schon bald war der helle Lichtfleck, der den Ausgangspunkt
ihres Weges markierte, nicht mehr zu sehen und auch ein Ende des Tunnels
war noch nicht abzusehen. Langsam verloren sie das Gefühl für die Zeit
und irgendwann hatte Varnayrah das Gefühl, die Stimme wieder zu hören -
sie schaute sich nach den anderen um, doch keiner der beiden machte den
Eindruck, die Stimme ebenfalls zu vernehmen – und nach anfänglichem
Widerstand verfiel sie erneut dem lockenden Klang und ließ sich wie im
Traum führen. So kam es, dass sie bald den hellen Lichtfleck am Ende des
Tunnels gewahrte, den sie auch schon aus dem Traum kannte. Kurz darauf
öffnete sich eine weitere Höhle mit riesigen Ausmaßen vor ihnen und die
Gefährten betraten sie zögernd; diese Höhle war von einem seltsamen
magischen Leuchten erfüllt und so war es fast taghell, so dass die
Gefährten jedes Detail erkennen konnten. Inmitten der Höhle lag das
Skelett eines gigantischen Drachens, das Varnayrah magisch anzog und
unwillkürlich hielt sie, während sie noch immer diese Stimme vernahm,
darauf zu und legte unbewusst eine Hand auf den mächtigen
Knochenschädel, wodurch die Stimme in ihren Gedanken deutlicher wurde.
Unvermittelt meinte sie ein Frage zu “spüren“:
“Seltsames Wesen, Du! Du bist wohl nicht von
dieser Welt?“
Etwa zur gleichen Zeit hatte Kain, der sich bisher
einzig auf den Tunnel und sein magisches Licht konzentrierte, sich von
der Monotonie des Weges einlullen lassen und begonnen, wieder mit dem
Amulett in seiner Hand zu spielen. Plötzlich verschob sich erneut das
Bild der Umgebung, doch im Gegensatz zum ersten Mal sah er einen Moment
lang lediglich Schwärze; als die Dunkelheit sich aufklarte, baute sich
ein neues Bild vor seinen Augen auf: große, muskulöse Wesen mit spitz
zulaufenden Ohren, die auf den Rücken von großen Drachen ritten und in
Hallen tief unter der Erde hausten. Hallen wie die, in denen er sich
gerade befand. Ganz schwach waren ihre Musik und ihre Worte zu hören,
und obwohl Kain nichts verstehen konnte, egal, wie sehr er sich auch
anstrengte, war er sich sicher, dass diese lange verstorbene Rasse, die
diese mächtige Rüstung, das Schwert und wohl auch dieses Amulett
angefertigt hatte, nach ihm rief. Das Bild vor Kains Augen verschwamm,
nur um sich nach wenigen Augenblicken neu aufzubauen; diesmal sah er
eines der Wesen auf dem Thron sitzend – Kain fragte sich unbewusst, ob
es der Krieger war, dessen Skelett er dort vorgefunden hatte – und
nachdenklich vor sich hin starrend. Ein Name schwebte ihm vor –
Ulshen-Shakar – und instinktiv war der Magier sicher, dass es der Name
desjenigen war, den er gerade in seiner Vision sah.
Ulshen-Shakar saß auf seinem Thron und dachte an
die zurückliegende Schlacht; der Herr der Adlermenschen hatte seinen
Gegner, Olgar-Karkoon besiegt und der Geschmack des Blutes seines
Gegners lag noch immer salzig auf seinen Lippen, doch irgendwie war das
Gefühl des Sieges nicht sehr befriedigend. Er hatte seinen Todfeind
getötet und seine Seele in den Vortex geschleudert, ebenso wie die
Untertanen von Olgar-Karkoon, die Schlangenmenschen, entweder getötet
oder durch die magische Entladung während des Untergangs ihres Herrn
ebenfalls in den Vortex mitgerissen worden waren. Auch die Gespielinnen
des Gegners gehörten nun ihm und lagen ihm gerade zu Füßen, während er
auf dem Thron saß, und selbst die Favoritin Olgar-Karkoons, eine
zierliche Prinzessin mit langen, dunklen Haaren, gehörte nun ihm, doch
in letzter Zeit berieten weder das Töten, noch die Lust des Fleisches
echtes Vergnügen. Stattdessen hatte ein namenloses Gefühl, eine
unbekannte Emotion tief in ihm drinnen, von ihm Besitz ergriffen, über
die er nun, wie so oft in den letzten Tagen, nachgrübelte. Ulshen-Shakar
erhob sich von seinem Thron und machte sich auf den Weg durch einen der
Tunnel, um zu seinem Reittier, dem goldenen Drachen Sharuga, zu
schreiten...
In Gedanken folgte Kain dem Drachenreiter vom Thron
aus in eine weitere Höhle und beobachtete, wie er sich mit seinem
Drachen unterhielt und anschließend einige Gegenstände aus einer Truhe
im Hintergrund der Höhle entnahm, sie nachdenklich studierte und
anschließend wieder zurück legte. Dann stieg der Herr der Adlermenschen
auf den Rücken seines mächtigen Reittieres und gemeinsam verließen sie
die Höhle.
Telora empfand von alledem nichts; sie folgte den
beiden Gefährten still und beobachtete die Umgebung. Als die drei
Drachenritter die zweite Höhle betraten, erblickte sie in einer Ecke der
Höhle einen riesigen Bücherstapel und da die anderen beiden in Gedanken
versunken schienen, schritt sie auf diesen zu und begann, die dort
wahllos gestapelten Bücher zu sichten.
7.
Kapitel
Blitzschnell hatte Christian Schwert und Schild in
der Hand, doch er schaffte es nicht, dem Schlag des Zombies vollständig
auszuweichen; die abgebrochenen Fingernägel hinterließen einige tiefe,
stark blutende Schrammen am Hals. Die Nähe des Untoten hinderte den
Statthalter auch daran, einen richtig guten Gegenschlag zu liefern und
dieser schien auch keinerlei Schmerz zu verspüren, doch die Wucht des
Treffers mit dem Schwert reichte aus, den Druiden zur Seite in die
Reichweite von MGDiablos Schwert stolpern zu lassen. Der Soldat holte
aus und ließ sein Schwert mit einer Wucht von oben nach unten auf den
Gegner niedersausen, die ausreichte, ihm den rechten Arm abzutrennen. Im
ersten Moment schien es, als wäre der Kampf nun entschieden, denn der
Untote wankte einen Moment, doch dann schöpfte er von irgendwoher neue
Kraft und er holte mit der verbleibenden Hand zum Schlag aus; bevor der
Soldat außer Reichweite springen konnte, erwischte ihn der Zombie und
wandte sich dann wieder Christian zu, um erneut den Statthalter zu
attackieren. Doch bevor er zum Schlag ausholen konnte, war Elessar, der
inzwischen bemerkt hatte, dass seine Fertigkeit Untote zu bannen, gegen
diesen mächtigen Gegner noch zu unausgereift war, mit zwei schnellen
Schritten heran und schmetterte dem Gegner seinen Kriegshammer auf den
Kopf, so dass dieser zu Boden ging und reglos liegen blieb. Der Paladin
versicherte sich, dass der Druide tatsächlich besiegt war und wandte
sich dann mit einem fast belustigten Blick an Christian:
“Ich fürchte, diesen Zauber müsst Ihr noch etwas
üben! Wer weiß, was Ihr sonst nächstens noch alles zum Leben erweckt.
Aber es ist vorbei und seine Seele möge nun in Frieden ruhen, an welchem
Ort auch immer sie jetzt ist. Lasst uns hinunter gehen, um das Buch zu
holen und dann sollten wir die Geheimtür, die Ihr entdeckt habt, näher
in Augenschein nehmen.“
Elessar ging voran und stieg die Treppenstufen
hinab, um in den Raum zurückzukehren, wo das Buch und die Pergamente auf
dem Tisch verstreut lagen; dort angekommen, mussten die Gefährten zu
ihrer Verwunderung entdecken, dass das Buch verschwunden war. Weder auf,
noch unter dem Tisch war es zu entdecken und auch ein Teil der
Pergamente schien zu fehlen. Da während ihres Kampfes mit dem Zombie
offensichtlich jemand – der Druide, mit dem sie sich unterhalten hatten?
– hier gewesen war, um die Dokumente an sich zu nehmen, machten sie sich
auf den Weg in den Nebenraum, um die Geheimtür in Augenschein zu nehmen.
Bereits von der Tür, die in den Raum führte, konnten die Gefährten
erkennen, dass es sich tatsächlich um eine Geheimtür handelte, denn die
gesamte Rückwand des Kamins war auf einer Seite nach vorne gezogen und
hinterließ einen breiten Spalt, hinter dem die Dunkelheit noch dichter
schien. Anscheinend hatte es jemand eilig gehabt und es versäumt, die
Tür beim Verlassen des Raumes nicht richtig zugezogen.
Vorsichtig schlich der Elf zur Tür, lauschte und
spähte ins Halbdunkel; er stand am Kopfende einer Treppe, doch nichts
war dahinter zu sehen oder zu hören. Er deutete den anderen an, ihm zu
folgen und machte sich an den Abstieg; Stufe um Stufe der Treppe schlich
er hinunter und gelangte am Ende in einen Tunnel, der anscheinend zur
Kanalisation führte, denn von links konnte man gedämpft das Glucksen von
Wasser und das leise Fiepen von Ratten hören. Doch der Teil des Tunnels,
in dem sie standen, war relativ trocken und auch der typische Geruch der
Kanalisation war nur ganz schwach zu bemerken. Das Verwunderlichste an
diesem Tunnel war jedoch die Wand, der sie gegenüber standen; in der
Mitte der Wand befand sich ein Durchbruch von knapp zwei Schritt
Durchmesser, der in eine Art Schacht dahinter führte, der schräg nach
unten tief unter die Erde zu führen schien und offensichtlich erst vor
kurzem gegraben worden war. In diesem Schacht war es jedoch so finster,
dass man keine drei Schritt weit sehen konnte und so würden sie ohne
Licht hier nicht weiterkommen. Gerade als der Paladin sich zu den beiden
Gefährten umdrehte, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen, wurden
Schritte in dem Gang, den sie als Weg zur Kanalisation ansahen, laut und
noch bevor die Verursacher dieser Schritte um die letzte Ecke bogen und
sichtbar wurden, hatte Elessar den Kriegshammer kampfbereit in der Hand.
~/~
Während Telora das Drachenskelett keines Blickes
würdigte und verzückt den Bücherberg durchstöberte, eilte auch Kain ohne
Umschweife an dem Skelett vorbei in den Hintergrund der Höhle, um sich
die dort neben Bergen von Gold und anderen Schätzen stehende Truhe
anzuschauen. Seine Vision hatte ihm das drängende Gefühl vermittelt,
dass er dort etwas Wichtiges finden würde, doch als er vor der Truhe
kniete, musste er mit Schrecken feststellen, dass sie, obwohl er in
seiner Vision weder ein Schloss, noch einen Schlüssel gesehen hatte,
verschlossen war. Das Lasche, die den Deckel der Truhe geschlossen
hielt, schien durch Magie gehalten zu werden und so kam ihm in den Sinn,
dass es möglicherweise eine Prüfung sei, die es zu bestehen galt.
In der Zwischenzeit beantwortete Varnayrah die
Frage des Drachenskeletts, die es der Waldelfe in Gedanken vermittelt
hatte und fast so, als könne der Drache die Träne sehen, die die Wange
der Königin hinunterlief, versuchte das einst mächtige Geschöpf das ihm
so winzig erscheinende Wesen, das vor ihm stand, zu trösten:
“Keine Sorge, kleine Laer’fey – ein
wohlklingender Name für Dein Volk – hier in der Höhle Ulshen-Shakars
droht euch keine Gefahr. Du stammst aus Dragonia? Ich habe nie von
diesem Land gehört, aber das hat nichts zu sagen; mein Herr unternahm
oft Reisen zu mir unbekannten Zielen, damals – lange Zeit vor dem
Ende...
Diese Welt hier - Krynnos ist, oder besser war
ihr Name, bevor sie unterging - wurde einst beherrscht von den
Drachenreitern, einem Volk, das dem Deinen vom Aussehen her ähnelt, doch
diese waren von weitaus größerer und kräftigerer Statur. Und sie woben
mächtige Magie, die ihnen schließlich zum Verhängnis wurde.“
Der Drache seufzte in Varnayrahs Gedanken und fuhr
dann fort:
“Nun, zumindest einigen wurde sie zum
Verhängnis, als es zur endgültigen Schlacht um die Oberherrschaft auf
Krynnos kam. Ich weiß, es wird Dich sehr verwirren, aber mein Meister,
Ulshen-Shakar war einst ebenso machtbesessen wie die anderen
Drachenreiter und so lagen sie in ständigem Krieg. Doch eines Tages
kehrte er verändert von einer seiner Reisen zurück und es begann eine
Zeit des Umbruchs; er hatte plötzlich die Vision, dass die Drachenreiter
und die Völker Krynnos’ in Frieden miteinander leben könnten und so
versuchte er, die anderen Drachenreiter von seiner Vision zu überzeugen.
Doch bei einigen hatte er keinen Erfolg; all jenen voran stellte
Olgar-Karkoon sich meinem Meister entgegen, um ihn zu töten und diesen,
wie er sie abwertend nannte, eines Drachenreiters unwürdigen
Tagträumereien ein Ende zu bereiten.
Außer den Angehörigen des Volkes der
Drachenreiter lebten hier noch zwei weitere Völker, die die
Drachenreiter mit Hilfe ihrer Magie erschaffen und sich untertan gemacht
hatten: die Schlangenwesen - mannshohe Kreaturen, die auf zwei Beinen
liefen - die von Olgar-Karkoon aus den Schlangen, die in den Sümpfen
lebten, die es einst im Süden dieser Welt gegeben hatte, erschaffen
worden waren und die Adlerwesen - Menschen mit den Köpfen und den
Flügeln der Adler - die mein Meister mit Hilfe seiner Magie erschaffen
hatte. Während die Adlerwesen zu friedliebenden Bewohnern von Krynnos
wurden und dem Beispiel meines Meisters folgten, pervertierte
Olgar-Karkoon die Schlangen immer mehr und lehrte sie sogar einen Teil
seiner Magie, so dass sie ihn schließlich wie einen Gott anbeteten – man
nannte ihn aus diesem Grund auch den Schlangengott - und bereit waren,
für ihn in den Kampf zu ziehen und zu sterben.“
Der Drache machte eine kurze Pause, als schiene er
nachzudenken, dann spürte Varnayrah seine Gedanken erneut in ihren.
“In der letzten Schlacht, die letztendlich das
Schicksal von Krynnos besiegelte, besiegten wir Olgar-Karkoon; nachdem
es mir gelungen war, seinen Drachen vom Himmel zu holen, tobte der Kampf
zwischen den beiden am Boden weiter und sie entfesselten enorme magische
Kräfte. In dem Moment, in dem mein Meister die Kehle seines
Gegenspielers mit seinen Zähnen zerfetzte, entstand ein Riss im Vortex,
der den Großteil der feindlichen Armee und die Überreste Olgar-Karkoons
verschlang. Nachdem der Riss sich wieder geschlossen hatte, kehrte
langsam Friede in unsere Welt ein - obwohl einige der überlebenden
Schlangen immer wieder versuchten, erneut einen Riss herbeizuführen, um
ihrem Gott die Rückkehr und die Übernahme der Herrschaft zu ermöglichen
- und die übrigen Drachenreiter unterwarfen sich meinem Meister. Doch
die entfesselten magischen Kräfte hatten noch etwas anderes bewirkt, das
sich nur schleichend bemerkbar machte: langsam zerfiel unsere Welt und
der Untergang war unaufhaltsam, wie ihr heute unschwer erkennen könnt.
Noch lange, nachdem alle seine Untertanen gestorben waren, saß mein
Meister hier auf seinem Thron und ließ seine Blicke über sein Reich
schweifen, doch was er zuletzt sehen musste, nahm auch ihm den Lebensmut
und so starb auch er nicht sehr viel später. Und ich hatte mich hier in
meine Höhle zurückgezogen...“
Die Worte in den Gedanken der Waldelfe erstarben zu
einem Flüstern; eine Weile spürte sie nichts, nicht einmal mehr die
gedankliche Anwesenheit des Drachen, doch dann ergriff er noch einmal
das Wort:
“Ich muss nun fort... Ich weiß nicht, ob ich zu
der Lösung Deiner Rätsel beigetragen habe, aber ich glaube, Dein Freund
da hält den Schlüssel zu allem in den Händen. Leb wohl!“
Nach diesen Worten verstummten die Gedanken des
Drachens endgültig und so sehr Varnayrah sich auch anstrengte und in ihr
Innerstes lauschte, konnte sie doch nichts mehr vernehmen. Plötzlich
schrak sie hoch, als sie die Hand Teloras auf ihrer Schulter spürte; die
Lichtelfe präsentierte ihr mit leuchtenden Augen einige Schriftrollen
und eröffnete ihr, dass sie unter den Büchern nicht nur welche gefunden
hatte, die in der gleichen Sprache verfasst waren, wie das Buch, das sie
in Drachenauge untersucht hatte, sondern auch welche, die in
Handelssprache verfasst waren. Weiterhin berichtete sie, dass die
Pergamente, die sie in den Händen hielt, eine ausgezeichnete Hilfe bei
der Übersetzung der fremden Schriften in die Handelssprache seien.
~/~
Obwohl Thorgrim die Gefährten auf die Fallen, die
vor ihnen lagen, aufmerksam gemacht hatte, gelang es niemanden, selbst
ihm selbst nicht, alle Auslöser zu umgehen, denn zu geschickt waren sie
versteckt. Während der Gevatter, Silver und Rileona durch die Feuerfalle
verletzt wurden, die Silvana geschickt umgehen konnte, scheiterte die
Amazone an der Falle, die am offensichtlichsten zu erkennen war, wenn
auch nur einer der Pfeile sie streifte; erst später sollte sie merken,
dass der Pfeil, der ihre Haut nur leicht geritzt hatte, vergiftet
gewesen war. So versorgten die Drachenritter ihre Wunden und setzten
ihren Weg durch diesen Gang abschließend ungehindert fort, obwohl sie
sich an jeder Ecke fragten, welche Überraschungen er noch bereithalten
würde. Um immer neue Ecken führte der Zwerg sie noch etliche Hundert
Schritte durch den Gang, doch plötzlich hielt er so abrupt inne, dass
die anderen beinahe in ihn hineingestolpert wären. Nachdem der Gevatter
um die letzte Ecke gebogen war, hatte er am Ende des Ganges drei
Gestalten entdeckt und machte sich bereit für einen möglichen Angriff,
doch noch bevor die anderen sich kampfbereit gemacht hatten, entspannte
er sich wieder, denn er erkannte Christian und Elessar unter den
Personen, die ihm gegenüber standen.
Die Gefährten begrüßten einander verwundert und
schnell tauschte man die letzten Neuigkeiten aus, bevor der Paladin die
anderen auf den seltsamen Durchbruch aufmerksam machte. Da der Gruppe um
den Zwergen niemand entgegengekommen war, schlossen die Drachenritter,
dass die Gesuchten nur in diesem Schacht verschwunden sein konnten und
so einigte man sich, dass man ebenfalls diesen Weg nehmen wollte, wobei
Thorgrim aufgrund seiner Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen, erneut die
Führung übernehmen sollte. So schlichen sie den Schacht hinunter und
sahen erst nach etlichen Minuten, die ihnen wegen der herrschenden
Finsternis wie eine Ewigkeit vorkamen, einen helleren Fleck vor sich,
der auf das Ende des Schachtes hindeutete. Als sie diesen Fleck endlich
erreichten, gewahrten sie, dass der Schacht in eine Art riesige
unterirdische Höhle mündete, in der ein seltsames, unwirklich
scheinendes Dämmerlicht herrschte; die Höhle selbst schien natürlichen
Ursprungs zu sein und der Großteil der Höhle war übersät mit den Resten
von Gebäuden und Wegen. Am Rand der Höhle erkannte man einige
Gebäudeteile, die aus dem Geröll herausragten und Elessar vermutete,
dass die einstige Stadt vor Urzeiten einer Katastrophe unermesslichen
Ausmaßes zum Opfer gefallen und anschließend verschüttet worden war und
lediglich ein Teil der Stadt in diesem Hohlraum bestehen blieb.
Während sie sich umschauten und vorsichtig aus dem
Schacht traten, berichtete der Paladin leise von seinen Vermutungen,
doch dann hielt er inne und lauschte einen Moment; er legte warnend
einen Finger vor seine geschlossenen Lippen und deutete dann nach vorne
zu einem noch teilweise erhaltenen Gebäude auf der anderen Seite eines
relativ großen freien Platzes, das aufgrund der Reste der erhaltenen
Fassade den Eindruck erweckte, dass es einmal als eine Art Tempel
gedient hatte. Er schlich noch ein Stückchen weiter zu den Resten einer
verfallenen Mauer und lauschte noch einmal, dann wandte er sich zu
seinen Gefährten um und hob eine Hand, wobei er vier Finger in die Höhe
streckte, um zu verdeutlichen, dass er der Meinung war, dass sich vier
Personen in dem Gebäude aufhielten.
8.
Kapitel
Schon während des Weges durch den Schacht, der die
Gefährten immer tiefer unter die Erde zu führen schien, hatte Silvana
das unbestimmte Gefühl, das etwas mit ihr nicht stimmte; sie störte sich
an dem Gestank – eigentlich nur der Geruch nach jahrhundertealtem,
trockenem Staub – und der augenscheinlich immer weiter zunehmenden
Hitze, die ihr Schweißausbrüche verursachte und hörte ein Rauschen in
den Ohren, als näherten sie sich einem unterirdischen Wasserfall. Sie
verkündete dies auch laut, doch dass MGDiablo ihr widersprach, entging
ihrer Aufmerksamkeit; stattdessen wurde ihr plötzlich schwarz vor Augen,
so dass sie sich am nächstbesten Arm – zufälligerweise dem des jungen
Soldaten – festkrallte. Dieser stützte sie auch sogleich, als er ihre
Unpässlichkeit bemerkte und half ihr, sich hinzulegen, wobei er seinen
Rucksack zu Hilfe nahm, um ihren Kopf zu stützen.
Als Elessar ihnen ein Zeichen gab, dass er etwas
gehört hatte und nach vorne schlich, um zu lauschen, machten Silver,
Rileona und Thorgrim sich bereits vorsorglich bereit für einen Kampf;
der Waldelf hatte schon seinen Bogen und einen Pfeil in der Hand und die
Druidin spannte bereits ihre Armbrust, während der Zwerg seine Axt in
Händen hielt. In der Zwischenzeit ergriff Christian die Gelegenheit, um
seinen mächtigen Heilzauber zu wirken und die verbleibenden Wunden der
Drachenritter zu heilen, damit alle mit ungeminderter Kraft einen
möglicherweise bevorstehenden Kampf bestreiten würden; alle spürten die
heilsamen Kräfte der Magie, die die Wunden verheilen und die
Lebensgeister zurückkehren ließ, nur Silvana schien es trotz der
Tatsache, dass sich ihre Wunden schlossen, nicht besser zu gehen; Silver,
der dies bemerkte, vermutete, das die Amazone möglicherweise durch eine
der Fallen, die sie ausgelöst hatte, vergiftet sein könnte und
verabreichte ihr einen Gegengifttrank aus seinem Rucksack. Es dauerte
einen Moment, bis sich eine angenehme Wärme in dem Körper der Amazone
ausbreitete, doch Silvana fühlte sich noch immer schwach wie ein
Neugeborenes und ihre Glieder wurden in regelmäßigen Zeitabständen von
einem Zittern befallen, das einen Augenblick anhielt und dann wieder
verschwand. Obwohl die Übelkeit langsam schwand, war sie sich bewusst,
dass es noch eine Zeit lang dauern würde, bis sie sich vollkommen erholt
hatte.
In gleichen Moment, da der Statthalter Nightons
seinen Zauber beendet hatte, gab Elessar von vorne ein Zeichen, dass er
vier Personen in dem verfallenen Gebäude vermute und Christian machte
sich auf den Weg zu dem Paladin, als plötzlich Bewegung in die Szene vor
ihnen kam. Anscheinend war Christian Anwendung von Magie nicht unbemerkt
geblieben, denn plötzlich erschienen zwei Personen im ehemaligen Eingang
der Tempelruine; eine davon war der Druide, mit dem die drei Gefährten
sich vor einiger Zeit noch unterhalten hatten; die andere war von einer
bläulich schimmernden Aura umgeben und in eine schwarze Robe gehüllt,
wobei die Kapuze so tief ins Gesicht gezogen war, dass nichts von der
verhüllten Gestalt zu erkennen war. Doch auch so erkannten die Gefährten
die Gestalt als eine derjenigen wieder, denen sie zu Beginn dieses
Abends auf der Straße zur Altstadt von Drachenauge gegenüber gestanden
hatten, und bevor auch nur einer der Gefährten einen Gedanken an die
Beschreibung Silvers von dem Schlangenkopf verschwenden konnte,
verschwamm das Gesicht des Druiden vor ihren Augen und innerhalb eines
Augenblicks sahen sie sich einem aufrecht gehenden Reptil gegenüber,
dessen gelbe Augen ihnen kalt und grausam entgegenblickten. Der
Schlangenmagier zischte ein Wort und sofort war auch er von einer
bläuliche Aura umhüllt.
Zwei, drei Herzschläge später erschienen an den
Ecken des Gebäudes, wo die Außenwände wahrscheinlich halb zerfallen
waren, links und rechts jeweils eine weitere, in eine dunkle Robe
gehüllte Gestalt, die ebenfalls in diese bläulich schimmernde Aura
gehüllt waren. Die beiden hielten sich anscheinend absichtlich etwas
entfernt und stießen plötzlich ein paar unverständliche Worte aus;
niemand erkannte, dass es sich um einen Zauber handelte, denn im ersten
Moment geschah offensichtlich nichts. Dann aber merkten Silvana,
MGDiablo und Silver auf, als sie ein kratzendes Geräusch und ein
merkwürdiges Zischeln hinter sich hörten; als sie ihre Köpfe wandten,
sahen sie sich fünf ausgewachsenen, grauschuppigen Echsen von jeweils
etwas mehr als zwei Fuß Länge gegenüber, die langsam auf sie zukamen.
~/~
Während Kain sich vergeblich an der Truhe, die in
seiner Vision seine Aufmerksamkeit erregt hatte, abmühte, wandte
Varnayrah sich an den Magier und Telora, um den beiden von den
Neuigkeiten, die sie von dem goldenen Drachen oder besser seiner Seele
erfahren hatte, zu berichten. Nur mit einem Ohr lauschte Kain den Worten
der Waldelfe und stopfte sich nebenbei die Taschen mit einigen der
Schätze, die hier rumlagen, voll, doch dann vernahm er die Bemerkung,
dass in der Truhe wohl der Schlüssel zu ihrer Heimkehr lag und verspürte
eine Art magische Resonanz, während er seine Magie nutzte, um zwei, ihm
aus der Hand gefallene Goldmünzen in der Luft aufzufangen. Sofort machte
er sich daran und versuchte, sowohl seine arkanen Kräfte, als auch sein
Geschick gleichzeitig einzusetzen, um das magische Schloss zu öffnen,
das die Lasche des Truhendeckels geschlossen hielt. Ein Moment voller
Konzentration, ein letzter Hieb mit dem Ellbogen und die Lasche gab
nach; neugierig und aufs Äußerste angespannt hob der Magier langsam den
Deckel, um den Inhalt der Truhe zu begutachten.
Der erste Blick in die mit Samt ausgeschlagene
Truhe löste eine Welle der Enttäuschung aus, denn außer zwei Phiolen,
einem kleinen, in Leder gebundenen Büchlein und einem weiteren Amulett,
das wertlos schien, weil die zwar aus purem Gold gefertigte Platte drei
Fassungen aufwies, in dem die wohl einstmals darin eingebetteten
Edelsteine fehlten. Kain nahm alle Gegenstände aus der Truhe, drehte sie
in den Händen und begutachtete sich genauestens, doch konnte er im
ersten Moment nur den Inhalt der beiden Phiolen als Mana- und Heiltrank
identifizieren. Er warf auch einen Blick in das Büchlein, doch sah er
sofort, dass es in einer Sprache verfasst war, die er nicht verstand und
wollte es gerade wieder zuklappen, als ihm auffiel, dass die Sprache
genau die war, in der auch das Buch, das sie in Drachenauge untersucht
hatten, geschrieben war. Auch Telora, die Kain über die Schulter
geschaut hatte, bemerkte dies und meinte sofort:
“Wir sollten versuchen, den Inhalt des Buches zu
entschlüsseln; die Pergamente, die ich gefunden habe, sollten uns dabei
helfen.“
Sie ließ sich von Kain das Büchlein aushändigen und
noch während der Magier das scheinbar wertlose Amulett in den Händen
hielt und achtlos damit spielte, begann die Lichtelfe bereits mit der
Übersetzung des Textes. Es dauerte eine Weile, bis Telora mit einem
zufriedenen Lächeln aufschaute und den beiden anderen berichtete, dass
es sich um eine Art Tagebuch des Ulshen-Shakar handelte. Erstaunlich war
jedoch, was es aus dem Leben des Drachenreiters zu berichten gab, denn
wahrlich mächtig muss ihre Magie gewesen sein. Sie hatten mit Hilfe
ebenjener Magie irgendwann in ihrem Jahrhunderte langen Sein einen Weg
gefunden, über den Vortex – das NICHTS, das die Welt Krynnos umgibt –
hinaus zu anderen, parallelen Welten zu reisen. Normalerweise öffneten
sie dazu Tore, die in der Zielwelt an besondere Orten, an denen meist
mehrere magische Kraftlinien aufeinander trafen, führten. Dieses
Aufeinandertreffen magischer Kraftlinien führte an vielen Orten dazu,
dass die Bewohner dieser Welten an diesen Stellen Tempel oder andere
Weihestätten errichteten und die Drachenreiter somit bei ihrem
Erscheinen an diesen Orten oft für Götter gehalten und entsprechend
verehrt wurden, was die meisten der kriegerischen, an Herrschaft
gewöhnten Drachenreiter zum Anlass nahmen, diese Macht entsprechend
auszunutzen.
Ulshen-Shakar jedoch nutzte diese Reisen auch dazu,
die fremden Völker und Kulturen, auf die er traf, zu studieren und
erkannte irgendwann einen tieferen Sinn darin, dass verschiedene Völker
auch durchaus in Frieden miteinander leben und einander respektieren,
beziehungsweise ihre Magie zum Nutzen der Allgemeinheit einsetzen
konnten, anstatt einander ständig zu bekriegen und abzuschlachten. Mit
der Zeit bewog ihn diese Erkenntnis, über sein eigenes Leben
nachzudenken und so reifte in ihm der Gedanke, seine eigene kriegerische
Lebensweise abzulegen und seine Heimat zu befrieden. Während er seine
Fähigkeit des Reisens zwischen den Dimensionen perfektionierte und
darauf bedacht war, sie sowohl zum Wohle einiger Völker, die er kennen
gelernt hatte und erfahren musste, dass sie in Bedrängnis waren,
einzusetzen, als auch zum Schutz seiner Untertanen, legte es
Olgar-Karkoon darauf an, von ihm besuchte Welten zu überfallen und sich
untertan zu machen. Zu diesem Zweck bannte er seine Magie sogar in
Spruchrollen, die es seinen engsten Vertrauten unter den
Schlangenmenschen ermöglichten, ebenfalls zwischen den Dimensionen zu
reisen, während er selbst, ebenso wie Ulshen-Shakar sein Amulett nutzte,
um die Magie, die zum Reisen nötig war, zu wirken.
Als Kain dies vernahm, gewahrte er, dass er
tatsächlich den Schlüssel für die Heimreise in Händen hielt, denn er
hatte das Amulett des Drachenreiters an sich genommen. Schon begann er
fieberhaft zu überlegen, wie er die Magie des Amuletts nutzen konnte,
als Telora fortfuhr und berichtete, dass das zweite Amulett, das Kain in
der Truhe gefunden hatte, das des Olgar-Karkoon gewesen war, das
Ulshen-Shakar nach seinem Sieg über den Feind an sich genommen hatte.
Damit es nie wieder von einem Anhänger des Feindes genutzt werden
konnte, nahm er ihm seine magischen Eigenschaften, indem er es zerlegte
und die Edelsteine, die er den Fassungen entnommen hatte, während seiner
weiteren Reisen an den unterschiedlichsten Orten versteckte. Dann
endlich kam die Lichtelfe zu dem wichtigsten Punkt; auf einer Seite des
Tagebuchs war eine unscheinbare Liste zu finden, die sich erst bei
genauem Lesen als eine Auflistung der möglichen Ziele dieser Reisen
offenbarte. Als erste Zeile stand der Name Krynnos verzeichnet und als
Kain einen Blick auf die Schrift warf, meinte er ebenjenen Spruch
daneben zu erkennen, den er in Drachenauge von der Spruchrolle gelesen
hatte. Einige Zeilen folgten dann Namen, von denen keiner der Gefährten
je gehört hatte, aber dazwischen fand sich in einer weiteren Zeile der
Name Aylann, wie Telora frohen Mutes verkündete. Nun gab es kein Halten
mehr; der Magier entriss der Lichtelfe förmlich das Tagebuch des
Drachenreiters und suchte die Zeile, in der der Name der Heimat zu
finden war; dann umfasste er das Amulett Ulshen-Shakars mit einer Hand
und las den Spruch, der im Buch verzeichnet war, innerlich hoffend, dass
die Magie des Amuletts ebenso leicht zu entfesseln war, wie die der
Spruchrolle, die sie hergeführt hatte.
Zuerst geschah nichts und Kain versuchte es noch
einmal, doch wieder scheiterte er. Bange Minuten verstrichen, in denen
er all seine Konzentration aufbot und zuletzt eine Welle seiner eigenen
arkanen Kraft durch seine Hand in das Amulett fließen ließ und erneut
den Spruch rezitierte. Und tatsächlich begann sich der bekannte
bläuliche Nebel zu bilden, der langsam pulsierte; der Tunnel im Zentrum
des Nebels bildete sich und ließ auf der anderen Seite einen Ort
erkennen, der den dreien gänzlich unbekannt vorkam, von einem seltsamen
Dämmerlicht beleuchtet zeigten sich halb verfallene Gebäude, die leer
und verlassen schienen. Doch wie beim ersten Mal konnten sie dem Sog,
der sich bildete, nicht widerstehen und nachdem er sie erfasst hatte,
wurden sie regelrecht in den Tunnel gesogen und fanden sich bald darauf
auf der anderen Seite wieder. Nachdem sich das Schwindelgefühl, das
diesmal nicht so stark wie beim ersten Mal gewesen war, gelegt hatte,
schauten die Gefährten sich um und gewahrten, dass sie inmitten einer
halbverfallenen Ruine standen und zwar in einem Raum, dessen Boden von
einem noch gut erhaltenen Mosaik in Form eines Pentagramms bedeckt war.
Teile des Daches und zweier Außenmauern fehlten und ließen den Blick auf
eine Höhle frei, die sich weiträumig um dieses seltsame Gebäude öffnete,
und von jenseits der noch stehenden Außenmauer erklangen Kampfgeräusche.
9.
Kapitel
Nachdem Christian seinen Heilzauber gewirkt und
Silver der Amazone einen Gegengifttrank eingeflösst hatte, schien
Silvana sich langsam wieder zu erholen, doch noch immer fühlte sie sich
so schwach, dass sie glaubte, nie wieder aufrecht auf beiden Beinen
stehen zu können. Gerade wollten der Soldat und der Waldelf sich nach
vorne zu Elessar begeben, der den Gefährten signalisiert hatte, dass
sich mutmaßlich vier Personen in dem Gebäude aufhielten, als die beiden
ein Zischeln hinter sich vernahmen und sich dem seltsamen Geräusch
zuwandten. Die fünf graugeschuppten Echsen, die sich langsam auf sie zu
bewegten, waren zwar jeweils nur knapp zwei Schritt lang, aber die
drohende Haltung, die sie einnahmen, ließ keinen Zweifel darüber offen,
dass sie kaum friedliche Absichten hatten. Blitzschnell hatte Silver
einen Pfeil auf der Sehne und sandte diesen auf die Reise und noch bevor
der erste Pfeil sein Ziel erreicht hatte, folgte ihm der zweite. Während
beide Geschosse unterwegs waren, stürzte sich auch MGDiablo mit seinem
Schwert auf eine der Echsen und auch Silvana, die sich mit Mühe und Not
auf die Beine gekämpft hatte, umklammerte mit zittrigen Händen ihren
Speer – die Armbrust hatte sie nach einem Moment der Erkenntnis, dass
ihr das Zielen unmöglich sein würde, wieder beiseite gelegt -, um mit
der Spitze nach einem der Gegner zu stoßen.
Dem kraftvollen Schwertstreich des Soldaten hatte
die Echse nichts entgegen zu setzen und mit einem zischelnden Laut, der
abrupt erstarb, als der Kopf vom Rumpf getrennt wurde, endete das Leben
des Wesens. Auch die Echse, der sich Silvana entgegen gestellt hatte,
starb, weil ihr die Speerspitze durch das geöffnete Maul tief in den
Hals drang. Die beiden Pfeile des Waldelfen jedoch drangen zwar mit
einem schmatzenden Geräusch in die geschuppten Körper der Echsen ein,
doch obwohl beide schwer getroffen wurden, setzten sie ihren Weg etwas
langsamer, aber unbeirrbar fort und als sie nahe genug heran waren,
öffneten sie ihre Mäuler, um die Gefährten mit einer ätzenden
Flüssigkeit zu bespucken. Während MGDiablo im letzten Moment zur Seite
springen konnte, wurden sowohl Silver, als auch Silvana getroffen. Der
Waldelf spürte plötzlich ein Brennen am Hals, als wäre er von einer
lodernden Fackel getroffen worden und auch die Amazone schrie vor
Schmerzen auf, als die Säure quer über ihren nackten Unterarm spritzte.
In diesem Moment war auch die letzte verbleibende Echse in Reichweite
und öffnete ihr Maul, um ihre Waffe einzusetzen.
Hoffnungslosigkeit machte sich in Varnayrah breit,
als sie sich am Ziel ihrer Reise umschaute und einen ihr völlig
unbekannten Ort gewahrte, doch dann bahnte sich ein bekannter
Melodiebogen undeutlich seinen Weg durch die Dunkelheit der Sorgen und
sie spürte die Nähe Elessars im selben Augenblick, als der Kampflärm an
ihre Ohren drang. Schnell und leise sah sie sich in dem Raum um, in dem
sie gelandet waren und schlich zum nächsten Mauerspalt, um von dort aus
einen Blick in den benachbarten Raum zu werfen; sie erblickte die
Gestalten, die offensichtlich Magier waren und meinte, einen seltsamen
Reptiliengeruch wahrzunehmen, doch war sich alles andere als sicher. Sie
kehrte zurück zu Telora und Kain und berichtete den beiden von der
Anwesenheit des Paladins ebenso wie von den Magiern und schlug vor,
diese abzulenken, damit Kain ungestört einen Zauber wirken konnte, mit
dem man Elessar und den ihn hoffentlich begleitenden Gefährten helfen
konnte. Da weder der Bäcker, noch die Lichtelfe etwas einzuwenden
hatten, las Varnayrah mehrere Steine vom Boden auf und machte sich dann,
gefolgt von Tan’le, hakenschlagend und immer wieder Deckung suchend auf
den Weg zum nächsten Raum, wobei sie die Steine einen nach dem anderen
nach den beiden Magiern warf, die im offenen Eingang des Gebäudes
standen und nach draußen spähten.
Als die Magier einer nach dem anderen nach draußen
getreten waren, hatte Elessar sich hinter seiner Deckung erhoben, um die
Aufmerksamkeit der Magier auf sich zu lenken, damit Thorgrim und
Christian sich nach links schleichen konnten, um sich unbemerkt dem dort
stehenden Magier nähern zu können. Aus dem Augenwinkel sah er, wie
Rileona ihre Armbrust schussbereit machte und so hielt er seinen Schild
und seinen Kriegshammer kampfbereit und setzte an, den Mauerabschnitt zu
umrunden, damit er sich den Magiern entgegenstellen konnte, als er
abrupt innehielt. Er hatte das unbestimmte Gefühl, die Anwesenheit
Varnayrahs zu spüren und blickte sich erstaunt um - wie sollte die
Freundin an diesen Ort gelangen? -, doch er konnte nichts entdecken.
Plötzlich kam Bewegung in die beiden Magier, die am Türeingang standen;
mehrere Steine kamen aus dem Gebäude geflogen und der eine oder der
andere traf auch das angedachte Ziel, doch der unverhüllte
Schlangenmagier zeigte nur in die Dämmerung des Gebäudeinneren und gab
ein Geräusch von sich, dass sich entfernt nach einem höhnischen Lachen
anhörte. Anscheinend machte er sich über den Steinewerfer lustig und
befand ihn nicht für würdig, dass man sich weiter um ihn kümmerte und so
wandte er sich erneut zu dem Paladin, der inzwischen bis auf 10 Schritt
an die beiden herangekommen war, und begann einen Zauber zu wirken.
Inzwischen hatten Christian und Thorgrim einen
guten Ausgangspunkt erreicht, von dem aus sie ihren Überraschungsangriff
auf den einzelnen, linker Hand stehenden Magier starten wollen und in
dem Moment, in dem der Magier abgelenkt schien, weil er auf die
Ereignisse am Eingang des Gebäudes achtete, stürmten die beiden los. Der
Statthalter, der die in eine blaue Aura gehüllte Gestalt zuerst
erreichte, hielt sein Breitschwert zum Stoß erhoben, um es dem Gegner
mit aller Kraft in den Körper zu rammen, doch musste, wie bereits
Elessar am frühen Abend mit ansehen, wie sein Schlag fast wirkungslos an
dem Schutzzauber verpuffte. Mit einem wütenden Zischeln fuhr der Magier
herum und hob seinen Stab zum Gegenschlag, doch im selben Moment war der
Gevatter heran; mit einem machtvollen waagerechten Schlag hieb er gegen
den Magier und als hätte nie ein Schutzzauber existiert, fuhr die
Schneide der Zwergenaxt durch die Aura und den Körper des Gegners und
zerteilte diesen regelrecht.
Nachdem Varnayrah sich von Kain entfernt hatte, um
die beiden Magier abzulenken, ließ der Bäcker einen Titan aus dem
herumliegenden Geröll entstehen und sandte diesen nach vorne zu der
Mauer, in der der Eingang zu dem Gebäude klaffte und befahl ihm, diese
nach Möglichkeit einzureißen, so dass sie auf die beiden Feinde
niederfiele. Während der Koloss sich schwerfällig auf den Weg machte,
zog Kain Telora in eine Ecke des Raumes und fragte die Lichtelfe nach
dem Zweihänder des Ulshen-Shakar. Als die Elfe kopfschüttelnd
antwortete, dass sie das Schwert, da sie sowieso nicht damit umgehen
konnte, beiseite gelegt hatte, als sie die Bücher entdeckte, machte Kain
sich daran, einen weiteren Zauber zu wirken, um die Magier weiter zu
behindern, doch seine Bemühungen scheiterten aufgrund mangelnder
Konzentration und so gesellte er sich zu dem Titan, um diesen zu
unterstützen.
Rileona hatte die allgemeine Verwirrung und
Ablenkung genutzt und ihre Armbrust schussbereit gemacht; in einem
günstigen Augenblick, in dem der rechter Hand stehende Magier sich
seinen beiden Gefährten im Eingang des Gebäudes zuwandte, hatte sie
seelenruhig angelegt und ihren Bolzen auf diese Reise gesandt. Als
dieser sein Ziel traf, zuckte der Getroffenen zwar zusammen und stieß
einen Schrei aus, schien aber keinen allzu großen Schaden davon getragen
zu haben. Voller Freude hatte die Druidin bereits einen zweiten Pfeil
aufgelegt, doch als sie das Ergebnis ihres ersten Treffers gewahrte,
wich die anfängliche Freude aufkommendem Ärger und sie trat einen
Schritt zur Seite, um noch besser zielen zu können; dabei achtete sie
nicht auf das herumliegende Geröll und knickte um, so dass der Bolzen
sich von der Armbrust löste und ziellos in die Dämmerung der Höhle flog.
Telora, die den Schrei des Magiers gehört hatte, schaute durch den
Mauerspalt von ihrem Standort aus nach dem Gegner und beschloss, sich an
denselben anzuschleichen, um ihm ihren Langdolch in den Rücken zu
treiben, doch als der Magier gewahrte, dass die Armbrustschützin, die
ihn bedrohte, stürzte, wandte er seine Aufmerksamkeit erneut seiner
Umgebung zu und hörte das leise Scharren von Teloras Schuhen auf dem
losen Geröll. Sie war noch immer einige Schritte von dem Vermummten
entfernt, als dieser herumwirbelte und aus der Drehung heraus mit dem
Stab nach der Lichtelfe schlug; als die Stabspitze den Brustkorb der
Bibliothekarin traf, stieß sie einen Schmerzenschrei aus und taumelte
zurück, dabei stolperte sie und schlug hart mit dem Hinterkopf auf einem
der herumliegenden Mauerstücke auf. Mit erhobenem Stab schritt der
Magier auf die reglos am Boden liegende Elfe zu, doch im nächsten Moment
ließ ihn das Poltern und Krachen fallender und berstender Steine
innehalten und eine Staubwolke hüllte den gesamten Bereich ein.
Im Schutze der Ablenkung durch Varnayrahs
Steinwürfe hatten Kain und der Titan sich vorsichtig und leise der
Außenmauer genähert und begannen ihre Bemühungen, die teilweise
zerfallene Wand umzuwerfen, um diese auf die beiden davor stehenden
Magier stürzen zu lassen. Der Schlangenmagier hatte sich inzwischen
wieder Elessar zugewandt, da er der Meinung war, dass, wer immer auch
aus dem Inneren des Gebäudes mit Steinen warf, keine große Gefahr
darstellte, und machte sich daran, einen Zauber zu wirken, um den sich
nähernden Paladin anzugreifen. Auch der andere Magier hatte nun seinen
Stab erhoben und begann unverständliche Worte zu rezitieren, als
plötzlich das Knacken berstender Steine hinter den beiden laut wurde;
sie blickten über die Schulter zurück und gewahrten, dass die
Außenmauer, vor der sie standen, zu wanken und sich dann scheinbar wie
in Zeitlupe zu neigen begann, doch in der Realität geschah alles so
schnell, dass keiner der beiden reagieren konnte. Mit einem lauten
Krachen fiel die Wand in sich zusammen und ein dunkle Staubwolke nahm
den Umstehenden die Sicht und den Atem.
Als die Wand in sich zusammen fiel und umstürzte,
triumphierte Kain innerlich, dass es so einfach schien, doch noch
während er hustend und mit tränenden Augen in den herumwirbelnden Staub
starrte, um das Ergebnis seiner Bemühungen zu sehen, sprang ihn
plötzlich ein dunkler Schatten an, der direkt aus dem Nichts der
Staubwolke zu kommen schien. Er spürte einen Schlag vor die Brust, der
ihn mit einem Aufschrei hinterrücks stürzen ließ und noch bevor er auf
dem Boden landete, vernahm er ein triumphierendes Zischeln und spürte
einen Ruck, mit dem ihm etwas vom Hals gerissen wurde. Im nächsten
Augenblick war er allein und rappelte sich mühsam hoch; glücklicherweise
war er kaum verletzt, doch dann bemerkte er, was der Angreifer ihm vom
Hals gerissen hatte: das Amulett des Olgar-Karkoon war verschwunden.
Hustend und mit tränenden Augen betrachtete Elessar
die Szene und hielt sich noch immer kampfbereit, während der Staub sich
langsam verzog; noch konnte der Paladin nur Schemen erkennen und fragte
sich, wie er die Bewegungen, die er in den Schatten erkennen konnte,
deuten sollte. Ein Schemen erhob sich aus den Trümmern und zischte
einige laute Worte in einer unbekannten Sprache und sprang dann in das
Innere des Gebäudes; einen Moment später hörte der Paladin einen
weiteren gedämpften Schrei und dann herrschte einen Augenblick Stille.
Endlich hatte sich auch der letzte Rest des Staubes verzogen und man
konnte wieder alles erkennen; halb begraben unter den Trümmern der Wand
lag der vermummte Magier und versuchte verzweifelt, einen Zauber zu
wirken, um sich gegen den Titan, der ihm gegenüber stand, zu wehren. Am
Boden im Eingang des Gebäudes lag Kain und rappelte sich gerade mühsam
hoch, doch von dem Schlangenmagier war nichts zu sehen.
10.
Kapitel
Es war wohl weniger der Schmerz selbst, als die
Tatsache, dass die ätzende Spucke der Echsen sich nicht von ihrem Arm
abwischen ließ und sich stattdessen unvermindert weiter in ihr Fleisch
zu brennen schien, der Silvana in regelrechte Hysterie ausbrechen ließ.
Noch immer am Boden liegend versuchte sie aus der Reichweite der sich
nähernden Echse zu kriechen, während sie MGDiablo mit schriller Stimme
um Beistand anflehte und wie wild mit dem Stiefel nach dem Kopf der
Echse trat. Einer der Tritte traf zwar sein Ziel, doch die Echse
zischelte nur wütend auf und setzte dann ihren Weg fort. Erst das
Schwert des jungen Soldaten, dass dieser mit voller Wucht durch den
Schuppenpanzer in den Körper des Tieres rammte, stoppte diese Bewegung.
In der Zwischenzeit hatte Silver, die Schmerzen des Kontaktgiftes
ignorierend, erneut einen Pfeil auf die Sehen seines Bogens gelegt und
den ersten seiner beiden Gegner, die noch immer auf die Gefährten
zuhielten, anvisiert. Sofort nachdem der Pfeil die Sehne verlassen
hatte, lag bereits der nächste Pfeil auf und machte sich auf den Weg zur
zweiten Echse und tatsächlich blieben beide Wesen nach einigen letzten
Zuckungen leblos liegen, nachdem die Geschosse ihre Ziele gefunden
hatten.
Nachdem MGDiablo sein Schwert beiseite gelegt
hatte, ließ er sich neben Silvana nieder, um sich den Arm genauer
anzuschauen, doch da er kein Heiler war, langte er lediglich nach seinem
Rucksack und reichte der Amazone, sowie dem Waldelfen, der sich
inzwischen zu ihnen gesellt hatte, jeweils ein Gegengift, weil er
hoffte, die Wirkungen der ätzenden Spucke somit beseitigen zu können.
Die beiden Verletzten nahmen zwar nach der Einnahme der Tränke eine
leichte Besserung wahr, doch schien dies nur die Wirkung des Giftes zu
betreffen, das bereits durch die Haut in den Körper gelangt war; die
Flecken, die die Säure hinterlassen hatte, brannten indes unvermindert
weiter. Und auch Christian, der sich zu den Gefährten begeben hatte, um
nach ihren Verletzungen zu schauen, schaffte es nicht, die Wirkung des
Kontaktgiftes mit einem seiner Zauber zu hemmen; lediglich sein
Heilzauber entfaltete seine Wirkung und minderte die Schmerzen der
beiden. Erst Thorgrim, der sich erst vergewissert hatte, dass alle
verbleibenden Gegner entsprechend viele und damit hoffentlich genügend
Gegenspieler aus den eigenen Reihen hatten, zusätzlich zu der Gruppe
gesellt hatte, kam auf die Idee, die Verätzungen mit Wasser zu spülen,
um zumindest den Schmutz aus den Wunden zu entfernen. Noch während er
dies zu den Gefährten sprach, blickte er sich zu Elessar und den anderen
um und fragte dann erstaunt und stirnrunzelnd in die Runde, ob er sich
irre oder ob tatsächlich einer der feindlichen Magier verschwunden sei.
Als Kain bemerkte, dass das Amulett des
Olgar-Karkoon verschwunden war, begann er zu fluchen und rappelte sich
mühsam hoch; langsam verzog sich der Staub, der beim Einsturz der Mauer
aufgewirbelt worden war und er erkannte im trüben Licht, dass einer der
Magier halb eingeklemmt unter den Trümmern lag und gerade einen Zauber
wirkte. So befahl er dem Titan, sich um den feindlichen Zauberer zu
kümmern und seinen Stab zu zerbrechen, während er selbst sich dem
Inneren des Gebäudes zuwandte und noch während er in die Richtung eilte,
in der er den Magier, der ihm das Amulett gestohlen hatte, entschwunden
wähnte, erschien eine Lichtkugel in einer seiner Hände, die er nutzte,
um den Weg, den er nahm, zu erleuchten.
Der Magier indes erkannte die Bedrohung durch den
Titan und richtete seine Aufmerksamkeit auf diesen statt auf Kain, ohne
in der Rezitation der fremden Worte inne zu halten; gerade als der
stumme Diener Kains nahe genug heran war, dass er den Magier hätte
packen und in seinen gigantischen Händen hätte zermalmen können,
entfesselte dieser seine Magie und der Titan wurde durch einen heftigen
Luftstoß mehrere Schritte nach hinten gedrängt; schwerfällig taumelte
der Koloss rückwärts durch den Raum und stolperte über einen der
herumliegenden Steinblöcke so unglücklich, dass er gegen die rückwärtige
Wand fiel und in Tausende von kleinen Steinchen zerbarst. Doch der
Magier hatte nicht mit Elessar gerechnet, der noch immer auf dem Platz
vor dem ehemaligen Tempel stand und die Szene beobachtet hatte; als der
Staub sich soweit gelegt hatte, dass der Paladin wieder einigermaßen
erkennen konnte, was vor ihm geschah, hatte er seinen Kriegshammer
gepackt und war zu den Trümmern der Wand geeilt, unter den der Magier
halb eingeklemmt war. Als der Titan nach hinten stolperte, verstärkte
der Magier seine Bemühungen sich endlich aus seiner Gefangenschaf zu
befreien und achtete nicht weiter auf seine Umgebung, so dass Elessar
ohne Schwierigkeiten an ihn herankommen konnte. Mit einem weit
ausholenden Schwung hieb er dem unachtsamen Magier den Kriegshammer
gegen den Schädel und vernahm im nächsten Augenblick das seltsame
Geräusch, mit dem die dünnen Schädelknochen splitterten und das auch
Silver und Thorgrim einige Stunden zuvor bereits vernommen hatten, als
sie den Wächter am Zugang zur Kanalisation töteten.
Durch das höhnische Gelächter reifte in Varnayrah
eine grimmige Entschlossenheit und sie erkannte den Vorteil in der
Tatsache, dass der Gegner sie keiner Beachtung für würdig hielt; gerade,
als sie sich endlich davon überzeugen wollte, wie es um Elessar und
Silver, dessen Melodiebogen sie inzwischen auch gespürt hatte, ergehen
mochte, fiel die Mauer, die Kains Titan zum Einsturz brachte und der
herumwirbelnde Staub nahm ihr erst einmal sowohl den Atem, als auch die
Sicht. Erst als der Staub sich wieder legte, gewahrte sie die Bedrohung,
der Telora ausgesetzt war; sie sah, dass Rileona von draußen auf den
Magier, der die bewusstlose Lichtelfe jeden Moment töten würde, zulief
und ihn angreifen wollte, doch irgendwie hatte sie dennoch das Gefühl,
dass die Druidin einen Moment zögerte. Obwohl sie eigentlich
entschlossen war, sich möglichst aus allen Nahkämpfen heraus zu halten,
um das Leben ihres ungeborenen Sohnes nicht unnötig zu gefährden,
erwachte der Kampfgeist in ihr und noch während sie ihre Schritte
beschleunigte, fuhr ihr Schwert mit einem hellen Geräusch aus seiner
Scheide. Sie hatte weniger Geröll und Hindernisse auf ihrem Weg zu
umgehen und so war sie als Erste bei dem Magier, der gerade im Begriff
war, Telora mit seinem Stab zu erschlagen.
Obwohl er den Stab bereits zum Schlag erhoben
hatte, kam er nicht dazu, sein Vorhaben durchzuführen; Rao’Jathara
blitzte auf und fuhr auf den Feind nieder, der jedoch noch immer durch
seine Magie geschützt war. So verursachte die Waldelfe mit ihrem Schlag
weitaus weniger Schaden, als ihr lieb gewesen wäre, doch sie hatte es
geschafft, dass der Magier ihr statt der hilflos am Boden liegenden
Lichtelfe seine Aufmerksamkeit zuwandte. Ein ärgerliches Zischeln
entfuhr ihrem Gegenüber und im nächsten Moment züngelten die ersten
Flämmchen um dessen rechte Hand, als er begann einen Feuerballzauber zu
wirken, doch gerade in dem Moment, in dem er ihn gegen Varnayrah
schleudern wollte, war Rileona, die auf den letzten Schritten in einen
Sprint verfallen war, heran und stieß dem vollkommen auf Varnayrah und
seinen Zauber konzentrierten Magier ihren Dolch in einem weit
ausholenden Halbbogen von der Seite in den Brustkorb. Noch immer
gebremst durch den Schutzzauber verursachte auch dieser Angriff weniger
Schaden als bei einem ungeschützten Gegner, doch die Ablenkung war
perfekt; der Magier verriss seine Bewegung, mit der den Feuerball in
Varnayrahs Richtung schleudern wollte und die flammende Kugel flog
zischend etwa eine Handbreit am Gesicht der Waldelfe vorbei, die vor der
sengenden Hitze zurück zuckte und wünschte, dass sie sich doch besser an
ihre zuvor getroffenen Vorsätze gehalten hätte. Doch noch bevor der
Gegner auch nur einen weiteren Gedanken an Angriff, Gegenwehr oder
Flucht verschwenden konnte, traf ihn der blitzschnell ausgeführte zweite
Hieb der Druidin und diesmal verblasste die bläuliche Aura vollends und
der Magier brach mit einem Aufschrei zusammen und blieb regungslos zu
Rileonas Füßen liegen.
Noch immer atemlos und hilfesuchend blickte
Varnayrah sich um und rief nach Elessar, der einen Augenblick später
über die Reste der eingestürzten Mauer kletterte und sie in seine Arme
schloss, während er beruhigend auf sie einsprach:
“Wir waren in großer Sorge! Wie geht es Deinem
Kind? Ist mit Dir alles in Ordnung?“
Er nickte Rileona dankend zu und schaute mit einem
besorgten Blick zu der am Boden liegenden Telora, die im Begriff war,
wieder zu Bewusstsein zu kommen und wandte sich dann wieder an Varnayrah:
“Wo seid ihr überhaupt gewesen und wie seid ihr
an diesen Ort gekommen? Aber lass uns erst zu den anderen gehen; dann
kannst Du in Ruhe alles erzählen.“
Dann blickte er sich in dem ehemaligen Raum um und
fügte verwundert hinzu:
“Wo ist eigentlich Kain abgeblieben?“
Kain streifte ziellos durch die Räume des
ehemaligen Tempels und versuchte, den seinen Blicken entschwundenen
Magier durch triefenden Spott herauszufordern, doch er schien damit
keinen Erfolg zu haben. Inzwischen hatte der Bäcker das Gebäude durch
einen weiteren Mauerdurchbruch verlassen und war immer weiter in die
Tiefen der Höhle vorgedrungen und noch immer erhellte die Lichtkugel in
seiner Hand seinen Weg, doch von dem Schlangenmagier war keine Spur zu
entdecken. Schließlich entschied Kain sich, es mit einem Trick zu
versuchen und kramte einen der Edelsteine, die er in der Höhle
Ulshen-Shakars eingesteckt hatte, aus der Hosentasche hervor und rief,
während er den Rubin in die Höhe hielt, so dass er aufblitzte, lockend
in die Dunkelheit außerhalb seiner Lichtkugel, dass es sich um einen der
Edelsteine handelte, die im Amulett des Olgar-Karkoon fehlten. Eine Zeit
lang geschah gar nichts und Kain wollte bereits alle Hoffnung aufgeben,
doch noch ein Lebenszeichen des Magiers zu entdecken, als er an einer
weiteren Hausecke vorbei schritt. Er hörte noch ein Zischeln und wollte
sich dem Geräusch zuwenden, als es plötzlich stockfinster um ihn herum
wurde und seine Lichtkugel, obwohl sie weiterhin zu leuchten schien,
nicht weiter in der Lage war, die Finsternis zu durchdringen, als würde
das magische Licht von einer weitaus stärkeren Magie regelrecht
verschluckt. Im nächsten Moment fühlte er seine Hand, die den Rubin
hielt, von hinten gepackt und der Stein wurde seinen Fingern entwunden,
während er einen Schlag in den Rücken erhielt, der ihn nach vorne
taumeln ließ. Noch während er damit beschäftigt war, den Schwung
abzubremsen und sich vor einem Sturz zu retten, ertönte ein ärgerliches
Zischeln, das wie ein Fluchen klang und sich schnell entfernte. Einen
Moment später war er nur noch von Stille umgeben und langsam bahnte sich
der Schein seiner Lichtkugel wieder einen Weg durch die Dunkelheit, so
dass er sich letztendlich wieder auf den Weg zu den Gefährten machte.
~/~
Inzwischen waren Elessar, Varnayrah, Rileona und
Telora zu den anderen Gefährten gestoßen und nachdem sie festgestellt
hatten, dass Kain sich noch nicht eingefunden hatte, wollte Elessar sich
auf die Suche nach dem vermissten Statthalter machen, doch in diesem
Moment erschien dieser am entfernten Ende des Platzes neben dem Tempel
und hielt gemächlichen Schrittes auf die Gefährten zu. Alle schauten ihm
erwartungsvoll entgegen, ob er ihnen wohl etwas von dem verschwundenen
Magier berichten konnte, als hinter den Gefährten in der Nähe des
Schachtes das Geräusch rutschendes Gerölls zu vernehmen war; die Köpfe
der Gefährten ruckten wie auf Kommando herum und alle entdeckten den
letzten der Schlangenmagier, der sich offenbar heimlich aus dem Staub
hatte machen wollen. Als er gewahrte, dass er entdeckt worden war, hielt
er inne, hob seinen Stab und begann einen Zauber zu rezitieren; binnen
Sekunden begann der Boden unter den Füßen der Gefährten zu wanken und
dumpfes Grollen war zu hören. Sofort wandte der Magier sich um und
verschwand in dem Schacht, der zur Kanalisation führte; im nächsten
Moment bildeten sich die ersten Risse im Boden und der Decke der Höhle
und spätestens jetzt war den Gefährten klar, dass sie sich schleunigst
auf den Weg machen sollten, um die Höhle zu verlassen.
11.
Kapitel
Als die Erde zu beben begann, war der
Schlangenmagier, der kurz zuvor in dem zur Kanalisation führenden
Schacht verschwunden war, fürs Erste vergessen und alle hatten nur einen
Gedanken: raus aus diesem unterirdischen Gefängnis, bevor es zum Grab
wurde. So eilten die Gefährten mehr oder weniger überstürzt dem Rettung
verheißenden Schacht zu und manch einer von ihnen stolperte über loses
Geröll oder auch herabfallende Gesteinbrocken und zog sich mehr oder
minder schwere Verletzungen zu und nur MGDiablo, Rileona und Varnayrah
schafften es, gänzlich unverletzt zur Kanalisation zu gelangen, von wo
aus die Drachenritter unter Christians Führung die Treppe in das Haus
des Druiden nahmen und dort erst einmal verschnauften. Während selbst
der Statthalter von Nighton, den es am schwersten getroffen hatte,
atemlos an einer der Kisten in dem Kaminzimmer lehnte, um wieder zu Atem
zu kommen, war es diesmal an Elessar, die heilsamen Kräfte seines Gottes
herbeizurufen, um die Wunden der Gefährten zu heilen. Im Gegensatz zu
seiner sonstigen Heilmethode, bei der er die Hände auf die Wunden des
Hilfsbedürftigen legte, legte er diesmal die Fingerspitzen beider Hände
aneinander und schloss die Augen, um sich auf sein innerstes Sein zu
konzentrieren und die Macht Paladins in seine Handflächen zu leiten. Das
sich um die Hände bildende gleißende Leuchten, das einige der Gefährten
bereits von früher kannten, bildete nunmehr einen Lichtkreis, der zu
pulsieren begann und sich anschließend rasch ausdehnte, bis er alle im
Raum Versammelten eingeschlossen hatte; eine seltsame Wärme erfasste die
Gefährten, als sie von dem Licht erfasst wurden, breitete sich langsam
in den geschundenen Körpern aus und veranlasste die Wunden, sich zu
schließen.
Erst als sich alle wieder besser fühlten, bemerkten
sie, dass das Grollen tief unter der Erde nachgelassen und die Beben
aufgehört hatten; erleichtert atmeten die Drachenritter auf und
Christian nutzte die Gelegenheit, den Inhalt der Kiste, gegen die er
sich gelehnt hatte, näher zu untersuchen. Enttäuscht musste er
feststellen, dass fast der gesamte Inhalt aus irgendwelchen
Gesteinsbrocken und anderen Fundstücken bestand, die wohl allesamt aus
der Höhle, aus der sie eben geflohen waren, stammten. Wie es schien,
waren diese „Proben“ hier herauf gebracht worden, um sie näher zu
untersuchen, doch schienen sie sich als wertlos erwiesen zu haben, so
achtlos wie sie in der Kiste lagen. Achselzuckend wollte der Statthalter
den Deckel wieder schließen, als ihm noch ein kleines Ledersäckchen
auffiel, das in einer Ecke der Kiste lag und unter einigen Steinen
hervorlugte. Er zog an dem Lederband und hielt kurz darauf das Behältnis
in der Hand; als er es öffnete, fand er eine Wundbinde und eine Phiole,
deren Inhalt sich als Manatrank erwies.
Doch zu erschöpft waren er und die anderen, um sich
auch den übrigen Kisten zuzuwenden und so machten sie sich schließlich
auf den Weg zu Kains Anwesen, um sich dort über die zurückliegenden
Geschehnisse auszutauschen. Nachdem Varnayrah, Kain und Telora von ihren
Erlebnissen in der Welt namens Krynnos berichtet hatten und die anderen
von der Begegnung mit den Schlangenmagiern, sprach Varnayrah den
Gedanken aus, den wohl niemand zu denken gewagt hatte, obwohl er doch so
offensichtlich war: anscheinend waren die Schlangenmagier auf der Suche
nach den einzelnen Teilen des Amuletts des Olgar-Karkoon, um es wieder
zusammen zu setzen. Doch was sie damit bezwecken wollten, blieb zu
diesem Zeitpunkt ebenso unklar, wie die Frage, woher diese
Schlangenmagier stammten; erst eine ausführliche Untersuchung der
gesammelten Informationen und eine detaillierte Übersetzung der
verbliebenen und von Krynnos mitgebrachten Schriften – das Buch, das
Kain damals im Turm des Khalin Wael gefunden hatte, war
unglücklicherweise von dem verschwundenen Schlangenmagier mitgenommen
worden - würde hoffentlich Licht in diese Angelegenheit bringen. Nachdem
Telora versichert hatte, dass sie sich nach ihrer Rückkehr nach
Sha’Nurdra umgehend an die Arbeit machen würde, präsentierte Kain die
von ihm mitgebrachten Schätze und hieß jeden der Gefährten, sich
ausgiebig zu bedienen. Nach einem ausgiebigen Mahl und weiteren Stunden
der Gespräche und Überlegungen, verabschiedeten sich schließlich die
ersten Gefährten, um sich entweder nach Hause zu begeben oder sonst wie
ihrer Wege zu gehen.
~/~
In stiller Andacht knieten knapp zwei Dutzend
Priester vor einem blutbefleckten Altar, der im hinteren Teil einer
riesigen, von Fackeln hell erleuchteten Halle lag. Die Priester,
allesamt waren sie in weite dunkle Umhänge gehüllt und hatten die
Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, verbeugten sich voller Ehrfurcht vor
dem Priester, der hinter dem Altar stand; dieser hatte sein Gesicht
nicht verhüllt und deutlich war der reptilienartige Kopf zu erkennen,
der ihn als Schlangenmenschen auszeichnete. Der Gegenstand, den er in
der erhobenen rechten Hand hielt, schien die Ursache für die Ehrfurcht
der anderen Priester zu sein, und das, obwohl es sich lediglich um ein
schlichtes, rundes Amulett handelte, das zwar aus purem Gold gefertigt
schien, jedoch drei Fassungen für Edelsteine aufwies, von denen zwei
leer waren. Doch dieser Umstand schien weder die knienden Priester, noch
den Priester hinter dem Altar zu stören, denn triumphierend sprach
dieser:
“Endlich ist es in unseren Händen, das Amulett
unseres Meisters!
Olgar-Karkoon, bald schon wirst Du wieder unter
uns weilen und uns zum Sieg führen!“
Auf diese Worte hin begannen die anderen Priester
einen monotonen Gesang anzustimmen, der immer lauter anschwoll, bis er
ebenso abrupt abbrach und der Priester mit dem Amulett erneut das Wort
ergriff:
“Unsere Jäger sind den beiden fehlenden
Edelsteinen auf der Spur! Doch für uns ist bereits jetzt die Zeit
gekommen, unserem Meister den Weg zu ebnen!“
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