Die Wiedergeburt
 

1. Kapitel

Elessar stand am Tor des Paladintempels und schaute angespannt den Weg zum Aiyeona hinauf; aus dieser Richtung sollte sein langjähriger Freund Kjeldor bald nahen, denn einen Tag zuvor hatte Elessar eine dringende Botschaft nach Nuru gesendet, in der er ihn eindringlich bat, sich sofort auf den Weg in die Elfenstadt zu machen, da wichtige Angelegenheiten, die keinen Aufschub duldeten, ihrer Erledigung harrten. Der Elf konnte seine Unruhe kaum mehr verbergen, als sein Ordensbruder an diesem Abend endlich im Paladintempel in Sha'Nurdra eintraf und führte ihn nach der Begrüßung auf direktem Wege in den Versammlungsraum der Gilde, wo bereits einige Speisen, sowie frisches Wasser und Met zur Erfrischung aufgetischt waren. Nachdem die beiden sich Teller und Krüge gefüllt hatten, nahmen sie am Versammlungstisch Platz und genossen nach einem stillen Gebet zu Paladin ihr Mahl. Schon während sie aßen, begann Elessar ohne Umschweife von seinem Anliegen zu berichten.

"Werter Freund, es erfreut mein Herz, dass Ihr meinem Ruf ohne Umstände gefolgt seid! Ich möchte Euch auch sogleich erklären, warum diese Angelegenheit keinen Aufschub duldet. Ihr erinnert Euch sicher an die Schriftrolle, die wir während unserer Gründungszeremonie in dem kleinen Altarraum gefunden haben, dessen Zugang durch den Einsturz des Bodens in der Ecke dieses Raumes freigegeben wurde."

Kjeldor nickte lediglich zustimmend und blickte in besagte Ecke, wo inzwischen ein großer Schrank mit doppeltem Boden den Eingang geschickt verbarg. Dann deutete er seinem Freund fortzufahren.

"Nun, ich habe die letzten Wochen jeden freien Abend damit verbracht, die Schriften zu übersetzen und bin des Rätsels Lösung auf der Spur. Ich bin nun an einer Passage, an der ich nicht weiterkomme und, wenn man den Text zugrunde legt, ist genau das auch beabsichtigt. Aber Ihr werdet es gleich mit eigenen Augen sehen!"

Nach dem Mahl erhob Elessar sich und begab sich neben Kjeldor's Stuhl, wo er die Schriftrolle vor ihm ausbreitete, so dass sie beide die Schrift betrachten konnten. Dann fuhr er fort, wobei er mit dem Finger auf verschiedene Stellen des Textes deutete:

"Grob umrissen besteht die Schrift aus zwei Passagen: der erste Teil ist ein Rätsel, welches ich zu einem gewissen Teil bereits gelöst habe und der zweite Teil ist die verwitterte und verblasste Schrift, die meiner Meinung nach konkrete Hinweise auf den Verbleib der Kriegshämmer enthalten muss. Doch ich beginne besser von vorne!"

Inzwischen war es zu dunkel geworden und Elessar entzündete die Kerzen in dem Kandelaber, der auf dem Tisch stand, so dass sie auch weiterhin genügend Licht haben würden. Dann ging er zu seinem Platz, um seinen Krug zu holen. Er leerte ihn in einem Zug und kehrte dann an Kjeldor's Seite zurück, wo er dessen und seinen Krug erneut füllte. Dann sprach er weiter:

"Wer auch immer die von uns gefundene Schatulle mit den Ringen und dieser Schriftrolle, die wir heute in Händen halten, hinterließ, tat dies, um die Wiedergeburt des Ordens denjenigen zu ermöglichen, die reinen Herzens sind und sich würdig erweisen würden. Ich bin überzeugt, dass die Schrift des zweiten Teils mitnichten verwittert ist, sondern eine Art Geheimschrift, die nur unter ganz besonderen Voraussetzungen entziffert werden kann. Und diese werden von dem Rätsel aufgezeigt, welches der erste Teil des Textes enthält."

Der Elf deutete auf den betreffenden Textabschnitt, in dem folgendes zu lesen war:

Ehemals Fremde, dann eins geworden,
im Kampf gegen dunkle Horden,
seither wie eine Seele und ein Herz,
gemeinsam im Guten, wie im Schmerz,
am rechten Tag, zur rechten Stund,
im Licht des doppelten schimmernden Rund,
Weisheit wird helfen, das Geheimnis zu lüften,
helfen, zu verstehen die alten Schriften,
helfen, zu lösen die Rätsel an heiligen Orten,
helfen, zu finden das wahre Erbe des Orden.


Nach ein paar Minuten des Schweigens ergriff Elessar wiederum das Wort:

"Meine bisherige Interpretation geht dahin, dass der Beginn des Rätsels von Euch und meiner Wenigkeit spricht, was sogar die These aufkommen ließe, dass unsere Ehrentitel als Herz der Zwölf und Geist der Zwölf von Anfang an vorherbestimmt waren. Des weiteren denke ich, und das ist der Grund für die Dringlichkeit meiner Bitte, Euch unverzüglich herzubegeben, dass der rechte Tag und die rechte Stund sehr nahe liegen, denn um Mitternacht beginnt der zwölfte Tag des zwölften Monats.

Und hier endet auch meine Weisheit, denn ich habe absolut keine Idee, was mit dem doppelten schimmernden Rund gemeint sein könnte. Sei es, dass wir das Rätsel nur gemeinsam lösen können, so möge der Gerechte geben, dass Ihr die Lösung dazu findet, denn die Zeit drängt."


Kjeldor, der den Ausführungen Elessar's gebannt gelauscht hatte, ergriff nun zum ersten Mal das Wort und sprach:

"Werter Bruder, wie es scheint, ist uns sehr viel mehr vorher bestimmt, als wir selbst zu denken wagen! Eure Ausführungen erscheinen sehr logisch und wenn wir mit Hilfe dieses Rätsels den verschollenen Kriegshämmern auf die Spur kämen, wäre in der Tat der letzte fehlende Grundstein für unseren Orden gelegt."

In diesem Moment brach die Wolkendecke auf und helles Mondlicht flutete durch die Fenster in den Versammlungsraum und fiel auf die Schriftrolle. Ein leichtes Schimmern zeigte sich dort, wo die Schrift verwittert schien und Kjeldor rief aus:

"Seht, mein Freund, die Schrift auf dem Pergament! Sagt, haben wir nicht heute nacht Vollmond? Das schimmernde Rund..."

Fasziniert betrachteten die beiden Paladine die Schriftzeichen, die im Mondlicht Substanz zu gewinnen schienen. Doch noch immer waren die Schriftzeichen seltsam unvollständig und dadurch vollkommen unlesbar, so dass Elessar sprach:

"Nun, es scheint, wir wären der Lösung etwas näher, aber uns fehlt noch immer das doppelte schimmernde Rund."

So grübelten die beiden Paladine weiter und überlegten, was diese Aussage wohl bedeuten möge und die zwölfte Stunde näherte sich unaufhaltsam, ohne dass sie weiter kamen. Kjeldor hatte sich kurz entschuldigt, um dem Ruf der Natur zu folgen und war gerade wieder in den Versammlungsraum getreten, als er wie versteinert stehen blieb und wie gebannt an Elessar vorbei starrte. In dem Moment, in dem der Elf sich umdrehen wollte, um zu sehen, was seinen Freund so fesselte, rief dieser aus [i]"Da haben wir das zweite schimmernde Rund!"[/i] und eilte an dem Elf vorbei. Kjeldor rannte zu dem Schränkchen an der gegenüberliegenden Wand, ergriff die schwach leuchtende Kugel, die sie damals zusammen mit der Schatulle in dem Altarraum gefunden hatten, und hielt sie Elessar hin.

"Das muss es sein, mein Freund! Die Kugel wurde nicht ohne Absicht bei der Schriftrolle zurück gelassen! Lasst es uns versuchen!"

Kjeldor stellte die Kugel auf den Tisch neben die Schriftrolle; doch so sehr sie sich auch bemühten, die Schriftzeichen blieben unleserlich. Inzwischen war es fast Mitternacht und Elessar drängte zur Eile:

"Wir haben nicht mehr viel Zeit! Lasst uns noch etwas anderes versuchen!"

Der Elf löschte die Kerzen im Kandelaber und begab sich dann mit der Kugel und der Schriftrolle zum Fenster, wo er die Kugel so platzierte, dass das Mondlicht direkt auf die Kugel fiel. Fast augenblicklich schien sich das Leuchten der Kugel zu verstärken und das von ihr ausgehende Licht fiel auf die Schriftrolle, wo die unvollständig erscheinenden Schriftzeichen unversehens regelrecht aufflammten und sich zu einem lesbaren Text zu ergänzen schienen.

Die Fähigkeiten der alten Rasse
gab dies Euch in die Hände
und die Ehre ihrer Kriegerklasse
führt in den Raum der runden Wände.
Zwölf mächtige Krieger, gehauen aus Stein
bieten dort weitere Rätsel feil
antwortet recht; sie werden die Führer sein
zu ihrem und Eurem Seelenheil.
Sprecht weise an heiligen Orten
und findet das wahre Erbe des Orden!


Nachdem er den Text mehrmals gelesen hatte, um sicher zu sein, dass er ihn jederzeit wortwörtlich würde wiedergeben können, richtete Elessar das Wort erneut an seinen Freund:

"Ich kann mir zwar noch keinen Reim auf diese Worte machen, aber ich bin sicher, dass er uns in letzter Konsequenz zu dem Aufbewahrungsort der Kriegshämmer führen wird. Wir sollten unten im Altarraum noch einmal genauestens nach weiteren Hinweisen suchen; möglicherweise existieren ja noch weitere Überreste des alten Tempels. Doch ich denke, wir sollten zuerst unsere Ordensbrüder zusammenrufen, denn in dem Text ist die Rede von zwölf Kriegern; noch sind wir keine Zwölf, aber unsere Gemeinschaft ist stark und soll weiter wachsen. Wir sollten nun zu Bett gehen und morgen werde ich eine Nachricht an die anderen senden."

~/~

Einige Tage später leistete Amras Elessars Nachricht, die die anderen Ordensbrüder zu einer außerordentlichen Versammlung nach Sha'Nurdra berief, Folge und reiste aus Nuru an; er brachte Kunde, dass Thiefshadow und Bulgrim wohl seit einiger Zeit in fernen Landen unterwegs seien, so dass die Botschaft sie nicht erreicht hatte; von Lunactic hatte indessen seit einigen Wochen niemand etwas gehört; zuletzt hatte ihn anscheinend Elessar gesehen, als er diesen wenige Tage vor der königlichen Hochzeit in Drachenauge aufgesucht hatte. Nachdem Kjeldor und Elessar die Situation geschildert hatten, suchten sie gemeinsam den vor kurzem entdeckten Altarraum auf, um nach weiteren Spuren zu suchen, doch fanden sich keine weiteren Hinweise bei der folgenden gründlichen Inspektion des Altarraumes. Lediglich auf den Sockeln der beiden Statuen entdeckten sie eine Inschrift, auf dem linken war das Wort „Verstehen“ eingraviert, während auf dem rechten das Wort „Weisheit“ zu lesen war. Erst, als sie noch einmal den Gang, der zu dem Altar führte und den Schuttberg an der Einbruchstelle näher untersuchten, bemerkten sie, dass die abschließende Stirnwand in diesem Gang nur eine Illusion war. Die Gefährten traten durch die scheinbare Wand und gewahrten, dass dahinter der Gang noch ungefähr zehn Schritte weiter verlief und dann in drei Richtungen verzweigte.

Nach links öffnete sich der Gang in einen fast runden Raum; geradeaus verlief er, wie der Gang, aus dem sie gerade kamen, etwa zehn Schritte weiter, während es nach rechts wohl mehr als zwanzig Schritte weiter ging. Eine seltsam anmutende Ruhe und Beschaulichkeit herrschte an diesem Ort, so dass keiner der Gefährten das Gefühl hatte, er müsse hier mit irgendeiner Bedrohung rechnen. Auf allem lag eine dicke Staubschicht, die auf dem Fußboden nicht einmal Spuren von Ratten oder anderem Getier aufwies. Kein Lufthauch regte sich und doch schien die trockene Luft weder stickig, noch verbraucht. Da nirgends Fenster zu sehen waren, musste wohl ein geheimes und noch immer funktionsfähiges Belüftungssystem existieren.

Auf mehreren kleinen Podesten fanden sich in regelmäßigen Abständen die gleichen Lichtkugeln, wie die, die Elessar im Altarraum gefunden hatte, jedoch in einer größeren Ausfertigung. Sie verbreiteten ein freundliches, gedämpftes Licht, das an die Morgendämmerung erinnerte und so waren alle Einzelheiten der Umgebung recht deutlich erkennbar. Der Gang, der nach rechts verlief, endete an einer großen Tür, auf deren beiden Flügeln das alte Symbol des Ordens prangte. Geradeaus endete der Gang an einer nackten Wand, an der auf einem an der Wand befestigten Podest die Statue eines Kriegerpriesters stand, die den beiden im Altarraum glich, wie ein Ei dem anderen. Der Raum zur Linken wurde fast vollständig von einem großen runden Tisch eingenommen, der mit Büchern, Schreibutensilien und weiteren Dingen übersät und von zwölf Stühlen umgeben war. An den Wänden des Raumes hingen mehrere Wandteppiche, die zwar aufgrund ihres Alters verblasst und teilweise zerschlissen waren, aber doch noch immer von ihrer einstigen Pracht zeugten. Einer zeigte eine Schlacht, in der ein Paladin mit einer Lanze alleine gegen einen schwarzen Drachen kämpfte, ein anderer eine Szene, die wohl eine Priesterweihe darstellte. Die weiteren Wandteppiche zeigten Wappen, die keinem der Gefährten auch nur annähernd bekannt vorkamen.

Von ihrem Standpunkt auf der "Wegkreuzung" aus konnten die Gefährten auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches drei Türen erkennen; die linke Tür war geschlossen und schien noch intakt, während die mittlere Tür einen Spalt breit offen stand und schief in den Angeln hing; die rechte Tür dagegen stand weit offen und offenbarte einen kleinen, augenscheinlich leeren Raum. Elessar, selbst vor Ehrfurcht verstummt, deutete Kjeldor mit einer Handbewegung, sich den Gang und die abschließenden Doppeltüren anzusehen, und winkte dann Amras mit sich, um den Raum mit dem Tisch und den drei Türen im linken Bereich zu inspizieren.



2. Kapitel

Sobald die Gefährten den großen Tisch erblickten, war es jedem Einzelnen von ihnen klar, wo sie sich befanden, ohne dass auch nur einer ein Wort darüber verlieren musste: sie hatten die Versammlungsstätte des ersten Heiligen Orden der Zwölf gefunden. Ehrfürchtig betraten sie den Raum und blickten sich um und wenn Worte im Verlauf der Durchsuchung der Räumlichkeiten gewechselt wurden, dann verhalten und fast geflüstert, um die Ruhe an diesem Ort nicht zu stören.

Während Elessar den Tisch inspizierte und einige Bücher entdeckte, von denen er der Meinung war, dass sie in der Zukunft einen Platz in der Bibliothek bei den anderen Büchern über den Orden finden sollten, untersuchten Amras und Kjeldor die restlichen Räumlichkeiten. Amras eilte zuerst in den rechten Raum, doch dort war außer fast leeren Regalen nichts zu sehen; es musste sich wohl um den Lagerraum des Ordens gehandelt haben. In einem der Regale fanden sich noch einige Phiolen, die laut ihrer Beschriftung Heiltränke enthalten sollten, doch hatte die Flüssigkeit in ihnen eine seltsame grünliche Färbung angenommen und war vollkommen trüb; anscheinend waren sie nicht richtig verschlossen worden und so hatte der Zahn der Zeit sein Werk getan und die Flüssigkeiten zersetzt. Auch einige verwelkte Büschel, die wohl einmal Weihrauch gewesen waren, lagen in einem Regal, aber auch dieser war mit Sicherheit unbrauchbar. So wandte Amras sich dem nächsten Raum zu und als er die schief in den Angeln hängende Tür aufstieß und eintrat, sah er sich in einer kleinen Schlafkammer wieder, denn der Raum enthielt einen kleinen Schrank und ein Bett, jedoch erwies sich der Schrank als leer und auch unter dem Bett war nichts zu finden.

Inzwischen hatte Elessar die noch geschlossene Tür geöffnet und war in den dahinterliegenden Raum getreten und erstaunt stehen geblieben; der Paladin fand sich in einer Art geräumigen Alkoven wieder; den Fußboden, der aus schwarzem Marmor bestand, zierte ein Paladinsymbol aus einem hellen Material, das von innen heraus zu glimmen schien. Eine genauere Betrachtung offenbarte, dass wohl auch hier das gleiche Material, aus dem auch die Leuchtkugeln bestanden, verwendet worden war. An der gegenüberliegenden Wand hing eine seltsame Karte, die Elessar nicht deuten konnte; sie zeigte fünf Gebilde, in denen an den unterschiedlichsten Stellen kugelförmige Vertiefungen - insgesamt acht an der Zahl - eingelassen waren. Alle diese Vertiefungen waren untereinander mit hauchdünnen Linien verbunden, so dass sich ein Muster ergab, dass bei längerer Betrachtung die Sinne verwirrte. Unter der Landkarte - denn eine solche sollte das Gebilde, wie der Paladin sich dachte, wohl in irgendeiner Art darstellen - war eine Inschrift zu lesen:

 

Ein weiter Weg mit einem einzigen Schritt, überwindet im Nu
wer das Ende kennt und den Anfang betritt, braucht nur den rechten Schlüssel dazu.

Eine kostbare Gabe ist dies, hat keinen Anfang und kein Ende und in der Mitte nichts.

 

Noch während Elessar grübelte, was diese Inschrift wohl bedeuten mochte, erklang der Ruf Kjeldors, der wohl etwas entdeckt hatte und seine beiden Ordensbrüder zu sich rief.

Der Paladin hatte sich den beiden Flügeltüren genähert, um heraus zu finden, was sich wohl dahinter befinden mochte. In der Erwartung, dass die Türen unverschlossen seien, legte er seine Hände auf die Türgriffe, doch kaum hatte er sie berührt, als die beiden Paladinsymbole auf den Türflügeln grell aufflammten und Kjeldor erstaunt zurücksprang. Er hatte keinen Schmerz gespürt und so versuchte er es ein zweites Mal, doch mit demselben Ergebnis. Eine eingehende Betrachtung der Türen zeigte, dass diese zusätzlich ein Schloss aufwiesen, doch als Kjeldor versuchte, das Schloss mit seinen Dietrichen zu öffnen, erhielt er eine Art elektrischen Schlag, der ihn vor Schmerz zurückzucken ließ; hätte er nicht wenige Wochen zuvor diese kostbare Phönixfeder von Aydans – vermeintlichem - Adler erhalten, wäre diese Verletzung wohl weitaus schmerzlicher ausgefallen, aber so blieb nur ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen zurück. Also wandte er sich um, um den Gang entlang zu seinen Ordensbrüdern zu eilen und ihnen von der offensichtlich magischen Versiegelung der Tür zu berichten. Als er an der Wegkreuzung vorbeikam, warf er unbewusst einen Blick auf die Statue in dem rechten Gang und stutzte; der Schatten, den der Kriegerpriester auf die Wand warf, war seltsamerweise auf einer Seite länger, als würde er ungleichmäßig von den Leuchtkugeln, die sich auch in diesem Gang befanden, angestrahlt. Kjeldor trat näher und untersuchte die Statue, doch außer einer weiteren Inschrift - dem Wort „Rittertum“ - konnte er zuerst nichts Ungewöhnliches entdecken. Doch als er die Wand näher in Augenschein nahm, bemerkte er, dass diese leicht schräg zu verlaufen schien, was ihn veranlasste, an der einen Seite dagegen zu drücken. Erstaunt sah er, wie die Wand nach innen schwang und den Blick auf eine Weiterführung des Ganges freigab, worauf er nach Amras und Elessar rief und wartete, bis die beiden sich bei ihm eingefunden hatten.

Als Amras und Elessar zu ihm kamen, berichtete Kjeldor zuerst von dem magischen Siegel an den großen Türen und zeigte ihnen dann seine letzte Entdeckung; gemeinsam betraten sie den Gang durch die nun offen stehende Geheimtür und nachdem sie etwa 30 Schritte zurückgelegt hatten, mündete der Gang in einen ähnlichen Raum wie der Altarraum, den sie bei der Gildengründung entdeckt hatten. Anders als dort, fanden sie hier jedoch keinen Altar vor, sondern in dem Raum befanden sich ein Dutzend Kriegerpriesterstatuen, die in einem Kreis um ein sich im Mittelpunkt des Kreises befindliches Podest standen. Noch während Elessar ehrfürchtig die Worte [i]“Der Raum der steinernen Zwölf“[/i] aussprach, machten sich Amras und Kjeldor daran, den Raum zu untersuchen und fanden nach kurzer Zeit heraus, dass alle Statuen auf drehbaren Sockeln standen, die wohl irgendeinen Mechanismus auslösen sollten. Drei der Statuen standen mit Blickrichtung in das Zentrum des Kreises, während die anderen neun nach außen schauten und auf allen Sockeln fand sich eine Inschrift. Während die Sockel der neun, nach außen blickenden Statuen lediglich ein einziges Wort aufwiesen, stand auf den Sockeln der anderen drei jeweils ein Spruch.




Mit spitzer Zunge und scharfem Verstand schlichtet es Streit in seines Herren Hand (R1).

Ihr dürft es nicht verlieren, denn dann verlieren es auch andere. Wenn es Euch entgleitet, Euer Bruder darunter leidet (R2).

Ein tapferer Führer wird dies halten, aber erst, nachdem er es gegeben hat (R3).

 

 

3. Kapitel

Gemeinsam betraten die drei Ordensbrüder den Raum mit den zwölf steinernen Statuen; Elessar trat an das kleine Podest in der Mitte der Wächter und nahm es genauestens in Augenschein, doch konnte er nichts Besonderes daran entdecken. Währenddessen untersuchten Kjeldor und Amras die Statuen und Kjeldor entdeckte, dass diese drehbar waren. Amras konzentrierte sich auf die Inschriften auf den Sockeln und las diese laut vor, während die anderen beiden aufmerksam lauschten. Nachdem er die zwölfte Inschrift gelesen hatte, dauerte es nicht lange, bis sich alle einig waren, welche der Rätsel durch welche Worte gelöst werden konnten, berieten sie sich, in welchen Zusammenhang die Lösung der Worträtsel wohl mit der Blickrichtung der Statuen gebracht werden konnte. Amras erwähnte als Erster die drei weiteren Fähigkeiten eines Paladins, die durch die Inschriften auf drei der zwölf Statuen benannt wurden und schlug vor, dass man lediglich die richtigen Statuen korrekt ausrichten müsste, um einen Schritt weiter zu kommen. Kjeldor dagegen dachte daran, das man die drei Statuen, die sie zuvor gefunden hatten, gegen drei der hier stehenden austauschen müsste, um zumindest sechs der sieben Fähigkeiten eines Paladins an einem Ort zu konzentrieren, erwähnte jedoch, dass er in diesem Fall die letzte Fähigkeit, das Mitgefühl vermisse.

Elessars Blick richtete sich erneut auf das Podest im Zentrum des Kreises und dann meinte er:

“Entspringt Mitgefühl nicht aus unseren Herzen, dem Zentrum unseres Seins? Möglicherweise führt uns dies zu der letzten fehlenden Fähigkeit.“

Doch eine weitere Untersuchung zeigte, dass es unmöglich war, die steinernen Kriegerpriester von einer Stelle zur anderen zu transportieren. So blieb letztlich nur die Ausrichtung der Blickrichtung der betreffenden Statuen und die drei grübelten weiter über des Rätsels Lösung, bis Amras plötzlich bemerkte:

“Die Lösung des ersten Rätsels ist, wie wir alle einstimmig befunden haben, ‚Schwert’; ist das Schwert nicht ein Symbol für die Kraft, also eine der Fähigkeiten eines Paladins? Seht her, die Statue mit der Inschrift ‚Kraft’ blickt in das Zentrum des Kreises und befindet sich gegenüber der Statue mit der Inschrift ‚Schwert’. Ich würde vorschlagen, dass wir diese ebenso mit dem Blick in das Zentrum ausrichten.“

Die beiden anderen stimmten zu und so drehten sie mit vereinten Kräften den Kriegerpriester so, dass er den Blick in das Zentrum richtete und sich mit dem Blick des gegenüberstehenden Paladins kreuzte; sofort begannen die steinernen Augen der beiden Statuen von innen heraus zu glimmen und man erkannte, dass die Augen nicht aus Stein, sondern aus kleinen Perlen des Materials waren, aus dem auch die Leuchtkugeln bestanden. Nur einen Augenblick später war ein lautes Klicken und Schnappen zu hören, als würde ein Schloss geöffnet. Vor Ehrfurcht gebannt und ebenso vor freudiger Erwartung erregt, begannen sie die Worte der anderen Statuen noch einmal zu studieren und Kjeldor rief laut aus:

“Das zweite Rätsel haben wir mit ‚Geduld’ gelöst; ist die Geduld nicht ein Zeichen der ‚Ausdauer’? Auch diese beiden Statuen stehen einander gegenüber und eine der beiden blickt bereits ins Zentrum. Ebenso verhält es sich mit dem ‚Versprechen’; ein Führer, der seine Versprechen hält, weist wohl die größte ‚Führungsqualität auf, die man erwarten kann. Wir sollten auch diese Kriegerpriester entsprechend ausrichten und sehen, was geschieht.“

Gesagt, getan! Die beiden Statuen wurden erneut gemeinsam gedreht und mit jedem Paar, dessen Blicke sich kreuzten, entstand dieses Leuchten und die Geräusche sich öffnender Schlösser waren hörbar. Als sechs der Statuen mit Blick zum Mittelpunkt des Kreises ausgerichtet und die Geräusche verstummt waren, herrschte einen Augenblick Stille und die Gefährten starrten sich erwartungsvoll an, doch nichts geschah. Hoffnungslosigkeit wollte sich bereits in ihnen ausbreiten, da ertönte ein Rumpeln, dass wohl von einem unsichtbaren Mechanismus herrührte; man hörte erneut ein Klicken, das dieses Mal von stählernen Kettengliedern zu kommen schien, und das Ächzen von Zahnrädern, die ineinander griffen und die kleine Plattform, die das Podest in der Mitte abschloss, öffnete sich. Daraus erhob sich eine weitere, kleinere Säule, auf welcher eine kleine Schatulle stand. Elessar trat heran und untersuchte diese und, als er sie offensichtlich unverschlossen fand, öffnete er den Deckel und förderte ein kleines Buch in einem schwarzem, ledernen Einband und einen Ring zutage. Der Ring war aus dem gleichen silbrig glänzenden Metall wie die Gildenringe gearbeitet und trug in einer Fassung eine Perle, die von innen heraus sanft zu glimmen schien; der Paladin vermutete, dass sie aus dem gleichem Material wie die Intarsien im Siegel des Gildenringes war, aber konnte dies zu diesem Zeitpunkt nicht mit Bestimmtheit sagen. So schob er den Ring in eine Tasche seines Waffenrocks und widmete sich dem Buch, dessen Seiten mit einer feinen und engen, gradlinigen Handschrift beschrieben waren; er überflog die erste Seite und blätterte dann durch bis auf die letzten Seiten, die er etwas intensiver las.


7. Weinmond 568 n.D. ...das Böse war in den vergangenen Jahren übermächtig geworden und wir hatten geahnt, dass wir nicht würden bestehen können und so in weiser Voraussicht unsere Kriegshämmer im Tempel zurückgelassen...

28. Weinmond 568 n.D. ...auch mit Schwertern sind wir durch unsere Gabe im Vorteil und können vor allem den Horden von Orks und Goblins mit Leichtigkeit den Garaus machen; jedoch reißen die Schwarzdrachen, die Tantalus unter seinem Befehl hat, bei ihren Angriffen auf unsere Reihen große Lücken...

...

19. Nebelmond 568 n.D. ... einem Schwarzdrachen-Angriff fielen heute morgen gleich drei von uns zum Opfer, da sie einander den Rücken freihaltend gegen eine größere Gruppe Feinde fechtend den Angriff zweier dieser übergroßen Drachen zu spät bemerkten und ohne Warnung von deren Feueratem erfasst und getötet wurden...

Der Schmerz, den ich durch die Verbundenheit mit meinen Ordensbrüdern über die Gabe miterleben musste, war so groß, dass er mir fast die Seele aus dem Leib brannte...Paladin, oh Gerechter, wenn Deine Diener hier zugrunde gehen müssen, dann sei ihrer Seele gnädig...

...

10. Eismond 569 n.D. ...es ist soweit; das Ende ist nahe. Ich muss mich aufmachen, das Erbe unseres Ordens zu verwahren, auf dass unsere Enkel oder deren Enkel einst den Orden wieder auferstehen lassen, um im Namen des Gerechten erneut das Böse zu bekämpfen. Nach den jüngsten Ereignissen erscheinen mir die Zwillingstempel der Glamhothrim der sicherste Ort zur Verwahrung dieses Schatzes.



An dieser Stelle endete der Bericht abrupt und als Elessar geendet hatte, klappte er das Büchlein zu und wandte sich an seine Ordensbrüder:

“Meine Brüder, das Büchlein ist eine Art Kriegstagebuch, in dem detailliert beschrieben wird, wie die Kriegerpriester in ihrem letzten Kampf gegen die Horden des Bösen regelrecht aufgerieben wurden.

Die letzten Seiten des Berichtes machen deutlich, dass der verletzte Kriegerpriester, der von den Vorfahren meines Ordens gefunden worden war, wohl die Kriegshämmer in Sicherheit gebracht hatte, bevor er selbst das Land verlassen hatte; nur so konnte er sicher gehen, dass das Geheimnis der Zwölf nicht vorzeitig offenbart werden konnte.

Der Paladin begab sich also in den damaligen Tempel in Sha'Nurdra und hinterließ die von uns gefundene Schatulle mit den Gildenringen und der Schriftrolle im Altarraum und den einen Ring, dessen Sinn und Zweck wir noch ergründen müssen, und das Büchlein, das ich nun in Händen halte, im Raum der Zwölf, um die Wiedergeburt des Ordens denjenigen zu ermöglichen, die reinen Herzens sind und sich würdig erweisen würden. Dann hat er sich, auf welchen Wegen auch immer, zu dem Ort begeben, an dem er die Kriegshämmer verstecken wollte, wie er ihn nennt, die ‚Zwillingstempel der Glamothrim’.“


Der Paladin machte eine Pause und schien einen Moment zu überlegen, bevor er fortfuhr:

“Ich habe zwar noch nie von den Zwillingstempeln gehört, aber Glamothrim nennt man das Volk der Orks in meiner Sprache; mit großer Wahrscheinlichkeit führt uns unser weiterer Weg also in das orkische Hochland und da wir nicht wissen, welchen Wege der Kriegerpriester damals genommen hat und der übliche Weg dorthin eine weite und gefährliche Reise ist, sollten wir auf keinen Fall alleine aufbrechen, denn zu gering ist derzeit unsere Zahl."

Plötzlich schien Elessar in Eile zu sein, denn er meinte nur noch:

“Ich habe eine Idee: der Angriff des Feuerdämons zu Anfang des letzten Mondes hat gezeigt, wie wichtig eine Zusammenarbeit der Gilden ist; deshalb werde ich mich mit Eurer Zustimmung mit Carthangiel bereden, damit sie einige Mitglieder der Waldläufergilde bittet, uns auf unserer Mission zu begleiten. Was meint Ihr dazu?

Zudem will ich noch eine Sache im Stadtarchiv nachprüfen; bereitet Ihr bitte in der Zwischenzeit alles für unsere Abreise vor, denn ich denke, wir werden noch heute nacht aufbrechen. Wir treffen uns zu späterer Stunde im Gasthaus zu weiteren Besprechungen!“


Dann war er auch schon auf dem Weg nach draußen; den Ring in seiner Tasche hatte er inzwischen ebenso verdrängt, wie den sonderbaren Alkoven, den er sich eigentlich hatte noch einmal genauer ansehen wollen.

~/~

Als der Abend anbrach, saßen die Ordensbrüder gemeinsam an einem Tisch in einer Ecke des Gasthauses in Sha’Nurdra und Elessar erzählte den beiden anderen von seinen Recherchen im Stadtarchiv und seinem Gespräch mit Carthangiel, als auch schon die Tür geöffnet wurde und seine Liebste mit drei weiteren Personen die Schankstube betrat; der Paladin war hocherfreut, dass unter den Neuankömmlingen sogar Varnayrah war, denn er hatte nicht gewusst, dass sie derzeit in der Stadt des Lichtes weilte. Weiterhin begleiteten Carthangiel noch die Amazone Emathelyos, die er vor einiger Zeit auf der Reise zu einer Insel in den Nordlanden, welche sie vom Joch der Sassenach befreit hatten, kennen gelernt hatte und einem ihm unbekannten jungen Elf.

Elessar winkte und erhob sich, als die vier eintraten, damit sie auf die Gefährten aufmerksam wurden und begrüßte die Waldläufer herzlich; als alle einander vorgestellt hatten, so sie sich noch nicht kannten, bat er, Platz zu nehmen und nachdem ein Jeder mit einem Getränk versorgt war, räusperte er sich und begann zu sprechen, wobei er das Wort in der Hauptsache an die Waldläufer richtete:

“Habt Dank, dass Ihr meiner Bitte, die Euch Carthangiel in meinem Namen vorgetragen habt, Folge geleistet habt und heute Abend hier erschienen seid! Sie hat Euch wohl erzählt, dass ich Euch um eine Zusammenarbeit unserer Gilden bitten möchte, doch bevor ich näher auf die Art dieser Zusammenarbeit eingehe, möchte ich Euch einige Hintergrundinformationen zukommen lassen.“

So berichtete Elessar in knappen Worten die Geschichte des Heiligen Ordens der Zwölf, seiner Gründung vor mehr als einem Jahrtausend, seinem immerwährenden Kampf gegen das Böse und seines Untergangs im Krieg gegen den dunklen Heerführer Tantalus nach fast 500-jährigem Bestehen und wie der Orden in der Folgezeit immer mehr in Vergessenheit geriet. Von der Rettung des letzten Paladins und der daraus entstandenen Gründung des Ordens des Lichtes im Silmataurea erzählte er ebenso wie von der von Eingeweihten ständig erwarteten Neugründung des Ordens, die letztendlich von den anwesenden Paladinen vor einigen Monaten vollzogen worden war. Schließlich folgte noch eine kurze Abhandlung über die Waffen und Fähigkeiten, die die Kriegerpriester auszeichneten - wobei der Paladin bewusst die „Gabe“ verschwieg, denn die Wenigsten wussten um diese Fähigkeit, die es den Ordensbrüdern ermöglichte, über ihr Gedankenmuster miteinander zu kommunizieren - und mit denen diese gemeinhin ihren Kampf für das Gute ausfochten und so kam auch die Rede auf die sagenumwobenen Kriegshämmer, die kaum ein lebendes Individuum je gesehen, geschweige denn davon gehört hatte.

Der Priester hatte seine Rede immer wieder unterbrochen, um einen Schluck seines Mets zu trinken, doch bisher hatte keiner der Zuhörer ihn unterbrochen, um eine Zwischenfrage zu stellen. So kam er letztendlich zum Grund ihres Zusammenseins:

“Wie Ihr erfahren habt, sind die Kriegshämmer der Paladine nicht nur äußerst mächtige Waffen, sondern es ist auch von größter Wichtigkeit, dass sie wieder gefunden werden, da nur mit diesen Waffen die Wiedergeburt des Heiligen Ordens der Zwölf endgültig besiegelt sein wird! Nach langem Forschen ist es uns endlich gelungen, den entscheidenden Hinweis auf ihren Verbleib zu finden und so wollen wir uns auf den Weg machen, die Hämmer zu bergen.

Unglücklicherweise sind wir jedoch noch lange nicht vollzählig und zudem sind einige unserer Ordensbrüder derzeit in fernen Landen unterwegs, so dass wir sie nicht erreichen konnten. Und hier kommen wir zum Punkt Eurer Anwesenheit: ich möchte Euch im Namen unseres Ordens bitten, uns auf unserer Mission zu begleiten und uns behilflich zu sein, unser Erbe zu finden, damit wir in Zukunft noch effektiver gegen das Böse antreten können. Wir haben bereits bewiesen, dass die Zusammenarbeit unserer Gilden der guten Sache dienlich ist und so sollte es in Zukunft immer sein, denn gemeinsam sind wir stark!“


Elessar schaute in die Gesichter der Anwesenden und versuchte, ihre Mienen zu deuten; dann fuhr er fort:

“Eigentlich sollte uns am Fundort keinerlei Gefahr drohen, denn das Versteck müsste sich eigentlich an einem Ort befinden, an dem nichts Böses existieren kann, aber niemand weiß, wie sich der besagte Ort in den vergangenen Jahrhunderten gewandelt hat. Allerdings wird die Reise zu diesem Ort nicht ganz ungefährlich sein, denn...“

Hier blickte Elessar von einem zum anderen, wobei er dieses Mal auch seine beiden Ordensbrüder, die das ungefähre Ziel der bevorstehenden Reise bereits kannten, einschloss:

“...wir werden ins orkische Hochland reisen müssen und unglücklicherweise habe ich im Stadtarchiv keinerlei Hinweise gefunden, die uns dem endgültigen Ziel näher bringen. Es gibt keine Aufzeichnungen - zumindest nicht in Sha’Nurdra - die den Begriff ‚Zwillingstempel’ in Zusammenhang mit einer Örtlichkeit im Orkland nennen; wir werden uns also unterwegs schlau machen müssen, möglicherweise bei einem Zwischenstopp in Drachenauge, wo wir um Zugang zur Bibliothek in der Drachenburg bitten können.“

Bei seinen letzten Worten hatte er Varnayrah einen fragenden Blick zugeworfen und nachdem sie zustimmend genickt hatte, schloss er mit den Worten:

“Meine Ordensbrüder und meine Wenigkeit wollen noch heute Abend aufbrechen, deshalb frage ich Euch nun: werdet Ihr meiner Bitte entsprechen und uns helfen?“

Der Paladin lehnte sich zurück und erwartet gespannt die Antwort der anwesenden Waldläufer.

4. Kapitel

Nach der Begrüßung, die unter jenen, die sich bereits kannten, entsprechend herzlicher ausfiel, als bei den einander Unbekannten, hatte Elessar die Historie des Ordens kurz umrissen und die Bedeutung der Kriegshämmer für die Paladine erklärt; als er dann auf das vermeintliche Ziel ihrer Reise zu sprechen kam, lauschten alle gebannt seinen Worten und stimmten zu Elessars Freude reihum zu, die Paladine bei ihrer Mission zu begleiten; anschließend begannen die Anwesenden ihre Vorschläge zu der bevorstehenden Reise und den nötigen Vorbereitungen zu unterbreiten.

Varnayrah, die als Erste sprach, riet aufgrund der bevorstehenden Jahreszeit dazu, auf alle Fälle für wetterfeste Ausrüstung zu sorgen, denn gerade im Hochland wäre jederzeit mit einem frühzeitigen Wintereinbruch zu rechnen; zudem wollte sie wissen, ob die Ordensbrüder gedachten, die Reise zu Fuß oder zu Pferd zu unternehmen, doch während sie Tan’les Fell kraulte und eine Antwort erwartete, griff Amras die Idee mit der wetterfesten Ausrüstung auf und schlug vor, dass er mit Zustimmung der Stadhalterin der Hauptstadt die Zeit, in der Elessar in der Bibliothek nach Informationen suchen wollte, nutzen könnte, um Winterkleidung zu schneidern und möglicherweise noch das eine oder andere Zelt fertig zu stellen. Ferner war er dafür, dass sie dort auch diejenigen ihre Vorräte an Lebensmitteln und Heiltränken auffüllten, die nicht entsprechend versorgt waren.

Carthangiel, die ebenso wie Elessar erfreut darüber war, dass sie auf dieser Reise dabei sein konnte, hatte sogar die Idee, dass man statt der Pferde eine Portalrolle nutzen könne, um an das Ziel zu gelangen, doch bei diesen Worten musste der Paladin bedauernd den Kopf schütteln:

“Melamin, sehr gern würde ich diesen Weg nehmen, um uns Zeit und Mühe zu ersparen, aber es ist nicht möglich, ein Portal zu einem Ziel zu öffnen, das man selbst nicht kennt! Wir werden uns auf unsere Pferde verlassen müssen!“

Auf diese Bemerkung hin ergriff Silver, der aus Drachenauge stammte, das Wort und meinte, dass er das Pferd des Steinbruchs nehmen könnte, sobald sie Drachenauge erreichten, da dieser noch nicht eröffnet sei, doch Elessar erwiderte:

“Werter Silver, Eure Idee ist lobenswert, doch da wir schon zu Beginn auf Schnelligkeit angewiesen sein werden und die ehrenwerte Emathelyos auch kein Pferd besitzt, habe ich mir überlegt, dass es das Einfachste ist, wenn ein jeder von Euch ein Pferd der hiesigen Kaserne benutzt. Rechtzeitig zu unserer Abreise werden deshalb zwei Pferde für Euch bereit stehen!“

Auch Kjeldor erschien es das Beste, wenn die Gefährten sich auf ihre Pferde verlassen wollten, denn er warf ein, dass dies auch ein entscheidender Vorteil im Kampf sein könnte, da Orks, in deren Hoheitsgebiet sie zu reisen gedachten, niemals zu Pferde kämpften. Nachdem er verkündet hatte, dass er bereits bestens für alle widrigen Wettereinflüsse gewappnet sei, wollte er auf seine Untersuchungen im Tempel - er hatte, nachdem Elessar und Amras den Tempel verlassen hatte, die verlassenen Räume noch einmal eingehend untersucht, doch außer dem seltsamen Alkoven, den auch Elessar bereits entdeckt und dann im Eifer der Vorbereitungen fast wieder vergessen hatte, nichts weiter von Interesse gefunden - zu sprechen kommen, doch noch bevor er den ersten Satz vollenden konnte, erreichte ihn, ebenso wie Amras, das Gedankenmuster Elessars:

“Haltet ein, meine Freunde! Dies ist weder der rechte Ort, noch die rechte Zeit, um über den verschollenen Tempel zu sprechen!“

So diskutierten und berieten die Gefährten noch eine Zeit lang weiter und nahmen zuletzt noch ein gemeinsames Mahl im Gasthaus ein, das man zu dieser späten Stunde eher als Frühstück, denn als Nachtmahl bezeichnen konnte; erst dann trennten sie sich, damit jeder die letzten, für ihn nötigen Vorbereitungen treffen konnte.

~/~

Kurz vor Sonnenaufgang trafen sie sich am Aiyeona und als die Sonne gerade fahlrot über den Horizont stieg, machte man sich auf den Weg, wobei geplant war, in Drachenauge einen ersten Zwischenhalt einzulegen, um in der Bibliothek der Drachenburg nach weiteren Informationen zu suchen. Wie versprochen, standen zwei weitere Pferde - es handelte sich um zwei ruhige Stuten - für Silver und Emathelyos bereit. Nicht lange und die Helden schwangen sich auf die Rücken der Pferde und nahmen die Handelstraße, die durch die Elfenwälder über die neu errichtete Brücke im Westen Sha'Nurdras verlief und geradewegs zum Osttor der Hauptstadt führte.

Trotz des morgendlichen Nebels, der schwer und dicht über der Landschaft hing, und der Kälte, die an diesem Morgen kurz vor Wintereinbruch herrschte, verlief der Ritt durch die Elfenwälder ruhig und angenehm; seitdem einige Helden vor einigen Wochen die Gefahr durch herumstreunende Wölfe gebannt hatten, war das Reisen wieder sicherer geworden und es waren keine weiteren Zwischenfälle bekannt worden. So ergingen die Gefährten sich in Gesprächen, die sowohl die vor ihnen liegenden Aufgaben und Gefahren, als auch ganz alltägliche Dinge betrafen und so vergingen die Stunden wie im Fluge, wobei sie den Ritt gegen Mittag für eine kurze Rast unterbrachen, während der sie eine Kleinigkeit aßen und etwas tranken. Der Nachmittag neigte sich langsam seinem Ende entgegen und sie hatten gerade die Wälder um Drachenauge - es mochte noch einige Wegstunden bis zum Stadttor sein - erreicht, als die Gefährten plötzlich aufhorchten; wilde, unmenschliche Schreie erklangen aus der Richtung, in die sie ritten und dazwischen war eine unmenschliche Stimme zu vernehmen, die jedoch den Eindruck erweckte, dass sie Gehorsam gewohnt war. Ohne zu zögern, trieben die Gefährten ihre Pferde zur Eile an und kamen wenige Augenblicke später am Rande einer Lichtung an, auf der sich ihnen ein seltsames Schauspiel bot.

Sie erblickten einen alten Mann, in ein langes Gewand gekleidet, das einst weiß gewesen sein musste, und mit einem zerbeulten, spitz zulaufenden Hut auf dem Kopf, der von einem halben Dutzend Orks umringt wurde; mindestens ebenso viele andere Orks lagen am Rande dieses Kreises reglos am Boden, wovon sich einer gerade wieder erhob. Bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass alle Orks einen seltsam leeren Blick zeigten und mit ungelenken Bewegungen den Kreis enger zogen, sich jedoch nicht viel näher als sie bereits standen, an den Alten heran zu trauen schienen. Kjeldor, Amras und Elessar bemerkten eine Aura um den alten Mann, die anscheinend für dieses Phänomen verantwortlich war, hätten jedoch nicht auf Anhieb erklären können, wie es zustande kam. Von Angesicht zu Angesicht standen sich der alte Mann und ein mehr als zwei Kopf größerer Ork mit einem riesigen Zweihänder einander gegenüber und etwas zurück waren zwei weitere Orks in langen Roben, zu sehen, von denen einer den Blick auf einen der am Boden liegenden Orks gerichtet hatte und gerade eine Beschwörung intonierte, deren Zweck auf den ersten Blick nicht ersichtlich war, während der andere gerade einen Feuerballzauber wirkte, denn langsam manifestierten sich die um eine seiner Handflächen züngelnden Flammen zu einer Kugel.

In dem Moment, in dem der Hüne einen waagerechten Schlag anbringen wollte, um dem Alten den Kopf von den Schultern zu trennen, duckte dieser sich, um seinen zu Boden gefallenen, abgenutzten Wanderstab aufzuheben und so wurde nur die Spitze seines Hutes abgeschnitten und der Hut fiel zu Boden. Der Alte jammerte so laut, dass selbst die Gefährten es verstehen konnten „Elendes Pack, mein schöner Hut; der war noch so gut wie neu!“. Nun hatte der Orkmagier seinen Feuerball bereit und schleuderte ihn in Richtung des alten Mannes, doch dieser bückte sich erneut, um nach seiner Kopfbedeckung zu greifen, so dass der Feuerball über ihn hinweg zischte und ein paar Schritte weiter einen der wieder angreifenden Orks traf und in Flammen aufgehen ließ. Wäre die Situation nicht so todernst gewesen, hätten die Gefährten glatt in Gelächter ausbrechen können, doch schon hob der Hüne erneut sein Schwert; noch hatte niemand auf der Lichtung die Anwesenheit der Drachenritter bemerkt.

5. Kapitel

Elessar sprang von Shi’ouyas Rücken und schlich an den Rand des Unterholzes, das die Lichtung säumte; er würde als Nahkämpfer zu Beginn dieses Kampfes nichts ausrichten können und wollte sich aufs Beobachten beschränken; verwundert sah er, mit wie viel Glück der alte Mann seinen Feinden entging. Oder war es etwas anderes? Die ihn umgebende Aura strahlte eine Macht aus, die der Priester bisher noch nie erlebt hatte. Völlig unbemerkt von den Orks bezogen auch die anderen Gefährten Stellung und die Bogenschützen glitten von den Rücken ihrer Pferde, verteilten sich, die Büsche als Deckung ausnutzend, damit sie in günstigere Schusspositionen gelangten. Nur Silver war zu ungeduldig und feuerte seinen ersten Pfeil noch vom Rücken seiner Stute aus auf den Hünen mit dem Zweihänder und verfehlte ihn knapp. Der einzige Vorteil, den der Schuss hatte, war, dass der Ork das Surren des Pfeils gehört hatte, so von seinem Opfer abgelenkt wurde und sich verwirrt umblickte.

Und genau dieser Umstand wurde ihm zum Verhängnis, denn Amras, der direkt nach Silver geschossen hatte, traf den Gegner genau ins linke Auge; der Hüne brüllte vor Schmerz auf und ließ nun vollends von dem alten Mann ab. Er griff mit einer Hand zu dem Pfeil und zog ihn mit aller Kraft, begleitet von einem unmenschlichen Schrei heraus und wandte sich den Büschen zu, wo er den Feind vermutete. Durch das Geschrei des Hünen waren auch der Schamane und der Magier darauf aufmerksam geworden, dass sie vom Rande der Lichtung aus angegriffen wurden und wandten sich den Gefährten zu. Während der Schamane seine Beschwörung kurz unterbrach, um die um den alten Mann mehr oder weniger tatenlos herumstehenden Orks mit einer Handbewegung zum Angriff auf die Gefährten zu befehligen - was diese auch wie an Fäden geführte Marionetten sofort ausführten - und anschließend seine Beschwörung fortführte, hatte der Orkmagier damit begonnen, den nächsten Zauber zu wirken.

In diesem Augenblick überschlugen sich die Ereignisse: Kjeldor preschte, getrieben von der Sorge um das Leben des alten Mannes, auf seinem Pferd durch das Unterholz und hielt in wildem Galopp auf den Magier zu, während die auf die Gefährten zumarschierenden Orks zwar auseinander stoben, um dem Schwert des Paladin zu entgehen, ihren Weg aber unbeirrt fortsetzten, als er an ihnen vorbei war. Der Hüne stellte sich dem Paladin in den Weg, um ihn daran zu hindern, den Magier zu erreichen und hob seinen Zweihänder drohend zum Schlag, doch in diesem Augenblick traf ihn ein weiterer Pfeil von Varnayrahs Bogen und der Ork fiel schwer getroffen auf die Knie. Ein zweiter Pfeil Varnayrahs und ein Pfeil Emathelyos’ töteten den Schamanen auf der Stelle und der Ork, der sich, durch die Beschwörung in diesem Augenblick wieder ins Leben gerufen, erheben wollte, wurde von einem weiteren Pfeil der Amazone in den Hals getroffen und fiel hintenüber, bevor er überhaupt richtig auf seinen Beinen gestanden hatte.

Inzwischen hatte das halbe Dutzend Orks den Rand der Lichtung fast erreicht und Carthangiel musste sich entscheiden, ob sie sich gegen den bevorstehenden Angriff verteidigen sollte oder sich des Magiers annahm, der bereits den nächsten Feuerball in Händen hielt und den Kjeldor offensichtlich nicht mehr schnell genug erreichen konnte. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als Elessar zwischen den Büschen hervortrat und sich den sich nähernden Orks in den Weg stellte; am linken Arm hatte er seinen Schild zur Verteidigung bereit und hielt in derselben Hand sein Schwert Gelmir, so dass er es nur in die Schwerthand zu wechseln brauchte, wenn er würde kämpfen müssen, doch seine Rechte war hoch erhoben und von einem bläulichen Licht umgeben. Er hatte die Handfläche nach außen gedreht und von dieser ausgehend breitete sich dieses bläuliche Licht fächerförmig aus und als es die Orks erreichte, hielten diese in ihrem Lauf inne und standen plötzlich ebenso unschlüssig herum wie zuvor um den alten Mann.

So ergriff Carthangiel die Gelegenheit und zielte auf den Magier; da Kjeldor ihr jedoch zeitweise die Sicht versperrte, musste sie lange warten, fast zu lange, denn der Ork wollte gerade in dem Moment seinen Feuerball schleudern, als ihn der Elfenpfeil in den Hals traf und er tot zusammenbrach. Der Feuerball, der seine Handfläche verließ, wurde durch den Ruck, der durch den Magier ging, als der Pfeil ihn traf, von seiner Bahn abgelenkt und flog so dicht an Atreides vorbei, dass das Pferd sich voller Angst aufbäumte und seinen Reiter abwarf, um dann auf den Rand der Lichtung zu den anderen Pferden zu stürmen. Kjeldor, der von dem Sturz etwas benommen war, sah plötzlich einen drohenden Schatten über sich und hob instinktiv seinen Löwenschild, den er noch immer an seinem Arm hatte, als er auch schon den Aufprall eines mächtigen Schlages spürte, der von dem Zweihänder des Ork-Hünen stammte; dieser hatte sich mit letzter Kraft wieder auf seine Füße erhoben und war zu dem auf dem Boden liegenden Paladin gegangen, um ihm den Garaus zu machen. Doch Kjeldor reagierte schnell und stieß dem Ork sein Bar’Thyron tief in den Bauch; der Hüne brach wieder in die Knie und noch während er wie in Zeitlupe zur Seite kippte, brachen seine Augen und er segnete endgültig das Zeitige.

Während dieser Ereignisse hatte Carthangiel einen der Orks, die von Elessar gebannt worden waren, ins Visier genommen und getötet; auch die anderen Gefährten hatten weitere Pfeile auf diese Orks, die sich nicht weiter wehrten, abgefeuert und der Paladin hatte zwei von ihnen mit Gelmir erledigt. Auch der alte Mann war nicht untätig geblieben; niemand hatte mehr auf ihn geachtet und so hatte niemand bemerkt, dass er sich von hinten an einen der Orks herangeschlichen hatte und diesen mit einem gezielten Schlag seines Stabes niedergestreckt hatte. So war der Kampf vorüber und der Feind besiegt und Elessar schritt zu dem Alten, um bei diesem nach dem Rechten zu sehen. Noch bevor er ihn fragen konnte, ob alles in Ordnung wäre, schüttelte der Alte seinen Stab in seine Richtung und wetterte los:

„Da bin ich ja gerade noch rechtzeitig gekommen, um euch zu retten! Dass ihr jungen Leute auch immer so unvorsichtig sein müsst!“

Leicht amüsiert erwiderte der Priester:

“Ihr habt uns gerettet? Nun, wie dem auch sei, erst einmal Paladin zum Gruße, werter... wie war Euer Name?“

„Mein Name?“ Der alte Mann zögerte und runzelte die Stirn. „Fizban? Ja, genau, Fizban.“

Er stützte sich auf seinen Stab, schüttelte den Kopf und schaute zu Boden.

“Wenn ich mir den doch bloß einmal merken könnte...“

Inzwischen hatten sich alle Gefährten um Elessar und Fizban versammelt und lauschten dem Gespräch; der Alte schaute wieder auf und plötzlich leuchteten seine Augen auf und eifrig rief er aus:

„Ha, habt ihr gesehen, wie ich das gemacht habe? Habe ich den Feind nicht tollkühn in die Flucht geschlagen?“

Mit diesen Worten holte er mit dem Stab aus und schwang ihn demonstrativ gegen einen imaginären Feind; dabei bemerkte er nicht, dass Kjeldor hinter ihm stand und traf ihn unter dem Kinn. Als dieser vor Schmerz aufstöhnte, drehte sich der Alte ruckartig um und murmelte eine Entschuldigung, doch mit der Drehung erwischte er Amras mit seinem Stab am Ellbogen, so dass dieser ebenfalls vor Schmerz aufstöhnte. Elessar nahm Fizban am Arm und beugte sich verschwörerisch zu ihm hin und sprach dann laut:

“Fürwahr, Ihr seid ein tapferer Mann! Ohne Euch wären wir verloren gewesen! Aber sagt, seid Ihr verletzt?“

Der Alte befreite seinen Arm aus Elessars Griff und meinte:

“Pah! Nein, ich bin nicht verletzt, aber müde und hungrig! Sagt, habt ihr nichts zu essen für einen alten Mann?“

Dabei entfernte er sich ein paar Schritte von der Gruppe in Richtung der Mitte der Lichtung, aber er stolperte über seine Robe und fiel der Länge nach hin. Elessar war sofort bei ihm und half ihm auf, doch auch dieses Mal schien er sich nicht verletzt zu haben. Stattdessen plapperte er fröhlich und munter weiter:

„Wir sollten ein Feuer entfachen, damit wir uns auch einen Tee kochen können; ich habe frische Kräuter bei mir.“

Sprach es und ließ einen Feuerball auf seiner Handfläche erscheinen.

„Oh, etwas groß, wie war bloß der richtige Zauber?“

Achtlos warf er den Feuerball über seine Schulter; dieser flog nur knapp an Varnayrahs Gesicht vorbei, bevor er in den aufragenden Stumpf eines toten Baumes schlug und diesen in Brand setzte. Als das Prasseln der Flammen nicht mehr zu überhören war, blickte Fizban in die Richtung des brennenden Baumes und betrachtete ihn kurz nachdenklich, dann schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder ab. Er machte zwei weitere Schritte in die Richtung, die er eben schon eingeschlagen hatte und als er die passende Stelle gefunden zu haben schien, ließ er sich auf den Boden nieder und blickte die Gefährten erwartungsvoll, fast schon ungeduldig an. Ob der späten Stunde kamen die Gefährten ohne viele Worte überein, dass man die Gelegenheit für eine Rast nutzen solle und nachdem eine ausreichende Menge Feuerholz zusammengetragen war, entzündete Elessar einen der Scheite an dem noch immer brennenden Baum, so dass schon bald ein kleines Lagerfeuer mit im leichten Abendwind munter hin und her züngelnden Flammen brannte. Über dem Feuer hing ein kleiner Kessel, in dem nach kurzer Zeit frisches Wasser brodelte, in das Fizban eine Hand voll Kräuter aus einer seiner vielen kleinen Taschen, die in seinem Umhang verborgen waren, warf.

Bald saßen alle Gefährten gemütlich um das Feuer und nahmen ein Mahl, das hauptsächlich aus Brot, Dörrfleisch und frischen Früchten bestand, zu sich, zu dem sie von dem heißen Tee tranken, den Fizban bereitet hatte. Schon während dem Essen merkten sie, wie ihre Kräfte langsam wiederkehrten; als Fizban sein Mahl beendet hatte, entzündete er seine Pfeife und paffte eine Weile vor sich hin, während er kleine kreisrunde Rauchwölkchen ausstieß, die sich, während sie aufstiegen und im Himmel verschwanden, langsam ausbreiteten.

6. Kapitel

Anfangs schien es, als würde Fizban die Fragen der Gefährten einfach ignorieren; Varnayrahs Tadel hatte er mit einem ungläubigen Blick - als wolle er sagen, es war doch bloß ein toter Baum - quittiert und während Varnayrah und Carthangiel Laub und Reisig um den Baumstumpf beiseite räumten, um ein Übergreifen der Flammen zu verhindern, ließ der alte Mann Kjeldors Tirade so teilnahmslos über sich ergehen, als würde er den Sinn der Worte gar nicht erfassen. Er widmete sich lieber der Zubereitung seines Tees und murmelte leise vor sich hin. Als das Mahl beendet war und Fizban seine Pfeife paffte, begab Kjeldor sich noch einmal zum Schlachtfeld - er hatte gesehen, dass Silver inzwischen am Feuer saß und ein Schwert begutachtete und reinigte, dass er einem der toten Orks abgenommen hatte und Emathelyos einen Manatrank, den sie dem toten Schamanen vom Gürtel genommen hatte, hinter ihrem eigenen Gürtel verstaute – um die Toten nach weiteren Hinweisen für den Angriff auf Fizban zu durchsuchen; derweil versuchten Amras und Varnayrah, den alten Mann erneut in ein Gespräch zu verwickeln und diesmal schien er wenigstens gewillt, den Gefährten zuzuhören. Wieder entließ er einige Rauchkringel aus einem Spalt zwischen seinen Lippen, die die Pfeife hielten, dann nahm er die Pfeife aus dem Mund und stieß mit ihr in Richtung Amras, während er fast aufbrausend antwortete:

“Mein Junge, ich sagte doch schon, dass die Orks auf euch gewartet haben! Ich wollte euch helfen und um ein wenig Verwirrung zu stiften wollte ich einen kleinen Zauber anwenden“

Er schüttelte leicht den Kopf “Aber unglücklicherweise hatte ich den Spruch wieder vergessen und einen falschen aufgesagt!“

Dann seufzte er und fuhr fort:

“Und von keiner Verletzung kann wohl keine Rede sein; die haben mir meinen fast neuen Hut kaputt gemacht!“

Er sah sich suchend um und rief weinerlich “Wo ist der überhaupt?“, aber Elessar meinte beruhigend “Auf Eurem Haupt, werter Fizban, genau da, wo er hingehört!“

“Ah!“ Fizban fasste nach oben, um den Hut zu berühren, dann wandte er sich an Varnayrah:

“Und Du, Mädchen, möchtest wissen, wer ich bin? Nun, ich bin, wer ich bin und niemand anders! Kein mächtiger Zauberer, einfach nur.... ich!“

In diesem Moment gesellte sich Kjedor wieder zu den Gefährten; er hatte die Durchsuchung der Toten beendet, aber außer einem kleinem Heiltrank und einem kleinen tönernen Krug, dessen Inhalt sich beim Öffnen des Korken als Ogerwurz entpuppte nichts gefunden. Sein Zorn war inzwischen verraucht und so ließ er sich bei Fizban nieder, um sich für sein Aufbrausen zu entschuldigen. Fizban jedoch legte dem jungen Paladin seine knochige Hand auf die linke Schulter, die dieser sich beim Sturz vom Pferd verletzt hatte, blickte ihm fest in die Augen und sprach:

“Jungchen, Du musst noch vieles lernen! Löblich ist die Absicht, stets dem Bösen entgegen zu treten, doch hast nicht Du selbst Dir auferlegt, stets geduldig und besonnen vorzugehen? Bedenke stets, nicht alles ist, wie es scheint!“

Während der Alte sprach, packte er mit der Hand so kraftvoll zu, dass Kjeldor sich wunderte, woher dieser alte Mann eine solche Kraft nahm, doch weitaus verwunderter war er darüber, dass er keine Schmerzen, sondern stattdessen eine überaus wohltuende Wärme verspürte, die seine Lebensgeister zu wecken und zu erneuern schien. Elessar spürte mehr, als er sah, was Fizban da vollbracht hatte und warf einen Seitenblick zu Amras, ob dieser auch bemerkt hatte, was da vor sich ging, doch der Augenblick, für den die Aura des alten Mannes spürbar gewesen war, war wohl zu kurz gewesen. Der Paladin wollte seinen beiden Ordensbrüdern über die Gabe eine Botschaft oder vielmehr die Frage, wie das sein könne, zukommen lassen, doch irgendetwas hielt ihn davon ab.

So gelang es Fizban, die Drachenritter mit seiner augenscheinlichen Unbeholfenheit und seiner ruhigen Stimme dermaßen einzulullen, dass sie im weiteren Verlauf des Gespräches mehr über sich preisgaben, als er über seine eigene Person und selbst Elessar konnte nicht verhindern, dass eine Bemerkung über die Zwillingstempel im orkischen Hochland fiel. Diese Bemerkung quittierte der alte Mann zwar mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem Stirnrunzeln, doch er ging nicht weiter darauf ein und führte die Unterhaltung fort, als wäre dieser Ort nichts, worüber man ausführlicher reden müsste. Inzwischen war die Sonne hinter den Wipfeln der Bäume, die die Lichtung begrenzten, verschwunden und die Dämmerung brach herein; die Temperatur sank merklich und manch einer der Gefährten spürte ein Frösteln, da das Feuer nur mehr von vorne Wärme spendete. Auch Elessar zog seinen Umhang enger um sich und gerade, als Kjeldor und Carthangiel sich erheben wollten, um ihre Zelte aufzubauen, bevor es vollkommen dunkel wurde, hob Fizban Einhalt gebietend seine Hand.

"Nicht so hastig, ihr jungen Leute! Hört mich noch einen Moment an, bevor Ihr Euer Lager herrichtet und ich Euch verlassen werde!"

Ein Raunen ging durch die Anwesenden und man hörte jemanden leise fragen "Es wird Nacht, wieso will er uns verlassen?", doch niemanden wagte laut zu sprechen und gebannt warteten die Gefährten darauf, dass Fizban fortfuhr.

"Der Weg, der vor euch liegt, ist voller Gefahren und noch bevor ihr euer Ziel erreicht, mag einer der Gefährten zweifeln, weil ein anderer scheinbar gestrauchelt ist. Doch..."

Er schaute in die Runde und blickte jedem unbeirrbar in die Augen, wobei sein Blick bei Elessar, Kjeldor und Amras jeweils länger verweilte als bei den anderen.

"...doch vergesst nie, zu wem ihr steht, wofür ihr kämpft und woran ihr glaubt! Denn erst am Ende aller Dinge werdet ihr sehen und erkennen!"

Fizban erhob sich, sich auf seinen Stab stützend und griff mit der freien Hand in die Weiten seines Umhangs; dann sprach er "Habt Dank für die Hilfe und Gastfreundschaft, die ihr einem alten Mann gewährtet! Gehabt Euch wohl!"

Noch bevor die Gefährten ein Wort entgegnen konnten, erschien Fizbans Hand aus dem Umhang und schnellte in Richtung Feuer, über dem sofort ein Glitzern wie von tausend Funken sichtbar wurde; dann trat er einige Schritte zurück und eilte vom Feuer weg. Ein eigenartiger, jedoch nicht unangenehm zu nennender Geruch breitete sich aus und hüllte die Drachenritter ein. Bereits mit dem nächsten Atemzug machte sich eine eigenartige Müdigkeit in den Gefährten breit und sie merkten, wie erst Kopf und Glieder schwer wurden und ihnen dann langsam die Augen zufielen. Wie in Zeitlupe sahen sie die letzten glitzernden Funken des Pulvers, das Fizban ins Feuer geworfen hatte, zu Boden sinken und diejenigen, die noch die Kraft fanden, den Kopf zu wenden und in die Richtung zu blicken, in die Fizban sich entfernt hatte, wähnten anstelle des alten Mannes eine Gestalt, die in eine gleißende Aura aus weißem Licht eingehüllt, am Rande der Lichtung stand. Dann wurde es dunkel um die Gefährten.

Der alte Mann stand reglos am Rande der Lichtung und wartete, bis das Feuer herunter gebrannt war; dann eilte er zu den Pferden und rief ihnen in einer unbekannten Sprache einige Worte zu, die die sonst Fremden gegenüber eher scheuen Tiere sofort beruhigten. Er nahm die Rucksäcke und Satteltaschen der Gefährten, brachte sie in den Kreis, in dem die Schlafenden lagen und legte sie dort nieder. Er bückte sich zu Elessar und schien ihm etwas zuzustecken, schlenderte dann zu dem neben Varnayrah ebenfalls schlafenden Tan'le, legte eine Hand auf seinen Kopf und flüsterte wieder einige Worte in dieser seltsamen Sprache; sofort erwachte der Luchs und folgte dem Alten zu den Pferden. Fizban schaute sich noch einmal um und als es schien, als sei alles zu seiner Zufriedenheit, nickte er, hob seinen Stab und zeichnete ein groteskes Muster in den Nachthimmel; obwohl seine Lippen sich dabei bewegten, war kein Laut zu hören und es dauerte nicht lange, bis sich eine Art Nebel um die Gefährten legte. Erst seltsam milchig, dass die Gefährten kaum noch zu erkennen waren, wurde er langsam durchsichtig und begann von innen heraus zu leuchten.

Das Leuchten wurde immer heller, bis das gleißende Licht so hell war, dass es in den Augen schmerzte, wenn man den Blick auf das Zentrum der Erscheinung richtete; selbst die Drachenritter sahen oder spürten dieses Licht durch die Dunkelheit, in der sie gefangen waren und es wirkte seltsam beruhigend auf sie. Plötzlich nahm die Intensität des Lichtscheins wieder ab und die Umrisse des Nebels begrenzten den Ausschnitt einer Landschaft, die nicht in das Bild der Lichtung passte. Ein Plateau inmitten einer schroffen Gebirgslandschaft, über der die Sonne eines kalten Wintertages schien. Im Hintergrund waren die gezackten, hochaufragenden Spitzen eines schneebedeckten Gebirges zu erkennen und sogar der schrille Schrei eines Adlers war zu hören. Das Plateau selbst war nicht sehr groß und mit nur wenigen, verkrüppelten Bäumen bestanden und der felsige Boden war, bis auf ein paar Grasbüschel, nackt und kalt. Linker Hand war noch ein Stück einer hochaufragenden Mauer zu sehen, doch der Ausschnitt reichte nicht, um ein Tor in dieser Mauer oder ein Gebäude dahinter erkennen zu können. Dann plötzlich fiel der Nebel in sich zusammen, das Licht erlosch und der Ausschnitt verschwand; die Lichtung lag wieder in vollkommener Dunkelheit.

~/~

Langsam lichteten sich die Nebel, die über dem Bewusstsein der Gefährten lagen und sie tauchten aus der Dunkelheit wieder auf, gelangten ans Licht. Durch die geschlossenen Lider sahen sie das Tageslicht und bevor der erste Drachenritter die Augen öffnete, war der schrille Schrei eines Adlers zu hören. Dann fühlten sie die Kälte des nackten Felsbodens, auf dem sie lagen, doch gleichzeitig merkten sie, dass sie noch nicht lange dort liegen konnten, denn dies hätte den sicheren Tod bedeutet. So schlug einer nach dem anderen die Augen auf und setzte sich auf, um sich verwirrt umzublicken und jedem erging es ähnlich: mit Erstaunen, aber auch mit Schrecken und zu keinem Laut fähig gewahrte jeder Einzelne, dass sie von einer Gruppe Orks umgeben waren und wer ein Schwert sein Eigen nannte, tastete langsam nach dem Griff desselben, um sich gegen einen Angriff verteidigen zu können. Doch beim zweiten Blick erkannten die Gefährten, dass die Orks, die in lange weiße Roben mit einem Sonnensymbol auf der Brust gekleidet waren, nicht bewaffnet waren und auch sonst keinen feindseligen Eindruck machten. Sie schienen bereits eine Weile anwesend zu sein und sich über die Drachenritter zu beraten, oder zumindest über zwei von ihnen, denn während sie leise miteinander sprachen, wies einer der Orks immer wieder auf Kjeldor und Elessar. Als die Orks bemerkten, dass alle Gefährten wach waren und der Dinge harrten, die da kommen sollten, wandte sich einer, wohl der Sprecher der Gruppe, an Elessar und richtete das Wort an den Elfen, während er eine Verbeugung andeutete:

“Broshn-izg latu kaal-ishi! Broshan Shanu-ishi, faltor aan-ob!“

Elessar hatte kein Wort verstanden; der Ork musste in seiner Muttersprache gesprochen haben und so deutete der Elf ebenfalls eine Verbeugung an, hielt beide Hände nach oben, um seine friedlichen Absichten zu zeigen und lächelte den Ork freundlich an. Dann schaute er sich nach Amras um und bat ihn:

“Sagt, Amras, habt Ihr nicht vor einiger Zeit die orkische Sprache studiert? Habt Ihr verstanden, was er gesagt hat? Sagt ihm bitte, dass wir keinerlei böse Absichten hegen, aber verratet vorerst nichts von unserer Mission! Und fragt ihn bitte, wo genau wir hier sind.“

7.Kapitel

Nachdem die Gefährten erwacht waren und der Situation gewahr wurden, griff manch einer seine Waffe fester, um gegen einen Angriff gewappnet zu sein. Obwohl die unbewaffneten Orks dies ohne weiteres als Affront hätten auffassen können, verzog keiner der unbewaffneten Priester eine Miene oder ging sonst irgendwie auf die fast offensichtliche Bedrohung ein; einige neigten vielmehr einfach demütig das Haupt, als würden sie dem Tod gelassen gegenüber treten, wenn er sie denn ereilte. Doch auch die Drachenritter blieben gelassen und griffen nicht an; auf Elessars Worte hin trat Amras vor und die anderen lauschten dem Gespräch oder ließen ihre Blicke eingehend über das Gelände schweifen, um möglicherweise selbst weitere Details erkennen zu können. Nachdem Amras gesprochen hatte, hellte sich die Miene seines Gegenübers deutlich auf, denn er hatte wohl nicht wirklich erwartet, dass einer der Gefährten und erst recht kein Elf ihn verstehen würde. Amras übersetzte die Worte des Orks für die Gefährten und stellte diese dann anscheinend reihum vor, denn zwischen den unverständlichen Worten der Orksprache hörten die Gefährten ihre Namen heraus. Während Amras auf eine Antwort auf seine Frage nach ihrem Aufenthaltsort wartete, ergriff auch Varnayrah, die als Erste das Verschwinden der Pferde und tierischen Gefährten entdeckt hatte, das Wort und bat Amras um Übersetzung des von ihr Gesagten. Doch noch bevor dieser auch nur ein weiteres Wort hervorbringen konnte, tauschte der Ork mit seinem Nachbar einen vielsagenden Blick und wiederholte aufgeregt, während er auf Elessar zeigte “Thrakal kaal-ob!“; dann richtete er das Wort wieder an Amras und sprach:

“Thrakal kaal-ob? Skaat! Taar aikar Gunag Paghorim iist ghashkrumu!“

Ohne eine weitere Entgegnung abzuwarten, wandte der Ork sich um und schritt durch die sich bildende Gasse der anderen Orks voran; den Gefährten blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. So schritten die Gefährten hinter dem Ork her und betraten, gefolgt von den übrigen Orks, nur wenige Schritte, nachdem sie die riesigen Tore in der Mauer passiert hatten, einen fast exotisch anmutenden Garten, der hauptsächlich mit immergrünen Sträuchern und Bäumen bestanden war, die sich bestens an die kargen Verhältnisse in dieser Gegend angepasst hatten. Direkt vor ihnen erhoben sich, durch die Sträucher und über den Wipfeln der Bäume weithin sichtbar, die hohen, aus weißem Marmor bestehenden Mauern einer riesigen Halle. Linker Hand stand ein ausgedehnter Gebäudekomplex, der sich über die ganze Länge der Halle hinzuziehen und am Ende mit dieser durch einen weiteren Flügel verbunden zu sein schien; ihr Führer durchmaß den Garten in seiner vollen Länge und eilte dann den Weg zwischen dem Gebäudekomplex und der Halle entlang bis kurz vor deren Ende, wo zwei einander gegenüberliegende Türen in beide Gebäude führten. Während die anderen Orks allesamt in dem linken Gebäudekomplex - wohl um wieder ihrem Tagewerk nachzugehen - verschwanden, öffnete ihr Führer die rechte Tür und deutete den Gefährten mit einer Handbewegung, ihm in das Innere der Halle zu folgen.

Kaum hatten die Gefährten das Gebäude betreten, folgten sie einem kleinen Gang und erklommen eine kurze Treppe, an deren Kopfende sich eine doppelflügelige Tür befand, die der Ork öffnete. Und dann bot sich ihnen ein fantastischer Anblick; die Halle bestand aus einem einzigen Raum, der links und rechts in seiner gesamten Länge von einer Reihe unzähliger Säulen gesäumt wurde und am Kopfende, im Zentrum der Querwand einen riesigen Altar beherbergte. Eine Reihe von Öffnungen im Dach ließen das Sonnenlicht einfallen und seltsame, bewegliche Vorrichtungen, die an diesen Öffnungen angebracht waren, reflektierten und bündelten das Sonnenlicht derart, dass es zielgenau auf den Altar gerichtet wurde und diesen gleißend hell erstrahlen ließ. Auch innen bestanden Wände, Boden und die Säulen aus weißem Marmor, so dass das Auge von der Helligkeit fast geblendet wurde und mehrere riesige metallene Feuerkörbe ließen die Gefährten erahnen, dass diese Halle auch des Nachts nie in Dunkelheit versinken würde. Vor dem Altar kniete ein in seine Andacht versunkener Ork, der sich auf den ersten Blick in nichts von den anderen, die sie begrüßt hatten, zu unterscheiden schien, doch als er sich auf ein Räuspern ihres Führers hin erhob und umwandte, gewahrten die Gefährten auf seinem Haupt eine konische Kopfbedeckung, die fast ein wenig an eine Art Krone erinnerte und auf der das gleiche Sonnensymbol prangte wie auf der Brust der priesterlichen Roben. Ihr Führer verneigte sich tief und wechselte dann leise einige Worte mit dem offensichtlichen Oberhaupt dieses Tempels; dann verneigte er sich noch einmal, nickte den Gefährten zum Abschied zu und zog sich zurück.

Ohne auch nur ein Wort zu sprechen, musterte der zurückgebliebene Ork die Gefährten lange Zeit mit einem fast strengen, aber nicht feindlichen Blick, wobei auch sein Hauptaugenmerk Amras, Elessar und Kjeldor zu gelten schien, oder vielmehr den Paladinsymbolen auf den Rüstungen und Umhängen der drei Ordensbrüder. Was auch immer er entdeckt oder gedacht zu haben schien, plötzlich erhellte sich seine Miene sichtlich, seine Züge wurden für einen Ork fast weich und milde und er richtete das Wort an die Gefährten, zu ihrer Verwunderung in fast akzentfreier Handelssprache:

“Ich grüße Euch im Licht! Willkommen in Shanu, dem Tempel der Sonne! Man nennt mich Gunag Paghorim und ich bin, wie Ihr sicher inzwischen erraten haben werdet, der Hohepriester dieses Tempels. Ihr seid wohl ebenso überrascht wie wir über Eure Anwesenheit, aber zumindest wir haben Eure Ankunft, wenn nicht erwartet, so zumindest geahnt oder erhofft. Aber ich werde versuchen, Eure Fragen, so weit es mir möglich ist, zu beantworten.“

Gunag ließ sich schwerfällig auf dem Boden nieder - offensichtlich waren Sitzgelegenheiten zu den Gebeten nicht üblich, denn bis auf den Altar und die Feuerkörbe war der Raum leer - und deutete den Gefährten, dies ebenfalls zu tun. Nachdem sie alle in einem Kreis auf dem Boden saßen oder knieten, klatschte er in die Hände und einen Augenblick später erschienen Bedienstete und reichten ihm und den Gefährten kleine tönerne Schalen und Krüge. Kurz darauf brachten sie mehrere niedrige, kleine Tischchen, die sie in die Mitte des Kreises stellten und auf denen verschiedene Getränke - Krüge mit Wasser, Honigwein und einer weiteren, klaren Flüssigkeit - und frisch zubereitete Speisen angerichtet waren, die den Gefährten zwar teils unbekannt waren, doch appetitlich aussahen und aufgrund der verwendeten Gewürze einen verführerischen Duft verströmten. Der Hohepriester wies auf das Mahl und sprach:

“Greift zu! Außer frischen Früchten, Brot und Käse findet Ihr hier gedünsteten Lachs aus einem nahen Bergsee und Braten von den hier lebenden Hochlandrindern, außerdem Gemüse aus Rüben und Mangold. Und während Ihr es Euch schmecken lasst, erzähle ich Euch von diesem Ort und wieso Eure Ankunft keine allzu große Überraschung für uns darstellte. Hernach ist dann Zeit für weitere offene Fragen!“

Obwohl ihre letzte Mahlzeit noch nicht allzu viele Stunden her sein konnte, verspürte Elessar ein eigenartiges Hungergefühl und ließ sich deshalb kein weiteres Mal bitten, seine Schale mit den köstlich anmutenden Speisen zu füllen und auch seinen Krug füllte er aus einem der größeren Krüge, nachdem er sich vergewissert hatte, dass es sich um Honigwein handelte. Unterdessen hatte der Hohepriester begonnen zu sprechen:

“Da Ihr Euch sicher nicht nur fragt, an welchem Ort Ihr seid, sondern auch darüber, dass Ihr hier friedfertige Orks vorfindet, sollte ich ein wenig weiter ausholen. Ihr seid hier, wie bereits erwähnt, in Shanu, dem Tempel der Sonne, der im Osten des orkischen Hochlandes nahe der Grenze zum Aramonland liegt, das man nur wenige Wegstunden von hier über einen Gebirgspass erreichen kann.

Unser Clan, der diesen Tempel unterhält, hat sich vor sehr, sehr langer Zeit von den übrigen Orkvölkern losgesagt und unterhält seit diesen Tagen nur noch sehr lockere Beziehungen zu den anderen Orks, denn wir werden mehr geduldet, als akzeptiert. Im Gegensatz zu diesen leben wir im Einklang mit allen anderen Völkern und fühlen uns sehr mit der Natur verbunden; wir nennen uns selbst die Kinder der Sonne und haben uns in erster Linie auf den Erhalt des natürlichen Gleichgewichtes und in Folge dessen vor allem auf die Kunst des Heilens spezialisiert. Wir leben von dem, was die Natur uns beschert und greifen nur ungern zu den Waffen, selbst wenn wir unser eigenes Leben verteidigen müssen. Wir verehren auch keine der üblichen Gottheiten der Orkvölker, da diese in erster Linie böser Natur und somit meist auf Tod und Zerstörung aus sind; stattdessen verehren wir aufgrund einer mystischen Begebenheit, die sich vor Äonen zugetragen hat und auf die näher einzugehen zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde, einen Gott, den wir Tincan, den Herrn des Sonnenlichts nennen.“


Gunag machte eine kurze Pause, während der er seinen Krug mit der klaren Flüssigkeit aus einem der bereitstehenden Krüge füllte und diesen in einem Zug wieder leerte; dann fuhr er fort:

“Auf einer Halbinsel an der westlichen Steilküste des orkischen Hochlandes gibt es einen weiteren Tempel, Shana, der diesem hier im Grundriss wie ein Ei dem anderen gleicht; laut den Überlieferungen unseres Ordens wurden diese Tempel zeitgleich erbaut, da die Weite und Unwegsamkeit des Hochlandes es unserem Orden unmöglich machte, im gesamten Land tätig zu werden, doch ist dies so lange her, dass keiner sich mehr an diese Zeiten zu erinnern vermag und die Quellen der Überlieferungen sehr unsicher sind. Regelmäßige Besuche der Priester und steter Wissensaustausch auch mit Tempeln in anderen Ländern sicherten den Erhalt der guten Mächte, bis eines Tages der Kontakt abbrach: das Böse hielt Einzug in Shana, der fortan Tempel des Mondes genannt wurde und seitdem wird dort Luthic, die dunkle Mutter der Heilung verehrt.

Obwohl auch dieser Orden sich nach eigener Aussage der Heilung verschrieben hat, so sind die Wege, wie die Priester dort ihre Ziele erreichen, mehr als fragwürdig; sie führen dunkle Rituale durch, in denen sie mit Hilfe von Blutopfern die Lebensenergie ihrer Opfer auf die zu heilende Person übertragen. Mehrere Jahrhunderte lang suchten die Priester, inzwischen selbst zu lebenden Toten geworden, auf der Jagd nach Opfern die umliegenden Dörfer heim und überzogen das Land mit Schrecken, bis vor etwas mehr als einem Jahrzehnt alle Priester - bis auf den Hohepriester, den man nirgends finden konnte - getötet und der Tempel mit vereinten Kräften geschlossen und alle Eingänge mit riesigen Felsblöcken abgeriegelt wurden, um dem Bösen keine Möglichkeit mehr zu geben, seine Brutstätte zu verlassen. Doch am Anfang dieses Jahres begann das Böse, sich erneut zu regen...“


An dieser Stelle stockte Gunag plötzlich, als wolle er etwas erwähnen, schien sich dann aber doch anders zu entscheiden und sprach dann fast hastig weiter:

“Vor einigen Monden nun kam unerwartet ein Mensch über den Gebirgspass aus dem Aramonland zu uns und erklärte, er kenne unser Problem und wolle uns helfen, das Böse in Shana zu besiegen; er war groß und muskulös, fast wie ein Ork und hatte lange, dunkelblonde Haare, die zu einem Zopf geflochten waren und...“

Der Hohepriester machte eine Pause und blickte vielsagend zu Amras und Kjeldor, dann zu Elessar; dann zeigte er mit dem Finger nacheinander auf die Erstgenannten und fuhr fort:

“... seine Rüstung, sowie sein Schild und sein Umhang zeigten ebendieses Symbol!“

Gunag gab ein Geräusch von sich, das man mit viel gutem Willen als Seufzen bezeichnen konnte.

“Nun, da wir keine Kämpfer sind, nahmen wir das Hilfeangebot dankend an und so brachten wir ihn nach Shana; doch unglücklicherweise haben wir seitdem nichts mehr von ihm gehört. Doch wir gaben die Hoffnung nie auf, dass er nicht alleine wäre und man nach ihm suchen würde! Und wie es aussieht, scheint unser Hoffen nicht vergebens gewesen zu sein...“

8. Kapitel

So saßen die Gefährten fast gemütlich beisammen und manch einer ließ sich die fremdartigen Speisen munden, während Gunag seinen Bericht fortsetzte und anschließend die Fragen der Gefährten über sich ergehen ließ. Elessar hielt sich im Hintergrund und lauschte aufmerksam den Worten eines jeden und versuchte, alle Puzzleteile, die er erfuhr, zusammenzusetzen und auch die Amazone Emathelyos zog es vor, sich nicht weiter zu äußern. Amras ergriff als Erster das Wort und wollte eine nähere Beschreibung des Fremden, dessen Kleidung offensichtlich von Paladinsymbolen geziert wurde, doch diese Frage wurde ihm von Varnayrah beantwortet, die den verschwundenen Stadtrat Sha’Nurdras erwähnte und den zeitlichen Zusammenhang mit dem Krieg gegen Taros und Thans Truppen aufzeigte und somit den Fremden als Sir Graham, den ersten Paladin Dragonias identifizierte, was Kjeldor im selben Augenblick bestätigte. Dies ließ Elessar aufhorchen, denn er hatte Graham nicht mehr persönlich kennen lernen dürfen, da dieser kurz vor seiner Ankunft zu einer vermeintlichen Pilgerreise aufgebrochen war und so erkannte der Priester einige Zusammenhänge.

Gunag nickte ab und zu oder schüttelte hier und da den Kopf und während Kjeldor leise ein Gebet für die Seele des Vaters der Zwölf sprach, fragten Silver und Varnayrah nach weiteren Einzelheiten über das Böse und Amras bat um einen Bericht darüber, wie man erkannt hatte, dass es sich erneut regte. Als Varnayrah schließlich noch Fizban und den Kampf gegen die Orks erwähnte und Gunag fragte, ob er diesen Alten kenne oder eine Idee hätte, wie dieser sie hergebracht hatte, schien der Hohepriester einen Moment nachzudenken und neigte ehrfürchtig das Haupt, bevor er langsam antwortete:

“Ich kenne niemanden namens Fizban, doch nach den Taten, die er laut Eurem Bericht vollbracht hat, wäre ich fast geneigt, zu sagen, Tincan selbst sei Euch in seiner weltlichen Gestalt erschienen!

Doch langsam lichten sich die Nebel! Ich hatte erwähnt, dass vor mehr als einem Jahrzehnt vermeintlich alle Priester, bis auf den Hohepriester, in Shana getötet und alle Zugänge zum Tempel des Mondes blockiert worden waren...“


Gunag stockte erneut, dann seufzte er und fuhr fort:

“Nun, Ihr werdet später sehen, wovon ich rede, aber nun erst einmal soviel: der Hohepriester ist - mit den entsprechenden Kenntnissen - in der Lage, sich selbst und anderen Personen über einen geheimen Weg jederzeit Zugang zum Tempel zu verschaffen; Anfang des Jahres verschwand unvermutet einer unserer Priester und kehrte kurz darauf als Untoter zurück. Das war bevor der Fremde - Graham - erschien und Tincan sei Dank gelang es uns, diesen Priester in Gewahrsam zu nehmen, bevor er größeren Schaden anrichten konnte. Wir verhörten ihn und so erfuhren wir, dass dies kein Einzelfall gewesen war, sondern dass bereits seit geraumer Zeit Untote wieder das Land heimsuchten.

Eines Tages erschien unerwartet Graham und bot seine Hilfe an und einige Tage nachdem wir diesen nach Shana gebracht hatten, gab es eines Nachts einen weiteren Zwischenfall, dem zwei unserer Priester zum Opfer fielen. Wir fanden sie morgens an den Toren des Tempels, grausam zugerichtet und dem Tode nahe; wir konnten keinen der beiden retten, doch bevor sie starben, erzählte uns einer der beiden von einer Gruppe Orks unter der Führung eines Kriegers und zweier Magier, die sie überrascht hatten und die auf dem Weg waren, einen - nach eigenen Worten - wichtigen Auftrag zu erfüllen.“


Der Hohepriester machte eine Pause, dann fuhr er fort:

“Versteht Ihr? Wenn diese Orks und die, gegen die ihr gekämpft habt, identisch waren, dann wusste jemand, dass Ihr kommen würdet...“

Elessar hatte die Ausführungen des Hohepriesters in den letzten Minuten nicht mehr verfolgt, so sehr hatte ihn dessen Aussage Fizban betreffend fasziniert; sollte hier tatsächlich Tincan - Paladin? - in menschlicher Gestalt unter ihnen gewandelt sein? Einiges spräche dafür und der Glaube des Priesters war groß genug, um solch ein Ereignis für möglich zu halten, doch was würden die Gefährten denken? Erst die letzten Worte Gunags ließen ihn wieder aufhorchen und er dachte an die Konsequenzen, wenn diese Vermutung sich als richtig erweisen würde, als er den Blick seiner Liebsten spürte. Er hob den Kopf und erwiderte ihren Blick; sie wollte wohl dem Hohepriester ebenfalls eine Frage stellen und schien um seine Zustimmung zu bitten. Obwohl er nicht genau wusste, was sie fragen würde, vertraute er ihr doch so sehr, um sicher zu sein, dass sie das Richtige tun würde und nickte unmerklich. Die Waldelfe erwiderte Elessars Nicken ebenso unmerklich, dann richtete sie das Wort an Gunag und fragte diesen, ob er je von dem Orden der Zwölf und dem Verbleib ihrer legendären Waffen, den Kriegshämmern, gehört hätte, wobei sie erwähnte, dass sie Hinweise hätten, dass die Zwillingstempel dieses Geheimnis wahrten. An dieser Stelle ergriff auch Kjeldor erneut das Wort und erwähnte den letzten Überlebenden des alten Ordens, der nach den Aufzeichnungen, die sie in Sha’Nurdra gefunden hatten, die Kriegshämmer eigenhändig in das Orkland gebracht hatte, doch der Ork schüttelte nur bedauernd den Kopf und antwortete:

“Ihr müsst Euch irren! Dunkel erinnere ich mich an eine Schriftrolle in unseren Archiven, die von einem Dutzend Priester berichtete, die vor vielen Jahrhunderten halfen, diesen und andere Tempel zu errichten und sie in den folgenden Jahrhunderten regelmäßig besuchten. Sie trugen Waffen und waren im Umgang mit diesen ebenso gewandt wie im Umgang mit dem Wort und besaßen Fähigkeiten, die an die eines Gottes erinnerten.“

Er deutete auf das Paladinsymbol auf Elessars Brust und fuhr fort:

“Wenn meine Erinnerungen mich nicht trügen, trugen sie ebendieses Symbol und nannten sich auch Ritter des Lichts. Wie ich bereits erwähnt hatte, verschwanden sie auf mysteriöse Weise; sie wurden nie mehr gesehen und keine unserer Schriften berichtet davon, dass ein Einzelner der Ihren später noch einmal aufgetaucht sei. Nur ein Artefakt ist uns aus dieser Zeit geblieben und das Wissen darüber wird jeweils nur von Hohepriester zu Hohepriester weitergegeben.“

Elessar setzte gerade an, um nach diesem Artefakt zu fragen, als er Amras’ Gedankenmuster spürte; dieser bat ihn um eine Unterredung unter vier Augen und so gab er ihm ein Zeichen, dass er verstanden hatte. Dann bat er seinerseits Kjeldor über die Gabe, dem Hohepriester dieses Ordens alle Hilfe zuzusagen und ihn etwas hinzuhalten, während er sich dann unter dem Vorwand, mit Amras als Dolmetscher noch einige Fragen an ihren Führer stellen zu wollen, gemeinsam mit Amras nach draußen in den Tempelgarten begab. Dort blieb er stehen und hörte sich die Fragen seines Ordensbruders an, die er ihm aufgrund seiner Verwirrung zum Ende hin nur noch über die Gabe übermittelte. Als dieser geendet hatte, legte er ihm eine Hand auf die Schulter und blickte ihm fest in die Augen, während er ruhig antwortete:

“Mein Freund, Ihr zweifelt nicht wirklich an meiner Ehrlichkeit oder meint Ihr, ich wäre derjenige, den Fizban bezeichnete? Eure Verwirrung und Furcht spielen Euch einen Streich und Ihr seht manche Dinge in einem falschen Licht! Varnayrah hat Eure Frage nach dem Paladin besser beantwortet, als ich das hätte tun können. Und ich habe Euch nie etwas verschwiegen; alles, was in dieser Schriftrolle stand, habt Ihr ebenso wie Kjeldor erfahren und es entspricht nicht den Tatsachen, dass unsere Zahl stetig sinkt: abgesehen von Ledun, der erkannt hat, dass der Weg des Lichts nicht der rechte Weg für ihn war, sind wir noch immer vereint, auch, wenn wir zeitweise an verschiedenen Orten dem Bösen gegenübertreten. Das ist nun einmal unser aller selbsterwähltes Schicksal! Auch habe ich nie verlangt, dass wir unsere Fähigkeiten verschweigen, denn, wie Ihr im Kampf gegen die untoten Orks gesehen habt, setzen wir diese zum Nutzen aller ein; lediglich unsere Gabe mag für manch einen als Fluch erscheinen oder als Waffe angesehen werden, die sie nicht ist, und so sollten wir dies nicht jedermann preisgeben.“

Amras noch immer fest in die Augen blickend, nahm Elessar seine Hand von seiner Schulter und fuhr fort:

“Nun, ich hoffe, ich konnte Eure Zweifel zerstreuen, denn wir sollten uns wieder hineinbegeben; ich weiß nicht, wie lange es Kjeldor gelingt, die Aufmerksamkeit von uns abzulenken, ohne dass wir doch noch den Eindruck erwecken, Ränke zu schmieden.“

Der Priester deutete Amras, voraus zu gehen und gerade, als sie sich wieder der Gruppe anschlossen, sprach Gunag:

“Ich bin erfreut, dass Ihr uns Eure Hilfe zugesagt habt! So werde ich Euch nun zum Tor geleiten, damit Ihr Euch auf den Weg nach Shana machen könnt!“

Der Hohepriester lachte leise auf, als er die verdutzten Gesichter der Gefährten gewahrte und fuhr dann fort:

“Oh, keine Sorge, Eure Reise wird nicht sehr lange dauern und bedarf keinerlei Vorbereitungen! Ihr erinnert Euch an das Artefakt, welches ich vorhin erwähnte? Folgt mir bitte; unterwegs werde ich Euch mehr erzählen!“

Der Ork deutete ihnen mit einer Handbewegung, ihm zu folgen und ging dann voraus. Während Elessar neben ihm schritt und die anderen folgten, führte er sie aus dem Altarraum in den gegenüberliegenden Gebäudekomplex und dort durch mehrere Gänge. Unterwegs bemerkte Elessar, dass er mit einem Ring, den er am Finger trug, spielte, während er sprach:

“Das einzige Artefakt, welches uns aus der Zeit der besagten Kriegerpriester erhalten blieb, stellt eine Möglichkeit des schnellen Reisens von einem Tempel zum anderen dar; wir nennen es deshalb auch die „Kurzen Wege“. Es ist ein geheimnisvoller Mechanismus, der mit einem Schlüssel aktiviert werden muss und nur benutzt werden kann, wenn man bereits einmal am Zielort gewesen ist. Diese Schlüssel sind es, die nur von Hohepriester zu Hohepriester weitergegeben werden und Jahrhunderte zuvor reisten die Novizen während ihrer Ausbildung von Tempel zu Tempel, damit sie die möglichen Zielorte kannten, sollten sie später einmal zu Hohepriestern gewählt werden.“

Inzwischen waren sie vor einer Tür angekommen und Gunag öffnet diese, um den Blick in einen kleinen Raum freizugeben. Als Elessar hineinblickte und das gewahrte, was er dort sah, hielt er einen kurzen Moment die Luft an: der Alkoven glich dem in dem unterirdischen Tempel in Sha’Nurdra aufs Haar und an der gegenüberliegenden Wand hing die gleiche Karte. Elessar betrat den Raum und näherte sich der Karte, unter der die gleiche Inschrift zu lesen war:

Ein weiter Weg mit einem einzigen Schritt, überwindet im Nu
wer das Ende kennt und den Anfang betritt, braucht nur den rechten Schlüssel dazu.

Eine kostbare Gabe ist dies, hat keinen Anfang und kein Ende und in der Mitte nichts.

Als er sich umdrehte, bemerkte er, dass sowohl der Ring am Finger des Hohepriesters, als auch das Muster auf dem Boden zu glimmen schienen und schlagartig wusste er die Lösung zu diesem Rätsel; er griff in seine Tasche und ertastete den Ring, den er in Sha’Nurdra gefunden hatte - und einen weiteren Gegenstand... Verdutzt beförderte er einen zusammengefalteten Bogen Pergament zutage und öffnete diesen, um zu lesen, was in einer unregelmäßigen Handschrift darauf geschrieben stand:

Junger Priester des Lichts, sorgt Euch nicht um Eure tierischen Gefährten, sondern behaltet immer Euer Ziel vor Augen! Am Ende aller Dinge werdet Ihr sehen und erkennen! F.

Lächelnd schüttelte er den Kopf und wandte sich erst an die Gefährten, um ihnen mitzuteilen, dass ihre Pferde und tierische Freunde wohlauf seien, dann wandte er sich Gunag zu, der an die Karte getreten war und zu sprechen begann:

“Wenn man das Ziel kennt, kann man mit dem Schlüssel - dem Ring des Hohepriesters - das Muster aktivieren und mit dessen Hilfe zu dem gewünschten Ziel reisen. Nach der Aktivierung bleibt das Muster so lange aktiv, bis man die „Kurzen Wege“ betreten hat; doch merkt auf: die Reise verläuft nur in die eine Richtung. Unglücklicherweise kann ich Euch nicht begleiten, denn Kämpfen ist mir fremd! Ihr müsst also den Ring des Hohepriesters von Shana finden, um hierher zurückzukehren. Seid Ihr dennoch bereit?“

Elessar nahm seinen Ring hervor, der sofort zu glimmen begann, und zeigte ihn den Anwesenden; dann nickte er zuversichtlich und antwortete für die Gruppe:

“Ich habe den Schlüssel, den der Letzte der Zwölf für uns hinterlassen hat; wir sind bereit! Für Paladin! Für das Licht!“

Gunag nickte ebenfalls und antwortete “So sei es!“; dann drückte er die Perle seines Ringes in die Vertiefung auf der Karte, die wohl den Tempel der Sonne markierte und wiederholte diese Prozedur an einer Stelle weiter westlich, die den Tempel des Mondes markierte. Sofort flammte das Muster gleißend hell auf, so dass es fast schmerzte und eine Art Nebel begann sich zu bilden; man hatte den Eindruck, es entstünde ein Riss in einer Leinwand und dort wurde ein anderer Ort, der Zielort sichtbar: ein spiegelbildlicher Raum, der jedoch im Gegensatz zu der hier herrschenden Helligkeit fast dunkel wirkte. Elessar fasste Carthangiel an der Hand und drückte sie zuversichtlich, dann rief er Gunag zum Abschied zu “Wünscht uns Erfolg! Auf bald!“ und unternahm den ersten Schritt in den Nebel... und fand sich in dem Alkoven im Tempel des Mondes wieder.

~/~

Wenige Augenblicke befanden sich alle Gefährten in dem Raum in Shana; der seltsame Nebel verzog sich und sie waren allein. Elessar blickte sich um, ob alle wohlauf waren und schritt dann auf die Tür zu, damit sie sich auf den Weg durch den Tempel machen konnten, um Hinweise zu finden, wie sie ihre Aufgabe lösen konnten. Der Paladin hatte gerade mit Carthangiel den Raum verlassen und hinter ihnen drängten Kjeldor und Amras in den Gang, als die Tür zu einem Nebenraum sich öffnete und ein Mann vor sie trat, der Elessar um mehr als zwei Kopf überragte. Obwohl seine Rüstung verrostet und verschmutzt war, war noch immer das Paladinsymbol auf der Brust zu erkennen und anhand der Beschreibung konnte es sich nur um Graham handeln; der Mann sah sie fast belustigt an und die Ordensbrüder spürten eine Botschaft in ihren Gedanken:

“Fürwahr, Ihr seid endlich gekommen! Doch leider zu spät!“

Wie von Sinnen laut lachend rief der Mann dagegen, dass alle es hören konnten:

“Nett, dass Ihr sogar jemanden mitbringt, der wie geschaffen für meinen Meister ist!“

Graham rammte seinen Eisenschild gegen Elessar, der mit einem Aufschrei nach hinten fiel und dabei Kjeldor und Amras umriss; im gleichen Augenblick, in dem er den Schild losließ, ergriff er Carthangiel - die kurz darauf einen brennenden Schmerz am Hals verspürte und in Ohnmacht sank - und warf sich die zierliche Elfe wie einen Sack über die Schulter und stürmte davon. Noch bevor die Ordensbrüder wieder auf den Beinen und die anderen Gefährten aus dem Raum getreten waren, waren seine lauten Schritte in den Gängen des Tempels verhallt, doch unbeirrbar machten die Drachenritter sich auf, um ihre Gefährtin zu suchen. Nach wenigen Augenblicken hatten sie sich den Grundriss des Tempels ins Gedächtnis gerufen und folgten nun den Gängen in Richtung des großen Altarraumes.

Auf ihrem Weg bemerkten die Gefährten die Unterschiede zum Tempel der Sonne: die Gänge waren mit Unrat übersät, Moder und Schimmel bedeckte Wände und Decken und überall herrschte eine diffuse Dämmerung, die die Sicht zwar nicht wirklich behinderte, aber auch nicht vereinfachte. Als sie in dem Gang ankamen, der an der Stirnwand des Altarraumes entlang zur Außentür führen musste, verhielten sie ihre Schritte; in der Stirnwand klaffte ein riesiges Loch, das einen Durchgang in den Altarraum schuf und ein unheiliges, grünlich flackerndes Licht warf einen Lichtkreis auf den Boden im Gang, in dem sie standen. Vorsichtig näherten sich die Gefährten diesem Durchlass, um hinein zu spähen und beim Anblick, der sich ihnen bot, zu erstarren: Graham ehrfürchtig vor dem Altar, der von zwei steinernen Gargoyles auf Podesten flankiert wurde, kniend, während ein Priester in einer schwarzen Robe hinter dem Altar ein dunkles Ritual durchführte. Erst beim zweiten Blick war zu erkennen, dass Carthangiel reglos auf dem Altar lag und wohl Opfer dieses Rituals werden sollte; dieser Anblick reichte, um die Gruppe in den Altarraum stürmen zu lassen und auf Graham und den Priester zuzueilen.

Der Priester gewahrte die heranstürmenden Gefährten und unterbrach sein Ritual, um Graham in einer unbekannten Sprache einen Befehl zuzurufen; dann hob er eine Art Zepter und deutete damit auf die Gargoyles, während er in der gleichen Sprache wie zuvor, unverständliche Worte sprach. Die Gefährten, die inzwischen die Mitte des Altarraumes erreicht hatten, sahen sich Graham gegenüber, der sein Schwert in der Hand hatte und hörten plötzlich ein Geräusch wie von berstendem Gestein. Sie gewahrten Risse, die sich in den Statuen bildeten; dann schien sich unter dem Stein etwas zu bewegen und von einer Sekunde auf die andere brach die Steinhülle der Gargoyles völlig auseinander und mit einem markerschütternden Geschrei breiteten die Monster ihre kleinen Flügel aus und sprangen mehr, als sie schwebten, von ihren Podesten herunter und griffen - Graham in ihrer Mitte - die Gefährten an. Auch aus den hinteren Winkeln des Raumes war plötzlich das Knacken und Bersten von Stein zu hören, während der Priester am Altar sein Ritual seelenruhig fortsetzte.

Und schon waren die Gegner heran; während Graham direkt auf Kjeldor zuhielt und mit seinem Schwert ausholte, griffen die Gargoyles die verbliebenen Gefährten an; Emathelyos und Silver bildeten das Schlusslicht und wurden von hinten attackiert, während die beiden vorderen Gargoyles Varnayrah bzw. Elessar und Amras angriffen.

9. Kapitel

Als auch die Steinhüllen der beiden Gargoyle-Statuen in den hinteren Ecken des Altarraumes geborsten waren und die Gegner vereint auf die Gefährten eindrangen, kam es ihnen vor, als würde die Hölle über sie hereinbrechen. Das durchdringende Gekreische der Gargoyles, das an verzerrte Schreie von Greifvögeln erinnerte, schmerzte in den Ohren und manch einer war versucht, sich dieselben zuzuhalten, doch die Gefahr nahte und so machten sich alle bereit zum Kampf.

Amras riss seinen Bogen hoch und schoss einen Pfeil auf den Gargoyle, der ihm entgegen eilte, doch handelte er zu übereilt und schoss daneben; als der Gegner heran war und gerade zu einem Schlag mit einer seiner Klauen ausholte, war jedoch Elessar zur Stelle. Der Paladin stand seitlich von Amras und hatte anfangs den Blick auf den Altar gerichtet, auf dem seine Liebste wie leblos lag und Opfer eines dunklen Rituals wurde; als der Gargoyle heran war, riss er sich von dem Anblick der Bognerin los und holte mit Gelmir zum Schlag aus. Der Gargoyle hatte nicht mit diesem Angriff von der Seite gerechnet und so traf das Schwert mit vollem Schwung die Kehle des Untiers und durchtrennte diese mit einem Schlag, so dass der Gegner sich an die Kehle fasste und zu Boden stürzte, wo er sich noch eine Weile zuckend und gurgelnd wand, während eine grünliche Flüssigkeit zwischen seinen Klauen hervorsickerte, die zischend auf den Boden tropfte. Kaum hatten die Zuckungen des Körpers aufgehört, war ein eigenartiges Geräusch, das wiederum an das Knacken von berstendem Gestein erinnerte, zu hören und die beiden Paladine blickten auf eine am Boden liegende steinerne Statue eines Gargoyles in eben der Haltung, in der das Monster kurz zuvor verendet war.

Auch Varnayrah hatte ihren Bogen griffbereit und versuchte, einen Pfeil auf die Sehne zu legen, doch der Gargoyle war bereits zu nahe und hieb ihr mit einem blitzschnellen Schlag seiner Klaue den Bogen aus der Hand, so dass dieser ein paar Schritte entfernt zu Boden fiel; dabei schrammte die Klaue über den Handrücken der Elfe und hinterließ eine tiefe, brennende Schramme. Siegessicher leuchteten die Augen des Gargoyles auf und er wollte gerade nachsetzen, als Varnayrah sich wegdrehte, einen Schritt zurück trat und ihr Schwert mit einem hellen Ton aus der Scheide fuhr; noch in der Drehung holte sie zu einem Schlag aus und schwang Rao’Jathara in einer nach oben geführten Bewegung, die dem Monster den Leib aufschlitzte. Die lederartige Haut platzte auf und eine gallertartige Masse drang mitsamt einem Schwall der grünen Flüssigkeit, die wohl das Blut dieser Bestien darstellte, hervor; der Gargoyle heulte auf und, während er mit einer Klaue versuchte, die klaffende Wunde zuzuhalten, zog er sich zwei Schritte zurück, machte sich jedoch dann scheinbar bereit, noch einmal anzugreifen. Auch Varnayrah bemerkte das Zischen, als die Tropfen des grünen Lebenssaftes auf den Boden auftrafen, doch in der Zeit, in der der Gargoyle sich zurückzog, wandte sie ihre Aufmerksamkeit Graham zu, der mit erhobenem Schwert auf Kjeldor zuschritt und beschwor ihn, sich zu besinnen.

Der Hüne hielt einen Augenblick inne, als er Varnayrahs Stimme vernahm und wandte den Kopf in ihre Richtung; einen Augenblick schien sich sein Blick zu klären, doch dann ruckte sein Kopf wieder in Kjeldors Richtung und er griff an. Mit einem mächtigen Schwung fuhr Grahams Schwert nieder, doch Kjeldor hatte den Schlag erwartet und blockte diesen scheinbar mühelos mit seinem Schild. Graham spürte den Ruck, der durch die Blockade durch sein Schwert ging, bis in die Schulter seines Schwertarmes und blickte sein Gegenüber ungläubig an; diesen Moment nutzte Kjeldor, um den Vater der Zwölf über sein Gedankenmuster zu beschwören, sich seines Schülers zu erinnern und sich vom Bösen loszusagen. Nach wenigen Sekunden, die fast in Zeitlupe zu vergehen schienen, wurden die Züge des einstigen Paladins weicher und zeigten eine Spur des Erkennens und fast ein Lächeln, doch plötzlich ging erneut ein Ruck durch Graham, er murmelte “Ja, Meister!“ und das Lächeln wandelte sich zu einem diabolischen Grinsen. Sein Schwert fuhr erneut in die Höhe und er bereitete sich auf einen zweiten Angriff vor, doch Kjeldor war schneller; während er Elessar zurief, dass der Elf Weihwasser einsetzen solle, führte er mit aller Wucht einen Schlag mit Bar’Thyron gegen seinen einstigen Mentor aus, doch auch dieser Schlag zeigte kaum Wirkung. Die Klinge konnte Grahams Plattenrüstung nicht durchdringen und so stolperte dieser durch die Wucht des Schlages lediglich zwei Schritte nach hinten.

Silver und Emathelyos hatten in der hinteren Reihe etwas mehr Zeit, sich auf ihren Angriff vorzubereiten, da die beiden Gargoyles aus den hinteren Ecken einen längeren Weg hatten. Die Amazone machte sich schussbereit, doch statt sich auf den nahenden Gegner zu konzentrieren, wandte sie sich noch einmal an Silver und rief diesem eine Warnung zu; dies hatte zur Folge, dass sie ihren ersten Pfeil zu hektisch abschoss. Der sich ihr nähernde Gargoyle sah den Angriff und hatte genügend Zeit, sich zur Seite zu drehen und dem Pfeil auf diese Weise auszuweichen. Er hatte jedoch nicht mit der Schnelligkeit der Amazone gerechnet; binnen eines Augenblickes hatte sie einen weiteren Pfeil auf der Sehne, visierte kurz an und schoss. Der Gargoyle hatte keine Chance; noch bevor er den Kopf wenden konnte, um Emathelyos wieder anzuschauen und auf sie zuzueilen, traf der Pfeil die Bestie ins Auge und durchbohrte das in dem vogelähnlichen Kopf direkt dahinterliegende Gehirn. Die Bestie war sofort tot, und als der Körper auf dem Boden aufschlug, war er bereits zu Stein geworden und zersplitterte wie eine fallengelassene Tonschale in Tausende von Scherben.

In der Zwischenzeit legte Silver in aller Seelenruhe einen Pfeil auf die Sehne, zielte und schoss. Diesmal hatte der Elf Erfolg; sein Pfeil traf den Gargoyle und durchschlug dessen Hals, doch obwohl das Monster vor Schmerz und Wut aufheulte, schien die Verletzung nicht bedrohlich zu sein, denn es hielt in seinem Schritt nicht inne und stürmte weiter vor. Eilig ließ der Elf seinen Bogen fallen und zog sein Schwert aus der Scheide, um den Angriff des Gegners zu blocken, doch er war nicht schnell genug; die Klaue des Gargoyles zerfetzte die Kleidung des Elfen und hinterließ eine tiefe Wunde quer über der Brust), die Silver schmerzerfüllt nach hinten taumeln ließ. Der Gargoyle fasste derweil mit einer seiner Klauen nach dem in seinem Hals steckenden Pfeil und versuchte ihn herauszuziehen, stattdessen brach er ihn jedoch ab und ließ das Bruchstück zu Boden fallen; dann spreizte er die Flügel und hob bedrohlich die Klauen, um den Elfen erneut anzugreifen.

Während des gesamten Kampfes führte der Priester seelenruhig und konzentriert - nur einen Moment war er in eine Art Trance versunken, in dem er seinen Blick auf Graham richtete und Graham zur Bestätigung “Ja, Meister!“ murmelte - sein Ritual durch, wobei er einen sich rhythmisch wiederholenden Sprechgesang von sich gab, den keiner der Drachenritter verstanden hätte, wenn er Gelegenheit gehabt hätte, dem Ork-Priester seine Aufmerksamkeit zu schenken. Nur Carthangiel, die inzwischen aus ihrer Ohnmacht erwacht war und mit Schreck festgestellt hatte, dass sie sich weder bewegen, noch sprechen konnte, hörte die in ihren Ohren furchtbar klingenden Worte des Orks, doch zusätzlich hörte sie auch den Kampflärm und Panik stieg in ihr auf. Anfangs kämpfte sie gegen ihre Hilflosigkeit und Ängste an, doch als sie merkte, dass sie keinen Erfolg haben würde, zog sie sich in sich selbst zurück und stimmte die Melodie ihres Seelenliedes an. So bemerkte sie nicht, dass der Priester einen Ritualdolch zur Hand nahm und an ihrem linken Arm direkt über der Narbe, die ihr einst in einer dunklen Stunde zugefügt wurde, einen Schnitt anbrachte, aus dem anschließend langsam, aber stetig ihr Lebenssaft dunkelrot in ein Gefäß floss, das der Priester bereitgestellt hatte.

Nachdem Elessar den Gargoyle, der Amras angreifen wollte, getötet hatte, hatte er sich wieder voll und ganz auf den Altar konzentriert und so nur am Rande Kjeldors Aufforderung mitbekommen; geistesabwesend fasste er an seinen Gürtel und griff dort eine Phiole Weihwasser, die er Kjeldor in dem Moment, in dem Graham zurücktaumelte, in die Hand drückte, als er plötzlich den Melodiebogen von Carthangiels Seelenlied spürte. Um ihr Mut zu geben und ihr zu zeigen, dass sie nicht alleine war, stimmte er laut das Salasandra an und versuchte so den Sprechgesang des Ork-Priesters zu übertönen. In Gedanken bat er Paladin um Beistand und schritt dann, Schwert und Schild hoch erhoben, auf den Altar zu, um den Priester von der weiteren Durchführung seines Rituals abzuhalten. Der Ork vernahm Elessars Stimme und blickte erschrocken auf ; als er sah, dass der Elf sich dem Altar näherte, heulte er wutentbrannt auf und legte den Ritualdolch auf den Altar, um sein Zepter zu ergreifen und eine Beschwörung zu beginnen, die offensichtlich gegen den Paladin gerichtet war. Im selben Moment fühlte Carthangiel eine seltsame Wärme, die von ihrer Brust ausging - das Paladinsymbol, das sie an einer Kette um den Hals trug, hatte begonnen, intensiv zu leuchten - und sie spürte, wie wieder Leben in ihren Körper zurückkehrte und sie wieder Kontrolle über ihre Muskeln erlangte. Langsam bewegte sie die Finger, um die Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen zu testen und fühlte dabei den Griff des Ritualdolches, der neben ihrer Hand lag.

10. Kapitel

Als Varnayrah bemerkte, dass Graham kurze Zeit auf sie reagierte, dann aber Kjeldor weiterhin attackierte, wandte sie sich wieder dem Gargoyle zu, der bereits zum nächsten Angriff ansetzte; voller Erstaunen wurde sie sich bewusst, dass sie wohl etwas zu lange gezögert hatte, denn die Bauchwunde hatte begonnen, sich wieder zu schließen. Also verlor sie keine Zeit mehr; mit zwei schnellen Schritten war sie bei ihrem Gegner und führte mit aller Kraft einen waagerechten Schlag gegen dessen Kehle, worauf der Gargoyle sich an die Kehle fasste und mit einem gurgelnden Geräusch in die Knie brach. Varnayrah verharrte einen Augenblick, um zu sehen, ob sie sich gegen einen weiteren Angriff würde verteidigen müssen, doch als sie den wankenden Gargoyle sah, gewann sie den Eindruck, dass der Feind besiegt sei und entschloss sich, sich nun endgültig Graham zuzuwenden. Langsam schob sie ihr Schwert in die Scheide, schloss die Augen und konzentrierte sich voll und ganz auf das Nurti’sandra, das an diesem Ort durch die Präsenz des Bösen so sehr gedämpft wurde. Nach den ersten Tönen wechselte sie fast übergangslos in ihr Iama’sandra und als sie darin genügend Kraft und Zuversicht gefunden hatte, machte sie sich auf die Suche nach dem Melodiebogen von Grahams Lied. Sie verlor sich völlig in ihrer Konzentration und Erschöpfung ließ ihre Sinne zusätzlich abstumpfen, so dass sie nicht bemerkte, wie der Gargoyle sich mit einer letzten Kraftanstrengung erhob und mit böse funkelnden Augen auf sie zu taumelte, wobei mit jedem Atemzug der grüne, ätzende Lebenssaft aus der Wunde am Hals pulsierte.

Amras sah, dass Silver verletzt wurde und machte sich bereit, auf den Gegner des Bogners zu schießen, um diesen an einem erneuten Angriff zu hindern. Unerwarteterweise fing Silver jedoch seinen drohenden Sturz ab und nahm trotz seiner Verletzung allen Mut zusammen; noch bevor der andere Gargoyle erneut angreifen konnte, stürmte der Elf mit dem Schwert in der Hand auf diesen zu und rammte ihm die Klinge bis zum Heft in den Bauch, so dass die Spitze auf der anderen Seite wieder austrat. Durch den eigenen Schwung nach vorne gerissen, taumelten die beiden einige Schritte weiter, was Silver zum Verhängnis wurde: Amras hatte zwar im letzten Moment den Bogen verreißen wollen, doch durch das Straucheln Silvers erwischte der Pfeil den Elfen an der rechten Schulter und drang tief ins Fleisch. Auch Emathelyos hatte auf den Gargoyle gezielt, doch sie erkannte die Gefahr, Silver zu treffen, eher und reagierte schnell genug, um den Pfeil in eine andere Richtung zu lenken; als sie sah, dass Silver schwer verletzt vor dem Gargoyle zusammenbrach, legte sie flugs einen zweiten Pfeil auf die Sehne und schoss. Der Gargoyle hatte beide Arme erhoben, um den vor ihm knienden Elfen mit einem letzten verzweifelten Schlag der Klauen zu töten, doch der Pfeil der Amazone drang unterhalb der Achsel in den Körper des Untieres ein und traf das Herz, so dass dieses sofort starb. Der Gargoyle versteinerte in genau der Haltung, die er gerade inne hatte und sowohl der Pfeil, als auch das Schwert wurden ebenfalls zu Stein.

Nachdem Elessar Kjeldor die Phiole mit dem Weihwasser zugesteckt hatte, versuchte der junge Paladin erneut, seinen einstigen Mentor über sein Gedankenmuster zu erreichen, um ihn dazu zu bringen, sich von dem Bösen, das ihn ergriffen hatte, zu befreien. Doch noch immer war die Macht des Ork-Priesters groß genug, um Graham zu binden und so griff dieser erneut an. Kjeldor reagierte bltizschnell und schleuderte die Phiole, die im nächsten Augenblick auf dem Brustpanzer Grahams zerbarst, doch die einzige Wirkung, die das geheiligte Wasser zeigte, war ein Blinzeln, das die Spritzer, die die Augen des Hünen trafen, diesem entlockten. Doch eben dieses Blinzeln führte dazu, dass Grahams Schlag die Wucht genommen wurde und er somit Kjeldor nur einen Kratzer zufügte; durch den Schwung nach vorne gerissen, rannte er jedoch offen in Kjeldors Gegenschlag. Da der junge Paladin den älteren jedoch nicht töten wollte, hatte er den Schlag nur halbherzig geführt und die Klinge Bar’Thyrons glitt erneut an dem Plattenpanzer Grahams ab, ohne diesen zu verletzen. Und schon setzte Graham mit einem irren Leuchten in den Augen nach.

Carthangiel hörte erst, wie Elessars Salasandra sich mit dem ihren verband und fühlte die von dem Paladinsymbol ausgehende Wärme; als sie dann auch noch Varnayrahs Gesang gewahrte und merkte, dass langsam wieder Leben in ihre gelähmten Gliedmaßen zurückkehrte, gewann sie an Zuversicht und verstärkte ihr Salasandra, damit die vier Stimmen gemeinsam gegen den Sprechgesang des Ork-Priesters ankämpfen konnten. Während ihre Finger vorsichtig über den Gegenstand, der neben ihrer Hand lag, wanderten, hörte sie, wie der Ork begann, eine Beschwörung zu intonieren; als sie den Gegenstand erkannte, packte sie den Griff des Dolches und wagte es nun, ihre Augen zu öffnen, wobei ihre Blicke sofort den dunklen Priester suchten. Sie schwang sich geschmeidig vom Altar, um mit zum Stoß erhobenen Dolch auf den Priester zuzuspringen, doch noch bevor ihre Füße den Boden berührten, sprang der Ork zur Seite und... verschwand mit einem Aufschrei, dem das dumpfe Geräusch eines Aufpralls folgte.

Als Carthangiel vom Altar gesprungen und der Priester plötzlich aus seinem Blickfeld verschwunden war, hatte Elessar seine Schritte beschleunigt und war um den Altar herum zu seiner Liebsten geeilt, die er sofort in die Arme geschlossen hatte. Nun standen die beiden vor einer Öffnung im Boden und blickten hinunter; eine kleine Treppe führte in eine offensichtlich geheime Kammer unter dem Altar und am Fuß der Treppe lag der Priester, das Zepter steckte im Körper des toten Ork und war zerbrochen und eine Blutlache breitete sich rasch aus.

Varnayrah war der Erschöpfung nahe und stand kurz vor dem Zusammenbruch, doch plötzlich hatte sie das gesuchte Lied gefunden; ein sanft schwingender Melodiebogen, der von einem dichten, schwarzen Nebel soweit eingeengt wurde, dass er fast vollständig zum Verstummen gebracht wurde. Mit neuer Kraft rüttelte die Elfe an dieser Hülle, doch sie wurde zurückgeworfen. Inzwischen hatte der noch lebende Gargoyle Varnayrah fast erreicht und streckte gerade die Klauen aus, um die Elfe zu packen; versunken in ihr Lied konnte sie den Gargoyle nicht bemerken und so versuchte sie erneut, durch den Nebel zu dringen und ganz unerwartet – sie sollte später erfahren, dass es der Moment war, in dem der Schrei des Priesters erklang - löste der Nebel sich auf und sie war in der Lage, den Melodiebogen mit dem ihren zu verflechten; während sie begann, Graham von der Sonne und dem Licht, das ihn einst erfüllte, zu singen, tat der Gargoyle seinen letzten Atemzug und erstarrte zu Stein.

Ein Vorhang schien vor Grahams Augen beiseite gezogen zu werden; sein Blick klärte sich und er wurde aschfahl. Er starrte auf das Schwert in seinen Händen, mit dem er gerade wieder auf Kjeldor hatte einschlagen wollen und blickte dann auf seinen einstigen Schüler. Dann ließ er das Schwert zu Boden fallen, schlug die Hände vor sein Gesicht und rief:

“ Was nur habe ich getan? Wie tief bin ich gesunken? O Gerechter, welch schwere Bürde hast Du mir auferlegt?“

Er nahm die Hände vom Gesicht, blickte sich um und gewahrte außer Varnayrah, die inzwischen völlig erschöpft ihren Gesang beendet hatte, auch einige weitere Personen, die er nicht kannte. Dann sank er vor Kjeldor auf die Knie und beugte das Haupt:

“Nicht weniger als den Tod habe ich verdient, um diese Schande wieder gut zu machen!“

11.Kapitel

Der Kampf war vorüber; plötzlich und unerwartet herrschte Stille, die Stille des Todes, die zumindest einen Moment lang anhielt. Amras und Emathelyos hielten einen Moment die Luft an, weil sie fürchteten, Silver hätte im Kampf gegen den Gargoyle und durch Amras Fehlschuss sein Leben gelassen, Kjeldor und Varnayrah verharrten einen Moment, als sie Grahams bemitleidenswerten Zustand gewahrten und Carthangiel und Elessar blickten stumm auf den Leichnam des Orkpriesters. Doch ebenso plötzlich kehrte Leben in die Gefährten zurück.

Amras eilte auf Silver zu, um zu sehen, ob er ihm helfen kann. Als er merkte, dass dieser noch am Leben war, versuchte er sein Möglichstes, um den Bogner zu heilen, doch er selbst war so von den Ereignissen mitgenommen, dass sowohl sein Heilzauber, als auch sein Versuch, Silver mittels der göttlichen Macht zu heilen, fehlschlugen. So blieb Amras letztlich nichts anderes übrig, als dem Gefährten einen Heiltrank einzuflößen, der diesem auch sofort zu neuen Kräften verhalf. Nachdem es Silver wieder besser ging, machten die beiden Elfen sich auf den Weg zum Altar, wo sie sich zu Carthangiel und Elessar gesellten. Emathelyos sah, dass Amras sich um Silver kümmerte und wandte sich Kjeldor und Varnayrah zu; als sie sah, dass es Kjeldor gut ging und Varnayrah sich so sehr auf Graham konzentrierte, dass sie gar nicht bemerkte, dass sie angesprochen wurde, wanderten ihre Blicke weiter zu Carthangiel und Elessar und sie fragte die Elfe, ob sie verletzt sei.

Carthangiel, die sich gerade bei ihrem Liebsten für die Hilfe bedankt hatte, schaute kurz zu der Amazone, um ihr zu antworten und wandte dann ihren Blick wieder zu Elessar, als erwarte sie eine Aufforderung, die unter ihr liegende Kammer zu untersuchen. Erst auf des Paladins aufmunterndes Nicken hin, nahm sie ihre Waffen, die neben dem Altar auf dem Boden lagen, auf und stieg zögerlich die Treppen hinab. Unten angekommen, überblickte sie die geheime Kammer; sie war etwa anderthalb Schritt breit, knapp sechs Schritt lang und recht niedrig. In diesem Raum hatte der Moder noch keinen Einzug gehalten und so waren Wände, Boden und Decken noch immer von demselben reinweißen Marmor, den sich bereits in Shanu gesehen hatten. In der Mitte des Raumes gewahrte sie zwei kleine Podeste, die leer waren und an der hinteren Stirnwand ein weiteres Podest, auf dem die Statue eines Gargoyle stand. Langsam stieg sie über die Leiche des Priesters hinweg und näherte sich der Stirnwand, wobei sie im Vorbeigehen die beiden Podeste in Augenschein nahm, doch nichts Auffälliges entdecken konnte. Das Schwert fest in der Hand und immer wieder nervös auf die Statue blickend, hielt sie weiter auf die Stirnwand zu; als sie direkt davor stand, streifte ihr Blick noch einmal die Statue; hatten die Augen des Gargoyle gerade teuflisch aufgeblitzt? Sie verspürte den Drang, mit dem Schwert auf die Steinfigur einzuschlagen, doch noch hielt sie sich zurück. Unsicher trat sie an das Podest und ließ ihre Blicke über die Stirnwand gleiten.

Als Varnayrah sich wieder etwas erholt hatte, öffnete sie die Augen und lächelte, während sie in Grahams Richtung blickte, doch ihr Lächeln erstarb, als sie dessen Worte vernahm, mit denen er Kjeldor um seinen Tod bat. Die Elfe war fassungslos und unter Tränen forderte sie den Freund auf, sein wiedergewonnenes Leben auf keinen Fall fortzuwerfen. Anfangs konnte Kjeldor nur zustimmend nicken, doch dann richtete auch er das Wort an seinen einstigen Mentor; selbstlos trat er auf ihn zu und legte ihm trost- und vertrauenspendend seine Rechte auf das entblößte Haupt und ermutigte den Paladin, wieder mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken, da er aus den Fängen des Bösen gerettet wurde. Er zog den Hünen auf die Beine und reichte ihm unter Freudentränen sein Schwert mit den Worten, dass er immer ein Verfechter des Guten bliebe. Elessar, der das Geschehen mitverfolgt hatte, während Carthangiel sich in die Geheimkammer begeben hatte, nickte Kjeldor wohlwollend zu und übermittelte ihm über die Gabe:

“So ist es recht, mein Freund! Ich denke, dies war wohl die schwerste Prüfung unter allen und vor allem Varnayrah und Euch haben wir es zu verdanken, dass wir nicht scheiterten; Ihr habt soeben Mitgefühl über alle Maßen gezeigt!“

Inzwischen waren Amras und Silver neben Elessar getreten und hatten die nach unten führende Treppe entdeckt; der Paladin erklärte den beiden kurz, dass Carthangiel bereits unten war und dass er vermute, dass es am Altar einen Mechanismus geben musste, der die versteckte Tür betätigen konnte. Da es ihm aber seltsam vorkam, dass seine Liebste noch immer nicht zurück war, entschloss er sich, ebenfalls nach unten zu gehen. Als er sich daran machte, die Treppe hinab zu steigen, machten Amras und Silver sich daran, die ihnen zugewandte Seite des Altars nach einem versteckten Knopf oder Hebel zu untersuchen und wurden auch bald fündig.

Elessar erreichte die letzte Treppenstufe und sah, dass Carthangiel unschlüssig vor der Statue eines Gargoyle stand. Da in dem Raum nichts anderes zu sehen war, kniete er bei der Leiche des Orks nieder und untersuchte diese; das Zepter bzw. ein Bruchstück desselben steckte in der Brust des Ork nahe des Herzen, während das andere Bruchstück auf dem Boden neben der Leiche lag. Jetzt, wo es zerstört war, würden sie wohl nie erfahren, welche bösen und zerstörerischen Mächte diesem Artefakt innegewohnt hatten, aber letztendlich erfreute es den Paladin, dass ihm die Bürde, das Zepter an einem sicheren Ort zu verwahren abgenommen worden war. Er untersuchte die Leiche des Priesters näher, doch alles, was er fand, war ein Ring an einem Finger, der dem seinen und dem, den Gunag besaß, glich, wie ein Ei dem anderen: der Ring, der als Schlüssel für die Kurzen Wege diente. Sie hatten also gegen den lange verschollenen Hohepriester des Tempel des Mondes gekämpft und diesen besiegt, auch, wenn er durch eine Unachtsamkeit in den Tod gestürzt war, bevor sie ihm den Garaus hatten machen können. Da von diesem, laut den Berichten Gunags, die ganze Gefahr ausging und sie in diesem Tempel auf keine weiteren Feinde gestoßen waren, sollte dem Treiben des Bösen wohl endgültig ein Ende gesetzt sein. Bei diesem Gedanken durchfuhr den Priester ein Gefühl der Erleichterung und er nahm dem Ork den Ring vom Finger; dann erhob er sich wieder und schritt zu seiner Liebsten, die noch immer wie gebannt auf den Gargoyle und die Stirnwand starrte und doch nichts entdecken konnte. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und sprach dann beruhigend auf sie ein:

“Mela en’coiamin, ich glaube nicht, dass von dieser Statue noch irgendeine Gefahr ausgeht! Wir haben das Böse besiegt und jetzt ist es nichts weiter als Stein! Diese Geheimkammer war wohl eine Art Aufbewahrungsort, aber nun ist sie - warum, auch immer - leer; lass uns zu den anderen zurück kehren.“

Als die beiden Elfen nach oben kamen, berichteten Amras und Silver gerade von ihrer Entdeckung des Mechanismus, mit dem man die Geheimtür öffnen konnte und Graham, der noch immer niedergeschlagen zu Boden blickte, wandte seinen Blick auf Kjeldor und meinte:

“Ihr werdet hier in der Kammer nichts finden; der Hohepriester hatte einmal erwähnt, dass er hier nur noch das Zepter, das er benutzte, gefunden hatte; alle anderen Artefakte müssen wohl vor sehr langer Zeit, möglicherweise sogar, bevor der Tempel damals abgeriegelt wurde, weggeschafft worden sein. Allerdings war der Ork der Meinung, dass es in Shanu eine analoge Kammer geben müsse, die er hatte plündern wollen, sobald er genügend Untergebene um sich geschart hatte.“

Plötzlich glomm etwas wie Hoffnung in Grahams Augen auf und er fuhr fort:

“Nun, wenn Ihr der Meinung seid, ich solle weiterleben, dann werde ich alles Mögliche tun, um Abbitte zu leisten! Ich werde Euch zunächst nach Shanu begleiten und mich dort in die Obhut der Priester im Tempel der Sonne begeben!“

So beschlossen die Gefährten, sich zu dem Alkoven zurück zu begeben, von wo aus sie nach Shanu zurückkehren konnten; unterwegs befragte Elessar Graham, wie er überhaupt an diesen Ort gekommen und wie es dem dunklen Priester gelungen sei, sich seiner zu bemächtigen. Graham überlegte einen Moment, wo er wohl seinen Bericht beginnen sollte, doch dann sprudelten die Worte nur so hervor:

“Nach dem Krieg gegen Taros wollte ich zu einer Pilgerreise aufbrechen, um mich meinen Meditationen hingeben zu können; ich wollte mir Klarheit über unsere Ziele zur Neugründung des Ordens verschaffen, weil wir zu dieser Zeit große Schwierigkeiten hatten, weitere Anhänger zu finden. In der Nacht vor meinem Aufbruch hatte ich dann eine Vision, die mir die Vorgänge in diesem Tempel vor Augen führten und ich wurde mir bewusst, dass meine Hilfe benötigt würde. So machte ich mich auf den Weg und gelangte nach vielen Tagen schließlich über das Aramonland nach Shanu, wo ich auf die seltsamen Orks, die sich der Heilung und dem Guten verschrieben hatten, traf. Sie berichteten mir von eben jenem Problem, das ich in meinen Träumen gesehen hatte und so versprach ich, ihnen zu helfen.

Der dortige Hohepriester schickte mich über diese seltsamen magischen Portale nach Shana und dort angekommen, machte ich mich erst einmal daran, den Tempel auszukundschaften. Ich verbrachte einige Tage und Nächte damit, mir die Örtlichkeiten genau anzuschauen und herauszufinden, was die Orks hier überhaupt trieben; dann eines Nachts hatte ich wieder eine Vision, die mir die Vorgänge in Nighton vor Augen führten und da ich mir große Sorgen machte, schloss ich mich in einem der verlassenen Räume ein, um in tiefer Meditation die Vorgänge von nahem zu beobachten.“


Grahams Stimme war immer leiser geworden und nun blickte er betreten auf den Boden vor sich; dann fuhr er noch niedergeschlagener fort:

“Fürwahr, ich weiß, es war leichtsinnig, die Weitsicht zu gebrauchen, obwohl ich alleine war, aber ich musste wissen, was in der Heimat vorging! Nun, ich wurde von den Orks entdeckt und da ich in diesem hilflosen Zustand war, war es ihnen ein Leichtes, mich zu überwältigen und mich zu dem Hohepriester zu bringen. Er vollzog ein magisches Ritual, während dem er mir einen Teil meines Blutes entnahm und dieses trank und fortan hatte er alle Macht über mich! Zuletzt war das Böse in mir so stark, dass ich kaum noch die Kraft hatte, über die Gabe zu kommunizieren.

So erfuhr er auch von dem Orden und meinen zukünftigen Ordensbrüdern und sandte seine Schergen aus, um diese aufzuhalten, denn auch er konnte sich denken, dass sie sich zu gegebener Zeit auf den Weg machen würden, um mich zu suchen. Er brachte sie nach Shanu, von wo aus sie sich über Land nach Dragonia begeben sollten; es war eine gut bewaffnete Gruppe und es mag sein, dass sie noch immer unterwegs sind, da sie von mir zu der Zeit ihres Aufbruchs keine genauere Ortsangabe als Dragonia erhalten hatten.“


An dieser Stelle unterbrach Kjeldor den Redefluss seines Mentors und berichtete in aller Kürze von dem Kampf und dem Sieg gegen die Orks im Wald nahe Drachenauge, wobei er jedoch in diesem Moment die Einzelheiten über Fizban verschwieg; dazu würde man später bei ausführlicheren Gesprächen noch Gelegenheit finden. Als der junge Paladin seinen Bericht beendet hatte, herrschte einen Moment Schweigen, den Elessar nutzte, um seinem Ordensbruder über sein Gedankenmuster eine überfällige Frage zu beantworten:

“Nun, werter Freund, dieser Bericht Grahams beantwortet auch Eure Frage, zu deren Beantwortung ich bei unserer Ankunft in diesem Tempel des Bösen keine Gelegenheit mehr fand: wir hatten also mitnichten Zuhörer in Sha’Nurdra, denn wäre das der Fall gewesen, hätte der Feind uns die Orks über die Kurzen Wege direkt nach Sha’Nurdra gesendet - und dazu hätte er auch sein Ziel kennen müssen, wie wir aus dem Rätsel um diese Reisemöglichkeit wissen - und nicht auf dem Landweg; es war also einzig der vermeintliche Verrat Grahams, der sie auf unsere Spur gebracht hat.“

Inzwischen war die Gruppe in dem Raum mit dem Alkoven angelangt und Elessar aktivierte das Muster mit seinem Ring; wie zuvor wallte der Nebel wieder auf und der analoge Raum in Shanu wurde sichtbar. Nacheinander traten die Gefährten hindurch, um sich im selben Moment im anderen Zwillingstempel wiederzufinden, wo sie bereits von Gunag und einer Gruppe der Ork-Priester in ihren weißen Gewändern erwartet wurden. Sie waren erfreut, die Gefährten in Begleitung Grahams gesund wiederzusehen und weit größer war die Freude, als sie erfuhren, dass der Hohepriester des Tempels des Mondes endgültig besiegt und getötet worden war. Schnell berichteten die Drachenritter von den Ereignissen und Elessar händigte Gunag den Ring des Hohepriesters aus; dann machten sie sich umgehend auf den Weg in den Altarraum, um den geheimen Zugang zu der Kammer unter dem Altar zu finden.

Im Altarraum wurden die Gefährten einschließlich Graham von den anwesenden Orks untersucht und eventuell vorhandene Wunden versorgt; dann schaute Silver sich den Altar genauestens an, um den Mechanismus zu finden, der die Geheimtür öffnen sollte. Es dauerte nicht lange, da fand sich der Hebel an einer Stelle, die seltsamerweise spiegelbildlich zu der Stelle lag, an der der Hebel in Shana gelegen hatte und die Tür öffnete sich, allerdings ebenfalls spiegelbildlich. Erwartungsvoll blickten alle die kleine Treppe hinab und endlich schritt Elessar die Stufen hinab in die kleine Kammer. Unten angekommen blieb der Priester voller Ehrfurcht stehen; auch dieser Raum enthielt zwei Podeste, die jedoch im Gegensatz zu den anderen beiden in Shana nicht leer waren. Stattdessen standen zwei Waffenständer aus dunklem Eichenholz darauf, die jeweils ein halbes Dutzend blinkender Kriegshämmer enthielten; sie standen da, als wären sie gerade erst poliert worden und warteten nur darauf, im Kampf geführt zu werden. Elessars Herz tat einen Sprung, als er näher trat und voller Bewunderung ließ er seine Hände über die Schäfte der Waffen gleiten und erschauerte vor der göttlichen Macht, die sie offensichtlich innehatten. Als seine Hände über den Griff des dritten Kriegshammers im ersten Ständer glitten, gewahrte er ein seltsames Prickeln, als wolle die Waffe ihm etwas mitteilen und er betrachtete sie genauer; auf einer Seite des Waffenkopfes fand er eine Gravur, die eben das Symbol darstellte, das seine Position im Orden - der Geist der Zwölf - bezeichnete und das auch durch eine Intarsie im Tisch der Zwölf seinen Platz kennzeichnete. Doch für eine nähere Betrachtung der legendären Waffen würde sich später noch Zeit finden; der Paladin schritt weiter und ließ seinen Blick weiter durch den Raum streifen. An der Stirnwand fand sich ebenfalls ein Podest, das im Gegensatz zu dem in Shana keine Statue beherbergte; stattdessen lag auf diesem Podest ein kleines, in schlichtes schwarzes Leder gebundenes Buch, dessen Einband unbeschriftet war. Der Paladin öffnete es und überflog die ersten Seiten; dann schob er es in eine seiner Taschen. Dann schritt er zu dem ersten der Waffenständer zurück, nahm die sechs Kriegshämmer vorsichtig auf und stieg die Treppe wieder hinauf; als er oben ankam, blickte er erfreut in die Runde und sprach:

“Meine Freunde, unsere Mühen wurden von Erfolg gekrönt! Wir haben das Erbe der Zwölf wiederentdeckt!“

12. Kapitel

Als Elessar mit den Kriegshämmern auf dem Arm aus der Kammer trat und verkündete, dass sie erfolgreich gewesen waren, sah man auch den Gefährten an, dass sie sich freuten. Varnayrah beglückwünschte ihn als Erste, doch merkte man ihr auch zugleich das Erstaunen über die auf den ersten Blick plump anmutenden Waffen an; immer wieder kehrte ihr Blick zu den Kriegshämmern zurück. Der Paladin legte die sechs Hämmer vorsichtig nieder, als Emathelyos auch schon herbei kam und ihn, ebenso wie die anderen vor ausgelassener Freude stürmisch umarmte; erstaunt, doch auch erfreut blickte er die Amazone an, die sich jedoch sofort verlegen zu Kjeldor zurückzog. Während Amras fragte, ob außer den Waffen noch etwas zu finden war, dankte Kjeldor den Anwesenden bereits für ihre Hilfe bei dieser Mission und Carthangiel erwiderte diesen Dank im Namen der gesamten Waldläufergilde. In der Zwischenzeit war Kjeldor die Treppen hinab gestiegen und kam nun mit den übrigen sechs Waffen wieder herauf, die er ebenfalls vorsichtig zu den anderen legte, bis auf die, die das Zeichen des „Herz der Zwölf“ trug; bedächtig wog er den Hammer in seinen Händen und versuchte, sich mit dem Gefühl der Waffe vertraut zu machen. Als er sie zu den anderen legte, nahm Elessar das Buch aus seiner Tasche und ergriff das Wort:

“Nun, Amras, um Eure Frage zu beantworten, ob noch etwas in der Kammer zu finden war: ja, dieses Buch mit einer Anleitung zum Training im Umgang mit den Kriegshämmern habe ich gefunden und wir werden es weise nutzen, um uns mit der Kampftechnik mit der legendären Waffe des alten Ordens vertraut zu machen.“

Er steckte das Buch wieder weg und fuhr an Gunag gewandt fort:

“Werter Gunag, ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr wohlmöglich Tücher oder Ähnliches besorgen könntet, damit wir die Kriegshämmer sorgfältig einwickeln können.“

Dann richtete er das Wort an die Gefährten:

“Auch ich möchte Euch, wie Kjeldor zuvor, meinen herzlichen Dank aussprechen! Ohne Euch wäre diese Mission zum Scheitern verurteilt gewesen und Eurem beherzten Eingreifen haben wir es zu verdanken, dass das Erbe gefunden und der Gründervater unseres Ordens vom Bösen errettet werden konnte!“

Er legte den Arm um Carthangiel und zog sie liebevoll an sich:

“Und durch schnelles Handeln konnten wir Schlimmes vereiteln, als Carthangiel in die Hände des dunklen Priesters gefallen war. Auch dafür schulde ich Euch auf ewig Dank!“

Inzwischen war Gunag wieder erschienen und brachte weiße Tücher, in die man die Kriegshämmer sorgfältig einwickeln konnte; anschließend teilte er den Gefährten mit, dass die Priester von Shanu den nGefährten zu Ehren ein Festessen veranstalten wollten und lud sie in den Versammlungsraum des Tempels ein, wo eine große Tafel mit den besten Speisen und Getränken gedeckt war. Alle nahmen Platz und konnten im Anschluss sowohl das Mahl, als auch die Gesellschaft zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder ausgelassen genießen; viele Gespräche wurden geführt und bevor sie sich am Ende der Feier für die Nacht zurück zogen, wandte Elessar sich noch einmal an die Gefährten:

“Freunde, sicher werdet Ihr Euch auch bereits Gedanken um unsere Heimreise gemacht haben; da Ihr mit Eurer Hilfe unser vollstes Vertrauen verdient habt und ich mir Eures Stillschweigens sicher bin, will ich Euch heute mit einem Gildengeheimnis vertraut machen. Ihr habt die Macht der „Kurzen Wege“ kennen gelernt und wisst inzwischen, dass sie das Reisen zu gewissen Zielen erlauben, solange man diese Ziele kennt.

Nun, auch in Sha’Nurdra existierte vor Jahrhunderten ein Tempel, nämlich der Tempel des alten Ordens der Zwölf, der einen Alkoven mit dem Muster der „Kurzen Wege“ beherbergte. Wir haben diesen Tempel vor unserer Abreise entdeckt und dort habe ich auch den Ring gefunden, mit dem ich unsere Rückkehr von Shana nach Shanu ermöglichen konnte, aber zu der Zeit unserer Abreise war ich mir der Wirkung dieses Ringes nicht bewusst. Und da ich den Alkoven in Sha’Nurdra bereits einmal betreten habe, können wir die „Kurzen Wege“ auch für unsere Heimkehr nutzen!“


Der Paladin blickte in die Runde und versuchte, die Blicke der Gefährten zu deuten; dann fügte er hinzu:

“Das Betreten der Ruinen des alten Tempels, das derzeit nur über einen geheimen Zugang in unserem Versammlungsraum möglich ist, ist somit ein weiteres Privileg, das Euch zuteil wird, doch ich bin mir sicher, dass dieses Zeichen des Vertrauens ein weiteres Mittel ist, das unsere Gilden zusammenschweißen und unsere zukünftige Zusammenarbeit ermöglichen wird, so dass ich Euch keinen Eid abverlange, dass Ihr über diesen Tempel - zumindest vorerst - absolutes Stillschweigen bewahrt.

Doch sollten wir uns, bevor wir unsere Heimreise antreten, noch zur Ruhe begeben, denn auch, wenn der Weg kurz sein wird, so liegen doch einige Strapazen hinter uns, die etwas Erholung rechtfertigen.“


So begaben sich die Gefährten nach und nach zu den ihnen zugewiesenen Lagern und jeder, dem nach erholsamen Schlaf zumute war, nutzte die Gunst der Stunde. Elessar blickte Carthangiel fragend an, ob auch sie ein wenig schlafen wollte und bat anschließend einen der Orks, sie zu ihrer Schlafstatt zu führen. Am nächsten Morgen traf man sich erneut in der Versammlungshalle des Tempels, wo ein ausgiebiges Frühstück für die Gefährten bereit stand; erst nach einer Weile, als sie ihr Frühstück beendet hatten, gesellten sich Graham, Gunag und einige andere Orks zu ihnen und man merkte Graham an, dass er wohl wieder mit sich und dem Gerechten im Reinen war.

Elessar bemerkte, dass der Hüne den Ring des Hohepriesters von Shana am Finger trug und so verwunderte es ihn nicht, als Graham eröffnete, dass er in der Nacht ein ausgiebiges Gespräch mit Gunag geführt hatte und davon berichtete, wobei er sich hauptsächlich an Elessar und Kjeldor wandte:

“Meine Ordensbrüder, der Zeitpunkt des Abschieds ist nahe! Doch es wird, so hoffe ich, kein bitterer Abschied sein, denn obwohl ich Euch nicht begleiten werde, muss dies kein Abschied für immer sein! Ich habe mich heute nacht lange mit Gunag unterhalten und hinterher bin ich in Gebeten und Meditationen zu einem Entschluss gekommen: ich werde hier verweilen und helfen, Shana wieder aufzubauen und den Tempel wieder dem Licht zuzuführen. Jetzt, wo wir das Böse dort besiegt haben, werde ich mit der Hilfe der Priester des Tempels der Sonne den Unrat und die Trümmer im Tempel des Mondes beseitigen und alles wieder auf Hochglanz bringen. Und so Paladin will, wird es mir gelingen, dass eines Tages die Zugänge wieder geöffnet werden und das Volk in der Umgebung wieder ohne Angst zu diesem Tempel aufblicken kann! „

Elessar nickte bei diesen Worten verstehend und legte dem Ordensbruder eine Hand auf den Unterarm:

“Werter Graham, mir war es nicht vergönnt, Euch bei meiner Ankunft in Sha’Nurdra kennen zu lernen, doch nun, da ich Euch kennen gelernt habe, muss ich sagen, dass jedes Wort, das mein Freund Kjeldor mir über Euch berichtet hat, der Wahrheit entsprechen muss. Ihr seid ein wahrer Diener des Lichts! Und grämt Euch nicht; Euer Platz an der Tafel der Zwölf wird Euch jederzeit erwarten, solange der neue Orden besteht!“

Nun sollte das große Verabschieden beginnen, doch Gunag klatschte unvermittelt in die Hände und ergriff noch einmal das Wort:

“Freunde, bevor Ihr nun von uns scheidet, wollen auch wir, die Priester der Sonne, Euch für Eure Hilfe danken! Wir sind keine Kämpfer und üben den Umgang mit Waffen nur, wenn wir diese zur Jagd benutzen, aber dafür verstehen wir uns umso mehr auf die Rüstkunst, denn nur so können wir in manchen Situationen größere Verletzungen vermeiden. Graham hat mir in der Nacht noch versichert, dass die gefundenen Waffen seinen Brüdern Belohnung genug sein würden, doch für die anderen unter Euch haben wir noch eine spezielle Gabe...“

Der Hohepriester wies auf die ihn begleitenden Orks, von denen jeder ein sonderbares Rüstungsteil auf den Händen präsentierte; es war eine Art Kombination eines Handschuhs mit einer Armschiene, an deren oberen Ende ein kleiner, im Durchmesser ungefähr einen Fuß messenden, Schild befestigt war. Auf dem Handrücken, sowie auf dem Schild prangte eine goldene Sonne, die dem Ordenssymbol der Orks in Größe und Aussehen glich. Die vier Orks traten vor die vier Waldläufer und boten diesen diese Gabe mit einer angedeuteten Verbeugung, die tiefen Respekt und größten Dank repräsentierte, dar, während Gunag fortfuhr:

“Diese Rüstungen bieten dem Arm eines Bogenschützen, der den Bogen hält, optimalen Schutz vor Verletzungen, denn das Leder ist speziell gearbeitet und gehärtet und auch der Holzschild ist mit einer Schicht dieses besonderen Leders überzogen. Nehmt dieses Geschenk als Dank für Eure Heldentaten und zur Erinnerung an unseren Tempel!“

Zuletzt reichte er Elessar noch einen ansehnlichen Ledersack, in dem man die Goldmünzen klimpern hörte.

“Und dieses Gold stellt Euch der Tempel zur freien Verfügung; teilt es ganz nach Belieben unter Euch auf!“

Elessar nahm das Gold entgegen und verbeugte sich:

“Habt Dank! Ich bin sehr erfreut, dass wir auf diesem Wege zu Eurem Tempel gefunden haben und wäre sehr erfreut, wenn Ihr mir erlauben würdet, Euch ab und an zu besuchen! Das Gold jedoch sollen auch unsere Freunde von der Waldläufergilde erhalten, da wir derzeit über ausreichend Gold in unserer Gildenkasse verfügen!“

Endlich hatten sich alle bedankt und veranschiedet und man machte sich auf den Weg zu dem Raum mit dem Alkoven; Elessar, der einen Teil der in Tücher gewickelten Kriegshämmer transportierte, während die restlichen von den anderen Ordensbrüdern verwahrt wurden, aktivierte das Muster, indem er die Perle seines Rings erst in die Mulde drückte, die Shanu repräsentierte und sie dann in die Mulde einführte, die Sha’Nurdra auf der Karte repräsentierte. Während der Nebel aufwallte und der Raum auf der Gegenseite langsam sichtbar wurde, wandte er sich an Carthangiel und reichte ihr, wie bei ihrer ersten Reise über die „Kurzen Wege“, seine Hand und lächelte sie an. Seine Finger umschlossen die ihren zärtlich und drückten sie liebevoll, dann wandte er sich noch einmal um und nickte Gunag und Graham zum Abschied zu und vermochte seinen Augen nicht zu trauen; doch er war fest überzeugt, dass - und er hätte das später jederzeit unter Eid wiederholt – neben Graham eine in gleißendes Licht gehüllte Gestalt mit einem langen weißen Bart und einem zerbeulten, spitzen Hut auf dem Kopf stand und dem Hünen eine Hand auf die Schulter gelegt hatte und den Gefährten lächelnd zum Abschied zuwinkte. Ob die anderen dies wohl ebenfalls bemerkt hatten? Der Priester nickte verstehend in Fizbans Richtung und erwiderte das Lächeln, dann wandte er sich endgültig um und schritt in den Nebel.

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In Sha’Nurdra angekommen, führte Elessar die Gefährten durch den Geheimgang zu dem Loch in der Decke, das zum Versammlungsraum der Gilde führte; dort wurde den Gefährten die Ehre zuteil, am Versammlungstisch der Zwölf Platz zu nehmen. Der Priester bedankte sich noch einmal ausgiebig für die Hilfe der Waldläufer und erklärte nach einem Blickwechsel mit Kjeldor und dessen bestätigenden Nicken dem überraschten Amras dann vor allen Anwesenden, dass er sich in Kürze auf seine Weihe zum Paladin freuen dürfe, die das Ende seine Novizenzeit bedeuten würde. Dann entschuldigte er sich jedoch, denn er wollte unbedingt nach draußen, um zu sehen, wie es Shi’ouya und Var’sha ging.