1.
Kapitel
Fast am äußersten Ende der
Bergkette, die sich inmitten der Elfenwälder im Süden Sha'Nurdras
entlang des Sirannon erhob, wallte auf einer kleinen Lichtung auf der
Westseite des Gebirges plötzlich ein dunkler Nebel auf und kurze Zeit
darauf durchbrach ein schmerzvolles Stöhnen die Stille des dunklen
Waldes, das dazu führte, dass die gerade noch hörbaren Stimmen der sich
in unmittelbarer Nähe aufhaltenden Waldbewohner mit einem Schlag
verstummten. Dann lichtete sich der Nebel und eine Gestalt wurde
sichtbar, die, sich offensichtlich unter starken Schmerzen krümmend, auf
dem Boden wand und laut stöhnte. Es dauerte einen Moment, bis die Person
sich halb aufsetzen konnte, denn ihre Verletzungen schienen sehr schwer
zu sein, doch als sie es endlich geschafft hatte, verschwand eine ihrer
Hände in den Weiten ihres Umhangs und erschien sogleich mit einer
kleinen Phiole wieder, die sie in einem Zug leerte; dann atmete sie tief
durch und setzte sich vollends auf, nur um sich einen Augenblick später
zu erheben und sichernd um sich zu blicken. Durch die lange Robe und die
tief ins Gesicht gezogene Kapuze war nicht zu erkennen, ob es sich um
einen Mann oder eine Frau handelte, doch kaum hatte sie sich gereckt und
gestreckt, als hätte sie Stunden erholsamen Schlafes hinter sich und
wäre gerade gestärkt und ausgeruht erwacht, begann sie halblaut vor sich
hinzumurmeln und dem aufmerksamen Zuhörer, so denn einer anwesend
gewesen wäre, wäre nicht entgangen, dass es sich um eine weibliche
Stimme handelte. Die Worte indes waren unverständlich, so dass der
besagte Zuhörer ihren Sinn nicht verstanden hätte.
Nachdem die Gestalt bereit zum
Aufbruch war, blickte sie sich noch einmal suchend um und marschierte
dann auf den Rand der Lichtung zu, um sofort im dichten Unterholz zu
verschwinden; dabei wandte sie sich gen Osten und hielt auf die in nicht
allzu großer Entfernung sichtbaren Berge zu. Langsam, aber stetig begann
das Gelände anzusteigen und als sie den Waldgürtel verlassen hatte,
schritt sie an der Bergkette entlang nach Norden und näherte sich auf
diese Weise wieder der Stadt des Lichtes, obwohl sie noch immer weit
davon entfernt war. Als sie den Eingang einer kleinen Schlucht
passierte, hielt sie plötzlich inne und hob die Nase in den Wind, ganz
so, als würde sie wie ein wildes Tier Witterung aufnehmen; dann nickte
sie, wobei sich ein zufriedenes Grinsen auf ihrem Gesicht abzeichnete.
Sie eilte in die Schlucht und kam nach nur wenigen Schritten vor dem
Eingang einer Höhle zum Stehen; nachdem sie sich noch einmal umgeschaut
hatte, trat sie in die Dunkelheit und schritt langsam voran, als würde
sie genauestens erkennen, wohin sie ging, bis sie plötzlich vor einem
Bären stand, der offensichtlich seinen Winterschlaf in dieser Höhle
hielt.
Die Gestalt fasste mit einer Hand
an ein um ihren dürren Hals baumelndes Amulett und sprach eine
Beschwörung in einer fremden Sprache; obwohl an dem Bär keine
Veränderung zu bemerken war, nickte sie zufrieden und legte sich dann zu
demselben auf den Boden, wobei sie zum Schutz vor der Kälte nahe an ihn
heran rückte. Dann schloss sie die Augen und murmelte vor sich hin:
"Krötenschleim und Natterndreck!
Sie haben ihn getötet! Aber sie werden büßen und Du wirst mir helfen!
Sobald ich am Ziel bin, werden sie alle büßen..."
~/~
Am frühen Nachmittag hatte Elessar
Georg Bescheid gegeben, dass er die nächste Zeit nicht gestört werden
wollte und den jungen Adepten gebeten, sich um die Belange des Tempels
zu kümmern; sollten Gläubige den Tempel aufsuchen, so könnte Georg sich
ihrer annehmen, solange Elessar beschäftigt war. Dann hatte er sich in
die Bibliothek zurückgezogen und nachdem er sich mit genügend Wasser und
frischem Obst versorgt hatte, etwas Weihrauch in einer Schale
entzündete; anschließend legte er sowohl einige Pergamentrollen, als
auch das kleine, in schwarzes Leder gebundene Buch, vor sich auf den
Tisch. Diese Unterlagen hatte er in der Hütte der Druidin gefunden, die
vor einiger Zeit die Gegend um Sha’Nurdra mit Hilfe eines mittels
dunkler Magie beschworenen Wolfes und einem Rudel „normaler“ Wölfe
terrorisiert hatte, und nun wollte er die Zeit nutzen und versuchen, in
Erfahrung zu bringen, was die Hintergründe dieser Aktionen gewesen
waren; langsam entrollte er die Pergamente, von denen einige
offensichtlich schon sehr alt waren und vertiefte sich sodann in das
Studium der Schriften.
So las er den Rest des Abends und
die ganze Nacht und nachdem er am Morgen kurz im Aiyeona erschienen war,
um seiner Liebsten Nachricht zu bringen, wo er momentan seine Zeit
verbrachte, auch die folgenden beiden Tage und Nächte; er blätterte hier
in den alten Werken und in dem Buch und wann immer er ins Stocken kam,
schritt er zu den unzähligen Büchern und Schriften - die inzwischen in
den Regalen der Bibliothek verweilten, nachdem die Schriften aus dem
Stadtarchiv hierher verlagert worden waren - und suchte darin nach
weiteren Informationen und Erklärungen. Zwischendurch aß und trank er
etwas und immer, wenn die Müdigkeit ihn überkam, vertiefte er sich in
Meditationen und Gebete, um sich wach zu halten. Tagsüber studierte er
im Schein der kalten Wintersonne, deren Strahlen, die den ganzen Tag
über durch die Fenster fielen, zwar nicht für mehr Wärme, aber für
ausreichend Licht sorgten und des nachts saß er teilweise mit tränenden
Augen beim Schein eines Talglichtes über den Büchern. Am Ende des
dritten Tages, als er kaum noch seine Augen offen halten konnte, hatte
er alle Werke durch und obwohl er nicht alles hatte ergründen können,
weil einige Passagen in einer fremden Sprache verfasst waren, deren
Übersetzung er in keiner seiner Schriften hatte finden können, war er
sich sicher, den Plan der Druidin soweit durchschaut zu haben.
Erleichtert seufzte er auf, stütze den Kopf auf seine Hände und schloss
für einen Moment die Augen...
In dieser Haltung fand Carthangiel
ihn am nächsten Morgen und weckte ihn sanft, um ihn nicht zu
erschrecken. Als er die Augen öffnete, bemerkte er, dass sie inzwischen
den Tisch abgeräumt und ein ausgiebiges Frühstück bereit gestellt hatte.
Während des Frühstücks berichtete er ihr von den dunklen Plänen der
Druidin und dass er den Plan gefasst hatte, diese mit allen Mitteln zu
vereiteln; er hatte vor, sich auf die Suche nach ihr und der Stätte, an
der sie ihre Pläne in die Tat umsetzen wollte, zu machen und fragte die
Waldelfe, ob sie sich nicht mit auf die Reise machen wolle, doch
unglücklicherweise hatte Carthangiel bereits andere Pläne und würde
Elessar aus diesem Grund nicht begleiten können. Doch der Paladin
erinnerte sich an ein Gespräch, dass er vor wenigen Tagen mit dem Bäcker
geführt hatte und so entschloss er sich, diesen - oder am besten gleich
alle, die vor Wochen an der Wolfsjagd teilgenommen hatten - um Beistand
zu bitten. So begab er sich mit seiner Liebsten zum Aiyeona und machte
sich flugs daran, eine Botschaft zu verfassen, die er all jenen zukommen
lassen wollte, deren Wohnort er kannte. Die Botenreiterin Elayha
Sternenklang würde die Botschaft überbringen und auch denen, die des
Lesens nicht mächtig waren, den Inhalt der Botschaft, sowie die
Dringlichkeit der Mission erläutern können. Und mit der Hilfe der
Gefundenen sollte es zudem möglich sein, diejenigen ausfindig zu machen,
deren Wohnort er nicht kannte.
~/~
Die Druidin stand im Eingang zu der
Höhle und schaute hinaus auf die schneebedeckte Landschaft; jeder
Atemzug trieb feine Nebelwolken vor ihrem Gesicht, da die Kälte den Atem
sofort gefrieren ließ. Ein Blick zum wolkenverhangenen Nachthimmel ließ
sie erkennen, dass der Winter - zumindest hier oben - noch lange nicht
vorbei war und fröstelnd zog sie die Kapuze ihrer Robe weiter ins
Gesicht. Tatsächlich fing es auch plötzlich an zu schneien und die
weißen Flocken wirbelten umher, wurden immer dichter und der leichte
Schneefall weitete sich zu einem regelrechten Schneegestöber aus, das
die Sicht behinderte. Auch, wenn sie den Mond durch das Schneetreiben
und die dichte Wolkendecke nicht sehen konnte, wusste sie, dass es nur
noch wenige Tage bis zum Vollmond waren und ein unbestimmtes Gefühl in
ihr drängte sie zur Eile. Fast drei Mondläufe waren seit dem Kampf an
ihrer Hütte vergangen und zu lange war sie jetzt untätig gewesen;
Ostara, die Tag- und Nachtgleiche stand bald bevor und weiterhin zu
warten, hieße, ihre Pläne aufs Spiel zu setzen.
Abrupt drehte sie sich um und
schritt in das Innere der Höhle, wo der Bär noch immer in seinem
Winterschlaf lag; zuerst wollte sie sich zu ihm legen, um sich zu
wärmen, doch dann entschied sie sich anders. Sie umfasste ihr das
Amulett, das um ihren Hals hing und murmelte einige unverständliche
Worte; plötzlich begann der Bär sich zu regen und erwachte. Als er die
Augen öffnete und die Druidin gewahrte, erhob er sich langsam und
richtete sich zu seiner vollen Größe auf, wobei er ein lautes Brüllen
von sich gab und drohend die Tatzen hob. Obwohl er sie fast um das
Doppelte überragte, zeigte die Druidin keine Angst, sondern hob erneut
das Amulett und murmelte einen weiteren Spruch, worauf sie begann,
beruhigend auf den Bären einzureden. Sichtlich beeindruckt, dass sein
Gegenüber keine Angst zeigte und stattdessen ruhig auf ihn einsprach und
zusätzlich durch den Bann beeinflusst, ließ der Bär sich wieder auf alle
Viere nieder und als würde Neugier seine Instinkte überflügeln, trottete
er langsam näher. Die Druidin lachte leise auf und tätschelte seine
riesige Flanke, während sie sprach:
“Na siehst Du, jetzt verstehen
wir uns! Ich tue Dir nichts zuleide, Du tust mir nichts zuleide und am
Ende werden wir die besten Freunde sein.“
Die folgenden Worte sprach sie,
während sie auf und ab schritt und ihre Pläne überdachte, wieder mehr zu
sich selbst und man hörte Bruchstücke von Sätzen wie “...zu lange
gewartet...“, “...zurück zur Hütte...“, “...hoffentlich
noch da...“ und “...und dann zu den Steinkreisen...“, doch
dann wandte sie sich erneut zu dem Bär und rief herrisch “Folge mir!
Die Zeit drängt!“ und schritt auf den Höhleneingang zu, ohne sich
noch einmal umzusehen.
Draußen stapfte sie, gefolgt von
dem Bären, durch den knöcheltiefen Schnee zum Eingang der Schlucht, in
der die Höhle lag und wandte sich dem Tal zu und je tiefer sie ins Tal
kamen, umso mehr nahm die Schneehöhe ab und hier und da kamen bereits
vereinzelte Flecken des kahlen Bodens zum Vorschein. Der Winter im Tal
schien lange nicht so hart, wie es in der Schlucht ausgesehen hatte und
so eilte die Druidin bald zuversichtlich auf die Waldgrenze und die
Lichtung zu, auf der sie nach dem Kampf vor einigen Wochen durch ihren
Teleportzauber angelangt war. Dort angelangt, pfiff sie eine seltsame
Melodie und kurze Zeit darauf ließ sich eine Elster auf ihrer Schulter
nieder; die Druidin bot ihr den Handrücken dar - auf den die Elster
sofort hüpfte - und begann dann, dem Vogel Worte in einer unbekannten
Sprache zuzuflüstern. Als sie geendet hatte, schwang sich die Elster in
die Luft und die Druidin rief ihr hinterher “Eile Dich!“. Nachdem
der Vogel über den Baumwipfeln verschwunden war, wandte sich die Druidin
gen Nordwesten und machte sich auf den Weg zu ihrem Ziel.
~/~
Einige Tage nach ihrem Aufbruch kam
Elayha mit der frohen Kunde zurück, dass alle Gefährten der Wolfshatz
gefunden und benachrichtigt werden konnten und Elessar machte sich
daran, alles für den vereinbarten Tag der erneuten Zusammenkunft im
Gasthaus - Tjalf hatte er bei einem Besuch in der Bäckerei persönlich um
sein Erscheinen gebeten - vorzubereiten; zum Mittag des besagten Tages
fand er sich dann im fast überfüllten Gasthaus ein. Am Tresen bat er um
einen Krug Met und schritt dann zu dem großen Tisch in der Ecke des
Schankraumes, den er zuvor vom Wirt hatte reservieren lassen; auf dem
Weg durch den Schankraum sah er auch einige bekannte Gesichter unter den
Gästen und nickte dem einen oder anderen grüßend zu und nahm dann Platz.
Er füllte einen bereitstehenden Kelch mit dem Met aus dem Krug, nahm
einen Schluck und wartete auf die Ankunft der anderen.
Nach und nach trafen die
erwartenden Gefährten ein; ein jeder wurde begrüßt, ein paar Worte hier
und da gewechselt und nachdem alle am Tisch saßen und jeder ein Getränk
vor sich hatte, verstummten langsam die Gespräche und aller Augen
richteten sich auf den Priester in Erwartung dessen, was er zu verkünden
hatte. Elessar nahm eine Pergamentrolle und einen in ein weißes Tuch
gehüllten Gegenstand hervor und legte sie vor sich auf den Tisch; dann
begann er zu sprechen:
“Meine Freunde, habt Dank, dass
Ihr so zahlreich erschienen seid! Ich bin erfreut, dass Ihr meinem Ruf
gefolgt seid und werte Eure heutige Anwesenheit als Zeichen Eurer
Bereitschaft, erneut in den Kampf gegen die Druidin zu ziehen, die vor
einiger Zeit das Reisen von und nach Sha’Nurdra für Fremde und
Einheimische zu einer Gefahr hat werden lassen.
In den vergangenen Wochen habe
ich viel Zeit damit verbracht, die Pergamente, die ich in der Hütte der
Druidin gefunden hatte, zu studieren und es ist mir gelungen, einige der
dort verzeichneten Geheimnisse zu enträtseln. Unglücklicherweise muss
ich sagen, dass diese nichts Gutes verheißen, denn das, was dort zu
lesen ist, gibt die Gründe für das Handeln der Druidin wieder und, was
weit wichtiger ist, sie geben Grund zur Annahme, dass wir demnächst mit
ihrem erneuten Auftauchen rechnen müssen.“
Mit diesen Worten entrollte er das
Pergament und glättete es; als er es dann wieder vor sich auf den Tisch
legte, konnte man eine Karte erkennen, auf der einige Punkte markiert
waren; er zeigte auf eine Markierung westlich Sha’Nurdras und fuhr fort:
“Zur Verdeutlichung, hier
ungefähr sollte die Stelle sein, an der wir die Hütte der Druidin
gefunden und nach dem Kampf niedergebrannt haben. Der Inhalt ihrer
Aufzeichnungen, die wir gerettet haben, macht deutlich, dass sie auf der
Suche nach dem Erbe des Schattendruiden Khalin Wael ist, der vor vielen
Jahrhunderten in einem Turm gehaust hat, dessen Standort heute niemand
mehr kennt. Das alte Buch, das wir bei der Druidin gefunden haben,
scheint eine Art Tagebuch zu sein, das wohl von Khalin selbst stammt;
dort ist die Rede von einem Artefakt von unvorstellbarer Macht und einem
wertvollen Schatz, die in dem Turm, den ein Außenstehender, wenn
überhaupt, jeweils nur an den beiden Tagen der Tag- und Nachtgleiche des
Jahres betreten konnte. Niemand weiß, wo der Schattendruide abgeblieben
ist, ob er noch lebt oder ein gewaltsames Ende fand, aber es heißt in
dem Buch, dass er sich eines Tages auf eine Reise begab und einen
Lageplan bei sich hatte, der den Standort des Turms verrät und
gleichzeitig als magischer Schlüssel den Zugang zum Turm gewährt. An der
Stelle, an der das Tagebuch endet, ist die Rede von einem Kampf auf
Leben und Tod, aber weder der Gegner, noch der Ausgangs des Kampfes sind
näher beschrieben.
In den Aufzeichnungen der
Druidin gab es dann weitere Hinweise; der Schlüssel wurde zerstört,
vielmehr in drei Bruchstücke zerbrochen und sie hatte bereits eines
davon in ihren Händen. Da sie es nach dem Kampf gegen uns aber nicht
mehr mitnehmen konnte und es wohl auch nicht bei sich hatte, müssen wir
davon ausgehen, dass es noch in der Hütte beziehungsweise deren Übereste
zu finden sein wird, falls sie es nicht bereits in der Zwischenzeit
geholt hat. Weiterhin gibt es Hinweise auf die Fundstelle des zweiten
Bruchstückes; dieses soll an einem Ort, der die Steinkreise der Druiden
genannt wird, versteckt sein; dabei handelt es sich um eine druidische
Grab- und Ritualstätte auf dem Gipfel eines Berges namens Wetterspitze,
der laut den Aufzeichnungen irgendwo in den oder am Rande der
Elfenwälder zu finden sein soll.“[
Elessar machte eine Pause und nahm einen Schluck
Met, bevor er fortfuhr:
“Nun, ich habe die alten
Schriften im Stadtarchiv durchgearbeitet und bin auf die Bezeichnung
eines Berges außerhalb der Elfenwälder gestoßen, die damit im
Zusammenhang stehen könnte; demzufolge existiert am dieseitigen Ufer des
Großen Flusses, in der Nähe des Coûros, der großen Insel im Fluss, ein
Berg, der in der Elfensprache Bhar’taô, also Berg des Windes genannt
wird. Ich vermute, dass dies der gesuchte Ort ist, wo die Druidenstätte
zu finden ist, die angeblich von den Geistern gefallener Druiden und
anderen Schreckgestalten bewacht wird.“
Der Paladin tippte auf eine weitere
markierte Stelle auf der Karte, wo der besagte Gipfel zu finden sein
sollte und ergriff dann den in ein Tuch gewickelten Gegenstand; langsam
öffnete er das Tuch und sprach weiter:
“Aber das wohl Wichtigste und
einen weiteren Grund für die Tatsache, dass die Druidin sich mit ihren
Wölfen immer weiter an Sha’Nurdra herangewagt hat, halte ich hier in
meinen Händen. Vor einigen Mondläufen hatten wir hier in unserer Stadt
einen diebischen Kobold, der des Nachts immer wieder in Häuser
eingedrungen ist und allerlei Wertvolles hat mitgehen lassen, bis wir
ihn eines Tages gefangen nahmen und er uns als Gegenleistung für seine
Freiheit seinen Schatz überließ. Unter dem Diebesgut befand sich auch,
wohl weil es aus purem Gold ist, dieses Stück, von dem ich fest
überzeugt bin, dass es sich um den dritten Teil der Karte handelt.“
Elessar hielt ein an zwei Seiten
stark gezacktes Stück einer goldenen Platte in die Höhe, das selbst im
recht schwachen Licht, das in der Schankstube herrschte, hell aufblitzte
und auf dessen Vorderseite Teile fremder Schriftzeichen und feine
Linien, die eine skizzierte Landkarte darstellen konnten, zu erkennen
waren.

2.
Kapitel
Elessar beobachtete gespannt, wie
einer nach dem anderen der Gefährten eintraf und sich dem Tisch näherte,
um nach einer kurzen Begrüßung Platz zu nehmen. Drax war unerwartet in
Begleitung Talyas, der hübschen Wirtin des Gasthauses in Nuru erschienen
und kurze Zeit, nachdem Silvana eingetroffen war, gesellte sich auch
eine Frau mit blauen Haaren zu ihnen an den Tisch, die der Paladin
bereits aus der Apotheke in Nuru kannte; sie brachte der Amazone ein
Wolfswelpe zurück, das sich neugierig und von Silvana unbemerkt auf eine
Entdeckungsreise im Gasthaus begeben hatte; es handelte sich wohl um den
jungen Wolf, den die Amazone nach dem Kampf gegen die Druidin in deren
Hütte gefunden hatte. So begann Elessar schließlich seinen Bericht; er
erzählte den Anwesenden, was er in den vergangenen Wochen herausgefunden
hatte und als er geendet hatte, dauerte es nicht lange, bis die ersten
Vorschläge vorgebracht wurden, wie man an diese Sache herangehen sollte.
Sehr erfreut war der Paladin über die Tatsache, dass alle Anwesenden
ohne Umschweife anboten, sich an der Suche nach den fehlenden Teilen der
goldenen Schlüsselplatte zu beteiligen und möglicherweise der Druidin
erneut gegenüber zu treten. Sie kamen überein, dass es sinnvoll wäre,
die Gruppe in zwei, von der Kampfstärke und den Fähigkeiten größtenteils
ausgewogene Teilgruppen zu bilden, die sich unabhängig voneinander zu
der Ruine der Hütte, an der sie damals gegen die Druidin gekämpft
hatten, und den Steinkreisen der Druiden auf den Weg machen sollten.
Der Berg, von dem Elessar
gesprochen hatte, konnte nach Varnayrahs Meinung ebenso der Mar’tâo sein
und der Paladin schloss nicht aus, dass er sich aufgrund des Alters und
der Verwitterung mancher Teile der alten Schriften getäuscht haben
könnte, was den Namen des Berges anging. So wollte sich die eine Gruppe
zu diesem Berg aufmachen und da der Weg über die Handelsstraße am
einfachsten schien, würden sie diesen Weg - zumindest bis zum Fuß des
Berges - zu Pferd zurücklegen. Varnayrah war überzeugt, dass dieser Ort
der gefährlichere der beiden Ziele war und entschied sich, auf jeden
Fall zu den Steinkreisen zu reiten; Kain, Talya, Perfel und Rileona
boten sich aus den verschiedensten Gründen an, die Königin zu begleiten.
Drax dagegen bot an, noch einmal die Hütte der Druidin oder besser das,
was noch von ihr übrig geblieben war, aufzusuchen, um dort nach dem Teil
der Platte zu suchen, das bereits im Besitz der Druidin gewesen sein
musste. Silvana und Tjalf wollten sich auf alle Fälle dem Zwergen
anschließen und auch Silver und Tadea zogen den Weg durch den Wald vor
und beschlossen deshalb, ebenfalls zu der Lichtung aufzubrechen. Nachdem
die Gruppenaufteilung und die Ziele der beiden Gruppen festgelegt waren,
besprachen sie noch weitere Einzelheiten und Elessar gab sich Mühe, auch
die Fragen der Gefährten nach bestem Gewissen zu beantworten. Einzig auf
Varnayrahs Frage nach dem Artefakt, das sich angeblich in dem Turm des
Schattendruiden befinden sollten, schüttelte der Paladin bedauernd den
Kopf und erwiderte:
“Unglücklicherweise habe ich
keinerlei Informationen gefunden, um welches Artefakt es sich handeln
könnte; lediglich an zwei Stellen wird die Bezeichnung Seelenstein
verwendet, aber ich kann weder sagen, ob damit dieses Artefakt gemeint
ist, noch welche Fähigkeiten dieses Artefakt haben soll.“
Während der weiteren Beratung
vereinbarten sie auch, dass sie sich am Fuße des Mar’tâos treffen
wollten, da der Weg von der Hütte der Druidin quer durch den Elfenwald
zu diesem Ort wohl das kürzeste Stück war, das eine der beiden Gruppen
auf sich nehmen müsste, um sich wieder mit der anderen zu vereinen und
so wurde beschlossen, dass die Gruppe, die zum Quellberg reiten sollte,
auch Reittiere für die Mitglieder der anderen Gruppe mitführen sollte.
Da die fünf Gefährten der „Waldgruppe“, wie Elessar sie scherzhaft
nannte, alle den Weg dorthin kannten, wollte er selbst die „Berggruppe“
begleiten, da er außer Varnayrah der Einzige war, der die Wege über die
Handelsstraße innerhalb und in der näheren Umgebung der Elfenwälder
kannte. Nachdem alles geklärt war, machten sie sich zum Aufbruch bereit
und erhoben sich von ihren Plätzen, um das Gasthaus zu verlassen und
sich nach draußen zu begeben. Noch bevor der Letzte der Gefährten
draußen angekommen war, erhob sich unbemerkt von allen eine Elster, die
auf dem Sims des offenen Giebelfensters gehockt hatte, in die Lüfte und
entschwand in Richtung Westen.
~/~
Die Druidin hatte seit ihrem
Aufbruch keine Rast mehr eingelegt und bahnte sich nun ihren Weg durch
das mannshohe Farn am nördlichen Ufer des Seerosensumpfes. Sie war nun
nicht mehr allein in Begleitung des Bären, sondern inzwischen hatten
sich vier Wölfe zu ihr gesellt, die zwar einen größeren Abstand
einhielten, aber stets die Richtung einschlugen, in die die Druidin sich
hielt. Gerade, als die Druidin den Farnstreifen hinter sich gelassen
hatte und den flachen Hang eines kahlen Hügels bestieg, hinter dem
erneut der dichte Wald mit seinem fast undurchdringlichen Unterholz auf
sie wartete, ertönte der Schrei einer Elster über ihr in der Luft und
die Druidin hielt inne. Sie streckte die Hand aus, damit die Elster
landen konnte und in den nächsten Minuten schien es, als führten die
beiden ein Zwiegespräch, währenddessen die Druidin mehrmals hysterisch
auflachte:
“So, sie wissen also Bescheid
und sind auf dem Weg zur Hütte!“ ... “Sie haben einen Teil der
Platte? Krötenschleim und Natterndreck!“ ... “Und sie haben auch
eine Vermutung, wo die Druidenstätte zu finden ist?“ ... “Eile
ist angesagt!“
Sie sandte die Elster wieder auf
den Weg und nachdem der Vogel hinter den Baumwipfeln verschwunden war,
machte sie sich eilig an den Abstieg auf der anderen Seite des Hügels
und schlug sich ins dichte Unterholz.
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Nachdem die Gefährten alles
vorbereitet hatten und bereit zum Aufbruch waren, machten sie sich auf
den Weg und verließen Sha’Nurdra durch das südliche Stadttor, um der
Straße gen Süden zu folgen. Noch bevor die Straße den Fuß des Gala’tâo
erreichte, trennten sich die Mitglieder der „Waldgruppe“ von denen der
„Berggruppe“ und schlugen sich nach Westen in die Wälder, um den Weg zu
der Hütte, den sie bereits vor einiger Zeit genommen hatten,
einzuschlagen. Immer tiefer schritten sie in die Wälder; hier hatte der
Winter kaum Spuren hinterlassen und noch immer bedeckte welkes, feuchtes
Laub den Boden. Hin und wieder kamen sie an einer Wildschweinkuhle
vorbei und zahlreiche Spuren von den unterschiedlichsten Waldtieren
waren zu entdecken.
Bald schon rückten die Bäume
dichter aneinander und auch das Unterholz wurde dichter, so dass außer
den Elfen alle, aber vor allem Drax, der keuchend und fluchend das
Schlusslicht bildete, mit dem unwirtlichen Weg durch das Dickicht zu
kämpfen hatten. Je weiter sie vordrangen und sich dem Schauplatz des
damaligen Kampfes näherten, umso düsterer wurde es und mehr und mehr der
gewohnten Stimmen des Waldes verstummten; in der Gewissheit, dass sie
nun nicht mehr fern der Hütte waren und nicht wussten, was sie dort
erwartete, gemahnten die Elfen die anderen zu größerer Vorsicht und
geringerer Lautstärke und eilten leichtfüßig ein paar Schritte voran, um
zu kundschaften. Es dauerte auch nicht mehr lange und Silver und Tadea
bemerkten die gleiche Veränderung wie damals; das Laer'sandra, das Lied
des Waldes wurde immer schwächer und klang seltsam verzerrt und das,
obwohl sie die Druidin verjagt und ihre Behausung in Schutt und Asche
gelegt hatten. Zu tief verwurzelt war das Böse an diesem Ort und es
würde noch lange dauern, bis das Leben in diesem Teil des Waldes wieder
seinen gewohnten Gang nahm. Die beiden Elfen nahmen bereits den Geruch
des längst erloschenen Feuers, der noch immer in der Luft hing, wahr und
näherten sich vorsichtig dem Rand der Lichtung. Silver wollte Tadea
gerade darauf aufmerksam machen, dass er der Meinung war, eine Bewegung
auf der Lichtung gesehen zu haben, als hinter ihnen erneut das Knacken
eines trockenen Zweiges unüberhörbar durch die Stille des Waldes drang
und von einem erstickten Fluchen gefolgt wurde.
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Die Druidin stand mit vor Wut
verzerrter Miene vor der Ruine ihrer Hütte; dort, wo sich einst ihre
Behausung befunden hatte, gähnte nur noch ein flacher schwarzer Krater,
in dem die verkohlten Überreste des wenigen Inventars, das sie besessen
hatte, zu sehen waren. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und ihre
Knöchel traten weiß hervor, doch dann schüttelte sie ruckartig den Kopf,
wie um die Wut und Trauer zu verjagen; sie trat in das Rund der
ehemaligen Hütte und schritt über den aschebedeckten Boden zu einer
bestimmten Stelle, an der sie die dort liegenden Trümmer mit dem Fuß
beiseite schob und sich bückte. Mit bloßen Händen räumte sie nun eine
dicke Schicht Laub, das wohl früher getrocknet und sorgsam
aufgeschichtet den Bodenbelag der Hütte gebildet hatte, zur Seite und
bald wurde eine Holzplatte sichtbar, die offensichtlich ein
Geheimversteck abdeckte. Sie war noch nicht ganz mit ihrer Arbeit
fertig, als ein Knacken sie aufhorchen ließ; waren da nicht auch leise
Stimmen zu vernehmen? Also waren diese Leute aus der Elfenstadt
schneller als erwartet hier aufgetaucht!
Die Druidin fluchte leise und
überlegte fieberhaft, wie sie weiter vorgehen sollte; ihre Gedanken
überschlugen sich, denn die Platte durfte dem Feind nicht in die Hände
fallen; sie würde sie an sich nehmen und sich zur Ritualstätte
aufmachen. Dann hätte sie zwar die Verfolger von nun an auf den Fersen
und würde es auf der Wetterspitze mit der ganzen Gruppe zu tun haben,
aber sie wusste ja nicht einmal, was sie dort sonst noch erwartete. Also
machte sie sich daran, die Reste der Laubdecke beiseite zu schaffen, um
die Ränder der Holzplatte freizulegen, doch dann zeugte das laute
Brummen des Bären davon, dass es zu spät war. Erneut hielt sie inne und
erhob sich, um vor die ehemalige Hütte auf die Lichtung zu treten. Sie
gewahrte die Gefährten, die sich inzwischen gesammelt hatten, am Rande
der Lichtung und ahmte das Heulen eines Wolfes nach, das sofort von vier
Wölfen in der näheren Umgebung beantwortet wurde. Sie trat neben den
Bären und rief den Gefährten zu:
“Kommt nur, meine Lieben! Ich
habe nicht vergessen, was ihr mir angetan habt! Nun werdet ihr büßen,
dass ihr IHN getötet habt!“
Die Druidin lachte hysterisch auf
und begann einen Zauber zu sprechen, wobei sie das Amulett, das sie um
den Hals trug, berührte; alsbald legte sich eine bläulich schimmernde
Aura um ihren Körper, die sich ausdehnte und nach kurzer Zeit auch den
Körper des Bären erfasst hatte. Im selben Augenblick sahen sich die
Gefährten von links und rechts den Wölfen gegenüber und gewahrten das
gefährliche Funkeln in deren gelben Augen.
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Nachdem sich die Gefährten
voneinander verabschiedet hatten und die „Waldgruppe“ sich auf den Weg
durch das Unterholz gemacht hatte, folgten die anderen der Handelstraße
entlang des Sirannon am Fuß des Gala’tâo vorbei nach Süden. Bis auf
Talya, die auf Drax’ von einem Esel gezogenen Kutsche saß, saßen die
anderen auf dem Rücken ihrer Pferde und genossen die Strahlen der
Wintersonne, die hier auf offener Straße wenigstens ein Gefühl von Wärme
zu vermitteln vermochten und so waren die meisten der Gefährten
frohgemut. Die Reittiere der anderen Gefährten trotteten angeleint
hinter der Kutsche her und da sie wegen des Gefährtes die
Geschwindigkeit gering halten mussten, hatten sie auch Gelegenheit, sich
zu unterhalten. Als die Straße über die alte Brücke führte, die im Krieg
gegen Taros zerstört und erst vor wenigen Monaten wieder aufgebaut
worden war, erzählten Elessar und Varnayrah den anderen von den
wundersamen Geschehnissen während der Restaurierungsarbeiten. So verging
die Zeit während der Unterhaltung und bald erreichten sie die
Wegscheide, die im weiteren Verlauf nach Süden nach Nighton und nach
Norden nach Drachenauge führte und sie nahmen den Weg nach Norden. Bald
erreichten sie das Dorf Jeldorf, das aufgrund seiner Glasbläsereien im
ganzen Reich bekannt war; die Hauptstraße, die durch den Ort führte, war
breit und sauber und wurde von den schmucken Häuschen wohlhabender
Handwerker gesäumt, doch die Gefährten hatten kein Auge für ihre
Umgebung, denn sie wussten, dass sie sich besser beeilen sollten. So
setzten sie ihren Weg ohne Aufenthalt fort, um knapp eine Stunde später
an den Fuß des Quellberges zu gelangen.
Sie machten sich auf die Suche nach
dem Weg, der zum Gipfel des Berges führen würde und nachdem sie zu Fuß
ein gutes Stück um den Berg herum gewandert waren, erblickten sie einen
kleinen Flusslauf, der aus dem Berg zu entspringen schien und dort am
Ufer führte ein Weg an dem Gewässer entlang, leicht ansteigend weiter in
eine Schlucht hinein. Die Gefährten suchten eine geschützte Stelle, wo
sie die Tiere zurücklassen konnten und folgten dann langsam dem Weg; mit
zunehmender Höhe wurde der Boden steiniger und aus dem anfangs breiten
Weg wurde allmählich ein Pfad aus Fels und Geröll. Der Sonnenuntergang
stand bereits kurz bevor, als der Pfad ein Stück vom Wasserlauf
wegführte, um in Serpentinen zwischen den Felsen empor zu klettern und
schließlich auf einem Plateau zu enden. Als die Gefährten sich am Rande
des Plateaus versammelten, um einen Augenblick zu verschnaufen,
gewahrten sie in der Mitte des Plateaus eine seltsame Stätte; eine große
Anzahl aus behauenen und unbehauenen Monolithen stand in unregelmäßigen
Abständen voneinander und bildeten drei fast konzentrische Kreise; in
der Mitte war ein niedriger Steinsockel zu sehen, der offensichtlich
eine Art Altar darstellen sollte. Am rechten Rand des Plateaus fiel die
Steilwand nach unten ab; wie tief konnte keiner der Gefährten von seinem
Standpunkt aus erkennen. Weit vor ihnen und linker Hand wurde das
Plateau von einer hoch aufragenden Steilwand begrenzt, wobei im
Hintergrund vor der linken Steilwand eine Ansammlung von aufrecht
stehenden, aber auch liegenden Stein- und Holzplatten und vielen kleinen
Gefäßen zu sehen war; die Art der Aufstellung ließ vermuten, dass es
sich um die Grabesstätte handelte.
Als die Gefährten sich langsam den
Steinkreisen näherten, hatten sie das Gefühl, als sei die Luft erfüllt
von unheimlichen Klängen, erzeugt vom Wind, der hier oben um die
Monolithen strich, doch alleine Rileona hatte das Gefühl, dass es sich
um Worte handelte, die sie willkommen hießen. “Mile fàilte druidh!“
lauteten die von Dutzenden Stimmen gemurmelten Worte und erzeugten in
der Druidin ein Gefühl, als käme sie nach einer langen Reise endlich
nach Hause; doch als sie zwischen die Monolithen trat und die Gefährten
ihr langsam folgten, wandelte das Murmeln sich plötzlich in ein
gequältes Stöhnen und aus allen Richtungen ertönte das Wort “Brathaidh!“
so intensiv, dass es Rileona in den Ohren schmerzte. In der aufkommenden
Dämmerung wallte ein Nebel auf, der in Minutenschnelle das ganze Plateau
erfasste, so dass man kaum noch 30 Schritt weit sehen konnte und dann
hörten alle ein schabendes Geräusch, als würde man Stein über Stein
bewegen. Ein Heulen – das Heulen des Windes? - schwoll an, das einem
fast das Blut in den Adern gefrieren ließ und schemenhafte Gestalten
wurden im Nebel sichtbar, die sich langsam auf die Gefährten zu
bewegten.
Plötzlich schien das Grauen selbst
über die Gefährten hereinzubrechen; Waffen in bleichen Knochenhänden
blitzten in dem diffusen Licht auf und rotglühende Lichtpunkte in den
leeren Augenhöhlen ebenso bleicher Schädel fixierten die Drachenritter,
als die Skelette auf sie zukamen und sich daran machten, die
unerwünschten Besucher zu attackieren. Elessar zählte ein knappes
Dutzend der Totenkrieger, die langsam ausschwärmten, um die Freunde zu
umzingeln und sie im Rund der Druidenstätte einzuschließen; als der
Kreis geschlossen war, ertönte ein höhnisches Lachen und eine Stimme, so
kalt wie Eis, sprach schneidend:
“Nur Druiden ist es erlaubt,
diesen Ort aufzusuchen! Ihr habt unsere ewige Ruhe gestört und dafür
werdet Ihr büßen müssen, allen voran die Verräterin, die euch hierher
geführt hat! Und nun, sterbt!“
3. Kapitel
Als die Wölfe angriffen, reagierten
die Gefährten blitzschnell; mit einer fließenden Bewegung hatte Drax
seinen Schild in der Hand und ließ seine Axt wirbeln, um die beiden
Wölfe zu seiner Rechten ohne Zögern zu töten. Keine der beiden Bestien
hatte den Hauch einer Chance und nach Sekunden lagen zwei blutige,
zerfetzte Kadaver am Boden. Zur gleichen Zeit hatten sich Tjalf und
Silvana den beiden Wölfen auf der linken Seite entgegen gestellt und
während der Thorwaler seinem Lehrmeister alle Ehre machte und seinen
Gegner mit einem wuchtigen Hieb erwischte, der diesen zwar nicht tötete,
aber doch davon abhielt, dem Bäcker eine größere Wunde zuzufügen, hatte
die Amazone kein Glück. Sie hatte der Bestie gerade ihren Speer in den
Körper gerammt, als ihr der kleine Welpe verschreckt zwischen den Beinen
umher lief und sie zu Fall brachte. Sofort war der Wolf, der durch seine
Verletzung rasend vor Wut war, über ihr und sie versuchte, diesen mit
den Armen davon abzuhalten, ihr die Kehle zu zerfleischen.
In der Zwischenzeit hatten die
beiden Waldelfen die Druidin und den Bären beobachtet und jeweils einen
Pfeil auf die Bogensehne gelegt; als die ersten beiden Wölfe von Drax
besiegt wurden, stieß die Druidin einen lauten Schrei aus, der den Bären
vor Wut aufheulen ließ. Das Ungetüm kam auf die beiden Elfen zu und
stellte sich drohend auf die Hinterbeine; so bedroht, zielten die Elfen
mit ihren Bögen und griffen ihrerseits den Bären an. Obwohl Silver aus
Tadeas Erzählungen von der Wirkung des Zaubers, den die Druidin mit
Hilfe des Amulettes sprechen konnte, wusste, hätte er mit einer solchen
Wirkung nicht gerechnet; er hatte zwar bedauert, auf ein Tier schießen
zu müssen, doch in der Gewissheit, dass der Bär nicht zögern würde, sie
anzugreifen, war er im ersten Moment erfreut, einen guten Treffer
gelandet zu haben. Doch im selben Moment, als der Bär vor Schmerzen laut
brüllte, fühlte der Bogner einen Schlag und einen brennenden Schmerz in
der Stirn, der ihm fast die Sinne raubte. Ebenso fühlte Tadea, die in
Erwartung der möglichen Folgen die Augen zusammenkniff, als könne sie
auf diese Art dem Unausweichlichen entgehen, einen plötzlichen Schmerz
in der rechten Schulter, kaum dass ihr Pfeil sein Ziel gefunden hatte.
Doch die Druidin schien einzusehen,
dass sie selbst mit Hilfe ihres Schutzzaubers nicht gegen die Übermacht
der Drachenritter würde bestehen können und so rief sie einen lauten
Befehl, worauf der Bär zurückwich und sich wieder zu seiner Herrin
gesellte. Dieses Kommando rettete auch Silvana vor dem sicheren Tod
durch den Wolf, dem sie nun kaum noch etwas entgegen zu setzen hatte,
denn dieser ließ von ihr ab und zog sich mit seinem noch lebenden,
ebenfalls schwer verwundeten Artgenossen jaulend in die Wälder zurück.
Die Druidin reckte derweil die Arme in die Höhe, um einen weiteren
Zauber zu wirken; sie sprach ein paar Worte in einer unverständlichen
Sprache und kaum waren diese verhallt, begann das Unterholz regelrecht
lebendig zu werden. Von allen Seiten schossen Ranken auf die Gefährten
zu und klammerten sich um Arme und Beine, entrissen den Händen Waffen
und Schilde und machten jedwede Bewegung fast unmöglich. Hämisch
beobachtete die Druidin die Eingeschlossenen und wandte sich der Ruine
der Hütte zu, um ihre begonnene Arbeit zu Ende zu bringen. Doch sie
hatte erst wenige Schritte getan, als sie sich noch einmal umwandte und
die Gefahr erkannte, da der eine oder andere sich würde befreien können
und so verschwand mit lautem Fluchen im Dunkel des Waldes.
~/~
Rileona wollte die Gefährten
warnen, doch es war zu spät; die Skelette tauchten aus dem Nichts auf
und kreisten die Gefährten ein, während eine eiskalte Stimme, die aus
dem Nichts zu kommen schien, ihnen den Tod versprach. Die Druidin suchte
nach Worten, um ihr unsichtbares Gegenüber zu beruhigen, doch ihre
Gefährten sahen nur die sich nähernde Bedrohung und griffen zu den
Waffen, um sich zu verteidigen oder dem Feind sogar zuvor zu kommen. Da
Rileona keine Reaktion auf ihre Worte vernahm, griff sie ihren Dolch und
attackierte die beiden Skelette, die sich ihr genähert hatten und nur
noch wenige Schritt von ihr entfernt standen. Obwohl sie mit ihrem
Langdolch zwei blitzschnelle Hiebe austeilte, auf die manch Gegner nicht
hätte reagieren können, gelang es einem der untoten Krieger geschickt
auszuweichen und ihr im Gegenzug mit seinem rostigen Schwert einen
brennenden Schnitt am Arm zuzufügen. Perfel, die der Freundin hatte
folgen wollen, war gestolpert und noch etwas benommen, als sie im
Steinkreis angelangte und sich plötzlich von den unzähligen Feinden
umringt sah; es gelang ihr zwar, eines der Skelette mit ihrem Speer zu
erwischen, doch schmerzte ihr Knöchel noch und sie hatte keinen sicheren
Stand, um sich entsprechend zu verteidigen, was ein weiteres Skelett
ausnutzte, um ihr eine schartigen Axt mit einer unglaublichen Wucht in
den Rücken zu schwingen.
Varnayrah sah, dass Kolkrabe sich
wagemutig in den Kampf stürzen wollte und erinnerte sich ihres
Versprechens, das sie Drax gegeben hatte und so versuchte sie, der
Wirtin zuvor zu kommen und warf sich dem Skelett, dass Talya bedrohte,
mit gezücktem Schwert entgegen. Doch zu stark waren ihre Erinnerungen an
die vergangenen Ereignisse; sie haderte mit ihrem Schicksal und wandte
sich ab, so dass sie den Schlag zu ungenau führte und auch ihre Deckung
vernachlässigte. Getroffen und verletzt war das Skelett dennoch in der
Lage, noch einen Gegenschlag anzubringen, der Varnayrah eine
schmerzhafte Wunde am Oberschenkel einbrachte. Kurz verwirrt von dem
Eingreifen der Elfe, wandte Talya sich dem nächststehenden Gegner zu und
ließ ihren Stab krachend auf die Knochengestalt niedersausen und
tatsächlich hatte sie so viel Wucht in ihren Schlag gelegt, dass der
ehemalige Torso regelrecht zersplitterte und die übrigen Knochen
klappernd zu Boden fielen.
Als Elessar die eiskalte Stimme aus
dem Nichts vernahm, die ihnen den Tod versprach, spürte der Paladin ein
Kribbeln zwischen den Schulterblättern; er hatte keine Idee, mit welchem
Wesen sie es hier zu tun hatten und wie man es besiegen sollte, doch um
sie herum waren mehr oder minder reale Feinde, die man bekämpfen konnte.
So nahm er den Kriegshammer in die Hand des Schildarms, um ihn
griffbereit zu haben und hob die rechte Hand; dann verstärkte er seine
Konzentration, um die göttliche Macht Paladins zu bündeln und schritt
auf die Feinde in seiner unmittelbaren Nähe zu. Er war gerade an Kain
vorbei geschritten, der auf den Steinaltar in der Mitte der Ritualstätte
gesprungen war, um einen Zauber wirken zu können, als ein bläulicher
Lichtstrahl aus seiner Handfläche erstrahlte und .... erstarb, kaum,
dass sie er die drei Skelette vor ihm erreicht hatte. Auch Kains Zauber
schien misslungen zu sein, denn der helle Lichtschein, den der Paladin
im Vorbeigehen bemerkt hatte, war erloschen und es war wieder dunkel um
ihn herum. Die untoten Krieger hielten zwar unschlüssig inne, doch
Elessar war nicht sicher, ob dies die Wirkung seines Bannes war oder
etwas anderes, denn plötzlich nahm die Kälte zu und die unheimliche
Stimme rief höhnisch:
“Eure Götter haben hier an
diesem Ort keine Macht!“
Obwohl er nichts vor sich sehen
konnte, spürte er einen harten Stoß und wurde so unerwartet nach hinten
geworfen, dass er ins Stolpern kam und hart mit dem Kopf gegen den
Steinaltar prallte; er meinte noch eine ihm bekannte Stimme in einer
fremden Sprache reden zu hören, dann wurde es dunkel um ihn.
Rileonas Verzweiflung wuchs, als
sie sah, dass der Gegner übermächtig zu sein schien und so flehte sie
weiter auf den Nebel ein, wo sie die Quelle der eiskalten Stimme
vermutete und tatsächlich hielten die Skelette plötzlich inne und
stellten alle Kampfhandlungen ein. Dann ertönte die Stimme erneut:
“Unschuldig? Sie sind nicht
unschuldig! Sie dürfen diese Stätte nicht betreten und stören unsere
Ruhe! Ihr wollt reden? Und bietet Euch als Opfer? Nun gut, dann
sprecht!“
Der Nebel wallte einmal kurz auf
und ein Wispern des Windes war zu hören, dann stand eine durchscheinende
Gestalt vor Rileona - sie überragte die Druidin um mindestens zwei
Handbreiten und so majestätisch, wie sie sich gab, schien sie zu
Lebzeiten stets Gehorsam und Respekt gegenüber ihrer Person gewohnt
gewesen zu sein – und sprach:
“Aber sprecht weise und wahr,
sonst wird es Euer Ende sein!“
4. Kapitel
Als die Skelette ihren Angriff
einstellten, konnten die Gefährten erst einmal aufatmen, doch blieben
sie weiterhin wachsam; die Stimme aus dem Nichts forderte Rileona zum
Sprechen auf und Varnayrah riet ihr flüsternd, den wahren Grund ihrer
Anwesenheit zu nennen, als die Elfe den bewusstlosen Paladin am Boden
bemerkte und zu ihm eilte. Sie flößte ihm einen Heiltrank ein und als
dieser nach wenigen Augenblicken wieder zu Bewusstsein kam, nickte er
ihr dankbar zu. Während Varnayrah ihm die Situation mit einigen Worten
erklärte, ließ er seine Blicke über die Ritualstätte schweifen und
gewahrte, dass nicht weit von ihnen entfernt Talya die offenbar schwer
verletzte Perfel versorgte. In dem Augenblick, in dem Kain sich zu ihnen
gesellte und Varnayrah auf ihre Verletzung ansprach, bemerkte auch
Elessar die Wunde und begann zu sprechen:
“Ich habe Dir zu danken! Aber
auch Du bist verletzt und ich sollte mir ...“
Doch er kam nicht weiter, denn das
Geschehen am Rande der Ritualstätte zog seine Aufmerksamkeit auf sich,
wo Rileona ehrfürchtig vor einer durchscheinenden Gestalt, die die
Druidin ein gutes Stück überragte, stand und nach den rechten Worten
suchte, um ihre Anwesenheit zu rechtfertigen. Gerne wäre er neben sie
getreten und hätte sie mit seinen Worten unterstützt, doch er musste
sich eingestehen, dass es besser wäre, zu schweigen und ihr das Reden zu
überlassen, da dieses Wesen ihre Anwesenheit als Frevel anzusehen
schien. So lauschte er ebenso gebannt wie die anderen den Worten
Rileonas, die sich bemühte, mit knappen Worten, doch kein ihr wichtig
erscheinendes Detail auslassend, zu erläutern, warum sie hier waren.
Dabei begann sie bei der ersten Begegnung mit der Druidin, bei der noch
niemand der Anwesenden geahnt hatte, wo dies hinführen sollte und
berichtete dann von Elessars Studien der gefundenen Dokumente und der
folgenden Suche nach den Teile des magischen Schlüssels, der den Zugang
zum Turm des Khalin Wael gewähren sollte.
Hatte die Erscheinung den Bericht
der Druidin anfangs stumm und ohne großes Interesse verfolgt, da sie
wohl der Meinung war, Rileona würde keinen annehmbaren Grund für die
Anwesenheit der Drachenritter nennen können und deren Schicksal wäre
somit bereits entschieden, entfuhr ihr bei der Nennung des Namens des
Schattendruiden ein langes, schmerzerfülltes Stöhnen, das tausendfach
aus den Schatten des Nebels beantwortet wurde und den Gefährten einen
eiskalten Schauer den Rücken hinunterjagte. Als Rileona ihre Rede
beendet hatte, erwiderte die Stimme:
“Khalin ... Seine frevlerische
Tat, begangen vor Jahrhunderten, ist der Grund, warum wir an dieser
Stätte keine Ruhe finden! Verflucht sei sein Name bis in alle Ewigkeit!“
Die Erscheinung machte eine kurze
Pause, in der sie sich die folgenden Worte zurecht zu legen schien, dann
fuhr sie fort:
“Euer Erscheinen an dieser
Stätte mag ein Verrat sein, der kein Erbarmen verdient, doch könntet Ihr
Euch von Eurer Schuld reinwaschen, wenn Ihr uns im Gegenzug zu der Ruhe
verhelft, die wir uns seit ewigen Zeiten herbei sehnen ... So höret!
Ich bin ... war ... der
Erzdruide Falnor; mir oblag die Verantwortung für diese Ritualstätte, an
der zu meinen Lebzeiten alle Druiden des damaligen Reiches sowohl zu den
Festen der Tag- und Nachtgleiche, als auch zu Trauerfeiern erschienen.
Khalin, der mein Schüler war, half mir stets bei den Vorbereitungen der
Feierlichkeiten oder der Begräbniszeremonien und erlernte mit der Zeit
alles, was auch ich wusste. Doch dieses Wissen war ihm nicht genug; er
gierte nach Reichtum und Macht und studierte heimlich die verbotenen
Schriften, um seine Macht zu vergrößern. So wurde er von uns verbannt
und zog aus, um – wie wir später erfuhren – in einem dunklen Turm an
einem unbekannten Ort sein Dasein als Einsiedler zu fristen und sich
dort seinen Studien zu widmen und paktierte schließlich mit dem Bösen,
um seine Ziele zu erreichen.
Viele Jahre hatten wir nichts
mehr von ihm gehört, als er eines Tages unerwartet auf dem Ostara-Fest
erschien; er beschimpfte alle anwesenden Druiden und als wir ihn der
Stätte verweisen wollten, lachte er hysterisch auf und man erkannte den
Wahnsinn in seinem Blick. Er verhöhnte uns und versprach, dass wir ihm
von nun an zu Diensten sein werden; kaum hatte er diese Worte
gesprochen, beschwor er einen Blitz aus heiterem Himmel und im nächsten
Augenblick waren alle Druiden, die auf dem Fest weilten, tot. Doch wir
erwachten nicht, wie wir es nach dem Tod - wenn er uns denn einmal
ereilt - erwarten, in den Gärten unserer aller Mutter; nein, etwas war
falsch, denn wir waren gefangen in dieser ... Zwischenwelt und Khalin
hatte Macht über uns.“
Für einen Moment schien Falnor in
Erinnerungen zu schwelgen, dann senkte er bedauernd den Blick zu Boden
und es dauerte einen Moment, bis er wieder aufschaute. Er zeigte auf den
Altar in der Mitte der Steinkreise und sprach:
“Seht den Altar! Wenn Ihr genau
hinschaut, werdet Ihr erkennen, dass er beschädigt ist; der Blitz hat
einen großen Splitter herausgeschlagen und in diesem hat Khalin unsere
Seelen gefangen. Von diesem Tage an hatte er Zugriff auf unsere Kräfte
und konnte diese für seinen bösen Zwecke benutzen, wann immer er wollte,
doch lange Zeit nun hat er uns nicht mehr gerufen und wir denken, dass
auch er inzwischen den Weg zu unserer aller Mutter genommen hat - wenn
sie seiner verdorbenen Seele denn Zutritt in ihr Reich gewährte. Doch
solange der Splitter nicht zurück an seinen Platz gebracht wurde, irren
wir ruhelos umher und finden keinen Frieden!“
Inzwischen war die Stimme des
ehemaligen Erzdruiden lange nicht mehr so kalt und schneidend wie zu
Anfang und trotz seines weiterhin unbarmherzigen Blickes flehte er
Rileona nun fast an:
“Wenn nun eine weitere Druidin
den dunklen Wegen Khalins folgt, muss auf jeden Fall verhindert werden,
dass sie Erfolg hat, damit wir endlich in Frieden ruhen können. Sie darf
den Splitter auf keinen Fall in die Hände bekommen! So stellen wir es
Euch anheim, dies zu verhindern, doch wir bitten Euch nicht; Ihr habt
damit die Möglichkeit, Eure Schuld zu sühnen und Eure bereits verwirkten
Leben zurück zu gewinnen. Wenn ein jeder von Euch schwört, dass er sein
Möglichstes tun wird, den Splitter vor der Druidin zu finden und ihn
hierher zu bringen, sei es Euch erlaubt, die Stätte unbehelligt zu
verlassen. Doch versucht nicht, uns zu täuschen!“
Falnor machte eine kurze Pause, um
seine Worte wirken zu lassen und fuhr dann fort:
“Das gesuchte Bruchteil des
Schlüssels findet Ihr in einer der Urnen bei meinem Grab dort hinten;
ein Nachfahre meiner Sippe, der noch auf den rechten Pfaden wandelt, hat
es vor Jahren hier hinterlegt, um es möglichst sicher aufzubewahren, bis
alle Teile gefunden wären. Wenn Ihr Euch entschließt, uns zu helfen, so
mögt Ihr bis zum Morgengrauen ohne weitere Störung hier rasten, denn der
Abstieg bei Nacht ist sehr gefährlich. Sprecht, wie lautet Eure
Entscheidung?“
~/~
Nur wenige Augenblicke benötigten
die Ranken, um die Gefährten einzuschließen und die Druidin nutzte die
Gelegenheit, um sich wieder der Ruine ihrer Hütte zuzuwenden, doch sie
hatte erst wenige Schritte getan, als sie hinter sich bereits das
Geräusch splitternden Holzes hörte. Sie fuhr herum und gewahrte, dass
einige der Drachenritter kurz davor waren, sich aus der Umklammerung der
Pflanzen zu befreien. Tjalf, dem die Kampfaxt von einer der Ranken
entrissen worden war, war es gelungen, die kleinere Axt, die er am
Gürtel trug, zu ergreifen und er hatte begonnen, wild auf das Gestrüpp
einzuhacken und der zierlichen Elfe war es gelungen, sich flink dem
Zugriff der nach ihr fassenden Ranken zu entziehen. Die Druidin
überblickte die Lage und entschied sich dann, unverrichteter Dinge die
Lichtung zu verlassen; sie ahmte erneut das Heulen des Wolfes nach und
rief dem Bären einen Befehl zu und verschwand mit lautem Fluchen in der
Dunkelheit des Waldes. Eine Zeit lang war das Keifen der Alten noch zu
hören, doch je weiter sie sich entfernte, umso leiser wurde es, um
schließlich zu verstummen.
In der Zwischenzeit hatte Tjalf
sich vollständig befreit und machte sich gemeinsam mit Tadeas daran, dem
noch immer eingeschlossenen Drax zu Hilfe zu eilen. Der Zwerg hatte sich
mit aller Kraft gegen die Ranken gestemmt und versucht, sie regelrecht
zu zerreißen, doch statt dessen hatte er sich nur immer mehr verheddert,
so dass er nun vor Wut schäumte; er stieß lauthals Flüche in der
Zwergensprache, die sonst niemand der Anwesenden verstand, aus und als
er endlich seine Hände frei hatte und seine Axt zu fassen bekam, ließ er
seine Wut an den noch immer seine Beine umschlingenden Pflanzen aus.
Auch Silvana war es gelungen, mit Hilfe des Welpen an ihren Speer zu
gelangen, der von einer der Ranken erfasst und außer Reichweite
geschleudert worden war und so befreite auch sie sich nach einiger Zeit
von ihren natürlich gewachsenen Fesseln und begab sich anschließend zu
Silver, der aufgrund seiner Verletzung nicht in der Lage war, sich
selbst zu befreien.
In dem Maße, wie die Druidin sich
entfernte, ließ auch der Zauber nach und so zogen sich letztendlich auch
die letzten Reste der sich noch immer windenden Ranken zurück und
nachdem alle Gefährten schon einige Augenblicke wieder frei waren,
machten sie sich daran, auch die letzten verlorenen
Ausrüstungsgegenstände aufzusammeln. Silver nahm einen seiner Heiltränke
ein, um die Wunde und die Schmerzen, die der Zauber der Druidin ihm
zugefügt hatte, zu behandeln und machte sich dann auf die Suche nach
Spuren, die die Flüchtende möglicherweise hinterlassen hatte. Drax, der
noch immer grummelnd und brummelnd vor sich hin fluchte, achtete nicht
auf Tadeas Spott, sondern schlug stattdessen vor, die Ruine zu
untersuchen, damit er endlich aus dem Wald raus käme. Die übrigen
Gefährten stimmten dem Vorschlag zu und eilten auf die verkohlten
Überreste zu. Noch bevor Tjalf einen Fuß über die ehemalige Schwelle
setzen konnte, schoss der Wolfswelpe an ihm vorbei und huschte auf die
Stelle zu, an der einige Zeit zuvor noch die Druidin gekniet hatte;
knurrend blieb er dort stehen und kratzte mit den Pfoten an etwas herum.
Als der Bäcker neben ihm stand, gewahrte dieser die fast vollständig
freigelegte Holzplatte und mit einem Ausruf, der die Aufmerksamkeit der
anderen auf ihn lenken sollte, ließ er sich auf die Knie nieder und
begann die Platte freizulegen. Nachdem er soweit gekommen war, dass er
mit den Händen unter den Rand fassen konnte, hob er die Platte an, um
darunter ein Erdloch zu finden, in dem eine Phiole mit einer schwarzen
Flüssigkeit und ein Wolfsfell lagen. Der Bäcker nahm beides an sich und
erst, als er das Wolfsfell in den Händen hielt, bemerkte er, dass etwas
darin eingewickelt war; er öffnete das Bündel und zum Vorschein kam ein
Stück einer goldenen Platte, das demjenigen, das Elessar ihnen vor ihrer
Abreise im Gasthaus gezeigt hatte, ähnelte.
Silver war den Spuren ein Stück in
den Wald gefolgt und hatte tunlichst darauf geachtet, der Druidin nicht
alleine über den Weg zu laufen; als er sicher war, dass sie die Richtung
zum Quellberg und damit zu der Druidenstätte eingeschlagen hatte, machte
er sich auf den Rückweg zu seinen Gefährten und kam just in dem Moment
zurück, als Tjalf sich wieder erhob und den anderen das Bruchstück der
goldenen Platte präsentierte. Nachdem Silver ihnen berichtet hatte,
wohin die Spuren der Druidin führten, einigten sie sich, ihr sofort zu
folgen und sich somit auf schnellstem Wege zum verabredeten Treffpunkt
zu begeben. So marschierten sie los und schon bald schlugen sie sich
erneut mühsam durch das dichte Unterholz, um den Elfenwald in
südwestlicher Richtung zu durchqueren; obwohl es inzwischen Nacht
geworden war, spendete der Vollmond den beiden Elfen genug Licht, so
dass sie keine Schwierigkeiten hatten, sich in den Wäldern zu
orientieren und bald schon wurde das Unterholz wieder lichter und dann
wichen auch die Bäume zurück und gaben den Blick auf das mondbeschienene
Flachland zwischen dem Waldrand und dem Quellberg, der sich in der Ferne
erhob, frei. Angespornt von diesem Anblick, schritten die Gefährten umso
schneller aus und so gelangten sie im Morgengrauen an die Stelle, an der
die andere Gruppe ihre Reittiere zurückgelassen hatte.
~/~
Fluchend eilte die Druidin neben
dem Bär in den Wald, begleitet von dem Stakkato der Axtschläge, mit dem
Tjalf und Drax das Gestrüpp zu Kleinholz verarbeiteten. Als die
Geräusche endlich hinter ihr verstummten, war sie sicher, dass sie nun
außer Reichweite war und verhielt ihre Schritte; kurz darauf gesellten
sich auch schon die beiden Wölfe zu ihr und näherten sich leise winselnd
und demütig der Druidin, doch diese hatte nur einen verächtlichen Blick
für die beiden übrig und zischte:
“Geht mir aus den Augen,
nutzloses Getier! So leicht lasst ihr euch von einer Handvoll
Zweibeinern besiegen!“
Ihre Worte wichen einem
unverständlichen Gemurmel, das jedoch plötzlich verstummte; die Alte
lachte auf und rieb sich die Hände, dann sprach sie mehr zu sich selbst,
als zu dem Bär und den Wölfen:
“Wie sinnlos, sie um der
Bruchstücke willen zu bekämpfen! Sollen sie doch die Drecksarbeit machen
und mir den Seelenstein auf dem silbernen Tablett servieren...“
Darauf stieß sie einen lauten Pfiff
aus, der die Elster herbei rief, die sich wie gewohnt auf der
dargebotenen Hand niederließ; nachdem die Druidin leise auf den Vogel
eingeredet hatte, erhob dieser sich wieder in die Luft und flog in
südwestlicher Richtung davon. Die Alte sah dem Vogel nach, dann winkte
sie die Wölfe mit einem geringschätzigen Blick herbei und erbarmte sich,
deren Wunden zu versorgen; als sie ihre Arbeit beendet hatte, machte
auch sie sich mit ihrer tierischen Gefolgschaft auf den Weg.
5. Kapitel
Kaum hatte Falnor seine Rede
beendet und eine Entscheidung der Gefährten gefordert, als auch bereits
jeder der Reihe nach vortrat und aus dem einen oder anderen Grunde seine
Hilfe zusagte; nicht jeder leistete den geforderten Schwur, doch schien
der Erzdruide zu merken, wie entschlossen die Drachenritter waren, der
Druidin das Auffinden des Seelensteines zu verwehren. Auch Elessar war
vor Falnor getreten und hatte dem Druiden seine Unterstützung
versprochen:
“Auch wenn Ihr vor einiger Zeit
noch sagtet, dass mein Gott hier keine Macht habe, so verspreche ich
Euch bei seinem Namen, dass ich mein Möglichstes tun werde, um die Euch
widerfahrene Ungerechtigkeit zu sühnen und dem Bösen Einhalt zu
gebieten!“
Falnor hatte jedem der Gefährten
mit einem Nicken gedankt und nach einem erneuten Hinweis, wo sie das
Bruchstück der goldenen Platte suchen sollten, war er ebenso plötzlich
verschwunden, wie er zuvor aufgetaucht war; auch die Skelettkrieger
waren nicht mehr zu sehen und so entspannten sich die Drachenritter nach
und nach und machten sich als Erstes daran, ihre Wunden zu versorgen.
Varnayrah sah sich auf dem Plateau um und da der Nebel sich inzwischen
auch aufgelöst hatte, konnte sie im Licht des Mondes genug erkennen, um
alsbald etwas Weißmoos zu finden, von dem sie eine Sode mittels eines
Lederbandes auf der ihr zugefügten Wunde befestigte, um eine Entzündung
zu verhindern. Dann begab sie sich mit den anderen zu den Gräbern, um
die dort herumstehenden Urnen zu durchsuchen. Da die Grabplatten nicht
beschriftet waren, wussten die Gefährten nicht, wie sie das Grab Falnors
identifizieren sollten und so hatten sie eine Zeit lang zu tun, bis
Perfel endlich erfreut auflachte. Sie hatte gerade wieder eine der Urnen
in die Hand genommen und sie geschüttelt, um am Geräusch den Inhalt zu
identifizieren und nun hatte sie anscheinend die richtige Urne gefunden;
sie öffnete die Urne, griff hinein und hielt dann das gesuchte
Bruchstück in die Höhe. Elessar trat zu ihr und nahm den Teil der
goldenen Platte mit einem dankbaren Nicken entgegen, warf jedoch nicht
mehr als einen kurzen Blick darauf, weil im Dunkeln keine Einzelheiten
erkennbar waren.
Schließlich versuchten die
Gefährten ein wenig Ruhe zu finden und verbrachten den Rest der Nacht
mehr oder minder in ihre Decken eingehüllt, um der Kälte nicht allzu
sehr ausgeliefert zu sein. Kurz bevor der Morgen graute, packten sie
dann ihre Habseligkeiten zusammen und machten sich auf den Weg zurück zu
den Pferden und fragten sich, wie es den anderen wohl ergangen war. Nach
dem mühsamen Abstieg, der sie erneut mehr als eine Stunde kostete, kamen
sie dann am oberen Ende des Pfades an, wo dieser vom sandigen Feldweg,
der aus dem Tal herauf führte in den steinigen, unwegsamen Pfad im
Gebirge überging und sahen von ihrem Standpunkt aus, dass ihre Gefährten
bereits auf sie warteten. Erfreut beschleunigten sie ihre Schritte und
begrüßten alsbald die anderen.
~/~
Unter der Führung der beiden
Waldelfen hatten Tjalf, Drax und Silvana den Elfenwald hinter sich
gelassen und waren schließlich glücklich, aber erschöpft an der Stelle
angekommen, an der die anderen die Pferde zurückgelassen hatten. Während
die beiden Elfen sich mit etwas Wasser erfrischten und sich dann etwas
Ruhe gönnten, begrüßten die anderen erst einmal ihre Reittiere, die sie
nun eine Zeit lang nicht mehr gesehen hatten, dann wandten auch sie sich
dem Inhalt ihrer Rucksäcke zu und aßen und tranken etwas. Tjalf hatte
wie gewöhnlich eine Flasche seines Selbstgebrannten bei sich und bot
diesen reihum an, stieß jedoch dieses Mal auf wenig Gegenliebe. So nahm
er einen großen Schluck und genoss dann einen Laib frischen Brotes. Dann
machten es sich alle so weit es möglich war, unter den Bäumen gemütlich
und warteten auf die Rückkehr der anderen Gruppe, die auch nicht mehr
lange auf sich warten ließen. Alsbald konnte man ihre Stimmen vernehmen
und dann erschienen sie auch schon am Ende des Pfades, der den Berg
hinauf führte.
Nachdem die Gefährten sich begrüßt
und die Neuigkeiten über die zurückliegenden Ereignisse ausgetauscht
hatten, nahm Elessar das Bruchstück der goldenen Schlüsselplatte hervor
und ließ sich von Tjalf und Perfel die beiden anderen Bruchstücke
aushändigen; er legte sie nebeneinander auf das Tuch, in dem das Teil
aus Sha'Nurdra eingeschlagen war und dann betrachteten die Gefährten die
vollständige Platte, die neben der Inschrift "Gun till do cheum, as gach
ceàrn, fo rionnag-iùil an dachaidh", noch einige Symbole und eine
stilisierte Karte aufwies. Elessar blickte Rileona fragend an und
deutete auf die Inschrift, die wohl in der Druidensprache gehalten war
und sie wohl die Einzige wäre, die die Worte übersetzen könnte. Dann
wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Platte zu und studierte die
Symbole und die Karte. Die Symbole waren in mehrere Gruppen eingeteilt,
wobei die erste Gruppe aus einer Mondsichel über einem Berg und einem
Kreuz bestand, die zweite Gruppe zeigte eine Art Tor zwischen zwei
Bäumen, die dritte einen Turm und einen durch eine horizontale Linie
zweigeteilten Kreis, wobei die untere Kreishälfte mit kurzen
strahlförmigen Linien versehen war, und die vierte wiederum aus einem
regelmäßigen Viereck und einer geöffneten Tür bestand. Auf der Karte
selbst konnte man bei genauem Hinsehen ebenfalls ein Kreuz erkennen und
der Paladin zeigte erst auf das Kreuz oben und dann auf das in der Karte
und sprach:
"Seht, dieses Kreuz scheint den
Ort zu kennzeichnen, an dem sich der Turm des Schattendruiden befindet.
Die Symbole scheinen eine Art Bildersprache zu sein, denn das Symbol
neben dem Kreuz weist auf den Namen des Standortes hin. Die Berge dort
nennt man Mondberge und ich bin - wie jeder, der bereits nach Nuru
reiste - schon oft an ihnen vorbei gekommen."
Zweifelnd schaute Elessar die
anderen an und fuhr fort:
"Allerdings ist mir von der
Straße aus noch nie ein Turm aufgefallen; ob er auf der Straße
abgewandten Bergseite steht? Und was die weiteren Symbole uns wohl sagen
wollen? Wie auch immer, wir sollten uns auf den Weg machen, dann könnten
wir den Fuß des Gebirges am Nachmittag erreichen."
Elessar umwickelte die Bruchteile
der goldenen Platte sorgfältig mit dem weißen Tuch und steckte sie in
seinen Rucksack, während die Gefährten begannen, alles für die
Weiterreise vorzubereiten; alle waren zu beschäftigt, um die Elster zu
bemerken, die sich aus einem der Baumwipfel in die Luft erhob und gen
Süden flog. Alsbald machten die Drachenritter sich dann auf den Weg und
nahmen die Straße, die sie hergeführt hatte. Sie trieben ihre Pferde
gerade so weit an, dass Drax' Esel keine Schwierigkeiten hatte, dem
Tempo zu folgen und nachdem sie Jeldorf durchquert hatten, erreichten
sie schon bald die Brücke über den Sirannon. Nun ging es stetig weiter
in Richtung Nighton und als sie gegen Mittag die Zwergenstadt am
Horizont auftauchen sahen, nahmen sie Wegscheide nach Westen, die sie
zur Straße nach Nuru führen würde. Am frühen Nachmittag kamen sie an den
ersten Ausläufern der Mondberge an und folgten der Straße, wobei sie
ständig die Bergseite von der Straße aus im Auge behielten. Da sie
während des Rittes immer wieder über die Symbole auf der goldenen Platte
diskutiert hatten, dauerte es nicht mehr lange, bis einer der Gefährten
die anderen auf etwas aufmerksam machte, was er entdeckt hatte.
~/~
Freudig erregt hielt die Druidin
die Hand empor, damit die Elster sich darauf niederlassen konnte; die
Alte konnte es kaum abwarten, die Neuigkeiten des Vogels zu vernehmen
und als sie alles erfahren hatte, nickte sie und kicherte:
“Sie sind also auf dem Weg! Dann
werden wir ihnen ein herzliches Willkommen bereiten!“
Sie schaute sich um und schien
etwas zu suchen, doch um sie herum war weit und breit nur weißes,
durchscheinendes Gestein zu sehen. Schließlich schien sie jedoch das
Gewünschte erblickt zu haben, denn sie schritt zu einer Stelle etwa zehn
Schritt von ihr entfernt und blickte in die Tiefe; dann murmelte sie:
“Jawohl und anschließend werde
ich die Bruchstücke einfach so aus ihren verrottenden Überresten
aufsammeln!“
~/~
Die Straße war bereits seit einiger
Zeit von hohen Bäumen gesäumt, doch an einer Stelle standen zwei
besonders hohe Eichen, die, wenn man genau darauf achtete, eine Art Tor
mit ihren ausladenden Ästen bildeten. Und in der Düsternis des
Waldstreifens dahinter konnte man einen Weg ausmachen. Die Gefährten
verließen die Straße und näherten sich dem "Tor" und je näher sie kamen,
umso deutlicher erkannte man, dass der Weg, nachdem er den Waldstreifen
durchquert hatte, nach einigen Schritt durch eine Schlucht und an deren
Ende in einer sanften Biegung stetig ansteigend in die Berge führte. Da
ihr Ziel augenscheinlich am Ende dieses Weges lag, kamen die
Drachenritter überein, ihre Pferde und den Esel samt Kutsche erneut
zurückzulassen und wählten dafür eine Art kleine Lichtung, die sie am
Rande des Waldstreifens entdeckten; sie versorgten die Tiere, damit sie
in der Zeit ihrer Abwesenheit Futter und Wasser hätten und nahmen dann
ihre Ausrüstung zur Hand, um sich auf den Weg zu machen.
So folgten sie dem Weg durch die
kleine Schlucht und nachdem sie an der Biegung ankamen, gewahrten sie,
dass der Weg sich weiterhin steil nach oben winden würde und sich, so
weit sie das überblicken konnten, entweder dicht an den Abhängen vorbei
wand oder erneut in tiefen Schluchten verschwand. Nach einiger Zeit
durchquerten sie erneut eine dieser Schluchten, deren Wände sich steil
nach oben wanden und fast hatten sie das Ende der Schlucht erreicht,
als sie über sich das Klacken eines losen Steines vernahmen. Dann konnte
man ein höhnisches Lachen hören und im nächsten Moment weitete sich das
Geräusch des fallenden Gesteins aus; jemand schrie "LAWINE!" und
jeder der Gefährten drückte sich an die ihm nächstgelegene Wand oder
versuchte, sich mit einem waghalsigen Sprung aus der Gefahrenzone zu
retten.
6. Kapitel
Langsam verzogen sich die
Staubwolken, die die herunterstürzenden Geröllmassen aufgewirbelt hatten
und die Gefährten, die unverletzt geblieben waren, schauten sich hustend
nach den anderen um, um zu sehen, wer nicht so viel Glück gehabt hatte
und der Hilfe bedurfte. Drax, der sich seit dem ersten Schritt in diesem
Gebirge in seinem Metier fühlte, reagierte als Erster und gewahrte, dass
einer der Ihren fehlte; Tjalf, der Bäcker war nirgends auszumachen! Aus
dem Augenwinkel erblickte der Zwerg einen Axtstiel und ihm bekannten
Helm inmitten eines Schuttberges und sofort machte er sich daran, die
Steinbrocken beiseite zu schaffen. Tadea, die ebenfalls unverletzt
geblieben war und nicht weit von Drax entfernt stand, erkannte, um wen
Drax sich da bemühte und versuchte, so weit es ihre geringen Kräfte
zuließen, zu helfen; so dauerte es nicht lang und der geschundene Körper
des Thorwalers war befreit und der Zwerg konnte ihm mit Hilfe eines
Heiltrankes wieder auf die Beine helfen. Nur wenig später war Tjalf so
weit wieder hergestellt, dass er die ganze Angelegenheit mit einem
seiner gewohnten Witze beiseite schob und dem Gevatter zum Dank einen
Schluck seines Selbstgebrannten anbot.
Kain und Silvana hatten auch wenig
Glück gehabt und waren durch herumwirbelnde Gesteinsbrocken mehr oder
weniger hart getroffen worden; Silvana hatte sich mit einem waghalsigen
Sprung zwar aus der größten Gefahren retten können, doch war sie nicht
ohne Verletzung geblieben. Sie hatte es sich jedoch in den Kopf gesetzt,
erst Kain helfen zu wollen, der diese jedoch scheinbar nicht annehmen
wollte. So schaute sich die Amazone nach ihrem Wolfswelpen um, den sie
nirgends entdecken konnte. Sie wollte sich gerade auf die Suche nach ihm
machen, als ihr Silver mit Shanja auf dem Arm entgegen kam; der Waldelf
war durch einen tollkühnen Sprung der Lawine entgangen und hatte sich,
nachdem die Gefahr vorüber war, auf die Suche nach Verletzten gemacht;
dabei hatte er das Wimmern des Welpen unter einem Steinblock gehört und
sie daraufhin erfolgreich und unverletzt geborgen.
Alle anderen waren wie durch ein
Wunder ebenfalls unverletzt geblieben und nachdem Perfel Kains und
Silvanas Wunden versorgt hatte, ohne ein Wort der Widerrede zu dulden,
machten die Gefährten sich bereit, dem Weg weiterhin zu folgen, um
möglichst vor Sonnenuntergang ihr Ziel, welches dies auch immer sein
mochte, zu erreichen. Immer höher wand sich der Pfad nun um das Zentrum
dieses Gebirgsmassivs, doch führte er nun nicht mehr durch enge
Schluchten, sondern drückte sich immer öfter eng an die Bergwand, so
dass sie stets auf einer Seite am Abgrund entlang wanderten, während die
andere Seite des Weges durch eine Steilwand begrenzt wurde. Würden sie
an einer solchen Stelle erneut in einen Hinterhalt geraten, was sie noch
immer ständig befürchten mussten, hätten sie wohl kaum eine Chance auf
Rettung gehabt. Doch alles blieb seltsam still und schließlich gelangten
sie auf ein Hochplateau, an dessen äußerstem Rand ein Turm zu sehen war.
Und was für ein Turm: gerade so hoch, dass er die Gipfel, die sie gerade
umrundet hatten, nicht überragte und aus demselben weißen, fast
durchscheinenden Gestein gebaut, aus dem das Gebirge selbst bestand, so
dass es fast schien, er sei von einem riesenhaften Steinmetz oder mit
Hilfe von Magie aus einem riesigen Monolith des Gebirges getrieben
worden.
Vom Rand des Plateaus aus konnte
man einen weiten Blick über das Land werfen, der von der Plattform des
Turmes wohl noch weitreichender sein musste; unter sich sahen sie eine
Ortschaft am Rand eines kleineren Waldes und dahinter am Horizont konnte
man Nebel über einer Hügellandschaft und im Norden einen weiteren,
größeren Wald erkennen, aber weit und breit keine hohen Gipfel des
Drachengebirges. Kein Wunder also, dass keiner von ihnen – und wohl auch
kein Reisender auf der Straße nach Nuru vor ihnen – den Turm bemerkt
hatte! Sein Fundament schmiegte sich an einer Seite eng an die Felswand
und von ihrem Standpunkt aus waren weder Tür, noch Fenster erkennbar; da
sich auf dem Plateau jedoch nichts regte, schritten sie langsam und
vorsichtig nach allen Seiten sichernd weiter, um sich dem Turm zu
nähern. Einige Schritte neben dem Turm stieg der Pfad, den sie gekommen
waren, auf einer Art natürlichen Gesteinstreppe nach oben zu einem
zweiten, wesentlich kleineren Plateau - welches sich etwa fünf Schritt
über ihrem Standpunkt befand, doch auch dort war von hier unten niemand
zu sehen - und schlängelte sich dann an der sich im Hintergrund
befindlichen Felswand weiter nach oben Richtung Gipfel. Inzwischen hatte
die Sonne den Horizont erreicht, so dass der Tag sich dem Ende neigte
und der Turm von ihren letzten Strahlen beschienen wurde.
Nachdem sie den Turm erreicht
hatten und sich die Mauern genauestens angeschaut hatten, ohne eine Tür
zu finden, ließ Elessar sich auf dem Boden vor dem Turm nieder und
breitete erneut das Tuch vor sich aus, um die Bruchstücke der goldenen
Platte zusammenzusetzen. Bei ihrer letzten Rast hatten sie bereits
versucht, die verbliebenen Bilderrätsel zu lösen und nachdem jeder seine
Ideen eingebracht hatte, waren sie zu dem Schluss gekommen, dass es das
Beste sei, mit einer endgültigen Deutung zu warten, bis sie den Turm
erreicht hätten. Dieser Zeitpunkt schien nun, da sie nicht weiter
wussten, gekommen und so ergriff Elessar, nachdem er die Platte
zusammengesetzt hatte, das Wort:
“Freunde, lasst mich noch einmal
zusammenfassen, was bisher zu den gelösten Rätseln gesagt und zu den
ungelösten Rätseln vorgeschlagen wurde: das erste Symbol haben wir – wie
es scheint, erfolgreich – als den Ort identifiziert, wo wir den Turm
finden können, nämlich die Mondberge, wo wir uns just in diesem Moment
befinden. Auch das zweite Symbol haben wir als einen entscheidenden
Hinweis erkannt, als wir das natürliche „Tor“ zwischen den Bäumen am
Fuße des Gebirges entdeckten. Zum dritten Symbol wurde gemutmaßt, dass
es uns den Zeitpunkt nennen soll, zu dem der Turm betreten werden kann,
nämlich den Tag der Tag- und Nachtgleichen, was anhand der
Aufzeichnungen der Druidin als fast gesichert angesehen werden kann. Und
wie diese Aufzeichnungen besagen, soll diese vor uns liegende Platte
ebenso Karte wie Schlüssel zum Turm sein, so dass das vierte Symbol –
wie Varnayrah vermutete – wohl ebendiesen Hinweis geben soll.
Nun, wie Varnayrah bestätigen
kann, wird in Sha’Nurdra in den kommenden Tagen das Liuyar’nurdra, das
Fest zum Frühlingsanfang begangen werden, so dass ich – unter der
Voraussetzung, dass die Zeitrechnung des Schattendruiden sich nicht
erheblich von der unsrigen unterscheidet - mutmaße, dass der Tag der
Frühjahrs-Tag- und Nachtgleiche der heutige Tag ist. Wenn meine
Vermutung stimmt, ist die Frage jedoch, wie und vor allem wo sollen wir
die Platte als Schlüssel verwenden?“
Noch während der Paladin gesprochen
hatte, war die Sonne vollends untergegangen und für einen Moment
schauten die Gefährten sich verdutzt an, denn statt der erwarteten
Dunkelheit gewahrten sie um sich herum ein seltsames Glimmen des weißen
Gesteins, das es ihnen ermöglichte, weiterhin die Einzelheiten ihrer
näheren Umgebung zu sehen; erst ein Blick zum Firmament versicherte
ihnen, dass es inzwischen tatsächlich Nacht war.
So diskutierten sie weiter und als
der Mond aufging, lieferte auch er, da er noch immer fast völlig rund
war, entsprechend viel Licht, so dass sie erneut mehrmals die
Grundmauern abschritten, um einen Einlass zu finden, doch vergebens.
Inzwischen war der Mond auf seiner Bahn ein gutes Stück gewandert und
Mitternacht rückte näher, als Elessar in die Runde fragte, ob noch
jemand eine Idee habe, wie man das Problem angehen sollte. Da deutete
einer der Gefährten mit einem überraschten Ausruf auf die Turmmauer und
als alle sich umdrehten, gewahrten sie das, was sich ihnen im Mondlicht
offenbarte: fahl schimmernd sah man das Abbild einer bogenförmigen Tür
auf dem Gestein, umrandet von allerlei Symbolen, die wohl den Mond in
allen seinen Phasen repräsentierten und überspannt von eben jenem
Schriftzug, der auch auf der Platte prangte „Gun till do cheum, as
gach ceàrn, fo rionnag-iùil an dachaidh“. Und dort, wo man bei einer
realen Tür die Klinke vermutete, war ein ebenso fahl schimmerndes
regelmäßiges Viereck zu sehen, das bei genauem Hinsehen eine flache
Vertiefung in der Größe der goldenen Platte aufwies. Ehrfürchtig trat
Elessar näher und befühlte die Erscheinung, doch außer dem kalten
Gestein war nichts zu bemerken; so nahm er die Bruchstücke der Platte
und setzte sie vorsichtig in diese Vertiefung ein, doch nichts geschah.
Stirnrunzelnd entnahm er die Bruchstücke wieder und betrachtete die
Vertiefung genauer und gewahrte, dass sie ein spiegelbildliches Abbild
der Platte war; also setzte er die Bruchstücke erneut ein, dieses Mal
mit der Symbolseite zur Wand hin, und als er das letzte Bruchstück
eingepasst hatte, war ein lautes Klicken zu vernehmen, dem ein Rumpeln
folgte. Der Priester trat einen Schritt zurück und einen Augenblick
später öffnete sich wie von Geisterhand eine zuvor nicht da gewesene Tür
in der Turmmauer und gab den Blick auf das - seltsamerweise hell
erleuchtete - Innere des Turmes frei.
Nichts rührte sich drinnen, so weit
das Auge blicken konnte und Elessar trat ein, wobei er zuvor
sicherheitshalber seinen Schild und seinen Kriegshammer zur Hand nahm,
um im Notfall gewappnet zu sein, doch in dem Raum, den er betrat, war
keine Menschenseele zu sehen. Er blieb im Eingang stehen und ließ seinen
Blick umher schweifen; der Vorraum, oder was es auch war, war halbrund
und zeigte in der Stirnwand direkt vor ihm zwei geschlossenen Türen.
Linkerhand führte eine sich innen an der Außenmauer entlangwindende
Treppe nach oben, wobei der Vorraum offen gehalten war und den Blick bis
zur zwei Stockwerke über ihnen liegenden Decke, die wohl die Plattform
des Turmes bildete, frei ließ. In den ersten und der oberen Etage konnte
man jeweils eine kleinen Absatz erkennen; auf Ersterem führte eine Tür
durch eben die Stirnwand führte, die im Erdgeschoss zwei Türen aufwies,
während auf Letzterem eine Holzleiter stand, die zu einer Luke in der
Decke führte. Zu seiner Rechten schließlich führte eine kleine Treppe
nach unten, wobei der untere Treppenabsatz in undurchdringlichem Dunkel
lag; im ganzen Gebäude schien sich nichts zu regen und kein Geräusch war
zu vernehmen.
7. Kapitel
Während Elessar und die anderen
über den Schlüssel und den zu entdeckenden Eingang zum Turm
beratschlagten, hatte Silver, der ganz sicher sein wollte, dass ihnen
niemand - vor allem nicht die Druidin – auflauerte, sich der Steintreppe
zum nächsten Plateau genähert und diese erklommen; die Dunkelheit hatte
inzwischen so stark zugenommen, dass er gerade noch den Weg vor sich
erkennen konnte und so entging ihm das Loch im Felsboden am äußersten
Rand des zweiten Hochplateaus. Rasch folgte er dem weiteren Weg in
Richtung Gipfel, doch da es immer dunkel wurde und er noch immer nichts
entdeckt hatte, drehte er bald um und machte sich auf den Rückweg.
Gerade, als es Elessar gelungen war, das Tor zum Turm zu öffnen,
erreichte er die Gruppe wieder und während die ersten Gefährten den Turm
betraten, wandte der Elf sich an Kain und fragte diesen, ob er nicht
einen wirksamen Zauber gegen einen möglichen Angriff der Druidin hätte.
~/~
Stöhnend kam die Druidin zu sich;
sie schlug vorsichtig die Augen auf und bemerkte, dass sie bäuchlings
auf kaltem Felsboden lag. Eine klebrige, noch warme Flüssigkeit benetzte
ihre rechte Hand, den Unterarm und teilweise auch die Wange, die den
Boden berührte und sie hob vorsichtig den Kopf und drehte ihn nach
rechts, um zu sehen, was es war. Noch bevor sie den Kopf ganz gedreht
hatte, stach ihr der Geruch des Blutes in die Nase. Als sie die
Blutlache sah, in der sie halb lag, stieß sie sich ruckartig hoch, um
sich aufzusetzen - zu ruckartig, wie ihr das Schwindelgefühl und der
aufkommende Brechreiz vermittelten - und so musste sie einen Moment lang
die Augen schließen, um ihren rebellierenden Magen zu beruhigen. Sie
versuchte sich an das Geschehen zu erinnern - undeutliche Bilder
flammten in ihrem Gedächtnis auf: ein unvermutetes Wegsacken des Bodens,
während sie auf der Lauer nach den vermaledeiten Drachenrittern lag, ein
Sturz, Schmerzen und dann Dunkelheit - und öffnete die Augen erneut, um
nach oben zu blicken; tatsächlich klaffte knapp 15 Schritt über ihr ein
Loch in der Höhlendecke, durch das sie ein Stück des Sternenhimmels
sehen konnte.
Langsam schaute sie sich um und
erkannte, dass sie wohl Glück im Unglück gehabt hatte, denn es war
weniger ihr eigenes Blut, in dem sie gelegen hatte, als das des Bären,
dessen Kadaver neben ihr lag; verstreut in dieser natürlichen Höhle
waren mannshohe, stalagmitenartige Gebilde zu finden und der Bär war in
eine dieser riesigen Nadeln gestürzt und regelrecht aufgespießt worden.
Selbst, wenn das Tier nicht sofort tot gewesen war, kam nun jede Hilfe
zu spät, denn die Ohnmacht der Druidin musste eine Zeit lang angedauert
haben, so dass der Kadaver inzwischen völlig ausgeblutet war. Mit einem
letzten bedauernden Blick auf die tote Kreatur wollte die Druidin sich
erheben, doch als sie den rechten Fuß belastete, schrie sie vor Schmerz
auf und knickte wieder ein; so kroch sie ein Stück weit, um sich von der
Blutlache zu entfernen und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen
weiteren der Stalagmiten und nahm einen Heiltrank hervor, den sie in
einem Zug leerte. Als die Wirkung des Trankes einsetzte und es ihr
wieder besser ging, erhob sie sich endgültig und begann dann, erst
humpelnd, dann immer sicherer auftretend, die Höhle zu inspizieren.
~/~
Während Elessar als Erster den Turm
betrat, erschuf Kain einen Titanen, der draußen darauf acht geben
sollte, dass sich niemand unbemerkt dem Turm näherte und die Gefährten
überraschen konnte. Sogleich teilten die Drachenritter sich in
Zweiergruppen, um die einzelnen Räume zu inspizieren und so erklommen
Varnayrah und Tjalf die Treppen zur von unten sichtbaren Dachluke,
während Talya und Perfel ihnen folgten, um den Raum im ersten
Obergeschoss zu untersuchen. Rileona und Tadea wandten sich der rechten
Tür zu und Kain und Silver wollten den Raum hinter der linken Tür in
Augenschein nehmen. Drax erbot sich, die Treppe nach unten zu nehmen, da
er annahm, dass diese in den Keller führte und Silvana verkündete, dass
sie sich ihm anschließen wollte.
So beschloss Elessar, gemeinsam mit
dem Titan die Tür zu bewachen und nahm vorsichtshalber den Schlüssel aus
der Vertiefung, um zu sehen, ob die Tür sich von selbst schließen würde,
doch nichts geschah; er nickte den Gefährten zu und warnte sie noch
einmal eindringlich, an diesem von Magie geradezu durchdrungenen Ort
höchste Vorsicht walten zu lassen und eilte dann nach draußen, um sich
zu Kains Titan zu gesellen. Inzwischen hatte der Mond fast seinen
höchsten Stand erreicht und durch die Reflektion des Mondlichtes an dem
weißen Gestein des Gebirges war das gesamte Plateau fast taghell
erleuchtet. Es waren kaum zehn Minuten vergangen, als er vom Plateau
über sich ein Knurren hörte und plötzlich zwei Wölfe mit einem Satz die
fünf Schritt überwanden und vor dem Paladin und dem Titan aufsetzten und
die beiden zähnefletschend angeiferten. Der ungleiche Kampf war jedoch
vorüber, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte; der Titan, der von
einem der Wölfe angesprungen wurde, fing die Bestie in der Luft auf und
zerquetschte sie regelrecht zwischen seinen riesigen Pranken. Elessar
dagegen passte den rechten Moment ab und schwang seinen Kriegshammer mit
einem Schwung, der dem Wolf keine Zeit zu einer Reaktion ließ; der
Aufprall des Waffenkopfes war so stark, dass das Tier mit zertrümmertem
Schädel mehrere Schritt weit quer über das Plateau geschleudert wurde.
Der Paladin überwand die wenigen Schritte zu der Steintreppe und erklomm
diese, um einen Überblick über das Plateau zu haben; er beobachtete
seine Umgebung einen Augenblick lang und da sich nichts weiter regte,
wandte er sich zum Turm, um die Gefährten zu warnen und ihnen von dem
Angriff zu berichten.
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Sie befand sich in einer
natürlichen Höhle, die sich weiträumig in den Berg erstreckte; durch das
weiße Gestein herrschte auch hier drinnen eine unwirklich anmutende
Helligkeit, so dass sie sich gut orientieren konnte. In der Wand, der
sie am nächsten stand, fand sich ein Gang, der jedoch nach wenigen
Schritten an einem Geröllhaufen endete; offenbar war dieser Durchgang
schon vor vielen Jahren verschüttet worden, ob beabsichtigt oder nicht,
vermochte sie nicht festzustellen. So wandte sie sich in die anderen
Richtung und gewahrte, dass ungefähr dreißig Schritt vor sich, in der
Richtung, in der sie den Turm vermutete, die Höhle sich verengte. Hinter
dem Engpass nahm die Helligkeit zu und vorsichtig und so leise wie
möglich näherte sie sich dieser Stelle und sah alsbald, dass die Höhle
hier in eine Art zweite Höhle überging, der man jedoch sofort ansah,
dass sie nicht natürlichen Ursprungs war, da die Wände des Raumes glatt
und regelmäßig behauen waren.
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Nachdem sich alle einig waren und
jeder seines Weges ging, machten Drax und Silvana sich auf den Weg nach
unten; der Zwerg drückte Silvana eine Fackel in die Hand und ging dann
vorsichtig und nach etwaigen Fallen Ausschau haltend Stufe für Stufe
nach unten; am Ende der Treppe angekommen, standen die beiden vor einer
hölzernen Tür, die sich als unverschlossen erwies. Auf einen leichten
Druck hin öffnete sie sich und gab den Blick in einen großen Raum, der
zum Großteil mit Kisten und Säcken, die sich teilweise bis unter die
Decke stapelten, vollgestopft war, preis. Die beiden durchmaßen den Raum
mit einigen Schritten und entdeckten dabei ein dunkles Loch im Boden,
welches beide - nicht zuletzt wegen des an ein Seil gebundenen Eimers -
für einen Brunnenschacht hielten. Drax ließ seine Blicke durch den Raum
schweifen und entdeckte an der Wand neben der Tür eine Picke; dann
begann er einige der Kisten und Säcke zu durchstöbern. In den meisten
waren inzwischen verdorbene Lebensmittel, wie verschimmeltes Fleisch
oder steinharte Brote, aber in einigen waren auch einige brauchbare
Gegenstände zu finden.
Plötzlich jedoch hielt er inne,
weil er ein gedämpftes Quietschen hinter dem größten Berg Säcke und
Kisten gehört hatte und rief Silvana, die sich auf den Boden
niedergelassen hatte, um den Schacht genauer zu untersuchen, zu sich.
Der Wolfswelpe hatte inzwischen begonnen, neugierig an den Säcken
herumzukratzen und so begannen Drax und Silvana vorsichtig die
Hindernisse aus dem Weg zu räumen, wobei sie stets auf einen Angriff
vorbereitet waren; nachdem sie mehr als zwei Dutzend Säcke und Kisten
aus dem Weg geräumt hatten, sahen sie vor sich einen kurzen Gang, dessen
Ende, wie sie im Schein der Fackel undeutlich erkennen konnten,
offensichtlich zugemauert war. Als sie näher herantraten, hörten sie
erneut das Quietschen, aber auch noch etwas anderes: eine oder mehrere
gedämpfte Stimmen.
Zur gleichen Zeit ungefähr drangen
Silver und Kain in den linken Raum des Erdgeschosses vor und fanden sich
in einer Bibliothek wieder, deren Grundriss einem rechtwinkligen Dreieck
glich. Der Umstand, dass die abegrundete Außenmauer des Turmes fehlte,
fiel Kain zwar sofort auf, doch nahmen ihn die mit Büchern
vollgestopften Regale so in Anspruch, dass er den Gedanken daran erst
einmal beiseite schob. So machte er sich daran, den Schreibtisch zu
untersuchen; er öffnete nach und nach alle Schubladen, kramte darin
herum und legte alles, was ihm irgendwie brauchbar erschien auf der
Schreibtischplatte. Währenddessen erklomm Silver die Leiter und
untersuchte den oberen Bereich des rechten Regals, wo er alle Bücher
entweder heraus nahm oder sie zumindest nach vorne kippte, um ein
möglicherweise vorhandenes Geheimfach zu entdecken. Nach der
Untersuchung des Schreibtisches machte Kain sich an die Untersuchung des
Regales an der Wand, in der sich die Tür befand und arbeitet sich dann
langsam zur größten Wand vor, wobei er zwischendrin die Leiter, auf der
Silver stand, verschob, um dem Elf die Möglichkeit zu geben, die von ihm
unten inspizierten Regale gleichzeitig oben zu untersuchen.
Fast zur gleichen Zeit gewahrten
die beiden das Quietschen, das gedämpft hinter der großen Regalwand zu
hören war und so machten sie sich fieberhaft an die Suche nach einer Tür
oder einem Mechanismus, der eine solche öffnen würde. Während sie auch
hier ein Buch nach dem anderen zur Hand nahmen, fiel Kain ein besonderes
Buch in die Hände, das seine Aufmerksamkeit erregte; es wies einen roten
Ledereinband auf, auf dessen Vorderseite ein goldenes Pentagramm,
ähnlich dem ihm bekannten Zeichen der Magiergilde, der er angehörte,
prangte. Obwohl er nicht lesen konnte, beschloss er dieses Buch zu
behalten und legte es zu den anderen Fundsachen auf den Schreibtisch;
dann wandte er sich erneut dem Bücherregal zu. Gerade als Silver den
Vorschlag machen wollte, dass man die Regalwand mit Gewalt einreißen
sollte, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt, gewahrte der Bäcker ein
Buch mit einem ähnlichen roten Einband wie das soeben gefundene, auf
dessen Rücken Symbole des Mondes in seinen verschiedenen Phasen zu sehen
waren. Neugierig geworden griff Kain nach dem Buch und wollte es aus dem
Regal nehmen, doch als er daran zog, kippte es lediglich nach vorne und
ein schnappendes Geräusch war zu hören, das an das Entriegeln einer Tür
erinnerte. Im selben Augenblick sprang ein Teil des Regals ein wenig
nach vorne und gab einen Spalt frei; als die beiden die Geheimtür
vollends öffneten, sahen sie eine kleine, nach unten führende
Wendeltreppe vor sich und hörten das bereits vernommene Quietschen nun
sehr viel deutlicher.
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Regale mit unzähligen Fläschchen
und mehrere Tische mit seltsamen Apparaturen wiesen den Raum als ein
Labor aus; an der gegenüberliegenden Wand befanden sich ein weiteren
Gang, der jedoch offensichtlich zugemauert war und eine kleine, nach
oben führende Wendeltreppe. Auf einem steinernen Podest an der rechten
Wand stand eine Apparatur, die sofort die Aufmerksamkeit der Druidin auf
sich zog. Fast hätte die Druidin vor Freude aufgeschrieen; den
Mittelpunkt der Apparatur bildete ein schwarzer Gesteinssplitter, der
das gesuchte Artefakt des Khalin Wael sein musste, der sogenannte
Seelenstein! Ein Gewirr aus zu Kreisen geformten fingerdicken Drähten
aus einem ihr unbekannten Metall, die sich langsam und beständig und von
einem durchdringenden, wenn auch nicht sehr lauten Quietschen begleitet,
um das Zentrum drehten, schirmte den Splitter vor dem Zugriff ab und
obwohl diese Gebilde drehbar gelagert waren, schaffte es die Druidin
trotz aller Kraftaufbietung nicht, sie auch nur einen Zoll breit
auseinander zu bewegen, um mit den Fingern nach dem Seelenstein langen
zu können. Ungeduldig und fluchend vor Zorn betrachtete sie die
Apparatur von allen Seiten, doch außer einer Anzahl drehbarer Spiegel
und einem dünnen Lichtstrahl, der von der Decke her aus dem Nichts zu
kommen schien und auf einen der Spiegel traf, konnte sie nichts
entdecken; egal, wie sie die Spiegel auch drehte, an der Apparatur
veränderte sich nichts.
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Varnayrah und Talf erklommen die
Leiter zur Luke und fanden sich bald auf der Plattform des Turmes
wieder; sie standen einer seltsamen Apparatur aus sich drehenden Kugeln
und vier Spiegeln, die das Mondlicht reflektierten und auf einen
Kristall im Zentrum bündelten, gegenüber. Von dem Kristall ging ein
weiterer, dünner Lichtstrahl aus, der aber an einer Art Blende endete.
Während Varnayrah die Apparatur ratlos bestaunte, fühlte Tjalf sich an
Instrumente erinnert, die in seiner Heimat von Seefahrern benutzt
wurden. Obwohl er der Meinung war, dass man die Spiegel ausrichten und
möglicherweise die Blende öffnen müsste, um die Apparatur in volle
Funktion zu versetzen, war er sich doch so unsicher, dass er vorschlug,
erst Rileona oder Elessar um Rat zu fragen und so machten die beiden
sich wieder an den Abstieg.
Talya und Perfel hatten zur
gleichen Zeit den Raum im ersten Obergeschoss betreten und fanden sich
in einem Schlafgemach wieder; der Raum war komplett eingerichtet und
wies neben einem Bett und einem Schrank auch noch einen Sekretär mit
einem Spiegel und einem Stuhl auf. Die beiden Frauen machten sich
sogleich an die gemeinsame Durchsuchung der Schubladen der Kommode und
fanden zuerst außer einigen Kleinigkeiten nichts Interessantes; erst als
Talya auffiel, dass eine der Schubladen auffällig kleiner schien als die
anderen und sie sich diese genauer anschaute, bemerkte sie eine Art
doppelten Boden, der ein Geheimfach abschirmte. Sie klopfte und fingerte
so lange an der Lade herum, bis sich der Boden löste und den Blick auf
den Inhalt des Geheimfaches preisgab. Es war eine Zeichnung von einem
Turm und einer seltsam anmutenden Apparatur, die so neben dem Turm
gezeichnet war, dass ein Teil neben dem Dach und der zweite Teil neben
oder unter dem Sockel des Turmes platziert war. Daneben fanden sich
endlose Zahlenreihen und Formeln, mit denen die Wirtin trotz, dass sie
lesen konnte, nichts anzufangen wusste, lediglich ein Wort, das neben
dem unteren Teil der Zeichnung an einen Pfeil gekritzelt war, konnte sie
entziffern: Seelenstein. So legte sie die Zeichnung zu den anderen
Fundsachen, um sie später den anderen zu zeigen und machte sich mit
Perfel an die weitere Untersuchung des Raumes. Obwohl sie alles genau
durchsuchten, fanden sich lediglich im Schrank noch einige brauchbare
Dinge, die sie ebenfalls einsammelten; anschließend machten sie sich mit
ihren Fundstücken auf den Weg nach unten.
Rileona hatte sich, gefolgt von
Tadea, der rechten Tür im Erdgeschoss zugewandt und nachdem die Druidin
die Tür vorsichtig geöffnet hatte, fanden beide sich in einem kleinen,
karg eingerichteten und fensterlosen Gästeraum wieder. Die Elfe kniete
neben der von einem Fell bedeckten Truhe, die scheinbar auch als
Sitzgelegenheit dienen sollte, da sie vor einem niedrigen Tisch stand,
und versuchte diese zu öffnen; da die Truhe verschlossen war, fragte sie
Rileona, ob diese das Schloss öffnen könne. Die Druidin, die inzwischen
die Pritsche inspiziert und auch den Fußboden auf möglicherweise lockere
Bodenbretter eingehend untersucht hatte, verneinte und schob die Truhe
zur Seite, um auch auf und unter dem Tisch suchen zu können. Als sie
sich wieder erhob, schüttelte sie nur ungläubig den Kopf, da Tadea sich
inzwischen erschöpft auf die sich im Raum befindliche Pritsche gelegt
hatte und vor sich hinzudösen schien, und schlug vor, zu den anderen
zurück zu gehen, um zu sehen, ob jemand eine Idee hatte, wie man die
Truhe öffnen könnte.
Als Elessar den Turm nach dem Kampf
wieder betrat, fanden sich auch die Gefährten aus den oberen Etagen und
dem Gästeraum wieder ein und nachdem der Priester von dem Angriff der
Wölfe und deren schnellen Ende berichtet hatte, erzählten auch die
anderen, was sie entdeckt hatten; Rileona berichtete von der
verschlossenen Truhe im Gästeraum und Varnayrah und Tjalf von der
Apparatur auf dem Dach. Elessar studierte die Zeichnung, die Talya
gefunden hatte, eingehend und kam zu dem Entschluss, dass sich das
Puzzle langsam zusammenzufügen schien, denn die Beschreibung der
Apparatur deckte sich mit der auf der Zeichnung und zumindest die
Symbole auf der Zeichnung deutete Elessar anhand Tjalfs Erklärung so,
dass dieser mit seinem Vorschlag, die Spiegel auszurichten und die
Blende zu öffnen, Recht hatte.
8. Kapitel
Als die Frage aufkam, wo denn der
auf der Zeichnung sichtbare zweite Teil der Apparatur zu finden sein
sollte, meinte Elessar, dass möglicherweise die anderen Gefährten eine
entsprechende Entdeckung gemacht hatten und nach ihrer Rückkehr davon
berichten könnten. Doch Tjalf fasste den Entschluss, dass er erneut auf
den Turm steigen wolle, um die Spiegel an der seltsamen Apparatur
auszurichten und dann die Blende zu öffnen, weil die Zeit drängen
könnte. Nachdem Rileona von der Truhe berichtet hatte, zeigte Talya
einen Dietrich, den sie gefunden hatte, herum und Tadea, Perfel und
Rileona machten sich auf den Weg zur Truhe, um ihr Glück zu versuchen.
Während die Wirtin unschlüssig zu sein schien, ob sie den anderen folgen
oder sich auf die Suche nach Drax machen sollte, entschied Elessar sich,
den Thorwaler auf den Turm zu begleiten, um die Apparatur einmal mit
eigenen Augen zu sehen. So folgte der Paladin Tjalf und Varnayrah in das
Obergeschoss und trat in dem Moment auf die Plattform, als der Bäcker
begann, einen Spiegel nach dem anderen auf den Kristall in der Mitte
auszurichten. Mit jedem Spiegel, den Tjalf ausrichtete, erhöhte sich die
Intensität, mit der der Kristall leuchtete und umso breiter wurde der
gebündelte Lichtstrahl, der auf die noch immer geschlossene Blende traf;
als der letzte Spiegel seine Reflektion auf den Kristall warf, wurde das
Leuchten so intensiv, dass es in den Augen schmerzte. Elessar hielt sich
schützend die Hand vor die Augen und wartete auf den Moment, da der
Thorwaler die Blende öffnen würde, gespannt, was anschließend geschehen
würde.
Kain und Silver hatten die
Geheimtür vollends geöffnet und standen am oberen Treppenabsatz; schnell
war der Entschluss gefasst, die Treppe hinabzusteigen und den unteren
Raum oder wo auch immer die Treppe hinführen würde, zu untersuchen und
nachdem der Magier für eine Lichtkugel gesorgt hatte, die ihnen den Weg
ausreichend beleuchten würde, trat er vorsichtig auf die ersten Stufen
der Treppe, dicht gefolgt von Silver, der seinen Bogen schussbereit im
Anschlag hielt.
Die beiden hatten gerade die ersten
Stufen genommen, als Drax im Keller seine Picke hob und diese mit dem
ersten schweren Schlag gegen die Wand krachen ließ; dumpf dröhnte das
Metall auf das Gestein und, wie es der Zwerg erwartet hatte, brach der
Mörtel aus den ersten Fugen und die ersten feinen Risse zeigten sich.
Kraftvoll holte er aus und setzte seine Arbeit fort, während Silvana
ihre Fundsachen in dem Eimer verstaute.
Während erst Perfel und dann
Rileona versuchten, die Truhe mit Hilfe des Dietrichs zu öffnen,
gesellte sich Tadea zu den beiden und schaute interessiert zu; man sah
ihr die Enttäuschung an, als es den Anschein hatte, dass es niemandem
gelingen würde, das Schloss zu knacken. Doch plötzlich hielt sie inne,
als ein feines Klicken zu hören war; Rileona hatte bei einem erneuten
Versuch Glück gehabt und den kleinen Hebel, der den Mechanismus freigab,
bewegen können. Tadea und Perfel schauten erwartungsvoll zu, wie sie mit
einem zufriedenen Lächeln den Deckel der Truhe öffnete; dann langte sie
mit den Händen in die Truhe, um den Inhalt zu durchsuchen. Es schien
sich um den persönlichen Besitz einer weiblichen Person zu handeln, denn
außer einem Becher, einem Löffel und drei kleinen, noch immer leicht
duftenden Leinensäckchen enthielten sie einige Wäschestücke und eine
silberne Halskette mit einem kleinen, ebenfalls silbernen Anhänger, die
ganz unten auf dem Truhenboden lag. Der Inhalt der Leinensäckchen erwies
sich bei genauerer Untersuchung als Tee, doch war er aufgrund seines
Alters wohl nicht mehr genießbar; auch die Wäschestücke entsprachen
nicht mehr ganz dem gängigen Stil in Dragonia. Auch die Kette samt
Anhänger machten einen eher wertlosen Eindruck, so dass letztendlich nur
der Becher und der Löffel von zukünftigem Nutzen wären. Noch während die
drei alle Fundstücke sichteten, hörten sie plötzlich die Geräusche, die
Drax' Picke verursachte und Tadea war die Erste, die den Raum verließ
und sich wieder zu Talya gesellte und diese nach der Ursache der
Geräusche fragte. Doch noch während sie auf eine Antwort wartete,
mischte sich ein weiteres Geräusch in das Stakkato der Pickenschläge.
~/~
Noch immer leise vor sich hin
fluchend stand die Druidin vor der Apparatur in dem unterirdischen Labor
und versuchte, an den ersehnten Steinsplitter zu gelangen; doch egal,
wie sie die Spiegel auch ausrichtete, die Gestänge bewegten sich nicht
und es war unmöglich, den Stein auch nur zu berühren. Inzwischen waren
alle Spiegel so ausgerichtet, dass sie das schmale Lichtbündel so
reflektierten, dass sich ein quasi geschlossener Lichtkreis um den
Sockel der Apparatur gebildet hatte, doch irgendetwas schien falsch zu
sein. Während die Alte grübelte, wie sie das Problem lösen könne, hörte
sie ein Geräusch, das vom oberen Treppenabsatz zu kommen schien; einen
Augenblick später setzten die Pickenschläge ein. Sich fieberhaft
umschauend, suchte die Druidin nach etwas, mit dem sie notfalls die
Apparatur zerstören konnte, um an den Seelenstein zu kommen, doch sie
fand nichts; doch was war das? Wurde der Lichtstrahl nicht breiter?
Intensiver? Die Druidin schaute sich noch einmal um und blickte in
Richtung Treppe und Durchgang, dann aktivierte sie ihr Amulett, so dass
ein bläulicher Schimmer sie umgab, und wandte sich erneut der Apparatur
zu.
In dem Maße, wie Tjalf oben auf dem
Dach die Blende langsam öffnete, erhöhte sich unten die Intensität des
Lichtstrahls und mit dieser schien die Apparatur zu Leben zu erwachen;
lautstark quietschend setzten sich die drehbar gelagerten Kreise in
Bewegung und begannen, sich immer schneller um das Zentrum, das der
Seelenstein bildete, zu drehen. Nach wenigen Augenblicken waren die
Lager wieder frei und das Quietschen verstummte, wodurch nur noch ein
durch die schnelle Drehung verursachtes, hohes Summen hörbar blieb, das
ebenfalls jäh verstummte, als die Apparatur zum Stillstand kam. Alle
Kreise standen nun deckungsgleich und gaben somit den Zugriff auf den
Steinsplitter frei; mit einem triumphierenden Lächeln streckte die
Druidin die Hand danach aus, als der letzte Stein aus der Wand brach und
Drax und Silvana die Druidin erblickten; fast zeitgleich gelangten auch
Kain und Silver an den Fuß der Treppe. Mit einem Aufschrei ergriff die
Alte den Seelenstein und rannte dann höhnisch lachend durch den Engpass
in die große Höhle, aus der sie gekommen war; dort hielt sie nach
wenigen Schritten inne, wandte sich den Drachenrittern zu und hielt
ihnen den Seelenstein entgegen und begann eine Beschwörung zu sprechen.
Kurzzeitig strich ein eisiger Wind durch die Höhle und Nebel wallte auf;
als dieser sich wieder verzogen hatte, war die Druidin nicht mehr
alleine. Gut zwei Dutzend Skelettkrieger mit teilweise verrosteten
Schwertern und Äxten, zerfledderten Holzschilden und zerrissenen
Lederrüstungen befanden sich nun in der Höhle und an der Seite der
Druidin eine durchscheinende Gestalt, die Kain nur zu gut kannte. Die
Alte schrie den Skeletten einen Befehl zu und wies mit einer dürren Hand
auf die Drachenritter.
~/~
Ein Wispern und Raunen wie von
Hunderten Stimmen zog sich durch den Turm; es schien von überall her zu
kommen und war doch nicht lokalisierbar, aber jeder der Gefährten, der
es vernahm, egal, wo er sich gerade befand, spürte den Schmerz und die
Trauer, aber auch die Wut, die sich darin verbargen. Die Temperatur nahm
schlagartig ab und das unnatürlich wirkende Licht, das in dem Turm
herrschte, schien sich zu verdunkeln, als würde sich ein grauer Schleier
über das Gestein legen oder ein seltsamer Nebel durch den Turm wabern;
ein einzelner Kampfschrei und das Klirren von Waffen auf Schilden
ertönte.
9. Kapitel
In dem Moment, in dem Kain Falnor
neben der Druidin gewahrte, begann er auf diesen einzureden und
erinnerte die Erscheinung an das Wort, das die Drachritter ihm gegeben
hatten; gleichzeitig ging er langsam auf die Reihen der Skelette, die
sich ihm drohend entgegen stellten zu und begann eine Beschwörung zu
murmeln. Silver, der schräg hinter ihm stand und versprochen hatte, ihm
mit seinem Bogen Schutz zu gewähren, hatte einen Pfeil auf der Sehne und
zielte auf die Druidin, die neben Falnor stand und ebenfalls begonnen
hatte, einen weiteren Zauber zu wirken; der Waldelf wusste später nicht
zu sagen, was seine Hand unsicher werden ließ, doch der Pfeil, der einen
Moment später mit einem Surren die Sehne verließ, verfehlte sein Ziel um
Längen.
Drax hatte, als er durch den
Durchbruch, den er mit der Picke geschaffen hatte, durch war, sofort die
Druidin erkannt und verfiel regelrecht in Raserei; ohne Vorwarnung
packte er seine Axt und seinen Schild fester und stürmte los. Das
Einzige, was seine Gefährten noch vernahmen, war sein Ruf nach Feuer, da
war er schon zwischen den Skeletten und ließ seine Axt wirbeln; links
und rechts fällte er einen Gegner, deren morschen Knochen unter dem
Aufprall des Axtblattes regelrecht zu Staub zerfielen und stemmte sich
gleichzeitig mit aller Kraft gegen seinen Schild, um durch den Ansturm
weitere Gegner zu Fall zu bringen, um eine Schneise zu der Druidin zu
schlagen.
Silvana hatte auf Drax’ Ruf nach
Feuer unbewusst einen der Krüge, die sie gefunden hatte, geöffnet und
anhand des scharfen Geruchs bemerkt, dass es sich wohl um irgendetwas
Hochprozentiges und somit Brennbares handeln musste. Geistesgegenwärtig
rief sie über die Schulter nach einer Fackel und rannte dem Zwerg
hinterher, da sie gedachte, hinter dem Zwerg nahe genug an die Druidin
zu gelangen, um den Branntwein als Brennstoff verwenden zu können. Um
ungehindert agieren zu können, ließ sie ihren Speer fallen und sprintete
los; dem ersten Skelett, das sich ihr in den Weg stellte, versetzte sie
einen Tritt, der den Gegner nach hinten stolpern ließ, doch schon
stellte sich ihr der nächste Gegner in den Weg. Blitzschnell versuchte
sie, auszuweichen, doch sie kam ins Stolpern und fiel der Länge nach
hin, wobei sie den Inhalt des bereits geöffneten Kruges zum größten Teil
verschüttete.
Inzwischen waren nacheinander auch
die anderen Gefährten, die sich zuvor oben aufgehalten hatten und durch
das schmerzerfüllte Wispern und Raunen und den Kampflärm nach unten
gelockt worden waren, am Ort des Geschehens angelangt. Kolkrabe, die
nahe daran war, von dem Schmerz und der Trauer überwältigt zu werden,
rief sich genau im rechten Moment selbst zur Ruhe, denn eines der
Skelette in der vordersten Reihe attackierte sie; geschickt blockte sie
den Angriff mit ihrem Stab, um im nächsten Augenblick selbst zum Angriff
überzugehen. Schneller, als das Auge die Bewegung verfolgen konnte,
wirbelte der Stab herum und zerschlug die morschen Knochen des
Angreifers.
Perfel hatte den Sturz ihrer
Freundin bemerkt und hatte nichts anderes im Sinn, als ihr zu Hilfe zu
eilen; todesmutig stürmte sie hinter ihr her und versuchte, ihr mit dem
Fuß den Speer zuzuschieben, damit die Amazone sich verteidigen konnte.
Wie durch ein Wunder gelang ihr dies, ohne von dem angreifenden Skelett
verletzt zu werden, aber auch ihr zu hastig geführter Schlag ging ins
Leere.
Noch immer machten die Skelette
keine Anstalten, den stummen Befehl der Druidin zu befolgen und die
übrigen Drachenritter anzugreifen; lediglich die Gefährten, die sich
inmitten der Skelette befanden, waren in Kampfhandlungen verstrickt.
Rileona, beschränkte sich anfangs, übermannt von ihren Gefühlen und
Ängsten, darauf, auf Falnor einzureden und ihn an die gegebenen
Versprechen zu erinnern. Hörte er sie nicht oder wollte er nicht hören?
Sie war inzwischen so verzweifelt, dass sie die Druidin mit einem Zauber
treffen wollte, doch sie konnte sich einfach nicht mehr konzentrieren;
der Zauber schlug fehl und von Weinkrämpfen geschüttelt, brach sie
zusammen und blieb schluchzend am Boden liegen.
Tadea und Varnayrah legten
gleichzeitig einen Pfeil auf die Sehne ihrer Bögen und schossen trotz
des Wissens um die Wirkung des Amuletts auf die Druidin, denn sie waren
sich sicher, dass der Spuk ein Ende haben würde, sobald die Alte besiegt
wäre. Noch während die Pfeile auf ihr Ziel zuflogen, bereiteten die
beiden sich innerlich auf die Schmerzen vor, die unweigerlich bei einem
Treffer einsetzen würden; und so war es auch: in dem Moment, in dem die
Pfeile ihr Ziel trafen, verspürten die beiden Elfen einen brennenden
Schmerz an eben jenen Stellen, die sie selbst bei der Druidin getroffen
hatten. Ungeachtet des Schmerzes legte Varnayrah jedoch sofort einen
zweiten Pfeil auf und schoss erneut. Erneut traf sie und erneut
verspürte sie den Gegenschlag, doch verwundert stellte sie fest, dass
dieser schwächer ausfiel, obwohl sie ebenso präzise wie beim ersten
Schuss getroffen hatte. Sollten ihre konzentrierten Angriffe Wirkung
zeigen und das Amulett an Kraft verlieren?
In den Wirren des Kampfes hatte
niemand auf Tjalf und Elessar geachtet; während Tjalf seinem Vorbild
oder Lehrmeister, oder wie auch immer er es nennen würde, hinterher
geeilt war, um es ihm gleichzutun, war der Paladin zielsicher neben Kain
getreten und hatte diesen bei seiner Beschwörung beobachtet. Tjalf war
durch den Fall Silvanas und das Hinterherstürmen Perfels etwas behindert
und musste den beiden ausweichen, um nicht auch zu stolpern; dies
behinderte ihn bei seinem Angriff auf die Skelette, die sich noch immer
zwischen ihm, dem Zwerg und der Druidin befanden, und es gelang ihm
nicht, seinen Gegner ernsthaft zu verletzen. Zudem gelang es einem
weiteren Skelett, das sich an Drax vorbeigedrückt hatte, einen Schlag
gegen den Bäcker auszuführen, der ihm einen tiefen Schnitt am
Oberschenkel einbrachte.
Genau in dem Moment, in dem Kain
seine Beschwörung vollendet hatte und ein gleißender Lichtblitz aus der
Sensenklinge schoss und auf Falnor zufuhr, hatte Elessar seine linke
Hand erhoben; auf der Handfläche bildete sich ein bläulicher
Lichtschimmer, der sich binnen eines Augenblicks kegelförmig ausbreitete
und in seiner Bahn alle Skelette erfasste, die weniger als drei Schritt
links und rechts der Schneise, die Drax inzwischen geschaffen hatte,
standen, erfasste. Sofort hielten die betroffenen Untoten in ihren
Handlungen ein und rührten sich entweder nicht mehr oder blickten
unschlüssig zwischen der Druidin und dem Paladin hin und her. Der
Lichtstrahl, der den Erzdruiden traf, schien jedoch keine weitere
Wirkung auf diesen zu haben; Falnor hob zwar die Hand schützend vor die
leeren Augenhöhlen, als würde ihn das Licht schmerzen, aber sonst zeigte
er keine Reaktion und begann langsam zu sprechen:
"Meine Brüder und Schwestern
können ihrer bösen Macht nicht widerstehen! Selbst ich kann mich nicht
gegen sie wenden, solange sie den Seelenstein in Händen hält! Und sobald
sie volle Macht über den Stein hat, werde auch ich nicht mehr
widerstehen können!"
Falnor kam einige Schritte auf die
Gefährten zu und suchte den Blick derer, die auf der Wetterspitze
gewesen waren; er befand sich nun nur noch wenige Schritte von Drax und
Tjalf entfernt und fuhr, nun fast flehend, fort:
"Erfüllt Euren Schwur und erlöst
uns!"
Mit einem kurzen Blick zurück zu
der Druidin fügte er dann hinzu:
"Höret! Das Amulett, das sie
trägt, muss der Sage nach eines jener drei Amulette sein, die unser
aller Mutter erschuf und sie den ersten unseres Volkes überreichte, um
sich gegen Gefahren aller Art zu schützen, denn am Anfang aller Dinge
war unsere Rasse so schwach wie alle Normalsterblichen. Es heißt, als
der Erste unseres Volkes seine Macht missbrauchte, weinte die Mutter vor
Gram schwarze Tränen, die sie in einer Phiole auffing; mit dieser
Flüssigkeit schließlich wurde das Amulett des Abtrünnigen zerstört und
er konnte getötet werden. Doch auch ohne diesen Zauber ist der Schutz
des Amulettes nicht unendlich; es ist nur eine Frage der Zeit, bis Eure
Waffen ihr genügend Schaden zufügen, um sie zu besiegen."
10. Kapitel
Als der Großteil der Skelette die
Kampfhandlungen einstellte, herrschte einen Moment lang eine fast
greifbare Stille, die nur durch das leise Murmeln der in ihre
Beschwörung vertiefte Druidin gestört wurde. Dann begann Falnor zu
sprechen und Tjalf, der das seltsam unbestimmte Gefühl hatte, von dem
Erzdruiden direkt angesprochen zu werden, glaubte die Bedeutung der
Phiole, die er in den Ruinen im Elfenwald gefunden hatte, zu erkennen.
Mit einem Ruck öffnete er seinen Rucksack, nahm die Phiole heraus und
entkorkte sie; dann sprang er mit einem Satz auf und rannte, ohne Falnor
und den übrigen Skelette weiter Beachtung zu schenken, an diesen vorbei
und direkt auf die Druidin zu.
Als die Druidin von Tadeas Pfeil
getroffen wurde und dann von Varnayrahs erstem Pfeil, lachte sie nur
höhnisch auf und ließ sich nicht in ihrer Beschwörung stören, doch der
zweite Treffer der Königin schien eine andere Wirkung zu haben, denn die
Alte zuckte kurz zusammen und stöhnte leise auf; sie fasste kurz nach
ihrem Amulett und konzentrierte sich dann wieder auf ihren Zauber. Einen
Augenblick später schrie Tadea vor Schmerz auf, als der erwartete
Schmerz sie traf und auch Varnayrah erging es nicht besser; auch sie
stöhnte auf, als die Schmerzwelle sie erfasst und erschöpft und müde
fragte sie sich selbst, ob sie den nächsten Schuss noch riskieren könne,
ohne ihr eigenes Leben zu gefährden.
Elessar und Kolkrabe hatten die
Schmerzenschreie der beiden Waldelfen wohl gleichzeitig vernommen, denn
sowohl die Wirtin, als auch der Paladin eilten zu Varnayrah und Tadea,
um den beiden zu helfen. Elessar verlor seine Konzentration und der
blaue Lichtkegel schwand, worauf die Skelette sich schlagartig wieder in
Bewegung setzten, und gesellte sich zu Varnayrah, die scheinbar schwerer
verletzt war, bereit, ihr jederzeit einen Heiltrank einzuflößen. So
bemerkte er nicht, dass sich eines der Skelette von hinten näherte, um
die Dreiergruppe anzugreifen, doch Talya war blitzschnell bei ihnen und
verwickelte den untoten Krieger in ein Duell; mit einem Ausruf, dessen
Sinn Elessar nicht verstand, ließ sie ihren Stab wirbeln und wollte dem
Skelett einen Schlag gegen den Brustkorb versetzen, doch dieses wich
unerwartet geschickt aus und attackierte die Frau seinerseits mit einem
rostigen Schwert, dessen Klinge Talya einen tiefen Schnitt quer über dem
linken Unterarm verursachte.
Im selben Moment, in dem die
Skelette aus ihrem Bann erwachten, schien sich die Reihe der Gegner vor
Tjalf, der den Weg zur Druidin inzwischen zur Hälfte zurückgelegt
hatte, wieder zu schließen; doch die Gefährten hatten inzwischen die
Absichten des Thorwalers erkannt und wappneten sich, ihm den Weg
möglichst frei zu halten. Das Skelett, das Tjalf vor seinem Sprint
gegenübergestanden hatte, wandte sich um, um dem Bäcker zu folgen; als
der Zwerg jedoch erkannt hatte, was Tjalf beabsichtigte, reagierte er
geistesgegenwärtig und so fiel der Knochenmann Drax’ Axt zum Opfer. Ein
zweites Skelett, das sich in Reichweite der zwergischen Axt befand,
konnte zwar anfangs ausweichen, doch war es so kühn und griff den
Gevatter im Gegenzug an; seine schartige Axt prallte jedoch regelrecht
an Drax’ Rüstung ab. Drax stemmte sich darauf einfach mit seinem Schild
gegen den Gegner, rannte ihn so über den Haufen und sprintete hinter
Tjalf her, um ihm weiterhin beistehen zu können.
Inzwischen schien sich die
Beschwörung der Druidin dem Ende zu nähern und die Macht des
Seelensteins zu verstärken, denn nun wandten sich alle Skelette zu ihr
um und konzentrierten sich auf den heransprintenden Thorwaler. Doch auch
Kain, der Falnors Worte mit einer spöttischen Bemerkung quittiert hatte,
hatte das Schauspiel, das Falnors Worten folgte, verfolgt und bemerkte
nun, dass Tjalf es ohne Unterstützung kaum schaffen konnte; er
konzentrierte sich ein zweites Mal auf seine Magie und kurze Zeit später
fuhr ein zweiter Lichtblitz durch die Höhle und zerschmetterte ein
weiteres Skelett, das sich dem Bäcker in den Weg stellen wollte.
Perfel hatte sich in der Absicht,
der Freundin zu helfen, mitten unter die Skelettkrieger gewagt; nachdem
sie den ersten Angriff erfolgreich abgewehrt hatte, gelang es ihr,
Silvanas Speer mit der Fußspitze in die Richtung zu stoßen, wo die
Amazone noch immer auf dem Boden lag. In der durch den Bann verursachten
Kampfpause lauschte sie Falnors Worten und wurde fast überwältigt von
der Trauer, die in den flehenden Worten mitschwang, doch sie rief sich
selbst zur Ordnung und bestärkt durch den Entschluss, ihren Schwur mit
allen Mitteln zu erfüllen, stellte sie sich nun den erneut angreifenden
Skeletten. Ein bereits stark angeschlagener Krieger wandte sich gerade
von ihr ab, um Tjalf zu folgen und so konnte er dem Stoß, den die
Heilerin mit ihrem Speer ausführte, nicht ausweichen.
Silvana blickte nach ihrem Sturz
nach oben und erkannte gerade im rechten Augenblick den Angriff eines
Skelettkriegers; im letzten Moment rollte sie sich zur Seite, wodurch
sie einerseits von dem herabsausenden Schwert, das sie sonst sicherlich
getötet hätte, nur gestreift wurde, andererseits gelangte sie dadurch an
den Speer, den Perfel einen Augenblick zuvor mit dem Fuß angestoßen
hatte. Blitzschnell hob sie den Speerschaft und stieß diesen dem Skelett
zwischen die Beine; mit einer kraftvollen Bewegung nach oben hebelte sie
den überraschten Gegner anschließend von den Beinen und wirbelte diesen
durch die Luft, wo er einige Schritte weiter in zwei weitere Skelette
krachte und diese umriss. Doch noch während des „Fluges“ des Gegners war
sie bereits auf den Beinen und konnte so das Geschehen um Tjalf weiter
verfolgen.
Durch Kains Lichtblitz
aufgeschreckt, blickte Rileona auf und gewahrte das Geschehen; mit einem
energischen Kopfschütteln vertrieb sie die Tränen, die noch immer ihren
Blick trübten und zog dann ihren Dolch. Kurz darauf stürzte sie sich mit
wilder Entschlossenheit, dem Treiben endlich ein Ende zu bereiten, auf
das am nächsten stehenden Skelett. Durch die Wildheit ihres Angriffs
gelang es ihr auch, dem Gegner erheblichen Schaden zuzufügen, doch ein
zweiter untoter Krieger mischte sich mit Schwert und Schild in den Kampf
ein; die Druidin versuchte, einen weiteren Streich mit ihrem Dolch
anzubringen, doch der Gegner blockte den Schlag lässig mit dem Schild
und führte einen Gegenangriff, der Rileona am Oberschenkel erwischte.
Plötzlich hielt die feindliche
Druidin den Seelenstein in die Höhe und stimmte ein triumphierendes
Gelächter an, als sie Tjalf gewahrte, der noch immer ungehindert auf sie
zurannte und inzwischen nur noch drei Schritte von ihr entfernt war.
Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie die Absicht des Bäckers
erkannte und mit wutverzerrter Fratze begann die Druidin erneut eine
Beschwörung zu sprechen, doch genau in diesem Moment wurde sie von
einem Pfeil in den Hals getroffen. Tadea hatte sich nach der
Schmerzattacke wieder aufgerichtet und das ganze Geschehen genauestens
beobachtet; seelenruhig hatte sie ihr Ziel anvisiert und im richtigen
Moment, als Tjalf nicht im Weg war, ihren Pfeil auf die Reise zu seinem
Ziel geschickt, während sie sich erneut gegen den unweigerlich folgenden
Schmerz wappnete, der auch kurz darauf, wenn auch sehr viel schwächer
als beim letzten Mal einsetzte. Hatte die Druidin nach dem letzten
Treffer von Varnayrah nur kurz gezuckt und mehr vor Verwunderung, denn
echtem Schmerz aufgestöhnt, griff sie sich nun verblüfft an den Hals, wo
der Pfeil sie getroffen hatte, und schrie vor Schmerz auf. Derart
abgelenkt, bemerkte sie nicht, wie Tjalf die letzten Schritte
überbrückte und den gesamten Inhalt der Phiole über sie schüttete, wobei
er darauf achtete, hauptsächlich das Amulett, das die Druidin um den
Hals trug, zu benetzen; fast im selebn Atemzug warf der Thorwaler sich
zur Seite und rollte sich geschickt ab, so dass er sofort wieder auf den
Beinen war. Als die Alte gewahrte, was passiert war, ging ihr
Schmerzensschrei in ein wütendes Heulen über und ihre Hand wanderte von
Tadeas Pfeil zu ihrem Amulett, wo sie verzweifelt versuchte, die
Flüssigkeit von dem Amulett fernzuhalten, doch schon begann der
bläuliche Schimmer um sie herum zu verblassen.
Auf diesen Moment hatte Silver
gewartet; seit Kains Zauber und Falnors Worten hatte er mit einem Pfeil
auf der Sehne das Geschehen beobachtet und in dem Augenblick, in dem der
Inhalt der Phiole sich über die Drudin ergoss, zielte er kurz und
schoss. Der bläuliche Schimmer um die Druidin war zwar noch nicht
verschwunden, doch man sah deutlich, dass der Treffer entsprechende
Wirkung erzielte, denn erneut schrie die Druidin vor Schmerzen auf, als
der Pfeil in ihre Brust drang. Erfreut über seinen Treffer gewahrte der
Elf nicht einmal den leichten Schlag, den er gegen den Brustkorb erhielt
und der ihm einen blauen Fleck bescherte.
Varnayrah, die ihre Augen vor
Müdigkeit und Erschöpfung einen Moment lang geschlossen hatte, hatte
plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter gespürt und als sie aufblickte,
in Elessar Gesicht geschaut, der sie ermutigend anlächelte. Dann hatte
sie wieder nach vorne geschaut und Tjalfs Lauf mitverfolgt, der sich
tollkühn dem Feind stellen wollte; schnell entschloss sie sich, die
Sache hier zu Ende zu bringen und atmete tief durch, während sie einen
weiteren Pfeil auf die Sehne legte. Sie wurde eins mit Pfeil und Bogen
und völlig konzentriert schickte sie nur einen Wimpernschlag später als
Silver ihren Pfeil auf die Reise, der kurz nach dessen Pfeil und genau
in dem Augenblick in den Hals der Druidin eindrang, als die Aura um die
Alte vollständig erlosch. Die Elfe hatte in Erwartung des folgenden
Schmerzes direkt nach dem Einschlag die Augen geschlossen, doch es
geschah nichts; stattdessen gewahrte sie nur ein ersticktes Gurgeln und
als sie Augen wieder öffnete, erblickte sie die Druidin, die inzwischen
auf die Knie gesunken war und röchelnd nach Atem rang. Unfähig, noch
einen Zauber zu sprechen und dem Schutz ihres Amulettes beraubt, konnten
die Gefährten beobachten, wie das Leben aus dem Körper des Feindes wich;
in dem Augenblick, in dem der Blick der Druidin sich trübte, kippte sie
nach vorne und blieb reglos liegen, wobei der Seelenstein ihrem
kraftlosen Griff entfiel und mit einem Klacken von Stein auf Stein auf
dem Höhlenboden zum Liegen kam.
Sofort hielten alle Skelette inne
und stellten ihre Kampfhandlungen ein; Stille trat ein, in der man eine
Stecknadel hätte fallen hören können, dann ergriff Falnor das Wort:
“Die, die Macht hatte, uns
weiterhin zu knechten, ist besiegt; möge unser aller Mutter ihr ihren
Frevel verzeihen!“
Und an die Gefährten gewandt, fügte
er hinzu:
“Nun liegt es an Euch, Euren
Schwur zu erfüllen! Ich erwarte Euch um Mitternacht bei den
Steinkreisen!“
Die Worte des Erzdruiden waren noch
nicht völlig verklungen, als sowohl Falnor, als auch die Skelette von
einem Augenblick auf den anderen verschwunden waren. Nicht einmal die
Knochen der gefallenen Untoten waren mehr sichtbar und die Drachenritter
blieben mit dem Leichnam der Druidin alleine zurück; wäre dieser nicht
gewesen, hätte es fast den Anschein gehabt, als sei nichts geschehen.
Langsam machte sich Erleichterung breit und während die Gefährten
begannen, ihre Wunden zu versorgen, schritt Elessar zu dem Leichnam der
Druidin und hob den Seelenstein auf; er drehte ihn zwischen seinen
Fingern und betrachtete ihn forschend, doch konnte er nichts
Ungewöhnliches daran entdecken. So hielt er ihn Rileona hin und meinte:
“Ich denke, Ihr solltet den
Stein nehmen und ihn an seinen Bestimmungsort bringen!“
Dann beugte er sich erneut zu der
toten Druidin hinab und schloss ihr die leblos ins Leere starrenden
Augen, während er ein kurzes Gebet für die Seele der Verstorbenen
sprach, das mit den Worten endete:
“Paladin, ich bitte Dich, sei
ihrer Seele gnädig und führe sie zurück ins Licht, so dass sie einst bei
ihren Brüdern und Schwestern Ruhe finden möge!“
Als er mit seinem Gebet fertig war,
wandte er sich an die Gefährten und sprach zu ihnen:
“Wir sollten ihren Leichnam zur
Wetterspitze mitnehmen, denn auch Falnor sprach davon, dass sie einst
Vergebung bei ihren Göttern finden möge; möglicherweise findet sie an
der Ruhestätte der Druiden ihren Frieden.“
Elessar wies in Richtung des
Laboratoriums und fuhr fort:
“Aber nun sollten wir erst alles
durchsuchen, ob es noch etwas Wichtiges oder Brauchbares zu finden gibt,
und danach sehen, dass wir uns auf den Weg machen; die Sonne dürfte
schon bald aufgehen.“
11. Kapitel
Als Elessar sich neben der toten
Druidin bückte, um den Seelenstein, der ihrer Hand entfallen war,
aufzuheben, trat Kain neben ihn und vergewisserte sich, ob sie auch
tatsächlich tot sei; dann nahm er das Amulett, das die Druidin um den
Hals getragen hatte, in die Hand und riss es mit einem Ruck los, um es
genauer zu betrachten. Der Stein, der in die Fassung eingebettet gewesen
war, war durch die Wirkung der Essenz in der Phiole – die schwarzen
Tränen der Göttin aller Druiden, wie Falnor sie genannt hatte -
verschwunden und die Fassung selbst sah aus, als sei sie unter der
Einwirkung sehr großer Hitze zu einem unansehnlichen Klumpen Metall
geschmolzen. Welch Zauber dem Amulett auch immer innegewohnt haben
mochte, es würde nie wieder irgendeinem Zweck dienen. Doch
nichtsdestotrotz steckte der Magier es in seine Tasche und machte sich
auf den Weg zu Silvana, der er, nachdem er ihr zuerst einen Heiltrank
gereicht hatte, das Buch, das er in der Bibliothek gefunden hatte, in
die Hand drückte und sie bat, bei Gelegenheit nachzuschauen, was darin
stand.
Die Wallonin nahm beides entgegen,
doch bevor sie mehr als ein Danke entgegnen konnte, wandte der Magier
sich auch schon wieder ab, um das erstbeste Regal und die Tische in
seiner Nähe zu untersuchen. So besann sich auch Silvana eines anderen
und machte sich daran, dem toten Bär, den sie im Hintergrund der Höhle
entdeckt hatte, das Fell abzuziehen. Nach getaner Arbeit, verstaute sie
dieses mit den anderen Fundsachen aus dem Keller in dem rostigen Eimer
und band das Seil daran, um das Gebilde dann zum leichteren Transport
über die Schulter zu hängen; erst dann ließ sie ihre Blicke erneut durch
das Labor streifen, um nach Kain zu suchen.
Elessar bot der hinzugekommenen
Rileona den Seelenstein an, damit sie ihn später auf der Wetterspitze an
seinen Bestimmungsort legen könnte und wandte sich dann wieder der toten
Druidin zu, um Paladin um Vergebung für deren Seele zu bitten. Kaum
hatte der Priester sein Gebet beendet, als Tadea an die Druidin
herantrat, um diese nach etwas Brauchbarem oder Wertvollen zu
durchsuchen, doch da sie sich lautstark zierte, sie würde sie zum
Abtransport nicht anfassen, kam Drax dazu, fasste die Elfe an der
Schulter und zog sie schimpfend grob zurück. Tadea erkannte die Wut des
Zwergen und hielt es für schlauer, von der Druidin abzulassen;
stattdessen wandte sie sich den Apparaturen im Laboratorium zu, die sie
staunend betrachtete, doch nicht wagte, etwas anzufassen.
Kain hatte derweil die Durchsuchung
des Regals beendet; zu viele Phiolen unbekannten Inhaltes standen dort
herum und da die wenigsten beschriftet oder auch nur durch ein Symbol
oder ähnliches gekennzeichnet waren, hatte er es bald aufgegeben. Nur
einen Trank, den er als Manatrank identifizieren konnte, hatte er
eingesteckt, während er alle anderen zurückgelassen hatte und sich
danach der Untersuchung der diversen Apparaturen auf dem Tisch neben ihm
zugewandt hatte. Von keiner der Apparaturen war der offensichtliche Sinn
und Zweck erkennbar und da die meisten zu groß oder zu schwer waren, um
sie mitzunehmen, bedauerte der Magier, dass er sie nicht weiter würde
studieren können; lediglich eine kleinere Vorrichtung war leicht und
handlich genug, um in seinem Rucksack Platz zu finden. Plötzlich und
unerwartet war der Ort, an dem der Magier soeben noch gestanden hatte,
leer; stattdessen huschte eine Ratte an einem der Regale hoch, um die
entlegensten Ecken und Winkel zu untersuchen, um keinen Hinweis oder
Gegenstand zu übersehen. So fand sie auch bald einen kleinen Schlüssel,
den sie zwischen den Zähnen aus der Ritze, in der er gesteckt hatte, zog
und ihn so zur Kante des Regalbrettes schleifte, wo sie ihn
hinunterschubste. Das leise Klirren, mit dem der Schlüssel auf den Boden
aufschlug, weckte Silvers Interesse; der Elf ließ sich auf die Knie
nieder, um den Schlüssel, der unter das unterste Brett des Regals
gefallen war, aufzuheben und stutzte, als er unter das Regal schaute.
Dort verborgen unter einem Stück alten Stoffs entdeckte er eine Truhe
und nachdem er sie hervorgeholt und den Schlüssel aufgehoben hatte,
probierte er auch sogleich sein Glück an der Truhe und fand, dass er
passte; als er den Deckel hob, wurde er von dem Blinken unzähliger
Edelsteine, die das fahle Leuchten der Wände und das Licht der Fackel
tausendfach reflektierten, fast geblendet.
Kain war unterdessen in der Gestalt
der Ratte auf Silvanas Schulter geklettert und hatte sich dort
niedergelassen, da die Amazone das Buch zur Hand genommen und es
aufgeschlagen hatte; sie blätterte ein wenig darin herum und versuchte
dann, die Worte, die sie sah, zu lesen, doch nicht nur, dass die
Sprache, in der das Buch verfasst war, ihr vollkommen fremd war, war die
Folge der Buchstaben derart kompliziert und verworren, dass sie nicht
einmal den Wortlaut der Schrift erfassen konnte. So klappte sie das Buch
schnell wieder zu und machte sich dann mit Kain, der inzwischen wieder
menschliche Gestalt angenommen hatte, und den anderen auf den Weg nach
draußen.
In der Zeit, in der die Gefährten
die Räumlichkeiten durchsuchten, schritt Drax zu Kolkrabe, um sich nach
ihrem Befinden zu erkundigen; die Wirtin hatte sich gerade trotz ihrer
eigenen Verletzung um Varnayrahs Wunden gekümmert und der Elfe einen
Heiltrank verabreicht und so nahm der Zwerg die Versorgung der Wunden
seiner Liebsten selbst in die Hand, indem er die Schnittwunde mit einer
Wundbinde bedeckte, um eine Entzündung zu verhindern. Kurz darauf
gesellte sich Perfel zu den Verletzten und bestand darauf, sich alle
Wunden noch einmal anzusehen, um zukünftige Komplikationen vorzubeugen
und so wandte Drax sich wieder dem Leichnam der Druidin zu; er
durchsuchte sie schnell, wobei er an ihrem Gürtel eine noch gefüllte
Phiole entdeckte, die er an sich nahm. Dann nahm er zwei leere Säcke, in
die er den Leichnam stopfte und geschickt verschnürte, so dass es ihm
ein Leichtes war, sich das Bündel über die Schulter zu werfen und
anschließend die Treppe hinauf ins Freie zu tragen, wo er dann auf den
Rest der Gefährten wartete.
Nur wenige Augenblicke, nachdem
erst Talya und dann Perfel Varnayrahs Wunden versorgt hatten, fühlte die
Elfe sich wieder besser und wandte sich auch alsbald der Treppe nach
oben und damit dem Ausgang des Turmes zu; sie wollte unbedingt wieder
ins Freie, um den bedrückenden Gefühlen, die der Turm ihr verursachte,
zu entgehen und gesellte sich draußen zu dem wartenden Drax, nachdem sie
von dem plötzlich auftauchenden Tan’le freudig begrüßt wurde. Tjalf, der
nach dem Ableben der Druidin alles wie in Trance beobachtet hatte,
zeigte plötzlich wieder Leben und begleitete Varnayrah nach oben; statt
wie sie den Turm zu verlassen, erklomm er jedoch noch einmal die Stufen
ganz nach oben und begab sich noch einmal zu der Apparatur auf dem Dach,
wo er die Spiegel vorsichtig entfernte und sie sorgsam in seinem
Rucksack verstaute; erst dann machte er sich auf den Weg nach draußen,
um zur Abreise bereit zu sein.
Auch Perfel hatte sich nach der
Versorgung der Verletzten noch einmal den Regalen zugewandt und wahllos
einige der Phiolen eingesteckt; sie würde sicher später zu Hause
Gelegenheit finden, die Phiolen auf deren Inhalt zu untersuchen. Nachdem
sie ihren Rucksack zu ihrer Zufriedenheit gefüllt hatte, machte auch sie
sich auf den Weg nach oben.
Elessar war der Letzte, der sich
zum Gehen wandte; nachdem sowohl Drax, als auch Rileona die Zerstörung
der Apparaturen vorgeschlagen hatten, war der Paladin zu dem Schluss
gekommen, dass man zumindest versuchen sollte, die Apparatur, die den
Seelenstein beherbergt hatte, unbrauchbar zu machen. So wandte er sich
den Tischen zu, packte seinen Kriegshammer mit beiden Händen und holte
weit über den Kopf aus, um den Hammer dann mit kräftigem Schwung auf den
metallenen Käfig, oder wie man es nennen sollte, zu schlagen. Unter dem
Aufprall splitterten die Spiegel an der Apparatur und das Gestänge wurde
derart verbogen, dass es sich nie wieder zu einer geschlossenen „Kugel“
ausrichten lassen würde; da zudem der Seelenstein nicht an diesem Ort
verbleiben würde, war der Elf sicher, dass die Apparatur niemals mehr
ihrem ursprünglichen Zweck dienen würde. Noch einige Male verrichtete
der Kriegshammer sein Werk und zerstörte manche der Apparaturen, deren
Zweck nun niemand mehr herausfinden würde, geschweige denn sie noch
einmal ge- oder auch missbrauchen. Als er sein Werk vollendet hatte,
wandte auch er sich der Treppe zu und begab sich nach draußen zu den
Gefährten. Als alle bereit waren, wollte Drax sich grummelnd den
Leichnam der Druidin über die Schulter werfen, um sie über das
Lawinenfeld hinab zu den Pferden zu transportieren, aber Elessar hielt
den Zwergen zurück und deutete mit einem Lächeln an den Rand des
Plateaus, wo noch immer Kains Titan einsam Wache stand. Dann bat er
Kain, seinen stummen Diener zu beauftragen, den Transport zu übernehmen
und endlich brachen sie auf.
Kaum hatten sie das Plateau
überquert und knapp 30 Schritte auf dem Weg zurückgelegt, der sie an den
Steilhängen entlang und durch die Schluchten nach unten zu den Pferden
bringen würde, als sie ein mächtiges Poltern vernahmen; erstaunt hielten
sie inne und wandten sich noch einmal um zum Turm des Khalin Wael. Eine
Erschütterung schien die ganze Umgebung zu erfassen und dann schien der
Turm einen Augenblick lang zu wanken; ein lautes Krachen und Knacken von
zerbröckelndem Gestein war zu hören und dann wurde eine Staubwolke
sichtbar, die aus dem Innern des Turmes zu kommen schien. Langsam sackte
das Bauwerk nach unten, um dann in der immer größer werdenden Staubwolke
zu verschwinden; gebannt schauten die Gefährten dem Schauspiel zu und
nachdem sie eine Zeit lang gewartet hatten, bis sich der Staub verzogen
hatte, war der Turm verschwunden und an der Stelle, an der er zuvor
gestanden hatte, klaffte ein Krater von demselben Durchmesser; es
schien, als sei die Magie, die den Turm erschaffen und über die
Jahrhunderte hinweg erhalten hatte, mit dem Seelenstein entschwunden.
So machten sie sich endlich auf den
Weg zu den Reittieren und Kains Titan trug den Leichnam der Druidin mit
Leichtigkeit, so dass keiner der Gefährten sich abmühen musste. Der Weg
durch die Bergwelt verlief ereignislos und als sie schließlich auf der
Lichtung ankamen, auf der sie die Reittiere zurück gelassen hatten,
legten sie eine kurze Rast ein; eine Stunde zuvor war die Sonne
aufgegangen und die Nacht ohne Schlaf steckte manchem in den Knochen, so
dass einige der Gefährten froh waren, dass sie endlich ein wenig ruhen
und etwas Nahrung zu sich nehmen konnten. Doch alsbald brachen sie auf
und kurze Zeit später waren sie bereits auf der Straße zurück in
Richtung Nighton, auf der sie am Tag zuvor diesen Ort erreicht hatten
und ritten in der morgendlichen Sonne gen Osten.
Die weitere Reise verlief ebenso
ereignislos wie der Abstieg aus den Mondbergen; bald schon erreichten
sie die Wegscheide, die südwärts nach Nighton und nordwärts auf die
Straße nach Sha’Nurdra oder Drachenauge führen würde und nachdem sie
einige Meilen nach Norden geritten waren, erreichten sie die Brücke über
den Sirannon, die sie überquerten; statt sich dann ostwärts nach
Sha’Nurdra zu wenden, folgten sie der nördlichen Straße und durchquerten
schon bald erneut die kleine Ortschaft Jeldorf, wobei sich manch einer
der Bewohner, der die Drachenritter nun schon zum dritten Mal in
kürzester Zeit auf der Hauptstraße der Ortschaft erblickte, über deren
Erscheinung wunderte, zumal sie dieses Mal von einem seltsam anmutenden
Ungetüm begleitet wurden, das an einen zum Leben erwachten Felsen
erinnerte und ein Bündel über der Schulter schleppte. Doch die meisten
Bewohner des Ortes waren so schlau, sich nur um ihre eigenen Belange zu
kümmern und da von diesem Ungetüm keine Bedrohung auszugehen schien,
ernteten die Drachenritter nicht mehr als hie und da ein flüchtiges
Nicken zur Begrüßung und so zogen sie unbehelligt ihrer Wege.
Am Abend, kurz vor Sonnenuntergang
erreichten die Gefährten schließlich den Fuß der Wetterspitze; sie
suchten dieselbe Stelle wie beim letzten Mal auf, an der sie ihre
Reittiere zurücklassen wollten und machten sich dann allesamt auf den
Weg über den steinigen Pfad, der mit zunehmender Höhe immer enger wurde.
Durch die inzwischen fast vollkommene Dunkelheit war der Weg nur schwer
zu erkennen und sie kamen nur langsam voran; so war es nicht mehr lange
bis Mitternacht, als sie schließlich wie beim letzten Mal das Plateau
erreichten und sich langsam der Ritualstätte näherten, die trotz des den
ganzen Tag andauernden guten Wetters in Nebel gehüllt vor ihnen lag.
Schon bevor sie die Steinkreise betraten, gewahrten sie einen seltsamen
Lichtschimmer, der sie darauf aufmerksam machte, dass Falnor sie bereits
erwartete und als sie schließlich vor dem Altar standen, gewahrten sie
im Nebel, der sie umgab, weitere Schemen, die sie allesamt gespannt
anzustarren schienen. Falnor begrüßte die Gefährten mit einem
wohlwollenden Nicken und sprach:
“So seid Ihr tatsächlich
gekommen, um Euren Schwur zu erfüllen! Eilt Euch, es ist nicht mehr
lange bis Mitternacht!“
Elessar trat vor und wies auf den
Titanen, der noch immer den Leichnam der toten Druidin trug und klärte
Falnor über seine Absicht auf, ihrer Seele zu ermöglichen, ebenfalls die
ewige Ruhe zu finden und der Erzdruide erwiderte:
“So soll es sein; unser aller
Mutter wird entscheiden, ob sie die Seele der Ruchlosen zu sich nimmt!“
So wurde der Leichnam zu den
Grabstätten gebracht und dort niedergelegt; dann nahm Rileona den
Seelenstein hervor und trat an den steinernen Altar. Ohne Probleme fand
sie die Stelle, an der der Splitter, den sie in den Händen hielt, fehlte
und erkannte trotz der Dunkelheit, wie er eingesetzt werde musste.
Während sie den Altar untersuchte, kam Bewegung in die Schemen, die sich
im Nebel verbargen und erneut lag ein Raunen und Wispern in der Luft,
doch diesmal war es nicht geschwängert von Trauer oder abgrundtiefem
Hass, sondern voller Hoffnung in Erwartung des bevorstehenden
Ereignisses. Als die Druidin dann den Splitter in die gebrochene Stelle
einsetzte, wurde es kurzzeitig noch dunkler, da plötzlich Wolken
aufzogen und den Mond verdeckten. Unerwartet dröhnte ein Donnern in den
Ohren der Gefährten und ein Blitz zuckte aus dem nächtlichen Himmel,
zerriss grell die Dunkelheit und fuhr direkt in den Altar, vor dem
Rileona stand. Ein tausendfaches Seufzen der Erleichterung ertönte und
hie und da war ein erlösten Lachen zu hören, dann kehrte Stille ein. Die
Wolken verzogen sich, mit ihnen schwand der Nebel und mit diesem alle
Schemen, nur Falnor stand noch immer unweit Rileonas; das fahle
Leuchten, das ihn umgab, begann schon zu schwinden, als er noch einmal
das Wort ergriff und sprach:
“Nach vielen ruhelosen
Jahrhunderten finden meine Brüder, meine Schwestern und ich endlich Ruhe
und Frieden! Unser Dank wird Euch auf ewig zuteil werden!“
Fast war es, als umspiele ein
Lächeln die Züge des knöchernen Antlitzes, dann war auch er verschwunden
und die Drachenritter standen allein um den - wie im Mondlicht deutlich
erkennbar war - nun wieder unbeschädigten Altar der druidischen
Ritualstätte.
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