Der Druidenturm
 

1. Kapitel

Fast am äußersten Ende der Bergkette, die sich inmitten der Elfenwälder im Süden Sha'Nurdras entlang des Sirannon erhob, wallte auf einer kleinen Lichtung auf der Westseite des Gebirges plötzlich ein dunkler Nebel auf und kurze Zeit darauf durchbrach ein schmerzvolles Stöhnen die Stille des dunklen Waldes, das dazu führte, dass die gerade noch hörbaren Stimmen der sich in unmittelbarer Nähe aufhaltenden Waldbewohner mit einem Schlag verstummten. Dann lichtete sich der Nebel und eine Gestalt wurde sichtbar, die, sich offensichtlich unter starken Schmerzen krümmend, auf dem Boden wand und laut stöhnte. Es dauerte einen Moment, bis die Person sich halb aufsetzen konnte, denn ihre Verletzungen schienen sehr schwer zu sein, doch als sie es endlich geschafft hatte, verschwand eine ihrer Hände in den Weiten ihres Umhangs und erschien sogleich mit einer kleinen Phiole wieder, die sie in einem Zug leerte; dann atmete sie tief durch und setzte sich vollends auf, nur um sich einen Augenblick später zu erheben und sichernd um sich zu blicken. Durch die lange Robe und die tief ins Gesicht gezogene Kapuze war nicht zu erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, doch kaum hatte sie sich gereckt und gestreckt, als hätte sie Stunden erholsamen Schlafes hinter sich und wäre gerade gestärkt und ausgeruht erwacht, begann sie halblaut vor sich hinzumurmeln und dem aufmerksamen Zuhörer, so denn einer anwesend gewesen wäre, wäre nicht entgangen, dass es sich um eine weibliche Stimme handelte. Die Worte indes waren unverständlich, so dass der besagte Zuhörer ihren Sinn nicht verstanden hätte.

Nachdem die Gestalt bereit zum Aufbruch war, blickte sie sich noch einmal suchend um und marschierte dann auf den Rand der Lichtung zu, um sofort im dichten Unterholz zu verschwinden; dabei wandte sie sich gen Osten und hielt auf die in nicht allzu großer Entfernung sichtbaren Berge zu. Langsam, aber stetig begann das Gelände anzusteigen und als sie den Waldgürtel verlassen hatte, schritt sie an der Bergkette entlang nach Norden und näherte sich auf diese Weise wieder der Stadt des Lichtes, obwohl sie noch immer weit davon entfernt war. Als sie den Eingang einer kleinen Schlucht passierte, hielt sie plötzlich inne und hob die Nase in den Wind, ganz so, als würde sie wie ein wildes Tier Witterung aufnehmen; dann nickte sie, wobei sich ein zufriedenes Grinsen auf ihrem Gesicht abzeichnete. Sie eilte in die Schlucht und kam nach nur wenigen Schritten vor dem Eingang einer Höhle zum Stehen; nachdem sie sich noch einmal umgeschaut hatte, trat sie in die Dunkelheit und schritt langsam voran, als würde sie genauestens erkennen, wohin sie ging, bis sie plötzlich vor einem Bären stand, der offensichtlich seinen Winterschlaf in dieser Höhle hielt.

Die Gestalt fasste mit einer Hand an ein um ihren dürren Hals baumelndes Amulett und sprach eine Beschwörung in einer fremden Sprache; obwohl an dem Bär keine Veränderung zu bemerken war, nickte sie zufrieden und legte sich dann zu demselben auf den Boden, wobei sie zum Schutz vor der Kälte nahe an ihn heran rückte. Dann schloss sie die Augen und murmelte vor sich hin:

"Krötenschleim und Natterndreck! Sie haben ihn getötet! Aber sie werden büßen und Du wirst mir helfen! Sobald ich am Ziel bin, werden sie alle büßen..."

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Am frühen Nachmittag hatte Elessar Georg Bescheid gegeben, dass er die nächste Zeit nicht gestört werden wollte und den jungen Adepten gebeten, sich um die Belange des Tempels zu kümmern; sollten Gläubige den Tempel aufsuchen, so könnte Georg sich ihrer annehmen, solange Elessar beschäftigt war. Dann hatte er sich in die Bibliothek zurückgezogen und nachdem er sich mit genügend Wasser und frischem Obst versorgt hatte, etwas Weihrauch in einer Schale entzündete; anschließend legte er sowohl einige Pergamentrollen, als auch das kleine, in schwarzes Leder gebundene Buch, vor sich auf den Tisch. Diese Unterlagen hatte er in der Hütte der Druidin gefunden, die vor einiger Zeit die Gegend um Sha’Nurdra mit Hilfe eines mittels dunkler Magie beschworenen Wolfes und einem Rudel „normaler“ Wölfe terrorisiert hatte, und nun wollte er die Zeit nutzen und versuchen, in Erfahrung zu bringen, was die Hintergründe dieser Aktionen gewesen waren; langsam entrollte er die Pergamente, von denen einige offensichtlich schon sehr alt waren und vertiefte sich sodann in das Studium der Schriften.

So las er den Rest des Abends und die ganze Nacht und nachdem er am Morgen kurz im Aiyeona erschienen war, um seiner Liebsten Nachricht zu bringen, wo er momentan seine Zeit verbrachte, auch die folgenden beiden Tage und Nächte; er blätterte hier in den alten Werken und in dem Buch und wann immer er ins Stocken kam, schritt er zu den unzähligen Büchern und Schriften - die inzwischen in den Regalen der Bibliothek verweilten, nachdem die Schriften aus dem Stadtarchiv hierher verlagert worden waren - und suchte darin nach weiteren Informationen und Erklärungen. Zwischendurch aß und trank er etwas und immer, wenn die Müdigkeit ihn überkam, vertiefte er sich in Meditationen und Gebete, um sich wach zu halten. Tagsüber studierte er im Schein der kalten Wintersonne, deren Strahlen, die den ganzen Tag über durch die Fenster fielen, zwar nicht für mehr Wärme, aber für ausreichend Licht sorgten und des nachts saß er teilweise mit tränenden Augen beim Schein eines Talglichtes über den Büchern. Am Ende des dritten Tages, als er kaum noch seine Augen offen halten konnte, hatte er alle Werke durch und obwohl er nicht alles hatte ergründen können, weil einige Passagen in einer fremden Sprache verfasst waren, deren Übersetzung er in keiner seiner Schriften hatte finden können, war er sich sicher, den Plan der Druidin soweit durchschaut zu haben. Erleichtert seufzte er auf, stütze den Kopf auf seine Hände und schloss für einen Moment die Augen...

In dieser Haltung fand Carthangiel ihn am nächsten Morgen und weckte ihn sanft, um ihn nicht zu erschrecken. Als er die Augen öffnete, bemerkte er, dass sie inzwischen den Tisch abgeräumt und ein ausgiebiges Frühstück bereit gestellt hatte. Während des Frühstücks berichtete er ihr von den dunklen Plänen der Druidin und dass er den Plan gefasst hatte, diese mit allen Mitteln zu vereiteln; er hatte vor, sich auf die Suche nach ihr und der Stätte, an der sie ihre Pläne in die Tat umsetzen wollte, zu machen und fragte die Waldelfe, ob sie sich nicht mit auf die Reise machen wolle, doch unglücklicherweise hatte Carthangiel bereits andere Pläne und würde Elessar aus diesem Grund nicht begleiten können. Doch der Paladin erinnerte sich an ein Gespräch, dass er vor wenigen Tagen mit dem Bäcker geführt hatte und so entschloss er sich, diesen - oder am besten gleich alle, die vor Wochen an der Wolfsjagd teilgenommen hatten - um Beistand zu bitten. So begab er sich mit seiner Liebsten zum Aiyeona und machte sich flugs daran, eine Botschaft zu verfassen, die er all jenen zukommen lassen wollte, deren Wohnort er kannte. Die Botenreiterin Elayha Sternenklang würde die Botschaft überbringen und auch denen, die des Lesens nicht mächtig waren, den Inhalt der Botschaft, sowie die Dringlichkeit der Mission erläutern können. Und mit der Hilfe der Gefundenen sollte es zudem möglich sein, diejenigen ausfindig zu machen, deren Wohnort er nicht kannte.

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Die Druidin stand im Eingang zu der Höhle und schaute hinaus auf die schneebedeckte Landschaft; jeder Atemzug trieb feine Nebelwolken vor ihrem Gesicht, da die Kälte den Atem sofort gefrieren ließ. Ein Blick zum wolkenverhangenen Nachthimmel ließ sie erkennen, dass der Winter - zumindest hier oben - noch lange nicht vorbei war und fröstelnd zog sie die Kapuze ihrer Robe weiter ins Gesicht. Tatsächlich fing es auch plötzlich an zu schneien und die weißen Flocken wirbelten umher, wurden immer dichter und der leichte Schneefall weitete sich zu einem regelrechten Schneegestöber aus, das die Sicht behinderte. Auch, wenn sie den Mond durch das Schneetreiben und die dichte Wolkendecke nicht sehen konnte, wusste sie, dass es nur noch wenige Tage bis zum Vollmond waren und ein unbestimmtes Gefühl in ihr drängte sie zur Eile. Fast drei Mondläufe waren seit dem Kampf an ihrer Hütte vergangen und zu lange war sie jetzt untätig gewesen; Ostara, die Tag- und Nachtgleiche stand bald bevor und weiterhin zu warten, hieße, ihre Pläne aufs Spiel zu setzen.

Abrupt drehte sie sich um und schritt in das Innere der Höhle, wo der Bär noch immer in seinem Winterschlaf lag; zuerst wollte sie sich zu ihm legen, um sich zu wärmen, doch dann entschied sie sich anders. Sie umfasste ihr das Amulett, das um ihren Hals hing und murmelte einige unverständliche Worte; plötzlich begann der Bär sich zu regen und erwachte. Als er die Augen öffnete und die Druidin gewahrte, erhob er sich langsam und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, wobei er ein lautes Brüllen von sich gab und drohend die Tatzen hob. Obwohl er sie fast um das Doppelte überragte, zeigte die Druidin keine Angst, sondern hob erneut das Amulett und murmelte einen weiteren Spruch, worauf sie begann, beruhigend auf den Bären einzureden. Sichtlich beeindruckt, dass sein Gegenüber keine Angst zeigte und stattdessen ruhig auf ihn einsprach und zusätzlich durch den Bann beeinflusst, ließ der Bär sich wieder auf alle Viere nieder und als würde Neugier seine Instinkte überflügeln, trottete er langsam näher. Die Druidin lachte leise auf und tätschelte seine riesige Flanke, während sie sprach:

“Na siehst Du, jetzt verstehen wir uns! Ich tue Dir nichts zuleide, Du tust mir nichts zuleide und am Ende werden wir die besten Freunde sein.“

Die folgenden Worte sprach sie, während sie auf und ab schritt und ihre Pläne überdachte, wieder mehr zu sich selbst und man hörte Bruchstücke von Sätzen wie “...zu lange gewartet...“, “...zurück zur Hütte...“, “...hoffentlich noch da...“ und “...und dann zu den Steinkreisen...“, doch dann wandte sie sich erneut zu dem Bär und rief herrisch “Folge mir! Die Zeit drängt!“ und schritt auf den Höhleneingang zu, ohne sich noch einmal umzusehen.

Draußen stapfte sie, gefolgt von dem Bären, durch den knöcheltiefen Schnee zum Eingang der Schlucht, in der die Höhle lag und wandte sich dem Tal zu und je tiefer sie ins Tal kamen, umso mehr nahm die Schneehöhe ab und hier und da kamen bereits vereinzelte Flecken des kahlen Bodens zum Vorschein. Der Winter im Tal schien lange nicht so hart, wie es in der Schlucht ausgesehen hatte und so eilte die Druidin bald zuversichtlich auf die Waldgrenze und die Lichtung zu, auf der sie nach dem Kampf vor einigen Wochen durch ihren Teleportzauber angelangt war. Dort angelangt, pfiff sie eine seltsame Melodie und kurze Zeit darauf ließ sich eine Elster auf ihrer Schulter nieder; die Druidin bot ihr den Handrücken dar - auf den die Elster sofort hüpfte -  und begann dann, dem Vogel Worte in einer unbekannten Sprache zuzuflüstern. Als sie geendet hatte, schwang sich die Elster in die Luft und die Druidin rief ihr hinterher “Eile Dich!“. Nachdem der Vogel über den Baumwipfeln verschwunden war, wandte sich die Druidin gen Nordwesten und machte sich auf den Weg zu ihrem Ziel.

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Einige Tage nach ihrem Aufbruch kam Elayha mit der frohen Kunde zurück, dass alle Gefährten der Wolfshatz gefunden und benachrichtigt werden konnten und Elessar machte sich daran, alles für den vereinbarten Tag der erneuten Zusammenkunft im Gasthaus - Tjalf hatte er bei einem Besuch in der Bäckerei persönlich um sein Erscheinen gebeten - vorzubereiten; zum Mittag des besagten Tages fand er sich dann im fast überfüllten Gasthaus ein. Am Tresen bat er um einen Krug Met und schritt dann zu dem großen Tisch in der Ecke des Schankraumes, den er zuvor vom Wirt hatte reservieren lassen; auf dem Weg durch den Schankraum sah er auch einige bekannte Gesichter unter den Gästen und nickte dem einen oder anderen grüßend zu und nahm dann Platz. Er füllte einen bereitstehenden Kelch mit dem Met aus dem Krug, nahm einen Schluck und wartete auf die Ankunft der anderen.

Nach und nach trafen die erwartenden Gefährten ein; ein jeder wurde begrüßt, ein paar Worte hier und da gewechselt und nachdem alle am Tisch saßen und jeder ein Getränk vor sich hatte, verstummten langsam die Gespräche und aller Augen richteten sich auf den Priester in Erwartung dessen, was er zu verkünden hatte. Elessar nahm eine Pergamentrolle und einen in ein weißes Tuch gehüllten Gegenstand hervor und legte sie vor sich auf den Tisch; dann begann er zu sprechen:

“Meine Freunde, habt Dank, dass Ihr so zahlreich erschienen seid! Ich bin erfreut, dass Ihr meinem Ruf gefolgt seid und werte Eure heutige Anwesenheit als Zeichen Eurer Bereitschaft, erneut in den Kampf gegen die Druidin zu ziehen, die vor einiger Zeit das Reisen von und nach Sha’Nurdra für Fremde und Einheimische zu einer Gefahr hat werden lassen.

In den vergangenen Wochen habe ich viel Zeit damit verbracht, die Pergamente, die ich in der Hütte der Druidin gefunden hatte, zu studieren und es ist mir gelungen, einige der dort verzeichneten Geheimnisse zu enträtseln. Unglücklicherweise muss ich sagen, dass diese nichts Gutes verheißen, denn das, was dort zu lesen ist, gibt die Gründe für das Handeln der Druidin wieder und, was weit wichtiger ist, sie geben Grund zur Annahme, dass wir demnächst mit ihrem erneuten Auftauchen rechnen müssen.“

Mit diesen Worten entrollte er das Pergament und glättete es; als er es dann wieder vor sich auf den Tisch legte, konnte man eine Karte erkennen, auf der einige Punkte markiert waren; er zeigte auf eine Markierung westlich Sha’Nurdras und fuhr fort:

“Zur Verdeutlichung, hier ungefähr sollte die Stelle sein, an der wir die Hütte der Druidin gefunden und nach dem Kampf niedergebrannt haben. Der Inhalt ihrer Aufzeichnungen, die wir gerettet haben, macht deutlich, dass sie auf der Suche nach dem Erbe des Schattendruiden Khalin Wael ist, der vor vielen Jahrhunderten in einem Turm gehaust hat, dessen Standort heute niemand mehr kennt. Das alte Buch, das wir bei der Druidin gefunden haben, scheint eine Art Tagebuch zu sein, das wohl von Khalin selbst stammt; dort ist die Rede von einem Artefakt von unvorstellbarer Macht und einem wertvollen Schatz, die in dem Turm, den ein Außenstehender, wenn überhaupt, jeweils nur an den beiden Tagen der Tag- und Nachtgleiche des Jahres betreten konnte. Niemand weiß, wo der Schattendruide abgeblieben ist, ob er noch lebt oder ein gewaltsames Ende fand, aber es heißt in dem Buch, dass er sich eines Tages auf eine Reise begab und einen Lageplan bei sich hatte, der den Standort des Turms verrät und gleichzeitig als magischer Schlüssel den Zugang zum Turm gewährt. An der Stelle, an der das Tagebuch endet, ist die Rede von einem Kampf auf Leben und Tod, aber weder der Gegner, noch der Ausgangs des Kampfes sind näher beschrieben.

In den Aufzeichnungen der Druidin gab es dann weitere Hinweise; der Schlüssel wurde zerstört, vielmehr in drei Bruchstücke zerbrochen und sie hatte bereits eines davon in ihren Händen. Da sie es nach dem Kampf gegen uns aber nicht mehr mitnehmen konnte und es wohl auch nicht bei sich hatte, müssen wir davon ausgehen, dass es noch in der Hütte beziehungsweise deren Übereste zu finden sein wird, falls sie es nicht bereits in der Zwischenzeit geholt hat. Weiterhin gibt es Hinweise auf die Fundstelle des zweiten Bruchstückes; dieses soll an einem Ort, der die Steinkreise der Druiden genannt wird, versteckt sein; dabei handelt es sich um eine druidische Grab- und Ritualstätte auf dem Gipfel eines Berges namens Wetterspitze, der laut den Aufzeichnungen irgendwo in den oder am Rande der Elfenwälder zu finden sein soll.“[ 

Elessar machte eine Pause und nahm einen Schluck Met, bevor er fortfuhr:

“Nun, ich habe die alten Schriften im Stadtarchiv durchgearbeitet und bin auf die Bezeichnung eines Berges außerhalb der Elfenwälder gestoßen, die damit im Zusammenhang stehen könnte; demzufolge existiert am dieseitigen Ufer des Großen Flusses, in der Nähe des Coûros, der großen Insel im Fluss, ein Berg, der in der Elfensprache Bhar’taô, also Berg des Windes genannt wird. Ich vermute, dass dies der gesuchte Ort ist, wo die Druidenstätte zu finden ist, die angeblich von den Geistern gefallener Druiden und anderen Schreckgestalten bewacht wird.“

Der Paladin tippte auf eine weitere markierte Stelle auf der Karte, wo der besagte Gipfel zu finden sein sollte und ergriff dann den in ein Tuch gewickelten Gegenstand; langsam öffnete er das Tuch und sprach weiter:

“Aber das wohl Wichtigste und einen weiteren Grund für die Tatsache, dass die Druidin sich mit ihren Wölfen immer weiter an Sha’Nurdra herangewagt hat, halte ich hier in meinen Händen. Vor einigen Mondläufen hatten wir hier in unserer Stadt einen diebischen Kobold, der des Nachts immer wieder in Häuser eingedrungen ist und allerlei Wertvolles hat mitgehen lassen, bis wir ihn eines Tages gefangen nahmen und er uns als Gegenleistung für seine Freiheit seinen Schatz überließ. Unter dem Diebesgut befand sich auch, wohl weil es aus purem Gold ist, dieses Stück, von dem ich fest überzeugt bin, dass es sich um den dritten Teil der Karte handelt.“

Elessar hielt ein an zwei Seiten stark gezacktes Stück einer goldenen Platte in die Höhe, das selbst im recht schwachen Licht, das in der Schankstube herrschte, hell aufblitzte und auf dessen Vorderseite Teile fremder Schriftzeichen und feine Linien, die eine skizzierte Landkarte darstellen konnten, zu erkennen waren.

2. Kapitel

Elessar beobachtete gespannt, wie einer nach dem anderen der Gefährten eintraf und sich dem Tisch näherte, um nach einer kurzen Begrüßung Platz zu nehmen. Drax war unerwartet in Begleitung Talyas, der hübschen Wirtin des Gasthauses in Nuru erschienen und kurze Zeit, nachdem Silvana eingetroffen war, gesellte sich auch eine Frau mit blauen Haaren zu ihnen an den Tisch, die der Paladin bereits aus der Apotheke in Nuru kannte; sie brachte der Amazone ein Wolfswelpe zurück, das sich neugierig und von Silvana unbemerkt auf eine Entdeckungsreise im Gasthaus begeben hatte; es handelte sich wohl um den jungen Wolf, den die Amazone nach dem Kampf gegen die Druidin in deren Hütte gefunden hatte. So begann Elessar schließlich seinen Bericht; er erzählte den Anwesenden, was er in den vergangenen Wochen herausgefunden hatte und als er geendet hatte, dauerte es nicht lange, bis die ersten Vorschläge vorgebracht wurden, wie man an diese Sache herangehen sollte. Sehr erfreut war der Paladin über die Tatsache, dass alle Anwesenden ohne Umschweife anboten, sich an der Suche nach den fehlenden Teilen der goldenen Schlüsselplatte zu beteiligen und möglicherweise der Druidin erneut gegenüber zu treten. Sie kamen überein, dass es sinnvoll wäre, die Gruppe in zwei, von der Kampfstärke und den Fähigkeiten größtenteils ausgewogene Teilgruppen zu bilden, die sich unabhängig voneinander zu der Ruine der Hütte, an der sie damals gegen die Druidin gekämpft hatten, und den Steinkreisen der Druiden auf den Weg machen sollten.

Der Berg, von dem Elessar gesprochen hatte, konnte nach Varnayrahs Meinung ebenso der Mar’tâo sein und der Paladin schloss nicht aus, dass er sich aufgrund des Alters und der Verwitterung mancher Teile der alten Schriften getäuscht haben könnte, was den Namen des Berges anging. So wollte sich die eine Gruppe zu diesem Berg aufmachen und da der Weg über die Handelsstraße am einfachsten schien, würden sie diesen Weg - zumindest bis zum Fuß des Berges - zu Pferd zurücklegen. Varnayrah war überzeugt, dass dieser Ort der gefährlichere der beiden Ziele war und entschied sich, auf jeden Fall zu den Steinkreisen zu reiten; Kain, Talya, Perfel und Rileona boten sich aus den verschiedensten Gründen an, die Königin zu begleiten. Drax dagegen bot an, noch einmal die Hütte der Druidin oder besser das, was noch von ihr übrig geblieben war, aufzusuchen, um dort nach dem Teil der Platte zu suchen, das bereits im Besitz der Druidin gewesen sein musste. Silvana und Tjalf wollten sich auf alle Fälle dem Zwergen anschließen und auch Silver und Tadea zogen den Weg durch den Wald vor und beschlossen deshalb, ebenfalls zu der Lichtung aufzubrechen. Nachdem die Gruppenaufteilung und die Ziele der beiden Gruppen festgelegt waren, besprachen sie noch weitere Einzelheiten und Elessar gab sich Mühe, auch die Fragen der Gefährten nach bestem Gewissen zu beantworten. Einzig auf Varnayrahs Frage nach dem Artefakt, das sich angeblich in dem Turm des Schattendruiden befinden sollten, schüttelte der Paladin bedauernd den Kopf und erwiderte:

“Unglücklicherweise habe ich keinerlei Informationen gefunden, um welches Artefakt es sich handeln könnte; lediglich an zwei Stellen wird die Bezeichnung Seelenstein verwendet, aber ich kann weder sagen, ob damit dieses Artefakt gemeint ist, noch welche Fähigkeiten dieses Artefakt haben soll.“

Während der weiteren Beratung vereinbarten sie auch, dass sie sich am Fuße des Mar’tâos treffen wollten, da der Weg von der Hütte der Druidin quer durch den Elfenwald zu diesem Ort wohl das kürzeste Stück war, das eine der beiden Gruppen auf sich nehmen müsste, um sich wieder mit der anderen zu vereinen und so wurde beschlossen, dass die Gruppe, die zum Quellberg reiten sollte, auch Reittiere für die Mitglieder der anderen Gruppe mitführen sollte. Da die fünf Gefährten der „Waldgruppe“, wie Elessar sie scherzhaft nannte, alle den Weg dorthin kannten, wollte er selbst die „Berggruppe“ begleiten, da er außer Varnayrah der Einzige war, der die Wege über die Handelsstraße innerhalb und in der näheren Umgebung der Elfenwälder kannte. Nachdem alles geklärt war, machten sie sich zum Aufbruch bereit und erhoben sich von ihren Plätzen, um das Gasthaus zu verlassen und sich nach draußen zu begeben. Noch bevor der Letzte der Gefährten draußen angekommen war, erhob sich unbemerkt von allen eine Elster, die auf dem Sims des offenen Giebelfensters gehockt hatte, in die Lüfte und entschwand in Richtung Westen.

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Die Druidin hatte seit ihrem Aufbruch keine Rast mehr eingelegt und bahnte sich nun ihren Weg durch das mannshohe Farn am nördlichen Ufer des Seerosensumpfes. Sie war nun nicht mehr allein in Begleitung des Bären, sondern inzwischen hatten sich vier Wölfe zu ihr gesellt, die zwar einen größeren Abstand einhielten, aber stets die Richtung einschlugen, in die die Druidin sich hielt. Gerade, als die Druidin den Farnstreifen hinter sich gelassen hatte und den flachen Hang eines kahlen Hügels bestieg, hinter dem erneut der dichte Wald mit seinem fast undurchdringlichen Unterholz auf sie wartete, ertönte der Schrei einer Elster über ihr in der Luft und die Druidin hielt inne. Sie streckte die Hand aus, damit die Elster landen konnte und in den nächsten Minuten schien es, als führten die beiden ein Zwiegespräch, währenddessen die Druidin mehrmals hysterisch auflachte:

“So, sie wissen also Bescheid und sind auf dem Weg zur Hütte!“ ... “Sie haben einen Teil der Platte? Krötenschleim und Natterndreck!“ ... “Und sie haben auch eine Vermutung, wo die Druidenstätte zu finden ist?“ ... “Eile ist angesagt!“

Sie sandte die Elster wieder auf den Weg und nachdem der Vogel hinter den Baumwipfeln verschwunden war, machte sie sich eilig an den Abstieg auf der anderen Seite des Hügels und schlug sich ins dichte Unterholz.

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Nachdem die Gefährten alles vorbereitet hatten und bereit zum Aufbruch waren, machten sie sich auf den Weg und verließen Sha’Nurdra durch das südliche Stadttor, um der Straße gen Süden zu folgen. Noch bevor die Straße den Fuß des Gala’tâo erreichte, trennten sich die Mitglieder der „Waldgruppe“ von denen der „Berggruppe“ und schlugen sich nach Westen in die Wälder, um den Weg zu der Hütte, den sie bereits vor einiger Zeit genommen hatten, einzuschlagen. Immer tiefer schritten sie in die Wälder; hier hatte der Winter kaum Spuren hinterlassen und noch immer bedeckte welkes, feuchtes Laub den Boden. Hin und wieder kamen sie an einer Wildschweinkuhle vorbei und zahlreiche Spuren von den unterschiedlichsten Waldtieren waren zu entdecken.

Bald schon rückten die Bäume dichter aneinander und auch das Unterholz wurde dichter, so dass außer den Elfen alle, aber vor allem Drax, der keuchend und fluchend das Schlusslicht bildete, mit dem unwirtlichen Weg durch das Dickicht zu kämpfen hatten. Je weiter sie vordrangen und sich dem Schauplatz des damaligen Kampfes näherten, umso düsterer wurde es und mehr und mehr der gewohnten Stimmen des Waldes verstummten; in der Gewissheit, dass sie nun nicht mehr fern der Hütte waren und nicht wussten, was sie dort erwartete, gemahnten die Elfen die anderen zu größerer Vorsicht und geringerer Lautstärke und eilten leichtfüßig ein paar Schritte voran, um zu kundschaften. Es dauerte auch nicht mehr lange und Silver und Tadea bemerkten die gleiche Veränderung wie damals; das Laer'sandra, das Lied des Waldes wurde immer schwächer und klang seltsam verzerrt und das, obwohl sie die Druidin verjagt und ihre Behausung in Schutt und Asche gelegt hatten. Zu tief verwurzelt war das Böse an diesem Ort und es würde noch lange dauern, bis das Leben in diesem Teil des Waldes wieder seinen gewohnten Gang nahm. Die beiden Elfen nahmen bereits den Geruch des längst erloschenen Feuers, der noch immer in der Luft hing, wahr und näherten sich vorsichtig dem Rand der Lichtung. Silver wollte Tadea gerade darauf aufmerksam machen, dass er der Meinung war, eine Bewegung auf der Lichtung gesehen zu haben, als hinter ihnen erneut das Knacken eines trockenen Zweiges unüberhörbar durch die Stille des Waldes drang und von einem erstickten Fluchen gefolgt wurde.

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Die Druidin stand mit vor Wut verzerrter Miene vor der Ruine ihrer Hütte; dort, wo sich einst ihre Behausung befunden hatte, gähnte nur noch ein flacher schwarzer Krater, in dem die verkohlten Überreste des wenigen Inventars, das sie besessen hatte, zu sehen waren. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und ihre Knöchel traten weiß hervor, doch dann schüttelte sie ruckartig den Kopf, wie um die Wut und Trauer zu verjagen; sie trat in das Rund der ehemaligen Hütte und schritt über den aschebedeckten Boden zu einer bestimmten Stelle, an der sie die dort liegenden Trümmer mit dem Fuß beiseite schob und sich bückte. Mit bloßen Händen räumte sie nun eine dicke Schicht Laub, das wohl früher getrocknet und sorgsam aufgeschichtet den Bodenbelag der Hütte gebildet hatte, zur Seite und bald wurde eine Holzplatte sichtbar, die offensichtlich ein Geheimversteck abdeckte. Sie war noch nicht ganz mit ihrer Arbeit fertig, als ein Knacken sie aufhorchen ließ; waren da nicht auch leise Stimmen zu vernehmen? Also waren diese Leute aus der Elfenstadt schneller als erwartet hier aufgetaucht!

Die Druidin fluchte leise und überlegte fieberhaft, wie sie weiter vorgehen sollte; ihre Gedanken überschlugen sich, denn die Platte durfte dem Feind nicht in die Hände fallen; sie würde sie an sich nehmen und sich zur Ritualstätte aufmachen. Dann hätte sie zwar die Verfolger von nun an auf den Fersen und würde es auf der Wetterspitze mit der ganzen Gruppe zu tun haben, aber sie wusste ja nicht einmal, was sie dort sonst noch erwartete. Also machte sie sich daran, die Reste der Laubdecke beiseite zu schaffen, um die Ränder der Holzplatte freizulegen, doch dann zeugte das laute Brummen des Bären davon, dass es zu spät war. Erneut hielt sie inne und erhob sich, um vor die ehemalige Hütte auf die Lichtung zu treten. Sie gewahrte die Gefährten, die sich inzwischen gesammelt hatten, am Rande der Lichtung und ahmte das Heulen eines Wolfes nach, das sofort von vier Wölfen in der näheren Umgebung beantwortet wurde. Sie trat neben den Bären und rief den Gefährten zu:

“Kommt nur, meine Lieben! Ich habe nicht vergessen, was ihr mir angetan habt! Nun werdet ihr büßen, dass ihr IHN getötet habt!“

Die Druidin lachte hysterisch auf und begann einen Zauber zu sprechen, wobei sie das Amulett, das sie um den Hals trug, berührte; alsbald legte sich eine bläulich schimmernde Aura um ihren Körper, die sich ausdehnte und nach kurzer Zeit auch den Körper des Bären erfasst hatte. Im selben Augenblick sahen sich die Gefährten von links und rechts den Wölfen gegenüber und gewahrten das gefährliche Funkeln in deren gelben Augen.

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Nachdem sich die Gefährten voneinander verabschiedet hatten und die „Waldgruppe“ sich auf den Weg durch das Unterholz gemacht hatte, folgten die anderen der Handelstraße entlang des Sirannon am Fuß des Gala’tâo vorbei nach Süden. Bis auf Talya, die auf Drax’ von einem Esel gezogenen Kutsche saß, saßen die anderen auf dem Rücken ihrer Pferde und genossen die Strahlen der Wintersonne, die hier auf offener Straße wenigstens ein Gefühl von Wärme zu vermitteln vermochten und so waren die meisten der Gefährten frohgemut. Die Reittiere der anderen Gefährten trotteten angeleint hinter der Kutsche her und da sie wegen des Gefährtes die Geschwindigkeit gering halten mussten, hatten sie auch Gelegenheit, sich zu unterhalten. Als die Straße über die alte Brücke führte, die im Krieg gegen Taros zerstört und erst vor wenigen Monaten wieder aufgebaut worden war, erzählten Elessar und Varnayrah den anderen von den wundersamen Geschehnissen während der Restaurierungsarbeiten. So verging die Zeit während der Unterhaltung und bald erreichten sie die Wegscheide, die im weiteren Verlauf nach Süden nach Nighton und nach Norden nach Drachenauge führte und sie nahmen den Weg nach Norden. Bald erreichten sie das Dorf Jeldorf, das aufgrund seiner Glasbläsereien im ganzen Reich bekannt war; die Hauptstraße, die durch den Ort führte, war breit und sauber und wurde von den schmucken Häuschen wohlhabender Handwerker gesäumt, doch die Gefährten hatten kein Auge für ihre Umgebung, denn sie wussten, dass sie sich besser beeilen sollten. So setzten sie ihren Weg ohne Aufenthalt fort, um knapp eine Stunde später an den Fuß des Quellberges zu gelangen.

Sie machten sich auf die Suche nach dem Weg, der zum Gipfel des Berges führen würde und nachdem sie zu Fuß ein gutes Stück um den Berg herum gewandert waren, erblickten sie einen kleinen Flusslauf, der aus dem Berg zu entspringen schien und dort am Ufer führte ein Weg an dem Gewässer entlang, leicht ansteigend weiter in eine Schlucht hinein. Die Gefährten suchten eine geschützte Stelle, wo sie die Tiere zurücklassen konnten und folgten dann langsam dem Weg; mit zunehmender Höhe wurde der Boden steiniger und aus dem anfangs breiten Weg wurde allmählich ein Pfad aus Fels und Geröll. Der Sonnenuntergang stand bereits kurz bevor, als der Pfad ein Stück vom Wasserlauf wegführte, um in Serpentinen zwischen den Felsen empor zu klettern und schließlich auf einem Plateau zu enden. Als die Gefährten sich am Rande des Plateaus versammelten, um einen Augenblick zu verschnaufen, gewahrten sie in der Mitte des Plateaus eine seltsame Stätte; eine große Anzahl aus behauenen und unbehauenen Monolithen stand in unregelmäßigen Abständen voneinander und bildeten drei fast konzentrische Kreise; in der Mitte war ein niedriger Steinsockel zu sehen, der offensichtlich eine Art Altar darstellen sollte. Am rechten Rand des Plateaus fiel die Steilwand nach unten ab; wie tief konnte keiner der Gefährten von seinem Standpunkt aus erkennen. Weit vor ihnen und linker Hand wurde das Plateau von einer hoch aufragenden Steilwand begrenzt, wobei im Hintergrund vor der linken Steilwand eine Ansammlung von aufrecht stehenden, aber auch liegenden Stein- und Holzplatten und vielen kleinen Gefäßen zu sehen war; die Art der Aufstellung ließ vermuten, dass es sich um die Grabesstätte handelte.

Als die Gefährten sich langsam den Steinkreisen näherten, hatten sie das Gefühl, als sei die Luft erfüllt von unheimlichen Klängen, erzeugt vom Wind, der hier oben um die Monolithen strich, doch alleine Rileona hatte das Gefühl, dass es sich um Worte handelte, die sie willkommen hießen. “Mile fàilte druidh!“ lauteten die von Dutzenden Stimmen gemurmelten Worte und erzeugten in der Druidin ein Gefühl, als käme sie nach einer langen Reise endlich nach Hause; doch als sie zwischen die Monolithen trat und die Gefährten ihr langsam folgten, wandelte das Murmeln sich plötzlich in ein gequältes Stöhnen und aus allen Richtungen ertönte das Wort “Brathaidh!“ so intensiv, dass es Rileona in den Ohren schmerzte. In der aufkommenden Dämmerung wallte ein Nebel auf, der in Minutenschnelle das ganze Plateau erfasste, so dass man kaum noch 30 Schritt weit sehen konnte und dann hörten alle ein schabendes Geräusch, als würde man Stein über Stein bewegen. Ein Heulen – das Heulen des Windes? -  schwoll an, das einem fast das Blut in den Adern gefrieren ließ und schemenhafte Gestalten wurden im Nebel sichtbar, die sich langsam auf die Gefährten zu bewegten.

Plötzlich schien das Grauen selbst über die Gefährten hereinzubrechen; Waffen in bleichen Knochenhänden blitzten in dem diffusen Licht auf und rotglühende Lichtpunkte in den leeren Augenhöhlen ebenso bleicher Schädel fixierten die Drachenritter, als die Skelette auf sie zukamen und sich daran machten, die unerwünschten Besucher zu attackieren. Elessar zählte ein knappes Dutzend der Totenkrieger, die langsam ausschwärmten, um die Freunde zu umzingeln und sie im Rund der Druidenstätte einzuschließen; als der Kreis geschlossen war, ertönte ein höhnisches Lachen und eine Stimme, so kalt wie Eis, sprach schneidend:

“Nur Druiden ist es erlaubt, diesen Ort aufzusuchen! Ihr habt unsere ewige Ruhe gestört und dafür werdet Ihr büßen müssen, allen voran die Verräterin, die euch hierher geführt hat! Und nun, sterbt!“

3. Kapitel

Als die Wölfe angriffen, reagierten die Gefährten blitzschnell; mit einer fließenden Bewegung hatte Drax seinen Schild in der Hand und ließ seine Axt wirbeln, um die beiden Wölfe zu seiner Rechten ohne Zögern zu töten. Keine der beiden Bestien hatte den Hauch einer Chance und nach Sekunden lagen zwei blutige, zerfetzte Kadaver am Boden. Zur gleichen Zeit hatten sich Tjalf und Silvana den beiden Wölfen auf der linken Seite entgegen gestellt und während der Thorwaler seinem Lehrmeister alle Ehre machte und seinen Gegner mit einem wuchtigen Hieb erwischte, der diesen zwar nicht tötete, aber doch davon abhielt, dem Bäcker eine größere Wunde zuzufügen, hatte die Amazone kein Glück. Sie hatte der Bestie gerade ihren Speer in den Körper gerammt, als ihr der kleine Welpe verschreckt zwischen den Beinen umher lief und sie zu Fall brachte. Sofort war der Wolf, der durch seine Verletzung rasend vor Wut war, über ihr und sie versuchte, diesen mit den Armen davon abzuhalten, ihr die Kehle zu zerfleischen.

In der Zwischenzeit hatten die beiden Waldelfen die Druidin und den Bären beobachtet und jeweils einen Pfeil auf die Bogensehne gelegt; als die ersten beiden Wölfe von Drax besiegt wurden, stieß die Druidin einen lauten Schrei aus, der den Bären vor Wut aufheulen ließ. Das Ungetüm kam auf die beiden Elfen zu und stellte sich drohend auf die Hinterbeine; so bedroht, zielten die Elfen mit ihren Bögen und griffen ihrerseits den Bären an. Obwohl Silver aus Tadeas Erzählungen von der Wirkung des Zaubers, den die Druidin mit Hilfe des Amulettes sprechen konnte, wusste, hätte er mit einer solchen Wirkung nicht gerechnet; er hatte zwar bedauert, auf ein Tier schießen zu müssen, doch in der Gewissheit, dass der Bär nicht zögern würde, sie anzugreifen, war er im ersten Moment erfreut, einen guten Treffer gelandet zu haben. Doch im selben Moment, als der Bär vor Schmerzen laut brüllte, fühlte der Bogner einen Schlag und einen brennenden Schmerz in der Stirn, der ihm fast die Sinne raubte. Ebenso fühlte Tadea, die in Erwartung der möglichen Folgen die Augen zusammenkniff, als könne sie auf diese Art dem Unausweichlichen entgehen, einen plötzlichen Schmerz in der rechten Schulter, kaum dass ihr Pfeil sein Ziel gefunden hatte.

Doch die Druidin schien einzusehen, dass sie selbst mit Hilfe ihres Schutzzaubers nicht gegen die Übermacht der Drachenritter würde bestehen können und so rief sie einen lauten Befehl, worauf der Bär zurückwich und sich wieder zu seiner Herrin gesellte. Dieses Kommando rettete auch Silvana vor dem sicheren Tod durch den Wolf, dem sie nun kaum noch etwas entgegen zu setzen hatte, denn dieser ließ von ihr ab und zog sich mit seinem noch lebenden, ebenfalls schwer verwundeten Artgenossen jaulend in die Wälder zurück. Die Druidin reckte derweil die Arme in die Höhe, um einen weiteren Zauber zu wirken; sie sprach ein paar Worte in einer unverständlichen Sprache und kaum waren diese verhallt, begann das Unterholz regelrecht lebendig zu werden. Von allen Seiten schossen Ranken auf die Gefährten zu und klammerten sich um Arme und Beine, entrissen den Händen Waffen und Schilde und machten jedwede Bewegung fast unmöglich. Hämisch beobachtete die Druidin die Eingeschlossenen und wandte sich der Ruine der Hütte zu, um ihre begonnene Arbeit zu Ende zu bringen. Doch sie hatte erst wenige Schritte getan, als sie sich noch einmal umwandte und die Gefahr erkannte, da der eine oder andere sich würde befreien können und so verschwand mit lautem Fluchen im Dunkel des Waldes.

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Rileona wollte die Gefährten warnen, doch es war zu spät; die Skelette tauchten aus dem Nichts auf und kreisten die Gefährten ein, während eine eiskalte Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien, ihnen den Tod versprach. Die Druidin suchte nach Worten, um ihr unsichtbares Gegenüber zu beruhigen, doch ihre Gefährten sahen nur die sich nähernde Bedrohung und griffen zu den Waffen, um sich zu verteidigen oder dem Feind sogar zuvor zu kommen. Da Rileona keine Reaktion auf ihre Worte vernahm, griff sie ihren Dolch und attackierte die beiden Skelette, die sich ihr genähert hatten und nur noch wenige Schritt von ihr entfernt standen. Obwohl sie mit ihrem Langdolch zwei blitzschnelle Hiebe austeilte, auf die manch Gegner nicht hätte reagieren können, gelang es einem der untoten Krieger geschickt auszuweichen und ihr im Gegenzug mit seinem rostigen Schwert einen brennenden Schnitt am Arm zuzufügen. Perfel, die der Freundin hatte folgen wollen, war gestolpert und noch etwas benommen, als sie im Steinkreis angelangte und sich plötzlich von den unzähligen Feinden umringt sah; es gelang ihr zwar, eines der Skelette mit ihrem Speer zu erwischen, doch schmerzte ihr Knöchel noch und sie hatte keinen sicheren Stand, um sich entsprechend zu verteidigen, was ein weiteres Skelett ausnutzte, um ihr eine schartigen Axt mit einer unglaublichen Wucht in den Rücken zu schwingen.

Varnayrah sah, dass Kolkrabe sich wagemutig in den Kampf stürzen wollte und erinnerte sich ihres Versprechens, das sie Drax gegeben hatte und so versuchte sie, der Wirtin zuvor zu kommen und warf sich dem Skelett, dass Talya bedrohte, mit gezücktem Schwert entgegen. Doch zu stark waren ihre Erinnerungen an die vergangenen Ereignisse; sie haderte mit ihrem Schicksal und wandte sich ab, so dass sie den Schlag zu ungenau führte und auch ihre Deckung vernachlässigte. Getroffen und verletzt war das Skelett dennoch in der Lage, noch einen Gegenschlag anzubringen, der Varnayrah eine schmerzhafte Wunde am Oberschenkel einbrachte. Kurz verwirrt von dem Eingreifen der Elfe, wandte Talya sich dem nächststehenden Gegner zu und ließ ihren Stab krachend auf die Knochengestalt niedersausen und tatsächlich hatte sie so viel Wucht in ihren Schlag gelegt, dass der ehemalige Torso regelrecht zersplitterte und die übrigen Knochen klappernd zu Boden fielen.

Als Elessar die eiskalte Stimme aus dem Nichts vernahm, die ihnen den Tod versprach, spürte der Paladin ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern; er hatte keine Idee, mit welchem Wesen sie es hier zu tun hatten und wie man es besiegen sollte, doch um sie herum waren mehr oder minder reale Feinde, die man bekämpfen konnte. So nahm er den Kriegshammer in die Hand des Schildarms, um ihn griffbereit zu haben und hob die rechte Hand; dann verstärkte er seine Konzentration, um die göttliche Macht Paladins zu bündeln und schritt auf die Feinde in seiner unmittelbaren Nähe zu. Er war gerade an Kain vorbei geschritten, der auf den Steinaltar in der Mitte der Ritualstätte gesprungen war, um einen Zauber wirken zu können, als ein bläulicher Lichtstrahl aus seiner Handfläche erstrahlte und .... erstarb, kaum, dass sie er die drei Skelette vor ihm erreicht hatte. Auch Kains Zauber schien misslungen zu sein, denn der helle Lichtschein, den der Paladin im Vorbeigehen bemerkt hatte, war erloschen und es war wieder dunkel um ihn herum. Die untoten Krieger hielten zwar unschlüssig inne, doch Elessar war nicht sicher, ob dies die Wirkung seines Bannes war oder etwas anderes, denn plötzlich nahm die Kälte zu und die unheimliche Stimme rief höhnisch:

“Eure Götter haben hier an diesem Ort keine Macht!“

Obwohl er nichts vor sich sehen konnte, spürte er einen harten Stoß und wurde so unerwartet nach hinten geworfen, dass er ins Stolpern kam und hart mit dem Kopf gegen den Steinaltar prallte; er meinte noch eine ihm bekannte Stimme in einer fremden Sprache reden zu hören, dann wurde es dunkel um ihn.

Rileonas Verzweiflung wuchs, als sie sah, dass der Gegner übermächtig zu sein schien und so flehte sie weiter auf den Nebel ein, wo sie die Quelle der eiskalten Stimme vermutete und tatsächlich hielten die Skelette plötzlich inne und stellten alle Kampfhandlungen ein. Dann ertönte die Stimme erneut:

“Unschuldig? Sie sind nicht unschuldig! Sie dürfen diese Stätte nicht betreten und stören unsere Ruhe! Ihr wollt reden? Und bietet Euch als Opfer? Nun gut, dann sprecht!“

Der Nebel wallte einmal kurz auf und ein Wispern des Windes war zu hören, dann stand eine durchscheinende Gestalt vor Rileona - sie überragte die Druidin um mindestens zwei Handbreiten und so majestätisch, wie sie sich gab, schien sie zu Lebzeiten stets Gehorsam und Respekt gegenüber ihrer Person gewohnt gewesen zu sein – und sprach:

“Aber sprecht weise und wahr, sonst wird es Euer Ende sein!“

4. Kapitel

Als die Skelette ihren Angriff einstellten, konnten die Gefährten erst einmal aufatmen, doch blieben sie weiterhin wachsam; die Stimme aus dem Nichts forderte Rileona zum Sprechen auf und Varnayrah riet ihr flüsternd, den wahren Grund ihrer Anwesenheit zu nennen, als die Elfe den bewusstlosen Paladin am Boden bemerkte und zu ihm eilte. Sie flößte ihm einen Heiltrank ein und als dieser nach wenigen Augenblicken wieder zu Bewusstsein kam, nickte er ihr dankbar zu. Während Varnayrah ihm die Situation mit einigen Worten erklärte, ließ er seine Blicke über die Ritualstätte schweifen und gewahrte, dass nicht weit von ihnen entfernt Talya die offenbar schwer verletzte Perfel versorgte. In dem Augenblick, in dem Kain sich zu ihnen gesellte und Varnayrah auf ihre Verletzung ansprach, bemerkte auch Elessar die Wunde und begann zu sprechen:

“Ich habe Dir zu danken! Aber auch Du bist verletzt und ich sollte mir ...“

Doch er kam nicht weiter, denn das Geschehen am Rande der Ritualstätte zog seine Aufmerksamkeit auf sich, wo Rileona ehrfürchtig vor einer durchscheinenden Gestalt, die die Druidin ein gutes Stück überragte, stand und nach den rechten Worten suchte, um ihre Anwesenheit zu rechtfertigen. Gerne wäre er neben sie getreten und hätte sie mit seinen Worten unterstützt, doch er musste sich eingestehen, dass es besser wäre, zu schweigen und ihr das Reden zu überlassen, da dieses Wesen ihre Anwesenheit als Frevel anzusehen schien. So lauschte er ebenso gebannt wie die anderen den Worten Rileonas, die sich bemühte, mit knappen Worten, doch kein ihr wichtig erscheinendes Detail auslassend, zu erläutern, warum sie hier waren. Dabei begann sie bei der ersten Begegnung mit der Druidin, bei der noch niemand der Anwesenden geahnt hatte, wo dies hinführen sollte und berichtete dann von Elessars Studien der gefundenen Dokumente und der folgenden Suche nach den Teile des magischen Schlüssels, der den Zugang zum Turm des Khalin Wael gewähren sollte.

Hatte die Erscheinung den Bericht der Druidin anfangs stumm und ohne großes Interesse verfolgt, da sie wohl der Meinung war, Rileona würde keinen annehmbaren Grund für die Anwesenheit der Drachenritter nennen können und deren Schicksal wäre somit bereits entschieden, entfuhr ihr bei der Nennung des Namens des Schattendruiden ein langes, schmerzerfülltes Stöhnen, das tausendfach aus den Schatten des Nebels beantwortet wurde und den Gefährten einen eiskalten Schauer den Rücken hinunterjagte. Als Rileona ihre Rede beendet hatte, erwiderte die Stimme:

“Khalin ... Seine frevlerische Tat, begangen vor Jahrhunderten, ist der Grund, warum wir an dieser Stätte keine Ruhe finden! Verflucht sei sein Name bis in alle Ewigkeit!“

Die Erscheinung machte eine kurze Pause, in der sie sich die folgenden Worte zurecht zu legen schien, dann fuhr sie fort:

“Euer Erscheinen an dieser Stätte mag ein Verrat sein, der kein Erbarmen verdient, doch könntet Ihr Euch von Eurer Schuld reinwaschen, wenn Ihr uns im Gegenzug zu der Ruhe verhelft, die wir uns seit ewigen Zeiten herbei sehnen ... So höret!

Ich bin ... war ... der Erzdruide Falnor; mir oblag die Verantwortung für diese Ritualstätte, an der zu meinen Lebzeiten alle Druiden des damaligen Reiches sowohl zu den Festen der Tag- und Nachtgleiche, als auch zu Trauerfeiern erschienen. Khalin, der mein Schüler war, half mir stets bei den Vorbereitungen der Feierlichkeiten oder der Begräbniszeremonien und erlernte mit der Zeit alles, was auch ich wusste. Doch dieses Wissen war ihm nicht genug; er gierte nach Reichtum und Macht und studierte heimlich die verbotenen Schriften, um seine Macht zu vergrößern. So wurde er von uns verbannt und zog aus, um – wie wir später erfuhren – in einem dunklen Turm an einem unbekannten Ort sein Dasein als Einsiedler zu fristen und sich dort seinen Studien zu widmen und paktierte schließlich mit dem Bösen, um seine Ziele zu erreichen.

Viele Jahre hatten wir nichts mehr von ihm gehört, als er eines Tages unerwartet auf dem Ostara-Fest erschien; er beschimpfte alle anwesenden Druiden und als wir ihn der Stätte verweisen wollten, lachte er hysterisch auf und man erkannte den Wahnsinn in seinem Blick. Er verhöhnte uns und versprach, dass wir ihm von nun an zu Diensten sein werden; kaum hatte er diese Worte gesprochen, beschwor er einen Blitz aus heiterem Himmel und im nächsten Augenblick waren alle Druiden, die auf dem Fest weilten, tot. Doch wir erwachten nicht, wie wir es nach dem Tod - wenn er uns denn einmal ereilt - erwarten, in den Gärten unserer aller Mutter; nein, etwas war falsch, denn wir waren gefangen in dieser ... Zwischenwelt und Khalin hatte Macht über uns.“

Für einen Moment schien Falnor in Erinnerungen zu schwelgen, dann senkte er bedauernd den Blick zu Boden und es dauerte einen Moment, bis er wieder aufschaute. Er zeigte auf den Altar in der Mitte der Steinkreise und sprach:

“Seht den Altar! Wenn Ihr genau hinschaut, werdet Ihr erkennen, dass er beschädigt ist; der Blitz hat einen großen Splitter herausgeschlagen und in diesem hat Khalin unsere Seelen gefangen. Von diesem Tage an hatte er Zugriff auf unsere Kräfte und konnte diese für seinen bösen Zwecke benutzen, wann immer er wollte, doch lange Zeit nun hat er uns nicht mehr gerufen und wir denken, dass auch er inzwischen den Weg zu unserer aller Mutter genommen hat - wenn sie seiner verdorbenen Seele denn Zutritt in ihr Reich gewährte. Doch solange der Splitter nicht zurück an seinen Platz gebracht wurde, irren wir ruhelos umher und finden keinen Frieden!“

Inzwischen war die Stimme des ehemaligen Erzdruiden lange nicht mehr so kalt und schneidend wie zu Anfang und trotz seines weiterhin unbarmherzigen Blickes flehte er Rileona nun fast an:

“Wenn nun eine weitere Druidin den dunklen Wegen Khalins folgt, muss auf jeden Fall verhindert werden, dass sie Erfolg hat, damit wir endlich in Frieden ruhen können. Sie darf den Splitter auf keinen Fall in die Hände bekommen! So stellen wir es Euch anheim, dies zu verhindern, doch wir bitten Euch nicht; Ihr habt damit die Möglichkeit, Eure Schuld zu sühnen und Eure bereits verwirkten Leben zurück zu gewinnen. Wenn ein jeder von Euch schwört, dass er sein Möglichstes tun wird, den Splitter vor der Druidin zu finden und ihn hierher zu bringen, sei es Euch erlaubt, die Stätte unbehelligt zu verlassen. Doch versucht nicht, uns zu täuschen!“

Falnor machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen und fuhr dann fort:

“Das gesuchte Bruchteil des Schlüssels findet Ihr in einer der Urnen bei meinem Grab dort hinten; ein Nachfahre meiner Sippe, der noch auf den rechten Pfaden wandelt, hat es vor Jahren hier hinterlegt, um es möglichst sicher aufzubewahren, bis alle Teile gefunden wären. Wenn Ihr Euch entschließt, uns zu helfen, so mögt Ihr bis zum Morgengrauen ohne weitere Störung hier rasten, denn der Abstieg bei Nacht ist sehr gefährlich. Sprecht, wie lautet Eure Entscheidung?“

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Nur wenige Augenblicke benötigten die Ranken, um die Gefährten einzuschließen und die Druidin nutzte die Gelegenheit, um sich wieder der Ruine ihrer Hütte zuzuwenden, doch sie hatte erst wenige Schritte getan, als sie hinter sich bereits das Geräusch splitternden Holzes hörte. Sie fuhr herum und gewahrte, dass einige der Drachenritter kurz davor waren, sich aus der Umklammerung der Pflanzen zu befreien. Tjalf, dem die Kampfaxt von einer der Ranken entrissen worden war, war es gelungen, die kleinere Axt, die er am Gürtel trug, zu ergreifen und er hatte begonnen, wild auf das Gestrüpp einzuhacken und der zierlichen Elfe war es gelungen, sich flink dem Zugriff der nach ihr fassenden Ranken zu entziehen. Die Druidin überblickte die Lage und entschied sich dann, unverrichteter Dinge die Lichtung zu verlassen; sie ahmte erneut das Heulen des Wolfes nach und rief dem Bären einen Befehl zu und verschwand mit lautem Fluchen in der Dunkelheit des Waldes. Eine Zeit lang war das Keifen der Alten noch zu hören, doch je weiter sie sich entfernte, umso leiser wurde es, um schließlich zu verstummen.

In der Zwischenzeit hatte Tjalf sich vollständig befreit und machte sich gemeinsam mit Tadeas daran, dem noch immer eingeschlossenen Drax zu Hilfe zu eilen. Der Zwerg hatte sich mit aller Kraft gegen die Ranken gestemmt und versucht, sie regelrecht zu zerreißen, doch statt dessen hatte er sich nur immer mehr verheddert, so dass er nun vor Wut schäumte; er stieß lauthals Flüche in der Zwergensprache, die sonst niemand der Anwesenden verstand, aus und als er endlich seine Hände frei hatte und seine Axt zu fassen bekam, ließ er seine Wut an den noch immer seine Beine umschlingenden Pflanzen aus. Auch Silvana war es gelungen, mit Hilfe des Welpen an ihren Speer zu gelangen, der von einer der Ranken erfasst und außer Reichweite geschleudert worden war und so befreite auch sie sich nach einiger Zeit von ihren natürlich gewachsenen Fesseln und begab sich anschließend zu Silver, der aufgrund seiner Verletzung nicht in der Lage war, sich selbst zu befreien.

In dem Maße, wie die Druidin sich entfernte, ließ auch der Zauber nach und so zogen sich letztendlich auch die letzten Reste der sich noch immer windenden Ranken zurück und nachdem alle Gefährten schon einige Augenblicke wieder frei waren, machten sie sich daran, auch die letzten verlorenen Ausrüstungsgegenstände aufzusammeln. Silver nahm einen seiner Heiltränke ein, um die Wunde und die Schmerzen, die der Zauber der Druidin ihm zugefügt hatte, zu behandeln und machte sich dann auf die Suche nach Spuren, die die Flüchtende möglicherweise hinterlassen hatte. Drax, der noch immer grummelnd und brummelnd vor sich hin fluchte, achtete nicht auf Tadeas Spott, sondern schlug stattdessen vor, die Ruine zu untersuchen, damit er endlich aus dem Wald raus käme. Die übrigen Gefährten stimmten dem Vorschlag zu und eilten auf die verkohlten Überreste zu. Noch bevor Tjalf einen Fuß über die ehemalige Schwelle setzen konnte, schoss der Wolfswelpe an ihm vorbei und huschte auf die Stelle zu, an der einige Zeit zuvor noch die Druidin gekniet hatte; knurrend blieb er dort stehen und kratzte mit den Pfoten an etwas herum. Als der Bäcker neben ihm stand, gewahrte dieser die fast vollständig freigelegte Holzplatte und mit einem Ausruf, der die Aufmerksamkeit der anderen auf ihn lenken sollte, ließ er sich auf die Knie nieder und begann die Platte freizulegen. Nachdem er soweit gekommen war, dass er mit den Händen unter den Rand fassen konnte, hob er die Platte an, um darunter ein Erdloch zu finden, in dem eine Phiole mit einer schwarzen Flüssigkeit und ein Wolfsfell lagen. Der Bäcker nahm beides an sich und erst, als er das Wolfsfell in den Händen hielt, bemerkte er, dass etwas darin eingewickelt war; er öffnete das Bündel und zum Vorschein kam ein Stück einer goldenen Platte, das demjenigen, das Elessar ihnen vor ihrer Abreise im Gasthaus gezeigt hatte, ähnelte.

Silver war den Spuren ein Stück in den Wald gefolgt und hatte tunlichst darauf geachtet, der Druidin nicht alleine über den Weg zu laufen; als er sicher war, dass sie die Richtung zum Quellberg und damit zu der Druidenstätte eingeschlagen hatte, machte er sich auf den Rückweg zu seinen Gefährten und kam just in dem Moment zurück, als Tjalf sich wieder erhob und den anderen das Bruchstück der goldenen Platte präsentierte. Nachdem Silver ihnen berichtet hatte, wohin die Spuren der Druidin führten, einigten sie sich, ihr sofort zu folgen und sich somit auf schnellstem Wege zum verabredeten Treffpunkt zu begeben. So marschierten sie los und schon bald schlugen sie sich erneut mühsam durch das dichte Unterholz, um den Elfenwald in südwestlicher Richtung zu durchqueren; obwohl es inzwischen Nacht geworden war, spendete der Vollmond den beiden Elfen genug Licht, so dass sie keine Schwierigkeiten hatten, sich in den Wäldern zu orientieren und bald schon wurde das Unterholz wieder lichter und dann wichen auch die Bäume zurück und gaben den Blick auf das mondbeschienene Flachland zwischen dem Waldrand und dem Quellberg, der sich in der Ferne erhob, frei. Angespornt von diesem Anblick, schritten die Gefährten umso schneller aus und so gelangten sie im Morgengrauen an die Stelle, an der die andere Gruppe ihre Reittiere zurückgelassen hatte.

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Fluchend eilte die Druidin neben dem Bär in den Wald, begleitet von dem Stakkato der Axtschläge, mit dem Tjalf und Drax das Gestrüpp zu Kleinholz verarbeiteten. Als die Geräusche endlich hinter ihr verstummten, war sie sicher, dass sie nun außer Reichweite war und verhielt ihre Schritte; kurz darauf gesellten sich auch schon die beiden Wölfe zu ihr und näherten sich leise winselnd und demütig der Druidin, doch diese hatte nur einen verächtlichen Blick für die beiden übrig und zischte:

“Geht mir aus den Augen, nutzloses Getier! So leicht lasst ihr euch von einer Handvoll Zweibeinern besiegen!“

Ihre Worte wichen einem unverständlichen Gemurmel, das jedoch plötzlich verstummte; die Alte lachte auf und rieb sich die Hände, dann sprach sie mehr zu sich selbst, als zu dem Bär und den Wölfen:

“Wie sinnlos, sie um der Bruchstücke willen zu bekämpfen! Sollen sie doch die Drecksarbeit machen und mir den Seelenstein auf dem silbernen Tablett servieren...“

Darauf stieß sie einen lauten Pfiff aus, der die Elster herbei rief, die sich wie gewohnt auf der dargebotenen Hand niederließ; nachdem die Druidin leise auf den Vogel eingeredet hatte, erhob dieser sich wieder in die Luft und flog in südwestlicher Richtung davon. Die Alte sah dem Vogel nach, dann winkte sie die Wölfe mit einem geringschätzigen Blick herbei und erbarmte sich, deren Wunden zu versorgen; als sie ihre Arbeit beendet hatte, machte auch sie sich mit ihrer tierischen Gefolgschaft auf den Weg.

5. Kapitel

Kaum hatte Falnor seine Rede beendet und eine Entscheidung der Gefährten gefordert, als auch bereits jeder der Reihe nach vortrat und aus dem einen oder anderen Grunde seine Hilfe zusagte; nicht jeder leistete den geforderten Schwur, doch schien der Erzdruide zu merken, wie entschlossen die Drachenritter waren, der Druidin das Auffinden des Seelensteines zu verwehren. Auch Elessar war vor Falnor getreten und hatte dem Druiden seine Unterstützung versprochen:

“Auch wenn Ihr vor einiger Zeit noch sagtet, dass mein Gott hier keine Macht habe, so verspreche ich Euch bei seinem Namen, dass ich mein Möglichstes tun werde, um die Euch widerfahrene Ungerechtigkeit zu sühnen und dem Bösen Einhalt zu gebieten!“

Falnor hatte jedem der Gefährten mit einem Nicken gedankt und nach einem erneuten Hinweis, wo sie das Bruchstück der goldenen Platte suchen sollten, war er ebenso plötzlich verschwunden, wie er zuvor aufgetaucht war; auch die Skelettkrieger waren nicht mehr zu sehen und so entspannten sich die Drachenritter nach und nach und machten sich als Erstes daran, ihre Wunden zu versorgen. Varnayrah sah sich auf dem Plateau um und da der Nebel sich inzwischen auch aufgelöst hatte, konnte sie im Licht des Mondes genug erkennen, um alsbald etwas Weißmoos zu finden, von dem sie eine Sode mittels eines Lederbandes auf der ihr zugefügten Wunde befestigte, um eine Entzündung zu verhindern. Dann begab sie sich mit den anderen zu den Gräbern, um die dort herumstehenden Urnen zu durchsuchen. Da die Grabplatten nicht beschriftet waren, wussten die Gefährten nicht, wie sie das Grab Falnors identifizieren sollten und so hatten sie eine Zeit lang zu tun, bis Perfel endlich erfreut auflachte. Sie hatte gerade wieder eine der Urnen in die Hand genommen und sie geschüttelt, um am Geräusch den Inhalt zu identifizieren und nun hatte sie anscheinend die richtige Urne gefunden; sie öffnete die Urne, griff hinein und hielt dann das gesuchte Bruchstück in die Höhe. Elessar trat zu ihr und nahm den Teil der goldenen Platte mit einem dankbaren Nicken entgegen, warf jedoch nicht mehr als einen kurzen Blick darauf, weil im Dunkeln keine Einzelheiten erkennbar waren.

Schließlich versuchten die Gefährten ein wenig Ruhe zu finden und verbrachten den Rest der Nacht mehr oder minder in ihre Decken eingehüllt, um der Kälte nicht allzu sehr ausgeliefert zu sein. Kurz bevor der Morgen graute, packten sie dann ihre Habseligkeiten zusammen und machten sich auf den Weg zurück zu den Pferden und fragten sich, wie es den anderen wohl ergangen war. Nach dem mühsamen Abstieg, der sie erneut mehr als eine Stunde kostete, kamen sie dann am oberen Ende des Pfades an, wo dieser vom sandigen Feldweg, der aus dem Tal herauf führte in den steinigen, unwegsamen Pfad im Gebirge überging und sahen von ihrem Standpunkt aus, dass ihre Gefährten bereits auf sie warteten. Erfreut beschleunigten sie ihre Schritte und begrüßten alsbald die anderen.

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Unter der Führung der beiden Waldelfen hatten Tjalf, Drax und Silvana den Elfenwald hinter sich gelassen und waren schließlich glücklich, aber erschöpft an der Stelle angekommen, an der die anderen die Pferde zurückgelassen hatten. Während die beiden Elfen sich mit etwas Wasser erfrischten und sich dann etwas Ruhe gönnten, begrüßten die anderen erst einmal ihre Reittiere, die sie nun eine Zeit lang nicht mehr gesehen hatten, dann wandten auch sie sich dem Inhalt ihrer Rucksäcke zu und aßen und tranken etwas. Tjalf hatte wie gewöhnlich eine Flasche seines Selbstgebrannten bei sich und bot diesen reihum an, stieß jedoch dieses Mal auf wenig Gegenliebe. So nahm er einen großen Schluck und genoss dann einen Laib frischen Brotes. Dann machten es sich alle so weit es möglich war, unter den Bäumen gemütlich und warteten auf die Rückkehr der anderen Gruppe, die auch nicht mehr lange auf sich warten ließen. Alsbald konnte man ihre Stimmen vernehmen und dann erschienen sie auch schon am Ende des Pfades, der den Berg hinauf führte.

Nachdem die Gefährten sich begrüßt und die Neuigkeiten über die zurückliegenden Ereignisse ausgetauscht hatten, nahm Elessar das Bruchstück der goldenen Schlüsselplatte hervor und ließ sich von Tjalf und Perfel die beiden anderen Bruchstücke aushändigen; er legte sie nebeneinander auf das Tuch, in dem das Teil aus Sha'Nurdra eingeschlagen war und dann betrachteten die Gefährten die vollständige Platte, die neben der Inschrift "Gun till do cheum, as gach ceàrn, fo rionnag-iùil an dachaidh", noch einige Symbole und eine stilisierte Karte aufwies. Elessar blickte Rileona fragend an und deutete auf die Inschrift, die wohl in der Druidensprache gehalten war und sie wohl die Einzige wäre, die die Worte übersetzen könnte. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Platte zu und studierte die Symbole und die Karte. Die Symbole waren in mehrere Gruppen eingeteilt, wobei die erste Gruppe aus einer Mondsichel über einem Berg und einem Kreuz bestand, die zweite Gruppe zeigte eine Art Tor zwischen zwei Bäumen, die dritte einen Turm und einen durch eine horizontale Linie zweigeteilten Kreis, wobei die untere Kreishälfte mit kurzen strahlförmigen Linien versehen war, und die vierte wiederum aus einem regelmäßigen Viereck und einer geöffneten Tür bestand. Auf der Karte selbst konnte man bei genauem Hinsehen ebenfalls ein Kreuz erkennen und der Paladin zeigte erst auf das Kreuz oben und dann auf das in der Karte und sprach:

"Seht, dieses Kreuz scheint den Ort zu kennzeichnen, an dem sich der Turm des Schattendruiden befindet. Die Symbole scheinen eine Art Bildersprache zu sein, denn das Symbol neben dem Kreuz weist auf den Namen des Standortes hin. Die Berge dort nennt man Mondberge und ich bin - wie jeder, der bereits nach Nuru reiste - schon oft an ihnen vorbei gekommen."

Zweifelnd schaute Elessar die anderen an und fuhr fort:

"Allerdings ist mir von der Straße aus noch nie ein Turm aufgefallen; ob er auf der Straße abgewandten Bergseite steht? Und was die weiteren Symbole uns wohl sagen wollen? Wie auch immer, wir sollten uns auf den Weg machen, dann könnten wir den Fuß des Gebirges am Nachmittag erreichen."

Elessar umwickelte die Bruchteile der goldenen Platte sorgfältig mit dem weißen Tuch und steckte sie in seinen Rucksack, während die Gefährten begannen, alles für die Weiterreise vorzubereiten; alle waren zu beschäftigt, um die Elster zu bemerken, die sich aus einem der Baumwipfel in die Luft erhob und gen Süden flog. Alsbald machten die Drachenritter sich dann auf den Weg und nahmen die Straße, die sie hergeführt hatte. Sie trieben ihre Pferde gerade so weit an, dass Drax' Esel keine Schwierigkeiten hatte, dem Tempo zu folgen und nachdem sie Jeldorf durchquert hatten, erreichten sie schon bald die Brücke über den Sirannon. Nun ging es stetig weiter in Richtung Nighton und als sie gegen Mittag die Zwergenstadt am Horizont auftauchen sahen, nahmen sie Wegscheide nach Westen, die sie zur Straße nach Nuru führen würde. Am frühen Nachmittag kamen sie an den ersten Ausläufern der Mondberge an und folgten der Straße, wobei sie ständig die Bergseite von der Straße aus im Auge behielten. Da sie während des Rittes immer wieder über die Symbole auf der goldenen Platte diskutiert hatten, dauerte es nicht mehr lange, bis einer der Gefährten die anderen auf etwas aufmerksam machte, was er entdeckt hatte.

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Freudig erregt hielt die Druidin die Hand empor, damit die Elster sich darauf niederlassen konnte; die Alte konnte es kaum abwarten, die Neuigkeiten des Vogels zu vernehmen und als sie alles erfahren hatte, nickte sie und kicherte:

“Sie sind also auf dem Weg! Dann werden wir ihnen ein herzliches Willkommen bereiten!“

Sie schaute sich um und schien etwas zu suchen, doch um sie herum war weit und breit nur weißes, durchscheinendes Gestein zu sehen. Schließlich schien sie jedoch das Gewünschte erblickt zu haben, denn sie schritt zu einer Stelle etwa zehn Schritt von ihr entfernt und blickte in die Tiefe; dann murmelte sie:

“Jawohl und anschließend werde ich die Bruchstücke einfach so aus ihren verrottenden Überresten aufsammeln!“

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Die Straße war bereits seit einiger Zeit von hohen Bäumen gesäumt, doch an einer Stelle standen zwei besonders hohe Eichen, die, wenn man genau darauf achtete, eine Art Tor mit ihren ausladenden Ästen bildeten. Und in der Düsternis des Waldstreifens dahinter konnte man einen Weg ausmachen. Die Gefährten verließen die Straße und näherten sich dem "Tor" und je näher sie kamen, umso deutlicher erkannte man, dass der Weg, nachdem er den Waldstreifen durchquert hatte, nach einigen Schritt durch eine Schlucht und an deren Ende in einer sanften Biegung stetig ansteigend in die Berge führte. Da ihr Ziel augenscheinlich am Ende dieses Weges lag, kamen die Drachenritter überein, ihre Pferde und den Esel samt Kutsche erneut zurückzulassen und wählten dafür eine Art kleine Lichtung, die sie am Rande des Waldstreifens entdeckten; sie versorgten die Tiere, damit sie in der Zeit ihrer Abwesenheit Futter und Wasser hätten und nahmen dann ihre Ausrüstung zur Hand, um sich auf den Weg zu machen.

So folgten sie dem Weg durch die kleine Schlucht und nachdem sie an der Biegung ankamen, gewahrten sie, dass der Weg sich weiterhin steil nach oben winden würde und sich, so weit sie das überblicken konnten, entweder dicht an den Abhängen vorbei wand oder erneut in tiefen Schluchten verschwand. Nach einiger Zeit durchquerten sie erneut eine dieser Schluchten, deren Wände sich steil nach oben  wanden und fast hatten sie das Ende der Schlucht erreicht, als sie über sich das Klacken eines losen Steines vernahmen. Dann konnte man ein höhnisches Lachen hören und im nächsten Moment weitete sich das Geräusch des fallenden Gesteins aus; jemand schrie "LAWINE!" und jeder der Gefährten drückte sich an die ihm nächstgelegene Wand oder versuchte, sich mit einem waghalsigen Sprung aus der Gefahrenzone zu retten.

6. Kapitel

Langsam verzogen sich die Staubwolken, die die herunterstürzenden Geröllmassen aufgewirbelt hatten und die Gefährten, die unverletzt geblieben waren, schauten sich hustend nach den anderen um, um zu sehen, wer nicht so viel Glück gehabt hatte und der Hilfe bedurfte. Drax, der sich seit dem ersten Schritt in diesem Gebirge in seinem Metier fühlte, reagierte als Erster und gewahrte, dass einer der Ihren fehlte; Tjalf, der Bäcker war nirgends auszumachen! Aus dem Augenwinkel erblickte der Zwerg einen Axtstiel und ihm bekannten Helm inmitten eines Schuttberges und sofort machte er sich daran, die Steinbrocken beiseite zu schaffen. Tadea, die ebenfalls unverletzt geblieben war und nicht weit von Drax entfernt stand, erkannte, um wen Drax sich da bemühte und versuchte, so weit es ihre geringen Kräfte zuließen, zu helfen; so dauerte es nicht lang und der geschundene Körper des Thorwalers war befreit und der Zwerg konnte ihm mit Hilfe eines Heiltrankes wieder auf die Beine helfen. Nur wenig später war Tjalf so weit wieder hergestellt, dass er die ganze Angelegenheit mit einem seiner gewohnten Witze beiseite schob und dem Gevatter zum Dank einen Schluck seines Selbstgebrannten anbot.

Kain und Silvana hatten auch wenig Glück gehabt und waren durch herumwirbelnde Gesteinsbrocken mehr oder weniger hart getroffen worden; Silvana hatte sich mit einem waghalsigen Sprung zwar aus der größten Gefahren retten können, doch war sie nicht ohne Verletzung geblieben. Sie hatte es sich jedoch in den Kopf gesetzt, erst Kain helfen zu wollen, der diese jedoch scheinbar nicht annehmen wollte. So schaute sich die Amazone nach ihrem Wolfswelpen um, den sie nirgends entdecken konnte. Sie wollte sich gerade auf die Suche nach ihm machen, als ihr Silver mit Shanja auf dem Arm entgegen kam; der Waldelf war durch einen tollkühnen Sprung der Lawine entgangen und hatte sich, nachdem die Gefahr vorüber war, auf die Suche nach Verletzten gemacht; dabei hatte er das Wimmern des Welpen unter einem Steinblock gehört und sie daraufhin erfolgreich und unverletzt geborgen.

Alle anderen waren wie durch ein Wunder ebenfalls unverletzt geblieben und nachdem Perfel Kains und Silvanas Wunden versorgt hatte, ohne ein Wort der Widerrede zu dulden, machten die Gefährten sich bereit, dem Weg weiterhin zu folgen, um möglichst vor Sonnenuntergang ihr Ziel, welches dies auch immer sein mochte, zu erreichen. Immer höher wand sich der Pfad nun um das Zentrum dieses Gebirgsmassivs, doch führte er nun nicht mehr durch enge Schluchten, sondern drückte sich immer öfter eng an die Bergwand, so dass sie stets auf einer Seite am Abgrund entlang wanderten, während die andere Seite des Weges durch eine Steilwand begrenzt wurde. Würden sie an einer solchen Stelle erneut in einen Hinterhalt geraten, was sie noch immer ständig befürchten mussten, hätten sie wohl kaum eine Chance auf Rettung gehabt. Doch alles blieb seltsam still und schließlich gelangten sie auf ein Hochplateau, an dessen äußerstem Rand ein Turm zu sehen war. Und was für ein Turm: gerade so hoch, dass er die Gipfel, die sie gerade umrundet hatten, nicht überragte und aus demselben weißen, fast durchscheinenden Gestein gebaut, aus dem das Gebirge selbst bestand, so dass es fast schien, er sei von einem riesenhaften Steinmetz oder mit Hilfe von Magie aus einem riesigen Monolith des Gebirges getrieben worden.

Vom Rand des Plateaus aus konnte man einen weiten Blick über das Land werfen, der von der Plattform des Turmes wohl noch weitreichender sein musste; unter sich sahen sie eine Ortschaft am Rand eines kleineren Waldes und dahinter am Horizont konnte man Nebel über einer Hügellandschaft und im Norden einen weiteren, größeren Wald erkennen, aber weit und breit keine hohen Gipfel des Drachengebirges. Kein Wunder also, dass keiner von ihnen – und wohl auch kein Reisender auf der Straße nach Nuru vor ihnen – den Turm bemerkt hatte! Sein Fundament schmiegte sich an einer Seite eng an die Felswand und von ihrem Standpunkt aus waren weder Tür, noch Fenster erkennbar; da sich auf dem Plateau jedoch nichts regte, schritten sie langsam und vorsichtig nach allen Seiten sichernd weiter, um sich dem Turm zu nähern. Einige Schritte neben dem Turm stieg der Pfad, den sie gekommen waren, auf einer Art natürlichen Gesteinstreppe nach oben zu einem zweiten, wesentlich kleineren Plateau - welches sich etwa fünf Schritt über ihrem Standpunkt befand, doch auch dort war von hier unten niemand zu sehen -  und schlängelte sich dann an der sich im Hintergrund befindlichen Felswand weiter nach oben Richtung Gipfel. Inzwischen hatte die Sonne den Horizont erreicht, so dass der Tag sich dem Ende neigte und der Turm von ihren letzten Strahlen beschienen wurde.

Nachdem sie den Turm erreicht hatten und sich die Mauern genauestens angeschaut hatten, ohne eine Tür zu finden, ließ Elessar sich auf dem Boden vor dem Turm nieder und breitete erneut das Tuch vor sich aus, um die Bruchstücke der goldenen Platte zusammenzusetzen. Bei ihrer letzten Rast hatten sie bereits versucht, die verbliebenen Bilderrätsel zu lösen und nachdem jeder seine Ideen eingebracht hatte, waren sie zu dem Schluss gekommen, dass es das Beste sei, mit einer endgültigen Deutung zu warten, bis sie den Turm erreicht hätten. Dieser Zeitpunkt schien nun, da sie nicht weiter wussten, gekommen und so ergriff Elessar, nachdem er die Platte zusammengesetzt hatte, das Wort:

“Freunde, lasst mich noch einmal zusammenfassen, was bisher zu den gelösten Rätseln gesagt und zu den ungelösten Rätseln vorgeschlagen wurde: das erste Symbol haben wir – wie es scheint, erfolgreich – als den Ort identifiziert, wo wir den Turm finden können, nämlich die Mondberge, wo wir uns just in diesem Moment befinden. Auch das zweite Symbol haben wir als einen entscheidenden Hinweis erkannt, als wir das natürliche „Tor“ zwischen den Bäumen am Fuße des Gebirges entdeckten. Zum dritten Symbol wurde gemutmaßt, dass es uns den Zeitpunkt nennen soll, zu dem der Turm betreten werden kann, nämlich den Tag der Tag- und Nachtgleichen, was anhand der Aufzeichnungen der Druidin als fast gesichert angesehen werden kann. Und wie diese Aufzeichnungen besagen, soll diese vor uns liegende Platte ebenso Karte wie Schlüssel zum Turm sein, so dass das vierte Symbol – wie Varnayrah vermutete – wohl ebendiesen Hinweis geben soll.

Nun, wie Varnayrah bestätigen kann, wird in Sha’Nurdra in den kommenden Tagen das Liuyar’nurdra, das Fest zum Frühlingsanfang begangen werden, so dass ich – unter der Voraussetzung, dass die Zeitrechnung des Schattendruiden sich nicht erheblich von der unsrigen unterscheidet - mutmaße, dass der Tag der Frühjahrs-Tag- und Nachtgleiche der heutige Tag ist. Wenn meine Vermutung stimmt, ist die Frage jedoch, wie und vor allem wo sollen wir die Platte als Schlüssel verwenden?“

Noch während der Paladin gesprochen hatte, war die Sonne vollends untergegangen und für einen Moment schauten die Gefährten sich verdutzt an, denn statt der erwarteten Dunkelheit gewahrten sie um sich herum ein seltsames Glimmen des weißen Gesteins, das es ihnen ermöglichte, weiterhin die Einzelheiten ihrer näheren Umgebung zu sehen; erst ein Blick zum Firmament versicherte ihnen, dass es inzwischen tatsächlich Nacht war.

So diskutierten sie weiter und als der Mond aufging, lieferte auch er, da er noch immer fast völlig rund war, entsprechend viel Licht, so dass sie erneut mehrmals die Grundmauern abschritten, um einen Einlass zu finden, doch vergebens. Inzwischen war der Mond auf seiner Bahn ein gutes Stück gewandert und Mitternacht rückte näher, als Elessar in die Runde fragte, ob noch jemand eine Idee habe, wie man das Problem angehen sollte. Da deutete einer der Gefährten mit einem überraschten Ausruf auf die Turmmauer und als alle sich umdrehten, gewahrten sie das, was sich ihnen im Mondlicht offenbarte: fahl schimmernd sah man das Abbild einer bogenförmigen Tür auf dem Gestein, umrandet von allerlei Symbolen, die wohl den Mond in allen seinen Phasen repräsentierten und überspannt von eben jenem Schriftzug, der auch auf der Platte prangte „Gun till do cheum, as gach ceàrn, fo rionnag-iùil an dachaidh“. Und dort, wo man bei einer realen Tür die Klinke vermutete, war ein ebenso fahl schimmerndes regelmäßiges Viereck zu sehen, das bei genauem Hinsehen eine flache Vertiefung in der Größe der goldenen Platte aufwies. Ehrfürchtig trat Elessar näher und befühlte die Erscheinung, doch außer dem kalten Gestein war nichts zu bemerken; so nahm er die Bruchstücke der Platte und setzte sie vorsichtig in diese Vertiefung ein, doch nichts geschah. Stirnrunzelnd entnahm er die Bruchstücke wieder und betrachtete die Vertiefung genauer und gewahrte, dass sie ein spiegelbildliches Abbild der Platte war; also setzte er die Bruchstücke erneut ein, dieses Mal mit der Symbolseite zur Wand hin, und als er das letzte Bruchstück eingepasst hatte, war ein lautes Klicken zu vernehmen, dem ein Rumpeln folgte. Der Priester trat einen Schritt zurück und einen Augenblick später öffnete sich wie von Geisterhand eine zuvor nicht da gewesene Tür in der Turmmauer und gab den Blick auf das - seltsamerweise hell erleuchtete - Innere des Turmes frei.

Nichts rührte sich drinnen, so weit das Auge blicken konnte und Elessar trat ein, wobei er zuvor sicherheitshalber seinen Schild und seinen Kriegshammer zur Hand nahm, um im Notfall gewappnet zu sein, doch in dem Raum, den er betrat, war keine Menschenseele zu sehen. Er blieb im Eingang stehen und ließ seinen Blick umher schweifen; der Vorraum, oder was es auch war, war halbrund und zeigte in der Stirnwand direkt vor ihm zwei geschlossenen Türen. Linkerhand führte eine sich innen an der Außenmauer entlangwindende Treppe nach oben, wobei der Vorraum offen gehalten war und den Blick bis zur zwei Stockwerke über ihnen liegenden Decke, die wohl die Plattform des Turmes bildete, frei ließ. In den ersten und der oberen Etage konnte man jeweils eine kleinen Absatz erkennen; auf Ersterem führte eine Tür durch eben die Stirnwand führte, die im Erdgeschoss zwei Türen aufwies, während auf Letzterem eine Holzleiter stand, die zu einer Luke in der Decke führte. Zu seiner Rechten schließlich führte eine kleine Treppe nach unten, wobei der untere Treppenabsatz in undurchdringlichem Dunkel lag; im ganzen Gebäude schien sich nichts zu regen und kein Geräusch war zu vernehmen.

7. Kapitel

Während Elessar und die anderen über den Schlüssel und den zu entdeckenden Eingang zum Turm beratschlagten, hatte Silver, der ganz sicher sein wollte, dass ihnen niemand - vor allem nicht die Druidin – auflauerte, sich der Steintreppe zum nächsten Plateau genähert und diese erklommen; die Dunkelheit hatte inzwischen so stark zugenommen, dass er gerade noch den Weg vor sich erkennen konnte und so entging ihm das Loch im Felsboden am äußersten Rand des zweiten Hochplateaus. Rasch folgte er dem weiteren Weg in Richtung Gipfel, doch da es immer dunkel wurde und er noch immer nichts entdeckt hatte, drehte er bald um und machte sich auf den Rückweg. Gerade, als es Elessar gelungen war, das Tor zum Turm zu öffnen, erreichte er die Gruppe wieder und während die ersten Gefährten den Turm betraten, wandte der Elf sich an Kain und fragte diesen, ob er nicht einen wirksamen Zauber gegen einen möglichen Angriff der Druidin hätte.

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Stöhnend kam die Druidin zu sich; sie schlug vorsichtig die Augen auf und bemerkte, dass sie bäuchlings auf kaltem Felsboden lag. Eine klebrige, noch warme Flüssigkeit benetzte ihre rechte Hand, den Unterarm und teilweise auch die Wange, die den Boden berührte und sie hob vorsichtig den Kopf und drehte ihn nach rechts, um zu sehen, was es war. Noch bevor sie den Kopf ganz gedreht hatte, stach ihr der Geruch des Blutes in die Nase. Als sie die Blutlache sah, in der sie halb lag, stieß sie sich ruckartig hoch, um sich aufzusetzen - zu ruckartig, wie ihr das Schwindelgefühl und der aufkommende Brechreiz vermittelten - und so musste sie einen Moment lang die Augen schließen, um ihren rebellierenden Magen zu beruhigen. Sie versuchte sich an das Geschehen zu erinnern - undeutliche Bilder flammten in ihrem Gedächtnis auf: ein unvermutetes Wegsacken des Bodens, während sie auf der Lauer nach den vermaledeiten Drachenrittern lag, ein Sturz, Schmerzen und dann Dunkelheit - und öffnete die Augen erneut, um nach oben zu blicken; tatsächlich klaffte knapp 15 Schritt über ihr ein Loch in der Höhlendecke, durch das sie ein Stück des Sternenhimmels sehen konnte.

Langsam schaute sie sich um und erkannte, dass sie wohl Glück im Unglück gehabt hatte, denn es war weniger ihr eigenes Blut, in dem sie gelegen hatte, als das des Bären, dessen Kadaver neben ihr lag; verstreut in dieser natürlichen Höhle waren mannshohe, stalagmitenartige Gebilde zu finden und der Bär war in eine dieser riesigen Nadeln gestürzt und regelrecht aufgespießt worden. Selbst, wenn das Tier nicht sofort tot gewesen war, kam nun jede Hilfe zu spät, denn die Ohnmacht der Druidin musste eine Zeit lang angedauert haben, so dass der Kadaver inzwischen völlig ausgeblutet war. Mit einem letzten bedauernden Blick auf die tote Kreatur wollte die Druidin sich erheben, doch als sie den rechten Fuß belastete, schrie sie vor Schmerz auf und knickte wieder ein; so kroch sie ein Stück weit, um sich von der Blutlache zu entfernen und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen weiteren der Stalagmiten und nahm einen Heiltrank hervor, den sie in einem Zug leerte. Als die Wirkung des Trankes einsetzte und es ihr wieder besser ging, erhob sie sich endgültig und begann dann, erst humpelnd, dann immer sicherer auftretend, die Höhle zu inspizieren.

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Während Elessar als Erster den Turm betrat, erschuf Kain einen Titanen, der draußen darauf acht geben sollte, dass sich niemand unbemerkt dem Turm näherte und die Gefährten überraschen konnte. Sogleich teilten die Drachenritter sich in Zweiergruppen, um die einzelnen Räume zu inspizieren und so erklommen Varnayrah und Tjalf die Treppen zur von unten sichtbaren Dachluke, während Talya und Perfel ihnen folgten, um den Raum im ersten Obergeschoss zu untersuchen. Rileona und Tadea wandten sich der rechten Tür zu und Kain und Silver wollten den Raum hinter der linken Tür in Augenschein nehmen. Drax erbot sich, die Treppe nach unten zu nehmen, da er annahm, dass diese in den Keller führte und Silvana verkündete, dass sie sich ihm anschließen wollte.

So beschloss Elessar, gemeinsam mit dem Titan die Tür zu bewachen und nahm vorsichtshalber den Schlüssel aus der Vertiefung, um zu sehen, ob die Tür sich von selbst schließen würde, doch nichts geschah; er nickte den Gefährten zu und warnte sie noch einmal eindringlich, an diesem von Magie geradezu durchdrungenen Ort höchste Vorsicht walten zu lassen und eilte dann nach draußen, um sich zu Kains Titan zu gesellen. Inzwischen hatte der Mond fast seinen höchsten Stand erreicht und durch die Reflektion des Mondlichtes an dem weißen Gestein des Gebirges war das gesamte Plateau fast taghell erleuchtet. Es waren kaum zehn Minuten vergangen, als er vom Plateau über sich ein Knurren hörte und plötzlich zwei Wölfe mit einem Satz die fünf Schritt überwanden und vor dem Paladin und dem Titan aufsetzten und die beiden zähnefletschend angeiferten. Der ungleiche Kampf war jedoch vorüber, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte; der Titan, der von einem der Wölfe angesprungen wurde, fing die Bestie in der Luft auf und zerquetschte sie regelrecht zwischen seinen riesigen Pranken. Elessar dagegen passte den rechten Moment ab und schwang seinen Kriegshammer mit einem Schwung, der dem Wolf keine Zeit zu einer Reaktion ließ; der Aufprall des Waffenkopfes war so stark, dass das Tier mit zertrümmertem Schädel mehrere Schritt weit quer über das Plateau geschleudert wurde. Der Paladin überwand die wenigen Schritte zu der Steintreppe und erklomm diese, um einen Überblick über das Plateau zu haben; er beobachtete seine Umgebung einen Augenblick lang und da sich nichts weiter regte, wandte er sich zum Turm, um die Gefährten zu warnen und ihnen von dem Angriff zu berichten.

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Sie befand sich in einer natürlichen Höhle, die sich weiträumig in den Berg erstreckte; durch das weiße Gestein herrschte auch hier drinnen eine unwirklich anmutende Helligkeit, so dass sie sich gut orientieren konnte. In der Wand, der sie am nächsten stand, fand sich ein Gang, der jedoch nach wenigen Schritten an einem Geröllhaufen endete; offenbar war dieser Durchgang schon vor vielen Jahren verschüttet worden, ob beabsichtigt oder nicht, vermochte sie nicht festzustellen. So wandte sie sich in die anderen Richtung und gewahrte, dass ungefähr dreißig Schritt vor sich, in der Richtung, in der sie den Turm vermutete, die Höhle sich verengte. Hinter dem Engpass nahm die Helligkeit zu und vorsichtig und so leise wie möglich näherte sie sich dieser Stelle und sah alsbald, dass die Höhle hier in eine Art zweite Höhle überging, der man jedoch sofort ansah, dass sie nicht natürlichen Ursprungs war, da die Wände des Raumes glatt und regelmäßig behauen waren.

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Nachdem sich alle einig waren und jeder seines Weges ging, machten Drax und Silvana sich auf den Weg nach unten; der Zwerg drückte Silvana eine Fackel in die Hand und ging dann vorsichtig und nach etwaigen Fallen Ausschau haltend Stufe für Stufe nach unten; am Ende der Treppe angekommen, standen die beiden vor einer hölzernen Tür, die sich als unverschlossen erwies. Auf einen leichten Druck hin öffnete sie sich und gab den Blick in einen großen Raum, der zum Großteil mit Kisten und Säcken, die sich teilweise bis unter die Decke stapelten, vollgestopft war, preis. Die beiden durchmaßen den Raum mit einigen Schritten und entdeckten dabei ein dunkles Loch im Boden, welches beide - nicht zuletzt wegen des an ein Seil gebundenen Eimers - für einen Brunnenschacht hielten. Drax ließ seine Blicke durch den Raum schweifen und entdeckte an der Wand neben der Tür eine Picke; dann begann er einige der Kisten und Säcke zu durchstöbern. In den meisten waren inzwischen verdorbene Lebensmittel, wie verschimmeltes Fleisch oder steinharte Brote, aber in einigen waren auch einige brauchbare Gegenstände zu finden.

Plötzlich jedoch hielt er inne, weil er ein gedämpftes Quietschen hinter dem größten Berg Säcke und Kisten gehört hatte und rief Silvana, die sich auf den Boden niedergelassen hatte, um den Schacht genauer zu untersuchen, zu sich. Der Wolfswelpe hatte inzwischen begonnen, neugierig an den Säcken herumzukratzen und so begannen Drax und Silvana vorsichtig die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, wobei sie stets auf einen Angriff vorbereitet waren; nachdem sie mehr als zwei Dutzend Säcke und Kisten aus dem Weg geräumt hatten, sahen sie vor sich einen kurzen Gang, dessen Ende, wie sie im Schein der Fackel undeutlich erkennen konnten, offensichtlich zugemauert war. Als sie näher herantraten, hörten sie erneut das Quietschen, aber auch noch etwas anderes: eine oder mehrere gedämpfte Stimmen.

Zur gleichen Zeit ungefähr drangen Silver und Kain in den linken Raum des Erdgeschosses vor und fanden sich in einer Bibliothek wieder, deren Grundriss einem rechtwinkligen Dreieck glich. Der Umstand, dass die abegrundete Außenmauer des Turmes fehlte, fiel Kain zwar sofort auf, doch nahmen ihn die mit Büchern vollgestopften Regale so in Anspruch, dass er den Gedanken daran erst einmal beiseite schob. So machte er sich daran, den Schreibtisch zu untersuchen; er öffnete nach und nach alle Schubladen, kramte darin herum und legte alles, was ihm irgendwie brauchbar erschien auf der Schreibtischplatte. Währenddessen erklomm Silver die Leiter und untersuchte den oberen Bereich des rechten Regals, wo er alle Bücher entweder heraus nahm oder sie zumindest nach vorne kippte, um ein möglicherweise vorhandenes Geheimfach zu entdecken. Nach der Untersuchung des Schreibtisches machte Kain sich an die Untersuchung des Regales an der Wand, in der sich die Tür befand und arbeitet sich dann langsam zur größten Wand vor, wobei er zwischendrin die Leiter, auf der Silver stand, verschob, um dem Elf die Möglichkeit zu geben, die von ihm unten inspizierten Regale gleichzeitig oben zu untersuchen.

Fast zur gleichen Zeit gewahrten die beiden das Quietschen, das gedämpft hinter der großen Regalwand zu hören war und so machten sie sich fieberhaft an die Suche nach einer Tür oder einem Mechanismus, der eine solche öffnen würde. Während sie auch hier ein Buch nach dem anderen zur Hand nahmen, fiel Kain ein besonderes Buch in die Hände, das seine Aufmerksamkeit erregte; es wies einen roten Ledereinband auf, auf dessen Vorderseite ein goldenes Pentagramm, ähnlich dem ihm bekannten Zeichen der Magiergilde, der er angehörte, prangte. Obwohl er nicht lesen konnte, beschloss er dieses Buch zu behalten und legte es zu den anderen Fundsachen auf den Schreibtisch; dann wandte er sich erneut dem Bücherregal zu. Gerade als Silver den Vorschlag machen wollte, dass man die Regalwand mit Gewalt einreißen sollte, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt, gewahrte der Bäcker ein Buch mit einem ähnlichen roten Einband wie das soeben gefundene, auf dessen Rücken Symbole des Mondes in seinen verschiedenen Phasen zu sehen waren. Neugierig geworden griff Kain nach dem Buch und wollte es aus dem Regal nehmen, doch als er daran zog, kippte es lediglich nach vorne und ein schnappendes Geräusch war zu hören, das an das Entriegeln einer Tür erinnerte. Im selben Augenblick sprang ein Teil des Regals ein wenig nach vorne und gab einen Spalt frei; als die beiden die Geheimtür vollends öffneten, sahen sie eine kleine, nach unten führende Wendeltreppe vor sich und hörten das bereits vernommene Quietschen nun sehr viel deutlicher.

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Regale mit unzähligen Fläschchen und mehrere Tische mit seltsamen Apparaturen wiesen den Raum als ein Labor aus; an der gegenüberliegenden Wand befanden sich ein weiteren Gang, der jedoch offensichtlich zugemauert war und eine kleine, nach oben führende Wendeltreppe. Auf einem steinernen Podest an der rechten Wand stand eine Apparatur, die sofort die Aufmerksamkeit der Druidin auf sich zog. Fast hätte die Druidin vor Freude aufgeschrieen; den Mittelpunkt der Apparatur bildete ein schwarzer Gesteinssplitter, der das gesuchte Artefakt des Khalin Wael sein musste, der sogenannte Seelenstein! Ein Gewirr aus zu Kreisen geformten fingerdicken Drähten aus einem ihr unbekannten Metall, die sich langsam und beständig und von einem durchdringenden, wenn auch nicht sehr lauten Quietschen begleitet, um das Zentrum drehten, schirmte den Splitter vor dem Zugriff ab und obwohl diese Gebilde drehbar gelagert waren, schaffte es die Druidin trotz aller Kraftaufbietung nicht, sie auch nur einen Zoll breit auseinander zu bewegen, um mit den Fingern nach dem Seelenstein langen zu können. Ungeduldig und fluchend vor Zorn betrachtete sie die Apparatur von allen Seiten, doch außer einer Anzahl drehbarer Spiegel und einem dünnen Lichtstrahl, der von der Decke her aus dem Nichts zu kommen schien und auf einen der Spiegel traf, konnte sie nichts entdecken; egal, wie sie die Spiegel auch drehte, an der Apparatur veränderte sich nichts.

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Varnayrah und Talf erklommen die Leiter zur Luke und fanden sich bald auf der Plattform des Turmes wieder; sie standen einer seltsamen Apparatur aus sich drehenden Kugeln und  vier Spiegeln, die das Mondlicht reflektierten und auf einen Kristall im Zentrum bündelten, gegenüber. Von dem Kristall ging ein weiterer, dünner Lichtstrahl aus, der aber an einer Art Blende endete. Während Varnayrah die Apparatur ratlos bestaunte, fühlte Tjalf sich an Instrumente erinnert, die in seiner Heimat von Seefahrern benutzt wurden. Obwohl er der Meinung war, dass man die Spiegel ausrichten und möglicherweise die Blende öffnen müsste, um die Apparatur in volle Funktion zu versetzen, war er sich doch so unsicher, dass er vorschlug, erst Rileona oder Elessar um Rat zu fragen und so machten die beiden sich wieder an den Abstieg.

Talya und Perfel hatten zur gleichen Zeit den Raum im ersten Obergeschoss betreten und fanden sich in einem Schlafgemach wieder; der Raum war komplett eingerichtet und wies neben einem Bett und einem Schrank auch noch einen Sekretär mit einem Spiegel und einem Stuhl auf. Die beiden Frauen machten sich sogleich an die gemeinsame Durchsuchung der Schubladen der Kommode und fanden zuerst außer einigen Kleinigkeiten nichts Interessantes; erst als Talya auffiel, dass eine der Schubladen auffällig kleiner schien als die anderen und sie sich diese genauer anschaute, bemerkte sie eine Art doppelten Boden, der ein Geheimfach abschirmte. Sie klopfte und fingerte so lange an der Lade herum, bis sich der Boden löste und den Blick auf den Inhalt des Geheimfaches preisgab. Es war eine Zeichnung von einem Turm und einer seltsam anmutenden Apparatur, die so neben dem Turm gezeichnet war, dass ein Teil neben dem Dach und der zweite Teil neben oder unter dem Sockel des Turmes platziert war. Daneben fanden sich endlose Zahlenreihen und Formeln, mit denen die Wirtin trotz, dass sie lesen konnte, nichts anzufangen wusste, lediglich ein Wort, das neben dem unteren Teil der Zeichnung an einen Pfeil gekritzelt war, konnte sie entziffern: Seelenstein. So legte sie die Zeichnung zu den anderen Fundsachen, um sie später den anderen zu zeigen und machte sich mit Perfel an die weitere Untersuchung des Raumes. Obwohl sie alles genau durchsuchten, fanden sich lediglich im Schrank noch einige brauchbare Dinge, die sie ebenfalls einsammelten; anschließend machten sie sich mit ihren Fundstücken auf den Weg nach unten.

Rileona hatte sich, gefolgt von Tadea, der rechten Tür im Erdgeschoss zugewandt und nachdem die Druidin die Tür vorsichtig geöffnet hatte, fanden beide sich in einem kleinen, karg eingerichteten und fensterlosen Gästeraum wieder. Die Elfe kniete neben der von einem Fell bedeckten Truhe, die scheinbar auch als Sitzgelegenheit dienen sollte, da sie vor einem niedrigen Tisch stand, und versuchte diese zu öffnen; da die Truhe verschlossen war, fragte sie Rileona, ob diese das Schloss öffnen könne. Die Druidin, die inzwischen die Pritsche inspiziert und auch den Fußboden auf möglicherweise lockere Bodenbretter eingehend untersucht hatte, verneinte und schob die Truhe zur Seite, um auch auf und unter dem Tisch suchen zu können. Als sie sich wieder erhob, schüttelte sie nur ungläubig den Kopf, da Tadea sich inzwischen erschöpft auf die sich im Raum befindliche Pritsche gelegt hatte und vor sich hinzudösen schien, und schlug vor, zu den anderen zurück zu gehen, um zu sehen, ob jemand eine Idee hatte, wie man die Truhe öffnen könnte.

Als Elessar den Turm nach dem Kampf wieder betrat, fanden sich auch die Gefährten aus den oberen Etagen und dem Gästeraum wieder ein und nachdem der Priester von dem Angriff der Wölfe und deren schnellen Ende berichtet hatte, erzählten auch die anderen, was sie entdeckt hatten; Rileona berichtete von der verschlossenen Truhe im Gästeraum und Varnayrah und Tjalf von der Apparatur auf dem Dach. Elessar studierte die Zeichnung, die Talya gefunden hatte,  eingehend und kam zu dem Entschluss, dass sich das Puzzle langsam zusammenzufügen schien, denn die Beschreibung der Apparatur deckte sich mit der auf der Zeichnung und zumindest die Symbole auf der Zeichnung deutete Elessar anhand Tjalfs Erklärung so, dass dieser mit seinem Vorschlag, die Spiegel auszurichten und die Blende zu öffnen, Recht hatte.

8. Kapitel

Als die Frage aufkam, wo denn der auf der Zeichnung sichtbare zweite Teil der Apparatur zu finden sein sollte, meinte Elessar, dass möglicherweise die anderen Gefährten eine entsprechende Entdeckung gemacht hatten und nach ihrer Rückkehr davon berichten könnten. Doch Tjalf fasste den Entschluss, dass er erneut auf den Turm steigen wolle, um die Spiegel an der seltsamen Apparatur auszurichten und dann die Blende zu öffnen, weil die Zeit drängen könnte. Nachdem Rileona von der Truhe berichtet hatte, zeigte Talya einen Dietrich, den sie gefunden hatte, herum und Tadea, Perfel und Rileona machten sich auf den Weg zur Truhe, um ihr Glück zu versuchen. Während die Wirtin unschlüssig zu sein schien, ob sie den anderen folgen oder sich auf die Suche nach Drax machen sollte, entschied Elessar sich, den Thorwaler auf den Turm zu begleiten, um die Apparatur einmal mit eigenen Augen zu sehen. So folgte der Paladin Tjalf und Varnayrah in das Obergeschoss und trat in dem Moment auf die Plattform, als der Bäcker begann, einen Spiegel nach dem anderen auf den Kristall in der Mitte auszurichten. Mit jedem Spiegel, den Tjalf ausrichtete, erhöhte sich die Intensität, mit der der Kristall leuchtete und umso breiter wurde der gebündelte Lichtstrahl, der auf die noch immer geschlossene Blende traf; als der letzte Spiegel seine Reflektion auf den Kristall warf, wurde das Leuchten so intensiv, dass es in den Augen schmerzte. Elessar hielt sich schützend die Hand vor die Augen und wartete auf den Moment, da der Thorwaler die Blende öffnen würde, gespannt, was anschließend geschehen würde.

Kain und Silver hatten die Geheimtür vollends geöffnet und standen am oberen Treppenabsatz; schnell war der Entschluss gefasst, die Treppe hinabzusteigen und den unteren Raum oder wo auch immer die Treppe hinführen würde, zu untersuchen und nachdem der Magier für eine Lichtkugel gesorgt hatte, die ihnen den Weg ausreichend beleuchten würde, trat er vorsichtig auf die ersten Stufen der Treppe, dicht gefolgt von Silver, der seinen Bogen schussbereit im Anschlag hielt.

Die beiden hatten gerade die ersten Stufen genommen, als Drax im Keller seine Picke hob und diese mit dem ersten schweren Schlag gegen die Wand krachen ließ; dumpf dröhnte das Metall auf das Gestein und, wie es der Zwerg erwartet hatte, brach der Mörtel aus den ersten Fugen und die ersten feinen Risse zeigten sich. Kraftvoll holte er aus und setzte seine Arbeit fort, während Silvana ihre Fundsachen in dem Eimer verstaute.

Während erst Perfel und dann Rileona versuchten, die Truhe mit Hilfe des Dietrichs zu öffnen, gesellte sich Tadea zu den beiden und schaute interessiert zu; man sah ihr die Enttäuschung an, als es den Anschein hatte, dass es niemandem gelingen würde, das Schloss zu knacken. Doch plötzlich hielt sie inne, als ein feines Klicken zu hören war; Rileona hatte bei einem erneuten Versuch Glück gehabt und den kleinen Hebel, der den Mechanismus freigab, bewegen können. Tadea und Perfel schauten erwartungsvoll zu, wie sie mit einem zufriedenen Lächeln den Deckel der Truhe öffnete; dann langte sie mit den Händen in die Truhe, um den Inhalt zu durchsuchen. Es schien sich um den persönlichen Besitz einer weiblichen Person zu handeln, denn außer einem Becher, einem Löffel und drei kleinen, noch immer leicht duftenden Leinensäckchen enthielten sie einige Wäschestücke und eine silberne Halskette mit einem kleinen, ebenfalls silbernen Anhänger, die ganz unten auf dem Truhenboden lag. Der Inhalt der Leinensäckchen erwies sich bei genauerer Untersuchung als Tee, doch war er aufgrund seines Alters wohl nicht mehr genießbar; auch die Wäschestücke entsprachen nicht mehr ganz dem gängigen Stil in Dragonia. Auch die Kette samt Anhänger machten einen eher wertlosen Eindruck, so dass letztendlich nur der Becher und der Löffel von zukünftigem Nutzen wären. Noch während die drei alle Fundstücke sichteten, hörten sie plötzlich die Geräusche, die Drax' Picke verursachte und Tadea war die Erste, die den Raum verließ und sich wieder zu Talya gesellte und diese nach der Ursache der Geräusche fragte. Doch noch während sie auf eine Antwort wartete, mischte sich ein weiteres Geräusch in das Stakkato der Pickenschläge.

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Noch immer leise vor sich hin fluchend stand die Druidin vor der Apparatur in dem unterirdischen Labor und versuchte, an den ersehnten Steinsplitter zu gelangen; doch egal, wie sie die Spiegel auch ausrichtete, die Gestänge bewegten sich nicht und es war unmöglich, den Stein auch nur zu berühren. Inzwischen waren alle Spiegel so ausgerichtet, dass sie das schmale Lichtbündel so reflektierten, dass sich ein quasi geschlossener Lichtkreis um den Sockel der Apparatur gebildet hatte, doch irgendetwas schien falsch zu sein. Während die Alte grübelte, wie sie das Problem lösen könne, hörte sie ein Geräusch, das vom oberen Treppenabsatz zu kommen schien; einen Augenblick später setzten die Pickenschläge ein. Sich fieberhaft umschauend, suchte die Druidin nach etwas, mit dem sie notfalls die Apparatur zerstören konnte, um an den Seelenstein zu kommen, doch sie fand nichts; doch was war das? Wurde der Lichtstrahl nicht breiter? Intensiver? Die Druidin schaute sich noch einmal um und blickte in Richtung Treppe und Durchgang, dann aktivierte sie ihr Amulett, so dass ein bläulicher Schimmer sie umgab, und wandte sich erneut der Apparatur zu.

In dem Maße, wie Tjalf oben auf dem Dach die Blende langsam öffnete, erhöhte sich unten die Intensität des Lichtstrahls und mit dieser schien die Apparatur zu Leben zu erwachen; lautstark quietschend setzten sich die drehbar gelagerten Kreise in Bewegung und begannen, sich immer schneller um das Zentrum, das der Seelenstein bildete, zu drehen. Nach wenigen Augenblicken waren die Lager wieder frei und das Quietschen verstummte, wodurch nur noch ein durch die schnelle Drehung verursachtes, hohes Summen hörbar blieb, das ebenfalls jäh verstummte, als die Apparatur zum Stillstand kam. Alle Kreise standen nun deckungsgleich und gaben somit den Zugriff auf den Steinsplitter frei; mit einem triumphierenden Lächeln streckte die Druidin die Hand danach aus, als der letzte Stein aus der Wand brach und Drax und Silvana die Druidin erblickten; fast zeitgleich gelangten auch Kain und Silver an den Fuß der Treppe. Mit einem Aufschrei ergriff die Alte den Seelenstein und rannte dann höhnisch lachend durch den Engpass in die große Höhle, aus der sie gekommen war; dort hielt sie nach wenigen Schritten inne, wandte sich den Drachenrittern zu und hielt ihnen den Seelenstein entgegen und begann eine Beschwörung zu sprechen. Kurzzeitig strich ein eisiger Wind durch die Höhle und Nebel wallte auf; als dieser sich wieder verzogen hatte, war die Druidin nicht mehr alleine. Gut zwei Dutzend Skelettkrieger mit teilweise verrosteten Schwertern und Äxten, zerfledderten Holzschilden und zerrissenen Lederrüstungen befanden sich nun in der Höhle und an der Seite der Druidin eine durchscheinende Gestalt, die Kain nur zu gut kannte. Die Alte schrie den Skeletten einen Befehl zu und wies mit einer dürren Hand auf die Drachenritter.

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Ein Wispern und Raunen wie von Hunderten Stimmen zog sich durch den Turm; es schien von überall her zu kommen und war doch nicht lokalisierbar, aber jeder der Gefährten, der es vernahm, egal, wo er sich gerade befand, spürte den Schmerz und die Trauer, aber auch die Wut, die sich darin verbargen. Die Temperatur nahm schlagartig ab und das unnatürlich wirkende Licht, das in dem Turm herrschte, schien sich zu verdunkeln, als würde sich ein grauer Schleier über das Gestein legen oder ein seltsamer Nebel durch den Turm wabern; ein einzelner Kampfschrei und das Klirren von Waffen auf Schilden ertönte.

9. Kapitel

In dem Moment, in dem Kain Falnor neben der Druidin gewahrte, begann er auf diesen einzureden und erinnerte die Erscheinung an das Wort, das die Drachritter ihm gegeben hatten; gleichzeitig ging er langsam auf die Reihen der Skelette, die sich ihm drohend entgegen stellten zu und begann eine Beschwörung zu murmeln. Silver, der schräg hinter ihm stand und versprochen hatte, ihm mit seinem Bogen Schutz zu gewähren, hatte einen Pfeil auf der Sehne und zielte auf die Druidin, die neben Falnor stand und ebenfalls begonnen hatte, einen weiteren Zauber zu wirken; der Waldelf wusste später nicht zu sagen, was seine Hand unsicher werden ließ, doch der Pfeil, der einen Moment später mit einem Surren die Sehne verließ, verfehlte sein Ziel um Längen.

Drax hatte, als er durch den Durchbruch, den er mit der Picke geschaffen hatte, durch war, sofort die Druidin erkannt und verfiel regelrecht in Raserei; ohne Vorwarnung packte er seine Axt und seinen Schild fester und stürmte los. Das Einzige, was seine Gefährten noch vernahmen, war sein Ruf nach Feuer, da war er schon zwischen den Skeletten und ließ seine Axt wirbeln; links und rechts fällte er einen Gegner, deren morschen Knochen unter dem Aufprall des Axtblattes regelrecht zu Staub zerfielen und stemmte sich gleichzeitig mit aller Kraft gegen seinen Schild, um durch den Ansturm weitere Gegner zu Fall zu bringen, um eine Schneise zu der Druidin zu schlagen.

Silvana hatte auf Drax’ Ruf nach Feuer unbewusst einen der Krüge, die sie gefunden hatte, geöffnet und anhand des scharfen Geruchs bemerkt, dass es sich wohl um irgendetwas Hochprozentiges und somit Brennbares handeln musste. Geistesgegenwärtig rief sie über die Schulter nach einer Fackel und rannte dem Zwerg hinterher, da sie gedachte, hinter dem Zwerg nahe genug an die Druidin zu gelangen, um den Branntwein als Brennstoff verwenden zu können. Um ungehindert agieren zu können, ließ sie ihren Speer fallen und sprintete los; dem ersten Skelett, das sich ihr in den Weg stellte, versetzte sie einen Tritt, der den Gegner nach hinten stolpern ließ, doch schon stellte sich ihr der nächste Gegner in den Weg. Blitzschnell versuchte sie, auszuweichen, doch sie kam ins Stolpern und fiel der Länge nach hin, wobei sie den Inhalt des bereits geöffneten Kruges zum größten Teil verschüttete.

Inzwischen waren nacheinander auch die anderen Gefährten, die sich zuvor oben aufgehalten hatten und durch das schmerzerfüllte Wispern und Raunen und den Kampflärm nach unten gelockt worden waren, am Ort des Geschehens angelangt. Kolkrabe, die nahe daran war, von dem Schmerz und der Trauer überwältigt zu werden, rief sich genau im rechten Moment selbst zur Ruhe, denn eines der Skelette in der vordersten Reihe attackierte sie; geschickt blockte sie den Angriff mit ihrem Stab, um im nächsten Augenblick selbst zum Angriff überzugehen. Schneller, als das Auge die Bewegung verfolgen konnte, wirbelte der Stab herum und zerschlug die morschen Knochen des Angreifers.

Perfel hatte den Sturz ihrer Freundin bemerkt und hatte nichts anderes im Sinn, als ihr zu Hilfe zu eilen; todesmutig stürmte sie hinter ihr her und versuchte, ihr mit dem Fuß den Speer zuzuschieben, damit die Amazone sich verteidigen konnte. Wie durch ein Wunder gelang ihr dies, ohne von dem angreifenden Skelett verletzt zu werden, aber auch ihr zu hastig geführter Schlag ging ins Leere.

Noch immer machten die Skelette keine Anstalten, den stummen Befehl der Druidin zu befolgen und die übrigen Drachenritter anzugreifen; lediglich die Gefährten, die sich inmitten der Skelette befanden, waren in Kampfhandlungen verstrickt. Rileona, beschränkte sich anfangs, übermannt von ihren Gefühlen und Ängsten, darauf, auf Falnor einzureden und ihn an die gegebenen Versprechen zu erinnern. Hörte er sie nicht oder wollte er nicht hören? Sie war inzwischen so verzweifelt, dass sie die Druidin mit einem Zauber treffen wollte, doch sie konnte sich einfach nicht mehr konzentrieren; der Zauber schlug fehl und von Weinkrämpfen geschüttelt, brach sie zusammen und blieb schluchzend am Boden liegen.

Tadea und Varnayrah legten gleichzeitig einen Pfeil auf die Sehne ihrer Bögen und schossen trotz des Wissens um die Wirkung des Amuletts auf die Druidin, denn sie waren sich sicher, dass der Spuk ein Ende haben würde, sobald die Alte besiegt wäre. Noch während die Pfeile auf ihr Ziel zuflogen, bereiteten die beiden sich innerlich auf die Schmerzen vor, die unweigerlich bei einem Treffer einsetzen würden; und so war es auch: in dem Moment, in dem die Pfeile ihr Ziel trafen, verspürten die beiden Elfen einen brennenden Schmerz an eben jenen Stellen, die sie selbst bei der Druidin getroffen hatten. Ungeachtet des Schmerzes legte Varnayrah jedoch sofort einen zweiten Pfeil auf und schoss erneut. Erneut traf sie und erneut verspürte sie den Gegenschlag, doch verwundert stellte sie fest, dass dieser schwächer ausfiel, obwohl sie ebenso präzise wie beim ersten Schuss getroffen hatte. Sollten ihre konzentrierten Angriffe Wirkung zeigen und das Amulett an Kraft verlieren?

In den Wirren des Kampfes hatte niemand auf Tjalf und Elessar geachtet; während Tjalf seinem Vorbild oder Lehrmeister, oder wie auch immer er es nennen würde, hinterher geeilt war, um es ihm gleichzutun, war der Paladin zielsicher neben Kain getreten und hatte diesen bei seiner Beschwörung beobachtet. Tjalf war durch den Fall Silvanas und das Hinterherstürmen Perfels etwas behindert und musste den beiden ausweichen, um nicht auch zu stolpern; dies behinderte ihn bei seinem Angriff auf die Skelette, die sich noch immer zwischen ihm, dem Zwerg und der Druidin befanden, und es gelang ihm nicht, seinen Gegner ernsthaft zu verletzen. Zudem gelang es einem weiteren Skelett, das sich an Drax vorbeigedrückt hatte, einen Schlag gegen den Bäcker auszuführen, der ihm einen tiefen Schnitt am Oberschenkel einbrachte.

Genau in dem Moment, in dem Kain seine Beschwörung vollendet hatte und ein gleißender Lichtblitz aus der Sensenklinge schoss und auf Falnor zufuhr, hatte Elessar seine linke Hand erhoben; auf der Handfläche bildete sich ein bläulicher Lichtschimmer, der sich binnen eines Augenblicks kegelförmig ausbreitete und in seiner Bahn alle Skelette erfasste, die weniger als drei Schritt links und rechts der Schneise, die Drax inzwischen   geschaffen hatte, standen, erfasste. Sofort hielten die betroffenen Untoten in ihren Handlungen ein und rührten sich entweder nicht mehr oder blickten unschlüssig zwischen der Druidin und dem Paladin hin und her. Der Lichtstrahl, der den Erzdruiden traf, schien jedoch keine weitere Wirkung auf diesen zu haben; Falnor hob zwar die Hand schützend vor die leeren Augenhöhlen, als würde ihn das Licht schmerzen, aber sonst zeigte er keine Reaktion und begann langsam zu sprechen:

"Meine Brüder und Schwestern können ihrer bösen Macht nicht widerstehen! Selbst ich kann mich nicht gegen sie wenden, solange sie den Seelenstein in Händen hält! Und sobald sie volle Macht über den Stein hat, werde auch ich nicht mehr widerstehen können!"

Falnor kam einige Schritte auf die Gefährten zu und suchte den Blick derer, die auf der Wetterspitze gewesen waren; er befand sich nun nur noch wenige Schritte von Drax und Tjalf entfernt und fuhr, nun fast flehend, fort:

"Erfüllt Euren Schwur und erlöst uns!"

Mit einem kurzen Blick zurück zu der Druidin fügte er dann hinzu:

"Höret! Das Amulett, das sie trägt, muss der Sage nach eines jener drei Amulette sein, die unser aller Mutter erschuf und sie den ersten unseres Volkes überreichte, um sich gegen Gefahren aller Art zu schützen, denn am Anfang aller Dinge war unsere Rasse so schwach wie alle Normalsterblichen. Es heißt, als der Erste unseres Volkes seine Macht missbrauchte, weinte die Mutter vor Gram schwarze Tränen, die sie in einer Phiole auffing; mit dieser Flüssigkeit schließlich wurde das Amulett des Abtrünnigen zerstört und er konnte getötet werden. Doch auch ohne diesen Zauber ist der Schutz des Amulettes nicht unendlich; es ist nur eine Frage der Zeit, bis Eure Waffen ihr genügend Schaden zufügen, um sie zu besiegen."

10. Kapitel

Als der Großteil der Skelette die Kampfhandlungen einstellte, herrschte einen Moment lang eine fast greifbare Stille, die nur durch das leise Murmeln der in ihre Beschwörung vertiefte Druidin gestört wurde. Dann begann Falnor zu sprechen und Tjalf, der das seltsam unbestimmte Gefühl hatte, von dem Erzdruiden direkt angesprochen zu werden, glaubte die Bedeutung der Phiole, die er in den Ruinen im Elfenwald gefunden hatte, zu erkennen. Mit einem Ruck öffnete er seinen Rucksack, nahm die Phiole heraus und entkorkte sie; dann sprang er mit einem Satz auf und rannte, ohne Falnor und den übrigen Skelette weiter Beachtung zu schenken, an diesen vorbei und direkt auf die Druidin zu.

Als die Druidin von Tadeas Pfeil getroffen wurde und dann von Varnayrahs erstem Pfeil, lachte sie nur höhnisch auf und ließ sich nicht in ihrer Beschwörung stören, doch der zweite Treffer der Königin schien eine andere Wirkung zu haben, denn die Alte zuckte kurz zusammen und stöhnte leise auf; sie fasste kurz nach ihrem Amulett und konzentrierte sich dann wieder auf ihren Zauber. Einen Augenblick später schrie Tadea vor Schmerz auf, als der erwartete Schmerz sie traf und auch Varnayrah erging es nicht besser; auch sie stöhnte auf, als die Schmerzwelle sie erfasst und erschöpft und müde fragte sie sich selbst, ob sie den nächsten Schuss noch riskieren könne, ohne ihr eigenes Leben zu gefährden.

Elessar und Kolkrabe hatten die Schmerzenschreie der beiden Waldelfen wohl gleichzeitig vernommen, denn sowohl die Wirtin, als auch der Paladin eilten zu Varnayrah und Tadea, um den beiden zu helfen. Elessar verlor seine Konzentration und der blaue Lichtkegel schwand, worauf die Skelette sich schlagartig wieder in Bewegung setzten, und gesellte sich zu Varnayrah, die scheinbar schwerer verletzt war, bereit, ihr jederzeit einen Heiltrank einzuflößen. So bemerkte er nicht, dass sich eines der Skelette von hinten näherte, um die Dreiergruppe anzugreifen, doch Talya war blitzschnell bei ihnen und verwickelte den untoten Krieger in ein Duell; mit einem Ausruf, dessen Sinn Elessar nicht verstand, ließ sie ihren Stab wirbeln und wollte dem Skelett einen Schlag gegen den Brustkorb versetzen, doch dieses wich unerwartet geschickt aus und attackierte die Frau seinerseits mit einem rostigen Schwert, dessen Klinge Talya einen tiefen Schnitt quer über dem linken Unterarm verursachte.

Im selben Moment, in dem die Skelette aus ihrem Bann erwachten, schien sich die Reihe der Gegner vor Tjalf, der den Weg zur  Druidin inzwischen zur Hälfte zurückgelegt hatte, wieder zu schließen; doch die Gefährten hatten inzwischen die Absichten des Thorwalers erkannt und wappneten sich, ihm den Weg möglichst frei zu halten. Das Skelett, das Tjalf vor seinem Sprint gegenübergestanden hatte,  wandte sich um, um dem Bäcker zu folgen; als der Zwerg jedoch erkannt hatte, was Tjalf beabsichtigte, reagierte er geistesgegenwärtig und so fiel der Knochenmann Drax’ Axt zum Opfer. Ein zweites Skelett, das sich in Reichweite der zwergischen Axt befand, konnte zwar anfangs ausweichen, doch war es so kühn und griff den Gevatter im Gegenzug an; seine schartige Axt prallte jedoch regelrecht an Drax’ Rüstung ab. Drax stemmte sich darauf einfach mit seinem Schild gegen den Gegner, rannte ihn so über den Haufen und sprintete hinter Tjalf her, um ihm weiterhin beistehen zu können.

Inzwischen schien sich die Beschwörung der Druidin dem Ende zu nähern und die Macht des Seelensteins zu verstärken, denn nun wandten sich alle Skelette zu ihr um und konzentrierten sich auf den heransprintenden Thorwaler. Doch auch Kain, der Falnors Worte mit einer spöttischen Bemerkung quittiert hatte, hatte das Schauspiel, das Falnors Worten folgte, verfolgt und bemerkte nun, dass Tjalf es ohne Unterstützung kaum schaffen konnte; er konzentrierte sich ein zweites Mal auf seine Magie und kurze Zeit später fuhr ein zweiter Lichtblitz durch die Höhle und zerschmetterte ein weiteres Skelett, das sich dem Bäcker in den Weg stellen wollte.

Perfel hatte sich in der Absicht, der Freundin zu helfen, mitten unter die Skelettkrieger gewagt; nachdem sie den ersten Angriff erfolgreich abgewehrt hatte, gelang es ihr, Silvanas Speer mit der Fußspitze in die Richtung zu stoßen, wo die Amazone noch immer auf dem Boden lag. In der durch den Bann verursachten Kampfpause lauschte sie Falnors Worten und wurde fast überwältigt von der Trauer, die in den flehenden Worten mitschwang, doch sie rief sich selbst zur Ordnung und bestärkt durch den Entschluss, ihren Schwur mit allen Mitteln zu erfüllen, stellte sie sich nun den erneut angreifenden Skeletten. Ein bereits stark angeschlagener Krieger wandte sich gerade von ihr ab, um Tjalf zu folgen und so konnte er dem Stoß, den die Heilerin mit ihrem Speer ausführte, nicht ausweichen.

Silvana blickte nach ihrem Sturz nach oben und erkannte gerade im rechten Augenblick den Angriff eines Skelettkriegers; im letzten Moment rollte sie sich zur Seite, wodurch sie einerseits von dem herabsausenden Schwert, das sie sonst sicherlich getötet hätte, nur gestreift wurde, andererseits gelangte sie dadurch an den Speer, den Perfel einen Augenblick zuvor mit dem Fuß angestoßen hatte. Blitzschnell hob sie den Speerschaft und stieß diesen dem Skelett zwischen die Beine; mit einer kraftvollen Bewegung nach oben hebelte sie den überraschten Gegner anschließend von den Beinen und wirbelte diesen durch die Luft, wo er einige Schritte weiter in zwei weitere Skelette krachte und diese umriss. Doch noch während des „Fluges“ des Gegners war sie bereits auf den Beinen und konnte so das Geschehen um Tjalf weiter verfolgen.

Durch Kains Lichtblitz aufgeschreckt, blickte Rileona auf und gewahrte das Geschehen; mit einem energischen Kopfschütteln vertrieb sie die Tränen, die noch immer ihren Blick trübten und zog dann ihren Dolch. Kurz darauf stürzte sie sich mit wilder Entschlossenheit, dem Treiben endlich ein Ende zu bereiten, auf das am nächsten stehenden Skelett. Durch die Wildheit ihres Angriffs gelang es ihr auch, dem Gegner erheblichen Schaden zuzufügen, doch ein zweiter untoter Krieger mischte sich mit Schwert und Schild in den Kampf ein; die Druidin versuchte, einen weiteren Streich mit ihrem Dolch anzubringen, doch der Gegner blockte den Schlag lässig mit dem Schild und führte einen Gegenangriff, der Rileona am Oberschenkel erwischte.

Plötzlich hielt die feindliche Druidin den Seelenstein in die Höhe und stimmte ein triumphierendes Gelächter an, als sie Tjalf gewahrte, der noch immer ungehindert auf sie zurannte und inzwischen nur noch drei Schritte von ihr entfernt war. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie die Absicht des Bäckers erkannte und mit wutverzerrter Fratze begann die Druidin erneut eine Beschwörung zu sprechen, doch genau in diesem Moment wurde sie von  einem Pfeil in den Hals getroffen. Tadea hatte sich nach der Schmerzattacke wieder aufgerichtet und das ganze Geschehen genauestens beobachtet; seelenruhig hatte sie ihr Ziel anvisiert und im richtigen Moment, als Tjalf nicht im Weg war, ihren Pfeil auf die Reise zu seinem Ziel geschickt, während sie sich erneut gegen den unweigerlich folgenden Schmerz wappnete, der auch kurz darauf, wenn auch sehr viel schwächer als beim letzten Mal einsetzte. Hatte die Druidin nach dem letzten Treffer von Varnayrah nur kurz gezuckt und mehr vor Verwunderung, denn echtem Schmerz aufgestöhnt, griff sie sich nun verblüfft an den Hals, wo der Pfeil sie getroffen hatte, und schrie vor Schmerz auf. Derart abgelenkt, bemerkte sie nicht, wie Tjalf die letzten Schritte überbrückte und den gesamten Inhalt der Phiole über sie schüttete, wobei er darauf achtete, hauptsächlich das Amulett, das die Druidin um den Hals trug, zu benetzen; fast im selebn Atemzug warf der Thorwaler sich zur Seite und rollte sich geschickt ab, so dass er sofort wieder auf den Beinen war. Als die Alte gewahrte, was passiert war, ging ihr Schmerzensschrei in ein wütendes Heulen über und ihre Hand wanderte von Tadeas Pfeil zu ihrem Amulett, wo sie verzweifelt versuchte, die Flüssigkeit von dem Amulett fernzuhalten, doch schon begann der bläuliche Schimmer um sie herum zu verblassen.

Auf diesen Moment hatte Silver gewartet; seit Kains Zauber und Falnors Worten hatte er mit einem Pfeil auf der Sehne das Geschehen beobachtet und in dem Augenblick, in dem der Inhalt der Phiole sich über die Drudin ergoss, zielte er kurz und schoss. Der bläuliche Schimmer um die Druidin war zwar noch nicht verschwunden, doch man sah deutlich, dass der Treffer entsprechende Wirkung erzielte, denn erneut schrie die Druidin vor Schmerzen auf, als der Pfeil in ihre Brust drang. Erfreut über seinen Treffer gewahrte der Elf nicht einmal den leichten Schlag, den er gegen den Brustkorb erhielt und der ihm einen blauen Fleck bescherte.

Varnayrah, die ihre Augen vor Müdigkeit und Erschöpfung einen Moment lang geschlossen hatte, hatte plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter gespürt und als sie aufblickte, in Elessar Gesicht geschaut, der sie ermutigend anlächelte. Dann hatte sie wieder nach vorne geschaut und Tjalfs Lauf mitverfolgt, der sich tollkühn dem Feind stellen wollte; schnell entschloss sie sich, die Sache hier zu Ende zu bringen und atmete tief durch, während sie einen weiteren Pfeil auf die Sehne legte. Sie wurde eins mit Pfeil und Bogen und völlig konzentriert schickte sie nur einen Wimpernschlag später als Silver ihren Pfeil auf die Reise, der kurz nach dessen Pfeil und genau in dem Augenblick in den Hals der Druidin eindrang, als die Aura um die Alte vollständig erlosch. Die Elfe hatte in Erwartung des folgenden Schmerzes direkt nach dem Einschlag die Augen geschlossen, doch es geschah nichts; stattdessen gewahrte sie nur ein ersticktes Gurgeln und als sie Augen wieder öffnete, erblickte sie die Druidin, die inzwischen auf die Knie gesunken war und röchelnd nach Atem rang. Unfähig, noch einen Zauber zu sprechen und dem Schutz ihres Amulettes beraubt, konnten die Gefährten beobachten, wie das Leben aus dem Körper des Feindes wich; in dem Augenblick, in dem der Blick der Druidin sich trübte, kippte sie nach vorne und blieb reglos liegen, wobei der Seelenstein ihrem kraftlosen Griff entfiel und mit einem Klacken von Stein auf Stein auf dem Höhlenboden zum Liegen kam.

Sofort hielten alle Skelette inne und stellten ihre Kampfhandlungen ein; Stille trat ein, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können, dann ergriff Falnor das Wort:

“Die, die Macht hatte, uns weiterhin zu knechten, ist besiegt; möge unser aller Mutter ihr ihren Frevel verzeihen!“

Und an die Gefährten gewandt, fügte er hinzu:

“Nun liegt es an Euch, Euren Schwur zu erfüllen! Ich erwarte Euch um Mitternacht bei den Steinkreisen!“

Die Worte des Erzdruiden waren noch nicht völlig verklungen, als sowohl Falnor, als auch die Skelette von einem Augenblick auf den anderen verschwunden waren. Nicht einmal die Knochen der gefallenen Untoten waren mehr sichtbar und die Drachenritter blieben mit dem Leichnam der Druidin alleine zurück; wäre dieser nicht gewesen, hätte es fast den Anschein gehabt, als sei nichts geschehen. Langsam machte sich Erleichterung breit und während die Gefährten begannen, ihre Wunden zu versorgen, schritt Elessar zu dem Leichnam der Druidin und hob den Seelenstein auf; er drehte ihn zwischen seinen Fingern und betrachtete ihn forschend, doch konnte er nichts Ungewöhnliches daran entdecken. So hielt er ihn Rileona hin und meinte:

“Ich denke, Ihr solltet den Stein nehmen und ihn an seinen Bestimmungsort bringen!“

Dann beugte er sich erneut zu der toten Druidin hinab und schloss ihr die leblos ins Leere starrenden Augen, während er ein kurzes Gebet für die Seele der Verstorbenen sprach, das mit den Worten endete:

“Paladin, ich bitte Dich, sei ihrer Seele gnädig und führe sie zurück ins Licht, so dass sie einst bei ihren Brüdern und Schwestern Ruhe finden möge!“

Als er mit seinem Gebet fertig war, wandte er sich an die Gefährten und sprach zu ihnen:

“Wir sollten ihren Leichnam zur Wetterspitze mitnehmen, denn auch Falnor sprach davon, dass sie einst Vergebung bei ihren Göttern finden möge; möglicherweise findet sie an der Ruhestätte der Druiden ihren Frieden.“

Elessar wies in Richtung des Laboratoriums und fuhr fort:

“Aber nun sollten wir erst alles durchsuchen, ob es noch etwas Wichtiges oder Brauchbares zu finden gibt, und danach sehen, dass wir uns auf den Weg machen; die Sonne dürfte schon bald aufgehen.“

11. Kapitel

Als Elessar sich neben der toten Druidin bückte, um den Seelenstein, der ihrer Hand entfallen war, aufzuheben, trat Kain neben ihn und vergewisserte sich, ob sie auch tatsächlich tot sei; dann nahm er das Amulett, das die Druidin um den Hals getragen hatte, in die Hand und riss es mit einem Ruck los, um es genauer zu betrachten. Der Stein, der in die Fassung eingebettet gewesen war, war durch die Wirkung der Essenz in der Phiole – die schwarzen Tränen der Göttin aller Druiden, wie Falnor sie genannt hatte - verschwunden und die Fassung selbst sah aus, als sei sie unter der Einwirkung sehr großer Hitze zu einem unansehnlichen Klumpen Metall geschmolzen. Welch Zauber dem Amulett auch immer innegewohnt haben mochte, es würde nie wieder irgendeinem Zweck dienen. Doch nichtsdestotrotz steckte der Magier es in seine Tasche und machte sich auf den Weg zu Silvana, der er, nachdem er ihr zuerst einen Heiltrank gereicht hatte, das Buch, das er in der Bibliothek gefunden hatte, in die Hand drückte und sie bat, bei Gelegenheit nachzuschauen, was darin stand.

Die Wallonin nahm beides entgegen, doch bevor sie mehr als ein Danke entgegnen konnte, wandte der Magier sich auch schon wieder ab, um das erstbeste Regal und die Tische in seiner Nähe zu untersuchen. So besann sich auch Silvana eines anderen und machte sich daran, dem toten Bär, den sie im Hintergrund der Höhle entdeckt hatte, das Fell abzuziehen. Nach getaner Arbeit, verstaute sie dieses mit den anderen Fundsachen aus dem Keller in dem rostigen Eimer und band das Seil daran, um das Gebilde dann zum leichteren Transport über die Schulter zu hängen; erst dann ließ sie ihre Blicke erneut durch das Labor streifen, um nach Kain zu suchen.

Elessar bot der hinzugekommenen Rileona den Seelenstein an, damit sie ihn später auf der Wetterspitze an seinen Bestimmungsort legen könnte und wandte sich dann wieder der toten Druidin zu, um Paladin um Vergebung für deren Seele zu bitten. Kaum hatte der Priester sein Gebet beendet, als Tadea an die Druidin herantrat, um diese nach etwas Brauchbarem oder Wertvollen zu durchsuchen, doch da sie sich lautstark zierte, sie würde sie zum Abtransport nicht anfassen, kam Drax dazu, fasste die Elfe an der Schulter und zog sie schimpfend grob zurück. Tadea erkannte die Wut des Zwergen und hielt es für schlauer, von der Druidin abzulassen; stattdessen wandte sie sich den Apparaturen im Laboratorium zu, die sie staunend betrachtete, doch nicht wagte, etwas anzufassen.

Kain hatte derweil die Durchsuchung des Regals beendet; zu viele Phiolen unbekannten Inhaltes standen dort herum und da die wenigsten beschriftet oder auch nur durch ein Symbol oder ähnliches gekennzeichnet waren, hatte er es bald aufgegeben. Nur einen Trank, den er als Manatrank identifizieren konnte, hatte er eingesteckt, während er alle anderen zurückgelassen hatte und sich danach der Untersuchung der diversen Apparaturen auf dem Tisch neben ihm zugewandt hatte. Von keiner der Apparaturen war der offensichtliche Sinn und Zweck erkennbar und da die meisten zu groß oder zu schwer waren, um sie mitzunehmen, bedauerte der Magier, dass er sie nicht weiter würde studieren können; lediglich eine kleinere Vorrichtung war leicht und handlich genug, um in seinem Rucksack Platz zu finden. Plötzlich und unerwartet war der Ort, an dem der Magier soeben noch gestanden hatte, leer; stattdessen huschte eine Ratte an einem der Regale hoch, um die entlegensten Ecken und Winkel zu untersuchen, um keinen Hinweis oder Gegenstand zu übersehen. So fand sie auch bald einen kleinen Schlüssel, den sie zwischen den Zähnen aus der Ritze, in der er gesteckt hatte, zog und ihn so zur Kante des Regalbrettes schleifte, wo sie ihn hinunterschubste. Das leise Klirren, mit dem der Schlüssel auf den Boden aufschlug, weckte Silvers Interesse; der Elf ließ sich auf die Knie nieder, um den Schlüssel, der unter das unterste Brett des Regals gefallen war, aufzuheben und stutzte, als er unter das Regal schaute. Dort verborgen unter einem Stück alten Stoffs entdeckte er eine Truhe und nachdem er sie hervorgeholt und den Schlüssel aufgehoben hatte, probierte er auch sogleich sein Glück an der Truhe und fand, dass er passte; als er den Deckel hob, wurde er von dem Blinken unzähliger Edelsteine, die das fahle Leuchten der Wände und das Licht der Fackel tausendfach reflektierten, fast geblendet.

Kain war unterdessen in der Gestalt der Ratte auf Silvanas Schulter geklettert und hatte sich dort niedergelassen, da die Amazone das Buch zur Hand genommen und es aufgeschlagen hatte; sie blätterte ein wenig darin herum und versuchte dann, die Worte, die sie sah, zu lesen, doch nicht nur, dass die Sprache, in der das Buch verfasst war, ihr vollkommen fremd war, war die Folge der Buchstaben derart kompliziert und verworren, dass sie nicht einmal den Wortlaut der Schrift erfassen konnte. So klappte sie das Buch schnell wieder zu und machte sich dann mit Kain, der inzwischen wieder menschliche Gestalt angenommen hatte, und den anderen auf den Weg nach draußen.

In der Zeit, in der die Gefährten die Räumlichkeiten durchsuchten, schritt Drax zu Kolkrabe, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen; die Wirtin hatte sich gerade trotz ihrer eigenen Verletzung um Varnayrahs Wunden gekümmert und der Elfe einen Heiltrank verabreicht und so nahm der Zwerg die Versorgung der Wunden seiner Liebsten selbst in die Hand, indem er die Schnittwunde mit einer Wundbinde bedeckte, um eine Entzündung zu verhindern. Kurz darauf gesellte sich Perfel zu den Verletzten und bestand darauf, sich alle Wunden noch einmal anzusehen, um zukünftige Komplikationen vorzubeugen und so wandte Drax sich wieder dem Leichnam der Druidin zu; er durchsuchte sie schnell, wobei er an ihrem Gürtel eine noch gefüllte Phiole entdeckte, die er an sich nahm. Dann nahm er zwei leere Säcke, in die er den Leichnam stopfte und geschickt verschnürte, so dass es ihm ein Leichtes war, sich das Bündel über die Schulter zu werfen und anschließend die Treppe hinauf ins Freie zu tragen, wo er dann auf den Rest der Gefährten wartete.

Nur wenige Augenblicke, nachdem erst Talya und dann Perfel Varnayrahs Wunden versorgt hatten, fühlte die Elfe sich wieder besser und wandte sich auch alsbald der Treppe nach oben und damit dem Ausgang des Turmes zu; sie wollte unbedingt wieder ins Freie, um den bedrückenden Gefühlen, die der Turm ihr verursachte, zu entgehen und gesellte sich draußen zu dem wartenden Drax, nachdem sie von dem plötzlich auftauchenden Tan’le freudig begrüßt wurde. Tjalf, der nach dem Ableben der Druidin alles wie in Trance beobachtet hatte, zeigte plötzlich wieder Leben und begleitete Varnayrah nach oben; statt wie sie den Turm zu verlassen, erklomm er jedoch noch einmal die Stufen ganz nach oben und begab sich noch einmal zu der Apparatur auf dem Dach, wo er die Spiegel vorsichtig entfernte und sie sorgsam in seinem Rucksack verstaute; erst dann machte er sich auf den Weg nach draußen, um zur Abreise bereit zu sein.

Auch Perfel hatte sich nach der Versorgung der Verletzten noch einmal den Regalen zugewandt und wahllos einige der Phiolen eingesteckt; sie würde sicher später zu Hause Gelegenheit finden, die Phiolen auf deren Inhalt zu untersuchen. Nachdem sie ihren Rucksack zu ihrer Zufriedenheit gefüllt hatte, machte auch sie sich auf den Weg nach oben.

Elessar war der Letzte, der sich zum Gehen wandte; nachdem sowohl Drax, als auch Rileona die Zerstörung der Apparaturen vorgeschlagen hatten, war der Paladin zu dem Schluss gekommen, dass man zumindest versuchen sollte, die Apparatur, die den Seelenstein beherbergt hatte, unbrauchbar zu machen. So wandte er sich den Tischen zu, packte seinen Kriegshammer mit beiden Händen und holte weit über den Kopf aus, um den Hammer dann mit kräftigem Schwung auf den metallenen Käfig, oder wie man es nennen sollte, zu schlagen. Unter dem Aufprall splitterten die Spiegel an der Apparatur und das Gestänge wurde derart verbogen, dass es sich nie wieder zu einer geschlossenen „Kugel“ ausrichten lassen würde; da zudem der Seelenstein nicht an diesem Ort verbleiben würde, war der Elf sicher, dass die Apparatur niemals mehr ihrem ursprünglichen Zweck dienen würde. Noch einige Male verrichtete der Kriegshammer sein Werk und zerstörte manche der Apparaturen, deren Zweck nun niemand mehr herausfinden würde, geschweige denn sie noch einmal ge- oder auch missbrauchen. Als er sein Werk vollendet hatte, wandte auch er sich der Treppe zu und begab sich nach draußen zu den Gefährten. Als alle bereit waren, wollte Drax sich grummelnd den Leichnam der Druidin über die Schulter werfen, um sie über das Lawinenfeld hinab zu den Pferden zu transportieren, aber Elessar hielt den Zwergen zurück und deutete mit einem Lächeln an den Rand des Plateaus, wo noch immer Kains Titan einsam Wache stand. Dann bat er Kain, seinen stummen Diener zu beauftragen, den Transport zu übernehmen und endlich brachen sie auf.

Kaum hatten sie das Plateau überquert und knapp 30 Schritte auf dem Weg zurückgelegt, der sie an den Steilhängen entlang und durch die Schluchten nach unten zu den Pferden bringen würde, als sie ein mächtiges Poltern vernahmen; erstaunt hielten sie inne und wandten sich noch einmal um zum Turm des Khalin Wael. Eine Erschütterung schien die ganze Umgebung zu erfassen und dann schien der Turm einen Augenblick lang zu wanken; ein lautes Krachen und Knacken von zerbröckelndem Gestein war zu hören und dann wurde eine Staubwolke sichtbar, die aus dem Innern des Turmes zu kommen schien. Langsam sackte das Bauwerk nach unten, um dann in der immer größer werdenden Staubwolke zu verschwinden; gebannt schauten die Gefährten dem Schauspiel zu und nachdem sie eine Zeit lang gewartet hatten, bis sich der Staub verzogen hatte, war der Turm verschwunden und an der Stelle, an der er zuvor gestanden hatte, klaffte ein Krater von demselben Durchmesser; es schien, als sei die Magie, die den Turm erschaffen und über die Jahrhunderte hinweg erhalten hatte, mit dem Seelenstein entschwunden.

So machten sie sich endlich auf den Weg zu den Reittieren und Kains Titan trug den Leichnam der Druidin mit Leichtigkeit, so dass keiner der Gefährten sich abmühen musste. Der Weg durch die Bergwelt verlief ereignislos und als sie schließlich auf der Lichtung ankamen, auf der sie die Reittiere zurück gelassen hatten, legten sie eine kurze Rast ein; eine Stunde zuvor war die Sonne aufgegangen und die Nacht ohne Schlaf steckte manchem in den Knochen, so dass einige der Gefährten froh waren, dass sie endlich ein wenig ruhen und etwas Nahrung zu sich nehmen konnten. Doch alsbald brachen sie auf und kurze Zeit später waren sie bereits auf der Straße zurück in Richtung Nighton, auf der sie am Tag zuvor diesen Ort erreicht hatten und ritten in der morgendlichen Sonne gen Osten.

Die weitere Reise verlief ebenso ereignislos wie der Abstieg aus den Mondbergen; bald schon erreichten sie die Wegscheide, die südwärts nach Nighton und nordwärts auf die Straße nach Sha’Nurdra oder Drachenauge führen würde und nachdem sie einige Meilen nach Norden geritten waren, erreichten sie die Brücke über den Sirannon, die sie überquerten; statt sich dann ostwärts nach Sha’Nurdra zu wenden, folgten sie der nördlichen Straße und durchquerten schon bald erneut die kleine Ortschaft Jeldorf, wobei sich manch einer der Bewohner, der die Drachenritter nun schon zum dritten Mal in kürzester Zeit auf der Hauptstraße der Ortschaft erblickte, über deren Erscheinung wunderte, zumal sie dieses Mal von einem seltsam anmutenden Ungetüm begleitet wurden, das an einen zum Leben erwachten Felsen erinnerte und ein Bündel über der Schulter schleppte. Doch die meisten Bewohner des Ortes waren so schlau, sich nur um ihre eigenen Belange zu kümmern und da von diesem Ungetüm keine Bedrohung auszugehen schien, ernteten die Drachenritter nicht mehr als hie und da ein flüchtiges Nicken zur Begrüßung und so zogen sie unbehelligt ihrer Wege.

Am Abend, kurz vor Sonnenuntergang erreichten die Gefährten schließlich den Fuß der Wetterspitze; sie suchten dieselbe Stelle wie beim letzten Mal auf, an der sie ihre Reittiere zurücklassen wollten und machten sich dann allesamt auf den Weg über den steinigen Pfad, der mit zunehmender Höhe immer enger wurde. Durch die inzwischen fast vollkommene Dunkelheit war der Weg nur schwer zu erkennen und sie kamen nur langsam voran; so war es nicht mehr lange bis Mitternacht, als sie schließlich wie beim letzten Mal das Plateau erreichten und sich langsam der Ritualstätte näherten, die trotz des den ganzen Tag andauernden guten Wetters in Nebel gehüllt vor ihnen lag. Schon bevor sie die Steinkreise betraten, gewahrten sie einen seltsamen Lichtschimmer, der sie darauf aufmerksam machte, dass Falnor sie bereits erwartete und als sie schließlich vor dem Altar standen, gewahrten sie im Nebel, der sie umgab, weitere Schemen, die sie allesamt gespannt anzustarren schienen. Falnor begrüßte die Gefährten mit einem wohlwollenden Nicken und sprach:

“So seid Ihr tatsächlich gekommen, um Euren Schwur zu erfüllen! Eilt Euch, es ist nicht mehr lange bis Mitternacht!“

Elessar trat vor und wies auf den Titanen, der noch immer den Leichnam der toten Druidin trug und klärte Falnor über seine Absicht auf, ihrer Seele zu ermöglichen, ebenfalls die ewige Ruhe zu finden und der Erzdruide erwiderte:

“So soll es sein; unser aller Mutter wird entscheiden, ob sie die Seele der Ruchlosen zu sich nimmt!“

So wurde der Leichnam zu den Grabstätten gebracht und dort niedergelegt; dann nahm Rileona den Seelenstein hervor und trat an den steinernen Altar. Ohne Probleme fand sie die Stelle, an der der Splitter, den sie in den Händen hielt, fehlte und erkannte trotz der Dunkelheit, wie er eingesetzt werde musste. Während sie den Altar untersuchte, kam Bewegung in die Schemen, die sich im Nebel verbargen und erneut lag ein Raunen und Wispern in der Luft, doch diesmal war es nicht geschwängert von Trauer oder abgrundtiefem Hass, sondern voller Hoffnung in Erwartung des bevorstehenden Ereignisses. Als die Druidin dann den Splitter in die gebrochene Stelle einsetzte, wurde es kurzzeitig noch dunkler, da plötzlich Wolken aufzogen und den Mond verdeckten. Unerwartet dröhnte ein Donnern in den Ohren der Gefährten und ein Blitz zuckte aus dem nächtlichen Himmel, zerriss grell die Dunkelheit und fuhr direkt in den Altar, vor dem Rileona stand. Ein tausendfaches Seufzen der Erleichterung ertönte und hie und da war ein erlösten Lachen zu hören, dann kehrte Stille ein. Die Wolken verzogen sich, mit ihnen schwand der Nebel und mit diesem alle Schemen, nur Falnor stand noch immer unweit Rileonas; das fahle Leuchten, das ihn umgab, begann schon zu schwinden, als er noch einmal das Wort ergriff und sprach:

“Nach vielen ruhelosen Jahrhunderten finden meine Brüder, meine Schwestern und ich endlich Ruhe und Frieden! Unser Dank wird Euch auf ewig zuteil werden!“

Fast war es, als umspiele ein Lächeln die Züge des knöchernen Antlitzes, dann war auch er verschwunden und die Drachenritter standen allein um den - wie im Mondlicht deutlich erkennbar war - nun wieder unbeschädigten Altar der druidischen Ritualstätte.