1. Kapitel
Elessar stand am Tor des Paladintempels und schaute
angespannt den Weg zum Aiyeona hinauf; aus dieser Richtung sollte sein
langjähriger Freund Kjeldor bald nahen, denn einen Tag zuvor hatte
Elessar eine dringende Botschaft nach Nuru gesendet, in der er ihn
eindringlich bat, sich sofort auf den Weg in die Elfenstadt zu machen,
da wichtige Angelegenheiten, die keinen Aufschub duldeten, ihrer
Erledigung harrten. Der Elf konnte seine Unruhe kaum mehr verbergen, als
sein Ordensbruder an diesem Abend endlich im Paladintempel in Sha'Nurdra
eintraf und führte ihn nach der Begrüßung auf direktem Wege in den
Versammlungsraum der Gilde, wo bereits einige Speisen, sowie frisches
Wasser und Met zur Erfrischung aufgetischt waren. Nachdem die beiden
sich Teller und Krüge gefüllt hatten, nahmen sie am Versammlungstisch
Platz und genossen nach einem stillen Gebet zu Paladin ihr Mahl. Schon
während sie aßen, begann Elessar ohne Umschweife von seinem Anliegen zu
berichten.
"Werter Freund, es erfreut mein Herz, dass Ihr meinem Ruf ohne
Umstände gefolgt seid! Ich möchte Euch auch sogleich erklären, warum
diese Angelegenheit keinen Aufschub duldet. Ihr erinnert Euch sicher an
die Schriftrolle, die wir während unserer Gründungszeremonie in dem
kleinen Altarraum gefunden haben, dessen Zugang durch den Einsturz des
Bodens in der Ecke dieses Raumes freigegeben wurde."
Kjeldor nickte lediglich zustimmend und blickte in besagte Ecke, wo
inzwischen ein großer Schrank mit doppeltem Boden den Eingang geschickt
verbarg. Dann deutete er seinem Freund fortzufahren.
"Nun, ich habe die letzten Wochen jeden freien Abend damit verbracht,
die Schriften zu übersetzen und bin des Rätsels Lösung auf der Spur. Ich
bin nun an einer Passage, an der ich nicht weiterkomme und, wenn man den
Text zugrunde legt, ist genau das auch beabsichtigt. Aber Ihr werdet es
gleich mit eigenen Augen sehen!"
Nach dem Mahl erhob Elessar sich und begab sich neben Kjeldor's Stuhl,
wo er die Schriftrolle vor ihm ausbreitete, so dass sie beide die
Schrift betrachten konnten. Dann fuhr er fort, wobei er mit dem Finger
auf verschiedene Stellen des Textes deutete:
"Grob umrissen besteht die Schrift aus zwei Passagen: der erste Teil
ist ein Rätsel, welches ich zu einem gewissen Teil bereits gelöst habe
und der zweite Teil ist die verwitterte und verblasste Schrift, die
meiner Meinung nach konkrete Hinweise auf den Verbleib der Kriegshämmer
enthalten muss. Doch ich beginne besser von vorne!"
Inzwischen war es zu dunkel geworden und Elessar entzündete die Kerzen
in dem Kandelaber, der auf dem Tisch stand, so dass sie auch weiterhin
genügend Licht haben würden. Dann ging er zu seinem Platz, um seinen
Krug zu holen. Er leerte ihn in einem Zug und kehrte dann an Kjeldor's
Seite zurück, wo er dessen und seinen Krug erneut füllte. Dann sprach er
weiter:
"Wer auch immer die von uns gefundene Schatulle mit den Ringen und
dieser Schriftrolle, die wir heute in Händen halten, hinterließ, tat
dies, um die Wiedergeburt des Ordens denjenigen zu ermöglichen, die
reinen Herzens sind und sich würdig erweisen würden. Ich bin überzeugt,
dass die Schrift des zweiten Teils mitnichten verwittert ist, sondern
eine Art Geheimschrift, die nur unter ganz besonderen Voraussetzungen
entziffert werden kann. Und diese werden von dem Rätsel aufgezeigt,
welches der erste Teil des Textes enthält."
Der Elf deutete auf den betreffenden Textabschnitt, in dem folgendes zu
lesen war:
Ehemals Fremde, dann eins geworden,
im Kampf gegen dunkle Horden,
seither wie eine Seele und ein Herz,
gemeinsam im Guten, wie im Schmerz,
am rechten Tag, zur rechten Stund,
im Licht des doppelten schimmernden Rund,
Weisheit wird helfen, das Geheimnis zu lüften,
helfen, zu verstehen die alten Schriften,
helfen, zu lösen die Rätsel an heiligen Orten,
helfen, zu finden das wahre Erbe des Orden.
Nach ein paar Minuten des Schweigens ergriff Elessar wiederum das Wort:
"Meine bisherige Interpretation geht dahin, dass der Beginn des
Rätsels von Euch und meiner Wenigkeit spricht, was sogar die These
aufkommen ließe, dass unsere Ehrentitel als Herz der Zwölf und Geist der
Zwölf von Anfang an vorherbestimmt waren. Des weiteren denke ich, und
das ist der Grund für die Dringlichkeit meiner Bitte, Euch unverzüglich
herzubegeben, dass der rechte Tag und die rechte Stund sehr nahe liegen,
denn um Mitternacht beginnt der zwölfte Tag des zwölften Monats.
Und hier endet auch meine Weisheit, denn ich habe absolut keine Idee,
was mit dem doppelten schimmernden Rund gemeint sein könnte. Sei es,
dass wir das Rätsel nur gemeinsam lösen können, so möge der Gerechte
geben, dass Ihr die Lösung dazu findet, denn die Zeit drängt."
Kjeldor, der den Ausführungen Elessar's gebannt gelauscht hatte, ergriff
nun zum ersten Mal das Wort und sprach:
"Werter Bruder, wie es scheint, ist uns sehr viel mehr vorher
bestimmt, als wir selbst zu denken wagen! Eure Ausführungen erscheinen
sehr logisch und wenn wir mit Hilfe dieses Rätsels den verschollenen
Kriegshämmern auf die Spur kämen, wäre in der Tat der letzte fehlende
Grundstein für unseren Orden gelegt."
In diesem Moment brach die Wolkendecke auf und helles Mondlicht flutete
durch die Fenster in den Versammlungsraum und fiel auf die Schriftrolle.
Ein leichtes Schimmern zeigte sich dort, wo die Schrift verwittert
schien und Kjeldor rief aus:
"Seht, mein Freund, die Schrift auf dem Pergament! Sagt, haben wir
nicht heute nacht Vollmond? Das schimmernde Rund..."
Fasziniert betrachteten die beiden Paladine die Schriftzeichen, die im
Mondlicht Substanz zu gewinnen schienen. Doch noch immer waren die
Schriftzeichen seltsam unvollständig und dadurch vollkommen unlesbar, so
dass Elessar sprach:
"Nun, es scheint, wir wären der Lösung etwas näher, aber uns fehlt
noch immer das doppelte schimmernde Rund."
So grübelten die beiden Paladine weiter und überlegten, was diese
Aussage wohl bedeuten möge und die zwölfte Stunde näherte sich
unaufhaltsam, ohne dass sie weiter kamen. Kjeldor hatte sich kurz
entschuldigt, um dem Ruf der Natur zu folgen und war gerade wieder in
den Versammlungsraum getreten, als er wie versteinert stehen blieb und
wie gebannt an Elessar vorbei starrte. In dem Moment, in dem der Elf
sich umdrehen wollte, um zu sehen, was seinen Freund so fesselte, rief
dieser aus [i]"Da haben wir das zweite schimmernde Rund!"[/i] und eilte
an dem Elf vorbei. Kjeldor rannte zu dem Schränkchen an der
gegenüberliegenden Wand, ergriff die schwach leuchtende Kugel, die sie
damals zusammen mit der Schatulle in dem Altarraum gefunden hatten, und
hielt sie Elessar hin.
"Das muss es sein, mein Freund! Die Kugel wurde nicht ohne Absicht
bei der Schriftrolle zurück gelassen! Lasst es uns versuchen!"
Kjeldor stellte die Kugel auf den Tisch neben die Schriftrolle; doch so
sehr sie sich auch bemühten, die Schriftzeichen blieben unleserlich.
Inzwischen war es fast Mitternacht und Elessar drängte zur Eile:
"Wir haben nicht mehr viel Zeit! Lasst uns noch etwas anderes
versuchen!"
Der Elf löschte die Kerzen im Kandelaber und begab sich dann mit der
Kugel und der Schriftrolle zum Fenster, wo er die Kugel so platzierte,
dass das Mondlicht direkt auf die Kugel fiel. Fast augenblicklich schien
sich das Leuchten der Kugel zu verstärken und das von ihr ausgehende
Licht fiel auf die Schriftrolle, wo die unvollständig erscheinenden
Schriftzeichen unversehens regelrecht aufflammten und sich zu einem
lesbaren Text zu ergänzen schienen.
Die Fähigkeiten der alten Rasse
gab dies Euch in die Hände
und die Ehre ihrer Kriegerklasse
führt in den Raum der runden Wände.
Zwölf mächtige Krieger, gehauen aus Stein
bieten dort weitere Rätsel feil
antwortet recht; sie werden die Führer sein
zu ihrem und Eurem Seelenheil.
Sprecht weise an heiligen Orten
und findet das wahre Erbe des Orden!
Nachdem er den Text mehrmals gelesen hatte, um sicher zu sein, dass er
ihn jederzeit wortwörtlich würde wiedergeben können, richtete Elessar
das Wort erneut an seinen Freund:
"Ich kann mir zwar noch keinen Reim auf diese Worte machen, aber ich
bin sicher, dass er uns in letzter Konsequenz zu dem Aufbewahrungsort
der Kriegshämmer führen wird. Wir sollten unten im Altarraum noch einmal
genauestens nach weiteren Hinweisen suchen; möglicherweise existieren ja
noch weitere Überreste des alten Tempels. Doch ich denke, wir sollten
zuerst unsere Ordensbrüder zusammenrufen, denn in dem Text ist die Rede
von zwölf Kriegern; noch sind wir keine Zwölf, aber unsere Gemeinschaft
ist stark und soll weiter wachsen. Wir sollten nun zu Bett gehen und
morgen werde ich eine Nachricht an die anderen senden."
~/~
Einige Tage später leistete Amras Elessars Nachricht,
die die anderen Ordensbrüder zu einer außerordentlichen Versammlung nach
Sha'Nurdra berief, Folge und reiste aus Nuru an; er brachte Kunde, dass
Thiefshadow und Bulgrim wohl seit einiger Zeit in fernen Landen
unterwegs seien, so dass die Botschaft sie nicht erreicht hatte; von
Lunactic hatte indessen seit einigen Wochen niemand etwas gehört;
zuletzt hatte ihn anscheinend Elessar gesehen, als er diesen wenige Tage
vor der königlichen Hochzeit in Drachenauge aufgesucht hatte. Nachdem
Kjeldor und Elessar die Situation geschildert hatten, suchten sie
gemeinsam den vor kurzem entdeckten Altarraum auf, um nach weiteren
Spuren zu suchen, doch fanden sich keine weiteren Hinweise bei der
folgenden gründlichen Inspektion des Altarraumes. Lediglich auf den
Sockeln der beiden Statuen entdeckten sie eine Inschrift, auf dem linken
war das Wort „Verstehen“ eingraviert, während auf dem rechten das Wort
„Weisheit“ zu lesen war. Erst, als sie noch einmal den Gang, der zu dem
Altar führte und den Schuttberg an der Einbruchstelle näher
untersuchten, bemerkten sie, dass die abschließende Stirnwand in diesem
Gang nur eine Illusion war. Die Gefährten traten durch die scheinbare
Wand und gewahrten, dass dahinter der Gang noch ungefähr zehn Schritte
weiter verlief und dann in drei Richtungen verzweigte.
Nach links öffnete sich der Gang in einen fast runden Raum; geradeaus
verlief er, wie der Gang, aus dem sie gerade kamen, etwa zehn Schritte
weiter, während es nach rechts wohl mehr als zwanzig Schritte weiter
ging. Eine seltsam anmutende Ruhe und Beschaulichkeit herrschte an
diesem Ort, so dass keiner der Gefährten das Gefühl hatte, er müsse hier
mit irgendeiner Bedrohung rechnen. Auf allem lag eine dicke
Staubschicht, die auf dem Fußboden nicht einmal Spuren von Ratten oder
anderem Getier aufwies. Kein Lufthauch regte sich und doch schien die
trockene Luft weder stickig, noch verbraucht. Da nirgends Fenster zu
sehen waren, musste wohl ein geheimes und noch immer funktionsfähiges
Belüftungssystem existieren.
Auf mehreren kleinen Podesten fanden sich in regelmäßigen Abständen die
gleichen Lichtkugeln, wie die, die Elessar im Altarraum gefunden hatte,
jedoch in einer größeren Ausfertigung. Sie verbreiteten ein
freundliches, gedämpftes Licht, das an die Morgendämmerung erinnerte und
so waren alle Einzelheiten der Umgebung recht deutlich erkennbar. Der
Gang, der nach rechts verlief, endete an einer großen Tür, auf deren
beiden Flügeln das alte Symbol des Ordens prangte. Geradeaus endete der
Gang an einer nackten Wand, an der auf einem an der Wand befestigten
Podest die Statue eines Kriegerpriesters stand, die den beiden im
Altarraum glich, wie ein Ei dem anderen. Der Raum zur Linken wurde fast
vollständig von einem großen runden Tisch eingenommen, der mit Büchern,
Schreibutensilien und weiteren Dingen übersät und von zwölf Stühlen
umgeben war. An den Wänden des Raumes hingen mehrere Wandteppiche, die
zwar aufgrund ihres Alters verblasst und teilweise zerschlissen waren,
aber doch noch immer von ihrer einstigen Pracht zeugten. Einer zeigte
eine Schlacht, in der ein Paladin mit einer Lanze alleine gegen einen
schwarzen Drachen kämpfte, ein anderer eine Szene, die wohl eine
Priesterweihe darstellte. Die weiteren Wandteppiche zeigten Wappen, die
keinem der Gefährten auch nur annähernd bekannt vorkamen.
Von ihrem Standpunkt auf der "Wegkreuzung" aus konnten die Gefährten auf
der gegenüberliegenden Seite des Tisches drei Türen erkennen; die linke
Tür war geschlossen und schien noch intakt, während die mittlere Tür
einen Spalt breit offen stand und schief in den Angeln hing; die rechte
Tür dagegen stand weit offen und offenbarte einen kleinen,
augenscheinlich leeren Raum. Elessar, selbst vor Ehrfurcht verstummt,
deutete Kjeldor mit einer Handbewegung, sich den Gang und die
abschließenden Doppeltüren anzusehen, und winkte dann Amras mit sich, um
den Raum mit dem Tisch und den drei Türen im linken Bereich zu
inspizieren.

2. Kapitel
Sobald die Gefährten den großen Tisch erblickten, war
es jedem Einzelnen von ihnen klar, wo sie sich befanden, ohne dass auch
nur einer ein Wort darüber verlieren musste: sie hatten die
Versammlungsstätte des ersten Heiligen Orden der Zwölf gefunden.
Ehrfürchtig betraten sie den Raum und blickten sich um und wenn Worte im
Verlauf der Durchsuchung der Räumlichkeiten gewechselt wurden, dann
verhalten und fast geflüstert, um die Ruhe an diesem Ort nicht zu
stören.
Während Elessar den Tisch inspizierte und einige Bücher entdeckte, von
denen er der Meinung war, dass sie in der Zukunft einen Platz in der
Bibliothek bei den anderen Büchern über den Orden finden sollten,
untersuchten Amras und Kjeldor die restlichen Räumlichkeiten. Amras
eilte zuerst in den rechten Raum, doch dort war außer fast leeren
Regalen nichts zu sehen; es musste sich wohl um den Lagerraum des Ordens
gehandelt haben. In einem der Regale fanden sich noch einige Phiolen,
die laut ihrer Beschriftung Heiltränke enthalten sollten, doch hatte die
Flüssigkeit in ihnen eine seltsame grünliche Färbung angenommen und war
vollkommen trüb; anscheinend waren sie nicht richtig verschlossen worden
und so hatte der Zahn der Zeit sein Werk getan und die Flüssigkeiten
zersetzt. Auch einige verwelkte Büschel, die wohl einmal Weihrauch
gewesen waren, lagen in einem Regal, aber auch dieser war mit Sicherheit
unbrauchbar. So wandte Amras sich dem nächsten Raum zu und als er die
schief in den Angeln hängende Tür aufstieß und eintrat, sah er sich in
einer kleinen Schlafkammer wieder, denn der Raum enthielt einen kleinen
Schrank und ein Bett, jedoch erwies sich der Schrank als leer und auch
unter dem Bett war nichts zu finden.
Inzwischen hatte Elessar die noch geschlossene Tür geöffnet und war in
den dahinterliegenden Raum getreten und erstaunt stehen geblieben; der
Paladin fand sich in einer Art geräumigen Alkoven wieder; den Fußboden,
der aus schwarzem Marmor bestand, zierte ein Paladinsymbol aus einem
hellen Material, das von innen heraus zu glimmen schien. Eine genauere
Betrachtung offenbarte, dass wohl auch hier das gleiche Material, aus
dem auch die Leuchtkugeln bestanden, verwendet worden war. An der
gegenüberliegenden Wand hing eine seltsame Karte, die Elessar nicht
deuten konnte; sie zeigte fünf Gebilde, in denen an den
unterschiedlichsten Stellen kugelförmige Vertiefungen - insgesamt acht
an der Zahl - eingelassen waren. Alle diese Vertiefungen waren
untereinander mit hauchdünnen Linien verbunden, so dass sich ein Muster
ergab, dass bei längerer Betrachtung die Sinne verwirrte. Unter der
Landkarte - denn eine solche sollte das Gebilde, wie der Paladin sich
dachte, wohl in irgendeiner Art darstellen - war eine Inschrift zu
lesen:
Ein weiter Weg mit einem einzigen Schritt,
überwindet im Nu
wer das Ende kennt und den Anfang betritt, braucht nur den rechten
Schlüssel dazu.
Eine kostbare Gabe ist dies, hat keinen Anfang und kein Ende und in der
Mitte nichts.
Noch während Elessar grübelte, was diese Inschrift
wohl bedeuten mochte, erklang der Ruf Kjeldors, der wohl etwas entdeckt
hatte und seine beiden Ordensbrüder zu sich rief.
Der Paladin hatte sich den beiden Flügeltüren genähert, um heraus zu
finden, was sich wohl dahinter befinden mochte. In der Erwartung, dass
die Türen unverschlossen seien, legte er seine Hände auf die Türgriffe,
doch kaum hatte er sie berührt, als die beiden Paladinsymbole auf den
Türflügeln grell aufflammten und Kjeldor erstaunt zurücksprang. Er hatte
keinen Schmerz gespürt und so versuchte er es ein zweites Mal, doch mit
demselben Ergebnis. Eine eingehende Betrachtung der Türen zeigte, dass
diese zusätzlich ein Schloss aufwiesen, doch als Kjeldor versuchte, das
Schloss mit seinen Dietrichen zu öffnen, erhielt er eine Art
elektrischen Schlag, der ihn vor Schmerz zurückzucken ließ; hätte er
nicht wenige Wochen zuvor diese kostbare Phönixfeder von Aydans –
vermeintlichem - Adler erhalten, wäre diese Verletzung wohl weitaus
schmerzlicher ausgefallen, aber so blieb nur ein leichtes Kribbeln in
den Fingerspitzen zurück. Also wandte er sich um, um den Gang entlang zu
seinen Ordensbrüdern zu eilen und ihnen von der offensichtlich magischen
Versiegelung der Tür zu berichten. Als er an der Wegkreuzung vorbeikam,
warf er unbewusst einen Blick auf die Statue in dem rechten Gang und
stutzte; der Schatten, den der Kriegerpriester auf die Wand warf, war
seltsamerweise auf einer Seite länger, als würde er ungleichmäßig von
den Leuchtkugeln, die sich auch in diesem Gang befanden, angestrahlt.
Kjeldor trat näher und untersuchte die Statue, doch außer einer weiteren
Inschrift - dem Wort „Rittertum“ - konnte er zuerst nichts
Ungewöhnliches entdecken. Doch als er die Wand näher in Augenschein
nahm, bemerkte er, dass diese leicht schräg zu verlaufen schien, was ihn
veranlasste, an der einen Seite dagegen zu drücken. Erstaunt sah er, wie
die Wand nach innen schwang und den Blick auf eine Weiterführung des
Ganges freigab, worauf er nach Amras und Elessar rief und wartete, bis
die beiden sich bei ihm eingefunden hatten.
Als Amras und Elessar zu ihm kamen, berichtete Kjeldor zuerst von dem
magischen Siegel an den großen Türen und zeigte ihnen dann seine letzte
Entdeckung; gemeinsam betraten sie den Gang durch die nun offen stehende
Geheimtür und nachdem sie etwa 30 Schritte zurückgelegt hatten, mündete
der Gang in einen ähnlichen Raum wie der Altarraum, den sie bei der
Gildengründung entdeckt hatten. Anders als dort, fanden sie hier jedoch
keinen Altar vor, sondern in dem Raum befanden sich ein Dutzend
Kriegerpriesterstatuen, die in einem Kreis um ein sich im Mittelpunkt
des Kreises befindliches Podest standen. Noch während Elessar
ehrfürchtig die Worte [i]“Der Raum der steinernen Zwölf“[/i] aussprach,
machten sich Amras und Kjeldor daran, den Raum zu untersuchen und fanden
nach kurzer Zeit heraus, dass alle Statuen auf drehbaren Sockeln
standen, die wohl irgendeinen Mechanismus auslösen sollten. Drei der
Statuen standen mit Blickrichtung in das Zentrum des Kreises, während
die anderen neun nach außen schauten und auf allen Sockeln fand sich
eine Inschrift. Während die Sockel der neun, nach außen blickenden
Statuen lediglich ein einziges Wort aufwiesen, stand auf den Sockeln der
anderen drei jeweils ein Spruch.
Mit spitzer Zunge und scharfem Verstand schlichtet es Streit in
seines Herren Hand (R1).
Ihr dürft es nicht verlieren, denn dann verlieren es auch andere. Wenn
es Euch entgleitet, Euer Bruder darunter leidet (R2).
Ein tapferer Führer wird dies halten, aber erst, nachdem er es gegeben
hat (R3).

3. Kapitel
Gemeinsam betraten die drei Ordensbrüder den Raum mit
den zwölf steinernen Statuen; Elessar trat an das kleine Podest in der
Mitte der Wächter und nahm es genauestens in Augenschein, doch konnte er
nichts Besonderes daran entdecken. Währenddessen untersuchten Kjeldor
und Amras die Statuen und Kjeldor entdeckte, dass diese drehbar waren.
Amras konzentrierte sich auf die Inschriften auf den Sockeln und las
diese laut vor, während die anderen beiden aufmerksam lauschten. Nachdem
er die zwölfte Inschrift gelesen hatte, dauerte es nicht lange, bis sich
alle einig waren, welche der Rätsel durch welche Worte gelöst werden
konnten, berieten sie sich, in welchen Zusammenhang die Lösung der
Worträtsel wohl mit der Blickrichtung der Statuen gebracht werden
konnte. Amras erwähnte als Erster die drei weiteren Fähigkeiten eines
Paladins, die durch die Inschriften auf drei der zwölf Statuen benannt
wurden und schlug vor, dass man lediglich die richtigen Statuen korrekt
ausrichten müsste, um einen Schritt weiter zu kommen. Kjeldor dagegen
dachte daran, das man die drei Statuen, die sie zuvor gefunden hatten,
gegen drei der hier stehenden austauschen müsste, um zumindest sechs der
sieben Fähigkeiten eines Paladins an einem Ort zu konzentrieren,
erwähnte jedoch, dass er in diesem Fall die letzte Fähigkeit, das
Mitgefühl vermisse.
Elessars Blick richtete sich erneut auf das Podest im Zentrum des
Kreises und dann meinte er:
“Entspringt Mitgefühl nicht aus unseren Herzen, dem Zentrum unseres
Seins? Möglicherweise führt uns dies zu der letzten fehlenden
Fähigkeit.“
Doch eine weitere Untersuchung zeigte, dass es unmöglich war, die
steinernen Kriegerpriester von einer Stelle zur anderen zu
transportieren. So blieb letztlich nur die Ausrichtung der Blickrichtung
der betreffenden Statuen und die drei grübelten weiter über des Rätsels
Lösung, bis Amras plötzlich bemerkte:
“Die Lösung des ersten Rätsels ist, wie wir alle einstimmig befunden
haben, ‚Schwert’; ist das Schwert nicht ein Symbol für die Kraft, also
eine der Fähigkeiten eines Paladins? Seht her, die Statue mit der
Inschrift ‚Kraft’ blickt in das Zentrum des Kreises und befindet sich
gegenüber der Statue mit der Inschrift ‚Schwert’. Ich würde vorschlagen,
dass wir diese ebenso mit dem Blick in das Zentrum ausrichten.“
Die beiden anderen stimmten zu und so drehten sie mit vereinten Kräften
den Kriegerpriester so, dass er den Blick in das Zentrum richtete und
sich mit dem Blick des gegenüberstehenden Paladins kreuzte; sofort
begannen die steinernen Augen der beiden Statuen von innen heraus zu
glimmen und man erkannte, dass die Augen nicht aus Stein, sondern aus
kleinen Perlen des Materials waren, aus dem auch die Leuchtkugeln
bestanden. Nur einen Augenblick später war ein lautes Klicken und
Schnappen zu hören, als würde ein Schloss geöffnet. Vor Ehrfurcht
gebannt und ebenso vor freudiger Erwartung erregt, begannen sie die
Worte der anderen Statuen noch einmal zu studieren und Kjeldor rief laut
aus:
“Das zweite Rätsel haben wir mit ‚Geduld’ gelöst; ist die Geduld
nicht ein Zeichen der ‚Ausdauer’? Auch diese beiden Statuen stehen
einander gegenüber und eine der beiden blickt bereits ins Zentrum.
Ebenso verhält es sich mit dem ‚Versprechen’; ein Führer, der seine
Versprechen hält, weist wohl die größte ‚Führungsqualität auf, die man
erwarten kann. Wir sollten auch diese Kriegerpriester entsprechend
ausrichten und sehen, was geschieht.“
Gesagt, getan! Die beiden Statuen wurden erneut gemeinsam gedreht und
mit jedem Paar, dessen Blicke sich kreuzten, entstand dieses Leuchten
und die Geräusche sich öffnender Schlösser waren hörbar. Als sechs der
Statuen mit Blick zum Mittelpunkt des Kreises ausgerichtet und die
Geräusche verstummt waren, herrschte einen Augenblick Stille und die
Gefährten starrten sich erwartungsvoll an, doch nichts geschah.
Hoffnungslosigkeit wollte sich bereits in ihnen ausbreiten, da ertönte
ein Rumpeln, dass wohl von einem unsichtbaren Mechanismus herrührte; man
hörte erneut ein Klicken, das dieses Mal von stählernen Kettengliedern
zu kommen schien, und das Ächzen von Zahnrädern, die ineinander griffen
und die kleine Plattform, die das Podest in der Mitte abschloss, öffnete
sich. Daraus erhob sich eine weitere, kleinere Säule, auf welcher eine
kleine Schatulle stand. Elessar trat heran und untersuchte diese und,
als er sie offensichtlich unverschlossen fand, öffnete er den Deckel und
förderte ein kleines Buch in einem schwarzem, ledernen Einband und einen
Ring zutage. Der Ring war aus dem gleichen silbrig glänzenden Metall wie
die Gildenringe gearbeitet und trug in einer Fassung eine Perle, die von
innen heraus sanft zu glimmen schien; der Paladin vermutete, dass sie
aus dem gleichem Material wie die Intarsien im Siegel des Gildenringes
war, aber konnte dies zu diesem Zeitpunkt nicht mit Bestimmtheit sagen.
So schob er den Ring in eine Tasche seines Waffenrocks und widmete sich
dem Buch, dessen Seiten mit einer feinen und engen, gradlinigen
Handschrift beschrieben waren; er überflog die erste Seite und blätterte
dann durch bis auf die letzten Seiten, die er etwas intensiver las.
7. Weinmond 568 n.D. ...das Böse war in den vergangenen Jahren
übermächtig geworden und wir hatten geahnt, dass wir nicht würden
bestehen können und so in weiser Voraussicht unsere Kriegshämmer im
Tempel zurückgelassen...
28. Weinmond 568 n.D. ...auch mit Schwertern sind wir durch unsere Gabe
im Vorteil und können vor allem den Horden von Orks und Goblins mit
Leichtigkeit den Garaus machen; jedoch reißen die Schwarzdrachen, die
Tantalus unter seinem Befehl hat, bei ihren Angriffen auf unsere Reihen
große Lücken...
...
19. Nebelmond 568 n.D. ... einem Schwarzdrachen-Angriff fielen heute
morgen gleich drei von uns zum Opfer, da sie einander den Rücken
freihaltend gegen eine größere Gruppe Feinde fechtend den Angriff zweier
dieser übergroßen Drachen zu spät bemerkten und ohne Warnung von deren
Feueratem erfasst und getötet wurden...
Der Schmerz, den ich durch die Verbundenheit mit meinen Ordensbrüdern
über die Gabe miterleben musste, war so groß, dass er mir fast die Seele
aus dem Leib brannte...Paladin, oh Gerechter, wenn Deine Diener hier
zugrunde gehen müssen, dann sei ihrer Seele gnädig...
...
10. Eismond 569 n.D. ...es ist soweit; das Ende ist nahe. Ich muss mich
aufmachen, das Erbe unseres Ordens zu verwahren, auf dass unsere Enkel
oder deren Enkel einst den Orden wieder auferstehen lassen, um im Namen
des Gerechten erneut das Böse zu bekämpfen. Nach den jüngsten
Ereignissen erscheinen mir die Zwillingstempel der Glamhothrim der
sicherste Ort zur Verwahrung dieses Schatzes.
An dieser Stelle endete der Bericht abrupt und als Elessar geendet
hatte, klappte er das Büchlein zu und wandte sich an seine Ordensbrüder:
“Meine Brüder, das Büchlein ist eine Art Kriegstagebuch, in dem
detailliert beschrieben wird, wie die Kriegerpriester in ihrem letzten
Kampf gegen die Horden des Bösen regelrecht aufgerieben wurden.
Die letzten Seiten des Berichtes machen deutlich, dass der verletzte
Kriegerpriester, der von den Vorfahren meines Ordens gefunden worden
war, wohl die Kriegshämmer in Sicherheit gebracht hatte, bevor er selbst
das Land verlassen hatte; nur so konnte er sicher gehen, dass das
Geheimnis der Zwölf nicht vorzeitig offenbart werden konnte.
Der Paladin begab sich also in den damaligen Tempel in Sha'Nurdra und
hinterließ die von uns gefundene Schatulle mit den Gildenringen und der
Schriftrolle im Altarraum und den einen Ring, dessen Sinn und Zweck wir
noch ergründen müssen, und das Büchlein, das ich nun in Händen halte, im
Raum der Zwölf, um die Wiedergeburt des Ordens denjenigen zu
ermöglichen, die reinen Herzens sind und sich würdig erweisen würden.
Dann hat er sich, auf welchen Wegen auch immer, zu dem Ort begeben, an
dem er die Kriegshämmer verstecken wollte, wie er ihn nennt, die
‚Zwillingstempel der Glamothrim’.“
Der Paladin machte eine Pause und schien einen Moment zu überlegen,
bevor er fortfuhr:
“Ich habe zwar noch nie von den Zwillingstempeln gehört, aber
Glamothrim nennt man das Volk der Orks in meiner Sprache; mit großer
Wahrscheinlichkeit führt uns unser weiterer Weg also in das orkische
Hochland und da wir nicht wissen, welchen Wege der Kriegerpriester
damals genommen hat und der übliche Weg dorthin eine weite und
gefährliche Reise ist, sollten wir auf keinen Fall alleine aufbrechen,
denn zu gering ist derzeit unsere Zahl."
Plötzlich schien Elessar in Eile zu sein, denn er meinte nur noch:
“Ich habe eine Idee: der Angriff des Feuerdämons zu Anfang des
letzten Mondes hat gezeigt, wie wichtig eine Zusammenarbeit der Gilden
ist; deshalb werde ich mich mit Eurer Zustimmung mit Carthangiel
bereden, damit sie einige Mitglieder der Waldläufergilde bittet, uns auf
unserer Mission zu begleiten. Was meint Ihr dazu?
Zudem will ich noch eine Sache im Stadtarchiv nachprüfen; bereitet Ihr
bitte in der Zwischenzeit alles für unsere Abreise vor, denn ich denke,
wir werden noch heute nacht aufbrechen. Wir treffen uns zu späterer
Stunde im Gasthaus zu weiteren Besprechungen!“
Dann war er auch schon auf dem Weg nach draußen; den Ring in seiner
Tasche hatte er inzwischen ebenso verdrängt, wie den sonderbaren
Alkoven, den er sich eigentlich hatte noch einmal genauer ansehen
wollen.
~/~
Als der Abend anbrach, saßen die Ordensbrüder
gemeinsam an einem Tisch in einer Ecke des Gasthauses in Sha’Nurdra und
Elessar erzählte den beiden anderen von seinen Recherchen im Stadtarchiv
und seinem Gespräch mit Carthangiel, als auch schon die Tür geöffnet
wurde und seine Liebste mit drei weiteren Personen die Schankstube
betrat; der Paladin war hocherfreut, dass unter den Neuankömmlingen
sogar Varnayrah war, denn er hatte nicht gewusst, dass sie derzeit in
der Stadt des Lichtes weilte. Weiterhin begleiteten Carthangiel noch die
Amazone Emathelyos, die er vor einiger Zeit auf der Reise zu einer Insel
in den Nordlanden, welche sie vom Joch der Sassenach befreit hatten,
kennen gelernt hatte und einem ihm unbekannten jungen Elf.
Elessar winkte und erhob sich, als die vier eintraten, damit sie auf die
Gefährten aufmerksam wurden und begrüßte die Waldläufer herzlich; als
alle einander vorgestellt hatten, so sie sich noch nicht kannten, bat
er, Platz zu nehmen und nachdem ein Jeder mit einem Getränk versorgt
war, räusperte er sich und begann zu sprechen, wobei er das Wort in der
Hauptsache an die Waldläufer richtete:
“Habt Dank, dass Ihr meiner Bitte, die Euch Carthangiel in meinem
Namen vorgetragen habt, Folge geleistet habt und heute Abend hier
erschienen seid! Sie hat Euch wohl erzählt, dass ich Euch um eine
Zusammenarbeit unserer Gilden bitten möchte, doch bevor ich näher auf
die Art dieser Zusammenarbeit eingehe, möchte ich Euch einige
Hintergrundinformationen zukommen lassen.“
So berichtete Elessar in knappen Worten die Geschichte des Heiligen
Ordens der Zwölf, seiner Gründung vor mehr als einem Jahrtausend, seinem
immerwährenden Kampf gegen das Böse und seines Untergangs im Krieg gegen
den dunklen Heerführer Tantalus nach fast 500-jährigem Bestehen und wie
der Orden in der Folgezeit immer mehr in Vergessenheit geriet. Von der
Rettung des letzten Paladins und der daraus entstandenen Gründung des
Ordens des Lichtes im Silmataurea erzählte er ebenso wie von der von
Eingeweihten ständig erwarteten Neugründung des Ordens, die letztendlich
von den anwesenden Paladinen vor einigen Monaten vollzogen worden war.
Schließlich folgte noch eine kurze Abhandlung über die Waffen und
Fähigkeiten, die die Kriegerpriester auszeichneten - wobei der Paladin
bewusst die „Gabe“ verschwieg, denn die Wenigsten wussten um diese
Fähigkeit, die es den Ordensbrüdern ermöglichte, über ihr Gedankenmuster
miteinander zu kommunizieren - und mit denen diese gemeinhin ihren Kampf
für das Gute ausfochten und so kam auch die Rede auf die sagenumwobenen
Kriegshämmer, die kaum ein lebendes Individuum je gesehen, geschweige
denn davon gehört hatte.
Der Priester hatte seine Rede immer wieder unterbrochen, um einen
Schluck seines Mets zu trinken, doch bisher hatte keiner der Zuhörer ihn
unterbrochen, um eine Zwischenfrage zu stellen. So kam er letztendlich
zum Grund ihres Zusammenseins:
“Wie Ihr erfahren habt, sind die Kriegshämmer der Paladine nicht nur
äußerst mächtige Waffen, sondern es ist auch von größter Wichtigkeit,
dass sie wieder gefunden werden, da nur mit diesen Waffen die
Wiedergeburt des Heiligen Ordens der Zwölf endgültig besiegelt sein
wird! Nach langem Forschen ist es uns endlich gelungen, den
entscheidenden Hinweis auf ihren Verbleib zu finden und so wollen wir
uns auf den Weg machen, die Hämmer zu bergen.
Unglücklicherweise sind wir jedoch noch lange nicht vollzählig und zudem
sind einige unserer Ordensbrüder derzeit in fernen Landen unterwegs, so
dass wir sie nicht erreichen konnten. Und hier kommen wir zum Punkt
Eurer Anwesenheit: ich möchte Euch im Namen unseres Ordens bitten, uns
auf unserer Mission zu begleiten und uns behilflich zu sein, unser Erbe
zu finden, damit wir in Zukunft noch effektiver gegen das Böse antreten
können. Wir haben bereits bewiesen, dass die Zusammenarbeit unserer
Gilden der guten Sache dienlich ist und so sollte es in Zukunft immer
sein, denn gemeinsam sind wir stark!“
Elessar schaute in die Gesichter der Anwesenden und versuchte, ihre
Mienen zu deuten; dann fuhr er fort:
“Eigentlich sollte uns am Fundort keinerlei Gefahr drohen, denn das
Versteck müsste sich eigentlich an einem Ort befinden, an dem nichts
Böses existieren kann, aber niemand weiß, wie sich der besagte Ort in
den vergangenen Jahrhunderten gewandelt hat. Allerdings wird die Reise
zu diesem Ort nicht ganz ungefährlich sein, denn...“
Hier blickte Elessar von einem zum anderen, wobei er dieses Mal auch
seine beiden Ordensbrüder, die das ungefähre Ziel der bevorstehenden
Reise bereits kannten, einschloss:
“...wir werden ins orkische Hochland reisen müssen und
unglücklicherweise habe ich im Stadtarchiv keinerlei Hinweise gefunden,
die uns dem endgültigen Ziel näher bringen. Es gibt keine Aufzeichnungen
- zumindest nicht in Sha’Nurdra - die den Begriff ‚Zwillingstempel’ in
Zusammenhang mit einer Örtlichkeit im Orkland nennen; wir werden uns
also unterwegs schlau machen müssen, möglicherweise bei einem
Zwischenstopp in Drachenauge, wo wir um Zugang zur Bibliothek in der
Drachenburg bitten können.“
Bei seinen letzten Worten hatte er Varnayrah einen fragenden Blick
zugeworfen und nachdem sie zustimmend genickt hatte, schloss er mit den
Worten:
“Meine Ordensbrüder und meine Wenigkeit wollen noch heute Abend
aufbrechen, deshalb frage ich Euch nun: werdet Ihr meiner Bitte
entsprechen und uns helfen?“
Der Paladin lehnte sich zurück und erwartet gespannt die Antwort der
anwesenden Waldläufer.
4. Kapitel
Nach der Begrüßung, die unter jenen, die sich bereits
kannten, entsprechend herzlicher ausfiel, als bei den einander
Unbekannten, hatte Elessar die Historie des Ordens kurz umrissen und die
Bedeutung der Kriegshämmer für die Paladine erklärt; als er dann auf das
vermeintliche Ziel ihrer Reise zu sprechen kam, lauschten alle gebannt
seinen Worten und stimmten zu Elessars Freude reihum zu, die Paladine
bei ihrer Mission zu begleiten; anschließend begannen die Anwesenden
ihre Vorschläge zu der bevorstehenden Reise und den nötigen
Vorbereitungen zu unterbreiten.
Varnayrah, die als Erste sprach, riet aufgrund der bevorstehenden
Jahreszeit dazu, auf alle Fälle für wetterfeste Ausrüstung zu sorgen,
denn gerade im Hochland wäre jederzeit mit einem frühzeitigen
Wintereinbruch zu rechnen; zudem wollte sie wissen, ob die Ordensbrüder
gedachten, die Reise zu Fuß oder zu Pferd zu unternehmen, doch während
sie Tan’les Fell kraulte und eine Antwort erwartete, griff Amras die
Idee mit der wetterfesten Ausrüstung auf und schlug vor, dass er mit
Zustimmung der Stadhalterin der Hauptstadt die Zeit, in der Elessar in
der Bibliothek nach Informationen suchen wollte, nutzen könnte, um
Winterkleidung zu schneidern und möglicherweise noch das eine oder
andere Zelt fertig zu stellen. Ferner war er dafür, dass sie dort auch
diejenigen ihre Vorräte an Lebensmitteln und Heiltränken auffüllten, die
nicht entsprechend versorgt waren.
Carthangiel, die ebenso wie Elessar erfreut darüber war, dass sie auf
dieser Reise dabei sein konnte, hatte sogar die Idee, dass man statt der
Pferde eine Portalrolle nutzen könne, um an das Ziel zu gelangen, doch
bei diesen Worten musste der Paladin bedauernd den Kopf schütteln:
“Melamin, sehr gern würde ich diesen Weg nehmen, um uns Zeit und Mühe
zu ersparen, aber es ist nicht möglich, ein Portal zu einem Ziel zu
öffnen, das man selbst nicht kennt! Wir werden uns auf unsere Pferde
verlassen müssen!“
Auf diese Bemerkung hin ergriff Silver, der aus Drachenauge stammte, das
Wort und meinte, dass er das Pferd des Steinbruchs nehmen könnte, sobald
sie Drachenauge erreichten, da dieser noch nicht eröffnet sei, doch
Elessar erwiderte:
“Werter Silver, Eure Idee ist lobenswert, doch da wir schon zu Beginn
auf Schnelligkeit angewiesen sein werden und die ehrenwerte Emathelyos
auch kein Pferd besitzt, habe ich mir überlegt, dass es das Einfachste
ist, wenn ein jeder von Euch ein Pferd der hiesigen Kaserne benutzt.
Rechtzeitig zu unserer Abreise werden deshalb zwei Pferde für Euch
bereit stehen!“
Auch Kjeldor erschien es das Beste, wenn die Gefährten sich auf ihre
Pferde verlassen wollten, denn er warf ein, dass dies auch ein
entscheidender Vorteil im Kampf sein könnte, da Orks, in deren
Hoheitsgebiet sie zu reisen gedachten, niemals zu Pferde kämpften.
Nachdem er verkündet hatte, dass er bereits bestens für alle widrigen
Wettereinflüsse gewappnet sei, wollte er auf seine Untersuchungen im
Tempel - er hatte, nachdem Elessar und Amras den Tempel verlassen hatte,
die verlassenen Räume noch einmal eingehend untersucht, doch außer dem
seltsamen Alkoven, den auch Elessar bereits entdeckt und dann im Eifer
der Vorbereitungen fast wieder vergessen hatte, nichts weiter von
Interesse gefunden - zu sprechen kommen, doch noch bevor er den ersten
Satz vollenden konnte, erreichte ihn, ebenso wie Amras, das
Gedankenmuster Elessars:
“Haltet ein, meine Freunde! Dies ist weder der rechte Ort, noch die
rechte Zeit, um über den verschollenen Tempel zu sprechen!“
So diskutierten und berieten die Gefährten noch eine Zeit lang weiter
und nahmen zuletzt noch ein gemeinsames Mahl im Gasthaus ein, das man zu
dieser späten Stunde eher als Frühstück, denn als Nachtmahl bezeichnen
konnte; erst dann trennten sie sich, damit jeder die letzten, für ihn
nötigen Vorbereitungen treffen konnte.
~/~
Kurz vor Sonnenaufgang trafen sie sich am Aiyeona und
als die Sonne gerade fahlrot über den Horizont stieg, machte man sich
auf den Weg, wobei geplant war, in Drachenauge einen ersten Zwischenhalt
einzulegen, um in der Bibliothek der Drachenburg nach weiteren
Informationen zu suchen. Wie versprochen, standen zwei weitere Pferde -
es handelte sich um zwei ruhige Stuten - für Silver und Emathelyos
bereit. Nicht lange und die Helden schwangen sich auf die Rücken der
Pferde und nahmen die Handelstraße, die durch die Elfenwälder über die
neu errichtete Brücke im Westen Sha'Nurdras verlief und geradewegs zum
Osttor der Hauptstadt führte.
Trotz des morgendlichen Nebels, der schwer und dicht über der Landschaft
hing, und der Kälte, die an diesem Morgen kurz vor Wintereinbruch
herrschte, verlief der Ritt durch die Elfenwälder ruhig und angenehm;
seitdem einige Helden vor einigen Wochen die Gefahr durch
herumstreunende Wölfe gebannt hatten, war das Reisen wieder sicherer
geworden und es waren keine weiteren Zwischenfälle bekannt worden. So
ergingen die Gefährten sich in Gesprächen, die sowohl die vor ihnen
liegenden Aufgaben und Gefahren, als auch ganz alltägliche Dinge
betrafen und so vergingen die Stunden wie im Fluge, wobei sie den Ritt
gegen Mittag für eine kurze Rast unterbrachen, während der sie eine
Kleinigkeit aßen und etwas tranken. Der Nachmittag neigte sich langsam
seinem Ende entgegen und sie hatten gerade die Wälder um Drachenauge -
es mochte noch einige Wegstunden bis zum Stadttor sein - erreicht, als
die Gefährten plötzlich aufhorchten; wilde, unmenschliche Schreie
erklangen aus der Richtung, in die sie ritten und dazwischen war eine
unmenschliche Stimme zu vernehmen, die jedoch den Eindruck erweckte,
dass sie Gehorsam gewohnt war. Ohne zu zögern, trieben die Gefährten
ihre Pferde zur Eile an und kamen wenige Augenblicke später am Rande
einer Lichtung an, auf der sich ihnen ein seltsames Schauspiel bot.
Sie erblickten einen alten Mann, in ein langes Gewand gekleidet, das
einst weiß gewesen sein musste, und mit einem zerbeulten, spitz
zulaufenden Hut auf dem Kopf, der von einem halben Dutzend Orks umringt
wurde; mindestens ebenso viele andere Orks lagen am Rande dieses Kreises
reglos am Boden, wovon sich einer gerade wieder erhob. Bei näherer
Betrachtung zeigte sich, dass alle Orks einen seltsam leeren Blick
zeigten und mit ungelenken Bewegungen den Kreis enger zogen, sich jedoch
nicht viel näher als sie bereits standen, an den Alten heran zu trauen
schienen. Kjeldor, Amras und Elessar bemerkten eine Aura um den alten
Mann, die anscheinend für dieses Phänomen verantwortlich war, hätten
jedoch nicht auf Anhieb erklären können, wie es zustande kam. Von
Angesicht zu Angesicht standen sich der alte Mann und ein mehr als zwei
Kopf größerer Ork mit einem riesigen Zweihänder einander gegenüber und
etwas zurück waren zwei weitere Orks in langen Roben, zu sehen, von
denen einer den Blick auf einen der am Boden liegenden Orks gerichtet
hatte und gerade eine Beschwörung intonierte, deren Zweck auf den ersten
Blick nicht ersichtlich war, während der andere gerade einen
Feuerballzauber wirkte, denn langsam manifestierten sich die um eine
seiner Handflächen züngelnden Flammen zu einer Kugel.
In dem Moment, in dem der Hüne einen waagerechten Schlag anbringen
wollte, um dem Alten den Kopf von den Schultern zu trennen, duckte
dieser sich, um seinen zu Boden gefallenen, abgenutzten Wanderstab
aufzuheben und so wurde nur die Spitze seines Hutes abgeschnitten und
der Hut fiel zu Boden. Der Alte jammerte so laut, dass selbst die
Gefährten es verstehen konnten „Elendes Pack, mein schöner Hut; der
war noch so gut wie neu!“. Nun hatte der Orkmagier seinen Feuerball
bereit und schleuderte ihn in Richtung des alten Mannes, doch dieser
bückte sich erneut, um nach seiner Kopfbedeckung zu greifen, so dass der
Feuerball über ihn hinweg zischte und ein paar Schritte weiter einen der
wieder angreifenden Orks traf und in Flammen aufgehen ließ. Wäre die
Situation nicht so todernst gewesen, hätten die Gefährten glatt in
Gelächter ausbrechen können, doch schon hob der Hüne erneut sein
Schwert; noch hatte niemand auf der Lichtung die Anwesenheit der
Drachenritter bemerkt.
5. Kapitel
Elessar sprang von Shi’ouyas Rücken und schlich an
den Rand des Unterholzes, das die Lichtung säumte; er würde als
Nahkämpfer zu Beginn dieses Kampfes nichts ausrichten können und wollte
sich aufs Beobachten beschränken; verwundert sah er, mit wie viel Glück
der alte Mann seinen Feinden entging. Oder war es etwas anderes? Die ihn
umgebende Aura strahlte eine Macht aus, die der Priester bisher noch nie
erlebt hatte. Völlig unbemerkt von den Orks bezogen auch die anderen
Gefährten Stellung und die Bogenschützen glitten von den Rücken ihrer
Pferde, verteilten sich, die Büsche als Deckung ausnutzend, damit sie in
günstigere Schusspositionen gelangten. Nur Silver war zu ungeduldig und
feuerte seinen ersten Pfeil noch vom Rücken seiner Stute aus auf den
Hünen mit dem Zweihänder und verfehlte ihn knapp. Der einzige Vorteil,
den der Schuss hatte, war, dass der Ork das Surren des Pfeils gehört
hatte, so von seinem Opfer abgelenkt wurde und sich verwirrt umblickte.
Und genau dieser Umstand wurde ihm zum Verhängnis, denn Amras, der
direkt nach Silver geschossen hatte, traf den Gegner genau ins linke
Auge; der Hüne brüllte vor Schmerz auf und ließ nun vollends von dem
alten Mann ab. Er griff mit einer Hand zu dem Pfeil und zog ihn mit
aller Kraft, begleitet von einem unmenschlichen Schrei heraus und wandte
sich den Büschen zu, wo er den Feind vermutete. Durch das Geschrei des
Hünen waren auch der Schamane und der Magier darauf aufmerksam geworden,
dass sie vom Rande der Lichtung aus angegriffen wurden und wandten sich
den Gefährten zu. Während der Schamane seine Beschwörung kurz
unterbrach, um die um den alten Mann mehr oder weniger tatenlos
herumstehenden Orks mit einer Handbewegung zum Angriff auf die Gefährten
zu befehligen - was diese auch wie an Fäden geführte Marionetten sofort
ausführten - und anschließend seine Beschwörung fortführte, hatte der
Orkmagier damit begonnen, den nächsten Zauber zu wirken.
In diesem Augenblick überschlugen sich die Ereignisse: Kjeldor preschte,
getrieben von der Sorge um das Leben des alten Mannes, auf seinem Pferd
durch das Unterholz und hielt in wildem Galopp auf den Magier zu,
während die auf die Gefährten zumarschierenden Orks zwar auseinander
stoben, um dem Schwert des Paladin zu entgehen, ihren Weg aber unbeirrt
fortsetzten, als er an ihnen vorbei war. Der Hüne stellte sich dem
Paladin in den Weg, um ihn daran zu hindern, den Magier zu erreichen und
hob seinen Zweihänder drohend zum Schlag, doch in diesem Augenblick traf
ihn ein weiterer Pfeil von Varnayrahs Bogen und der Ork fiel schwer
getroffen auf die Knie. Ein zweiter Pfeil Varnayrahs und ein Pfeil
Emathelyos’ töteten den Schamanen auf der Stelle und der Ork, der sich,
durch die Beschwörung in diesem Augenblick wieder ins Leben gerufen,
erheben wollte, wurde von einem weiteren Pfeil der Amazone in den Hals
getroffen und fiel hintenüber, bevor er überhaupt richtig auf seinen
Beinen gestanden hatte.
Inzwischen hatte das halbe Dutzend Orks den Rand der Lichtung fast
erreicht und Carthangiel musste sich entscheiden, ob sie sich gegen den
bevorstehenden Angriff verteidigen sollte oder sich des Magiers annahm,
der bereits den nächsten Feuerball in Händen hielt und den Kjeldor
offensichtlich nicht mehr schnell genug erreichen konnte. Die
Entscheidung wurde ihr abgenommen, als Elessar zwischen den Büschen
hervortrat und sich den sich nähernden Orks in den Weg stellte; am
linken Arm hatte er seinen Schild zur Verteidigung bereit und hielt in
derselben Hand sein Schwert Gelmir, so dass er es nur in die Schwerthand
zu wechseln brauchte, wenn er würde kämpfen müssen, doch seine Rechte
war hoch erhoben und von einem bläulichen Licht umgeben. Er hatte die
Handfläche nach außen gedreht und von dieser ausgehend breitete sich
dieses bläuliche Licht fächerförmig aus und als es die Orks erreichte,
hielten diese in ihrem Lauf inne und standen plötzlich ebenso
unschlüssig herum wie zuvor um den alten Mann.
So ergriff Carthangiel die Gelegenheit und zielte auf den Magier; da
Kjeldor ihr jedoch zeitweise die Sicht versperrte, musste sie lange
warten, fast zu lange, denn der Ork wollte gerade in dem Moment seinen
Feuerball schleudern, als ihn der Elfenpfeil in den Hals traf und er tot
zusammenbrach. Der Feuerball, der seine Handfläche verließ, wurde durch
den Ruck, der durch den Magier ging, als der Pfeil ihn traf, von seiner
Bahn abgelenkt und flog so dicht an Atreides vorbei, dass das Pferd sich
voller Angst aufbäumte und seinen Reiter abwarf, um dann auf den Rand
der Lichtung zu den anderen Pferden zu stürmen. Kjeldor, der von dem
Sturz etwas benommen war, sah plötzlich einen drohenden Schatten über
sich und hob instinktiv seinen Löwenschild, den er noch immer an seinem
Arm hatte, als er auch schon den Aufprall eines mächtigen Schlages
spürte, der von dem Zweihänder des Ork-Hünen stammte; dieser hatte sich
mit letzter Kraft wieder auf seine Füße erhoben und war zu dem auf dem
Boden liegenden Paladin gegangen, um ihm den Garaus zu machen. Doch
Kjeldor reagierte schnell und stieß dem Ork sein Bar’Thyron tief in den
Bauch; der Hüne brach wieder in die Knie und noch während er wie in
Zeitlupe zur Seite kippte, brachen seine Augen und er segnete endgültig
das Zeitige.
Während dieser Ereignisse hatte Carthangiel einen der Orks, die von
Elessar gebannt worden waren, ins Visier genommen und getötet; auch die
anderen Gefährten hatten weitere Pfeile auf diese Orks, die sich nicht
weiter wehrten, abgefeuert und der Paladin hatte zwei von ihnen mit
Gelmir erledigt. Auch der alte Mann war nicht untätig geblieben; niemand
hatte mehr auf ihn geachtet und so hatte niemand bemerkt, dass er sich
von hinten an einen der Orks herangeschlichen hatte und diesen mit einem
gezielten Schlag seines Stabes niedergestreckt hatte. So war der Kampf
vorüber und der Feind besiegt und Elessar schritt zu dem Alten, um bei
diesem nach dem Rechten zu sehen. Noch bevor er ihn fragen konnte, ob
alles in Ordnung wäre, schüttelte der Alte seinen Stab in seine Richtung
und wetterte los:
„Da bin ich ja gerade noch rechtzeitig gekommen, um euch zu retten!
Dass ihr jungen Leute auch immer so unvorsichtig sein müsst!“
Leicht amüsiert erwiderte der Priester:
“Ihr habt uns gerettet? Nun, wie dem auch sei, erst einmal Paladin
zum Gruße, werter... wie war Euer Name?“
„Mein Name?“ Der alte Mann zögerte und runzelte die Stirn. „Fizban?
Ja, genau, Fizban.“
Er stützte sich auf seinen Stab, schüttelte den Kopf und schaute zu
Boden.
“Wenn ich mir den doch bloß einmal merken könnte...“
Inzwischen hatten sich alle Gefährten um Elessar und Fizban versammelt
und lauschten dem Gespräch; der Alte schaute wieder auf und plötzlich
leuchteten seine Augen auf und eifrig rief er aus:
„Ha, habt ihr gesehen, wie ich das gemacht habe? Habe ich den Feind
nicht tollkühn in die Flucht geschlagen?“
Mit diesen Worten holte er mit dem Stab aus und schwang ihn demonstrativ
gegen einen imaginären Feind; dabei bemerkte er nicht, dass Kjeldor
hinter ihm stand und traf ihn unter dem Kinn. Als dieser vor Schmerz
aufstöhnte, drehte sich der Alte ruckartig um und murmelte eine
Entschuldigung, doch mit der Drehung erwischte er Amras mit seinem Stab
am Ellbogen, so dass dieser ebenfalls vor Schmerz aufstöhnte. Elessar
nahm Fizban am Arm und beugte sich verschwörerisch zu ihm hin und sprach
dann laut:
“Fürwahr, Ihr seid ein tapferer Mann! Ohne Euch wären wir verloren
gewesen! Aber sagt, seid Ihr verletzt?“
Der Alte befreite seinen Arm aus Elessars Griff und meinte:
“Pah! Nein, ich bin nicht verletzt, aber müde und hungrig! Sagt, habt
ihr nichts zu essen für einen alten Mann?“
Dabei entfernte er sich ein paar Schritte von der Gruppe in Richtung der
Mitte der Lichtung, aber er stolperte über seine Robe und fiel der Länge
nach hin. Elessar war sofort bei ihm und half ihm auf, doch auch dieses
Mal schien er sich nicht verletzt zu haben. Stattdessen plapperte er
fröhlich und munter weiter:
„Wir sollten ein Feuer entfachen, damit wir uns auch einen Tee kochen
können; ich habe frische Kräuter bei mir.“
Sprach es und ließ einen Feuerball auf seiner Handfläche erscheinen.
„Oh, etwas groß, wie war bloß der richtige Zauber?“
Achtlos warf er den Feuerball über seine Schulter; dieser flog nur knapp
an Varnayrahs Gesicht vorbei, bevor er in den aufragenden Stumpf eines
toten Baumes schlug und diesen in Brand setzte. Als das Prasseln der
Flammen nicht mehr zu überhören war, blickte Fizban in die Richtung des
brennenden Baumes und betrachtete ihn kurz nachdenklich, dann schüttelte
er den Kopf und wandte sich wieder ab. Er machte zwei weitere Schritte
in die Richtung, die er eben schon eingeschlagen hatte und als er die
passende Stelle gefunden zu haben schien, ließ er sich auf den Boden
nieder und blickte die Gefährten erwartungsvoll, fast schon ungeduldig
an. Ob der späten Stunde kamen die Gefährten ohne viele Worte überein,
dass man die Gelegenheit für eine Rast nutzen solle und nachdem eine
ausreichende Menge Feuerholz zusammengetragen war, entzündete Elessar
einen der Scheite an dem noch immer brennenden Baum, so dass schon bald
ein kleines Lagerfeuer mit im leichten Abendwind munter hin und her
züngelnden Flammen brannte. Über dem Feuer hing ein kleiner Kessel, in
dem nach kurzer Zeit frisches Wasser brodelte, in das Fizban eine Hand
voll Kräuter aus einer seiner vielen kleinen Taschen, die in seinem
Umhang verborgen waren, warf.
Bald saßen alle Gefährten gemütlich um das Feuer und nahmen ein Mahl,
das hauptsächlich aus Brot, Dörrfleisch und frischen Früchten bestand,
zu sich, zu dem sie von dem heißen Tee tranken, den Fizban bereitet
hatte. Schon während dem Essen merkten sie, wie ihre Kräfte langsam
wiederkehrten; als Fizban sein Mahl beendet hatte, entzündete er seine
Pfeife und paffte eine Weile vor sich hin, während er kleine kreisrunde
Rauchwölkchen ausstieß, die sich, während sie aufstiegen und im Himmel
verschwanden, langsam ausbreiteten.
6. Kapitel
Anfangs schien es, als würde Fizban die Fragen der
Gefährten einfach ignorieren; Varnayrahs Tadel hatte er mit einem
ungläubigen Blick - als wolle er sagen, es war doch bloß ein toter Baum
- quittiert und während Varnayrah und Carthangiel Laub und Reisig um den
Baumstumpf beiseite räumten, um ein Übergreifen der Flammen zu
verhindern, ließ der alte Mann Kjeldors Tirade so teilnahmslos über sich
ergehen, als würde er den Sinn der Worte gar nicht erfassen. Er widmete
sich lieber der Zubereitung seines Tees und murmelte leise vor sich hin.
Als das Mahl beendet war und Fizban seine Pfeife paffte, begab Kjeldor
sich noch einmal zum Schlachtfeld - er hatte gesehen, dass Silver
inzwischen am Feuer saß und ein Schwert begutachtete und reinigte, dass
er einem der toten Orks abgenommen hatte und Emathelyos einen Manatrank,
den sie dem toten Schamanen vom Gürtel genommen hatte, hinter ihrem
eigenen Gürtel verstaute – um die Toten nach weiteren Hinweisen für den
Angriff auf Fizban zu durchsuchen; derweil versuchten Amras und
Varnayrah, den alten Mann erneut in ein Gespräch zu verwickeln und
diesmal schien er wenigstens gewillt, den Gefährten zuzuhören. Wieder
entließ er einige Rauchkringel aus einem Spalt zwischen seinen Lippen,
die die Pfeife hielten, dann nahm er die Pfeife aus dem Mund und stieß
mit ihr in Richtung Amras, während er fast aufbrausend antwortete:
“Mein Junge, ich sagte doch schon, dass die Orks auf euch gewartet
haben! Ich wollte euch helfen und um ein wenig Verwirrung zu stiften
wollte ich einen kleinen Zauber anwenden“
Er schüttelte leicht den Kopf “Aber unglücklicherweise hatte ich den
Spruch wieder vergessen und einen falschen aufgesagt!“
Dann seufzte er und fuhr fort:
“Und von keiner Verletzung kann wohl keine Rede sein; die haben mir
meinen fast neuen Hut kaputt gemacht!“
Er sah sich suchend um und rief weinerlich “Wo ist der überhaupt?“,
aber Elessar meinte beruhigend “Auf Eurem Haupt, werter Fizban, genau
da, wo er hingehört!“
“Ah!“ Fizban fasste nach oben, um den Hut zu berühren, dann
wandte er sich an Varnayrah:
“Und Du, Mädchen, möchtest wissen, wer ich bin? Nun, ich bin, wer ich
bin und niemand anders! Kein mächtiger Zauberer, einfach nur.... ich!“
In diesem Moment gesellte sich Kjedor wieder zu den Gefährten; er hatte
die Durchsuchung der Toten beendet, aber außer einem kleinem Heiltrank
und einem kleinen tönernen Krug, dessen Inhalt sich beim Öffnen des
Korken als Ogerwurz entpuppte nichts gefunden. Sein Zorn war inzwischen
verraucht und so ließ er sich bei Fizban nieder, um sich für sein
Aufbrausen zu entschuldigen. Fizban jedoch legte dem jungen Paladin
seine knochige Hand auf die linke Schulter, die dieser sich beim Sturz
vom Pferd verletzt hatte, blickte ihm fest in die Augen und sprach:
“Jungchen, Du musst noch vieles lernen! Löblich ist die Absicht,
stets dem Bösen entgegen zu treten, doch hast nicht Du selbst Dir
auferlegt, stets geduldig und besonnen vorzugehen? Bedenke stets, nicht
alles ist, wie es scheint!“
Während der Alte sprach, packte er mit der Hand so kraftvoll zu, dass
Kjeldor sich wunderte, woher dieser alte Mann eine solche Kraft nahm,
doch weitaus verwunderter war er darüber, dass er keine Schmerzen,
sondern stattdessen eine überaus wohltuende Wärme verspürte, die seine
Lebensgeister zu wecken und zu erneuern schien. Elessar spürte mehr, als
er sah, was Fizban da vollbracht hatte und warf einen Seitenblick zu
Amras, ob dieser auch bemerkt hatte, was da vor sich ging, doch der
Augenblick, für den die Aura des alten Mannes spürbar gewesen war, war
wohl zu kurz gewesen. Der Paladin wollte seinen beiden Ordensbrüdern
über die Gabe eine Botschaft oder vielmehr die Frage, wie das sein
könne, zukommen lassen, doch irgendetwas hielt ihn davon ab.
So gelang es Fizban, die Drachenritter mit seiner augenscheinlichen
Unbeholfenheit und seiner ruhigen Stimme dermaßen einzulullen, dass sie
im weiteren Verlauf des Gespräches mehr über sich preisgaben, als er
über seine eigene Person und selbst Elessar konnte nicht verhindern,
dass eine Bemerkung über die Zwillingstempel im orkischen Hochland fiel.
Diese Bemerkung quittierte der alte Mann zwar mit einer hochgezogenen
Augenbraue und einem Stirnrunzeln, doch er ging nicht weiter darauf ein
und führte die Unterhaltung fort, als wäre dieser Ort nichts, worüber
man ausführlicher reden müsste. Inzwischen war die Sonne hinter den
Wipfeln der Bäume, die die Lichtung begrenzten, verschwunden und die
Dämmerung brach herein; die Temperatur sank merklich und manch einer der
Gefährten spürte ein Frösteln, da das Feuer nur mehr von vorne Wärme
spendete. Auch Elessar zog seinen Umhang enger um sich und gerade, als
Kjeldor und Carthangiel sich erheben wollten, um ihre Zelte aufzubauen,
bevor es vollkommen dunkel wurde, hob Fizban Einhalt gebietend seine
Hand.
"Nicht so hastig, ihr jungen Leute! Hört mich noch einen Moment an,
bevor Ihr Euer Lager herrichtet und ich Euch verlassen werde!"
Ein Raunen ging durch die Anwesenden und man hörte jemanden leise fragen
"Es wird Nacht, wieso will er uns verlassen?", doch niemanden
wagte laut zu sprechen und gebannt warteten die Gefährten darauf, dass
Fizban fortfuhr.
"Der Weg, der vor euch liegt, ist voller Gefahren und noch bevor ihr
euer Ziel erreicht, mag einer der Gefährten zweifeln, weil ein anderer
scheinbar gestrauchelt ist. Doch..."
Er schaute in die Runde und blickte jedem unbeirrbar in die Augen, wobei
sein Blick bei Elessar, Kjeldor und Amras jeweils länger verweilte als
bei den anderen.
"...doch vergesst nie, zu wem ihr steht, wofür ihr kämpft und woran
ihr glaubt! Denn erst am Ende aller Dinge werdet ihr sehen und
erkennen!"
Fizban erhob sich, sich auf seinen Stab stützend und griff mit der
freien Hand in die Weiten seines Umhangs; dann sprach er "Habt Dank
für die Hilfe und Gastfreundschaft, die ihr einem alten Mann gewährtet!
Gehabt Euch wohl!"
Noch bevor die Gefährten ein Wort entgegnen konnten, erschien Fizbans
Hand aus dem Umhang und schnellte in Richtung Feuer, über dem sofort ein
Glitzern wie von tausend Funken sichtbar wurde; dann trat er einige
Schritte zurück und eilte vom Feuer weg. Ein eigenartiger, jedoch nicht
unangenehm zu nennender Geruch breitete sich aus und hüllte die
Drachenritter ein. Bereits mit dem nächsten Atemzug machte sich eine
eigenartige Müdigkeit in den Gefährten breit und sie merkten, wie erst
Kopf und Glieder schwer wurden und ihnen dann langsam die Augen
zufielen. Wie in Zeitlupe sahen sie die letzten glitzernden Funken des
Pulvers, das Fizban ins Feuer geworfen hatte, zu Boden sinken und
diejenigen, die noch die Kraft fanden, den Kopf zu wenden und in die
Richtung zu blicken, in die Fizban sich entfernt hatte, wähnten anstelle
des alten Mannes eine Gestalt, die in eine gleißende Aura aus weißem
Licht eingehüllt, am Rande der Lichtung stand. Dann wurde es dunkel um
die Gefährten.
Der alte Mann stand reglos am Rande der Lichtung und wartete, bis das
Feuer herunter gebrannt war; dann eilte er zu den Pferden und rief ihnen
in einer unbekannten Sprache einige Worte zu, die die sonst Fremden
gegenüber eher scheuen Tiere sofort beruhigten. Er nahm die Rucksäcke
und Satteltaschen der Gefährten, brachte sie in den Kreis, in dem die
Schlafenden lagen und legte sie dort nieder. Er bückte sich zu Elessar
und schien ihm etwas zuzustecken, schlenderte dann zu dem neben
Varnayrah ebenfalls schlafenden Tan'le, legte eine Hand auf seinen Kopf
und flüsterte wieder einige Worte in dieser seltsamen Sprache; sofort
erwachte der Luchs und folgte dem Alten zu den Pferden. Fizban schaute
sich noch einmal um und als es schien, als sei alles zu seiner
Zufriedenheit, nickte er, hob seinen Stab und zeichnete ein groteskes
Muster in den Nachthimmel; obwohl seine Lippen sich dabei bewegten, war
kein Laut zu hören und es dauerte nicht lange, bis sich eine Art Nebel
um die Gefährten legte. Erst seltsam milchig, dass die Gefährten kaum
noch zu erkennen waren, wurde er langsam durchsichtig und begann von
innen heraus zu leuchten.
Das Leuchten wurde immer heller, bis das gleißende Licht so hell war,
dass es in den Augen schmerzte, wenn man den Blick auf das Zentrum der
Erscheinung richtete; selbst die Drachenritter sahen oder spürten dieses
Licht durch die Dunkelheit, in der sie gefangen waren und es wirkte
seltsam beruhigend auf sie. Plötzlich nahm die Intensität des
Lichtscheins wieder ab und die Umrisse des Nebels begrenzten den
Ausschnitt einer Landschaft, die nicht in das Bild der Lichtung passte.
Ein Plateau inmitten einer schroffen Gebirgslandschaft, über der die
Sonne eines kalten Wintertages schien. Im Hintergrund waren die
gezackten, hochaufragenden Spitzen eines schneebedeckten Gebirges zu
erkennen und sogar der schrille Schrei eines Adlers war zu hören. Das
Plateau selbst war nicht sehr groß und mit nur wenigen, verkrüppelten
Bäumen bestanden und der felsige Boden war, bis auf ein paar
Grasbüschel, nackt und kalt. Linker Hand war noch ein Stück einer
hochaufragenden Mauer zu sehen, doch der Ausschnitt reichte nicht, um
ein Tor in dieser Mauer oder ein Gebäude dahinter erkennen zu können.
Dann plötzlich fiel der Nebel in sich zusammen, das Licht erlosch und
der Ausschnitt verschwand; die Lichtung lag wieder in vollkommener
Dunkelheit.
~/~
Langsam lichteten sich die Nebel, die über dem
Bewusstsein der Gefährten lagen und sie tauchten aus der Dunkelheit
wieder auf, gelangten ans Licht. Durch die geschlossenen Lider sahen sie
das Tageslicht und bevor der erste Drachenritter die Augen öffnete, war
der schrille Schrei eines Adlers zu hören. Dann fühlten sie die Kälte
des nackten Felsbodens, auf dem sie lagen, doch gleichzeitig merkten
sie, dass sie noch nicht lange dort liegen konnten, denn dies hätte den
sicheren Tod bedeutet. So schlug einer nach dem anderen die Augen auf
und setzte sich auf, um sich verwirrt umzublicken und jedem erging es
ähnlich: mit Erstaunen, aber auch mit Schrecken und zu keinem Laut fähig
gewahrte jeder Einzelne, dass sie von einer Gruppe Orks umgeben waren
und wer ein Schwert sein Eigen nannte, tastete langsam nach dem Griff
desselben, um sich gegen einen Angriff verteidigen zu können. Doch beim
zweiten Blick erkannten die Gefährten, dass die Orks, die in lange weiße
Roben mit einem Sonnensymbol auf der Brust gekleidet waren, nicht
bewaffnet waren und auch sonst keinen feindseligen Eindruck machten. Sie
schienen bereits eine Weile anwesend zu sein und sich über die
Drachenritter zu beraten, oder zumindest über zwei von ihnen, denn
während sie leise miteinander sprachen, wies einer der Orks immer wieder
auf Kjeldor und Elessar. Als die Orks bemerkten, dass alle Gefährten
wach waren und der Dinge harrten, die da kommen sollten, wandte sich
einer, wohl der Sprecher der Gruppe, an Elessar und richtete das Wort an
den Elfen, während er eine Verbeugung andeutete:
“Broshn-izg latu kaal-ishi! Broshan Shanu-ishi, faltor aan-ob!“
Elessar hatte kein Wort verstanden; der Ork musste in seiner
Muttersprache gesprochen haben und so deutete der Elf ebenfalls eine
Verbeugung an, hielt beide Hände nach oben, um seine friedlichen
Absichten zu zeigen und lächelte den Ork freundlich an. Dann schaute er
sich nach Amras um und bat ihn:
“Sagt, Amras, habt Ihr nicht vor einiger Zeit die orkische Sprache
studiert? Habt Ihr verstanden, was er gesagt hat? Sagt ihm bitte, dass
wir keinerlei böse Absichten hegen, aber verratet vorerst nichts von
unserer Mission! Und fragt ihn bitte, wo genau wir hier sind.“
7.Kapitel
Nachdem die Gefährten erwacht waren und der Situation
gewahr wurden, griff manch einer seine Waffe fester, um gegen einen
Angriff gewappnet zu sein. Obwohl die unbewaffneten Orks dies ohne
weiteres als Affront hätten auffassen können, verzog keiner der
unbewaffneten Priester eine Miene oder ging sonst irgendwie auf die fast
offensichtliche Bedrohung ein; einige neigten vielmehr einfach demütig
das Haupt, als würden sie dem Tod gelassen gegenüber treten, wenn er sie
denn ereilte. Doch auch die Drachenritter blieben gelassen und griffen
nicht an; auf Elessars Worte hin trat Amras vor und die anderen
lauschten dem Gespräch oder ließen ihre Blicke eingehend über das
Gelände schweifen, um möglicherweise selbst weitere Details erkennen zu
können. Nachdem Amras gesprochen hatte, hellte sich die Miene seines
Gegenübers deutlich auf, denn er hatte wohl nicht wirklich erwartet,
dass einer der Gefährten und erst recht kein Elf ihn verstehen würde.
Amras übersetzte die Worte des Orks für die Gefährten und stellte diese
dann anscheinend reihum vor, denn zwischen den unverständlichen Worten
der Orksprache hörten die Gefährten ihre Namen heraus. Während Amras auf
eine Antwort auf seine Frage nach ihrem Aufenthaltsort wartete, ergriff
auch Varnayrah, die als Erste das Verschwinden der Pferde und tierischen
Gefährten entdeckt hatte, das Wort und bat Amras um Übersetzung des von
ihr Gesagten. Doch noch bevor dieser auch nur ein weiteres Wort
hervorbringen konnte, tauschte der Ork mit seinem Nachbar einen
vielsagenden Blick und wiederholte aufgeregt, während er auf Elessar
zeigte “Thrakal kaal-ob!“; dann richtete er das Wort wieder an
Amras und sprach:
“Thrakal kaal-ob? Skaat! Taar aikar Gunag Paghorim iist ghashkrumu!“
Ohne eine weitere Entgegnung abzuwarten, wandte der Ork sich um und
schritt durch die sich bildende Gasse der anderen Orks voran; den
Gefährten blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. So schritten
die Gefährten hinter dem Ork her und betraten, gefolgt von den übrigen
Orks, nur wenige Schritte, nachdem sie die riesigen Tore in der Mauer
passiert hatten, einen fast exotisch anmutenden Garten, der
hauptsächlich mit immergrünen Sträuchern und Bäumen bestanden war, die
sich bestens an die kargen Verhältnisse in dieser Gegend angepasst
hatten. Direkt vor ihnen erhoben sich, durch die Sträucher und über den
Wipfeln der Bäume weithin sichtbar, die hohen, aus weißem Marmor
bestehenden Mauern einer riesigen Halle. Linker Hand stand ein
ausgedehnter Gebäudekomplex, der sich über die ganze Länge der Halle
hinzuziehen und am Ende mit dieser durch einen weiteren Flügel verbunden
zu sein schien; ihr Führer durchmaß den Garten in seiner vollen Länge
und eilte dann den Weg zwischen dem Gebäudekomplex und der Halle entlang
bis kurz vor deren Ende, wo zwei einander gegenüberliegende Türen in
beide Gebäude führten. Während die anderen Orks allesamt in dem linken
Gebäudekomplex - wohl um wieder ihrem Tagewerk nachzugehen -
verschwanden, öffnete ihr Führer die rechte Tür und deutete den
Gefährten mit einer Handbewegung, ihm in das Innere der Halle zu folgen.
Kaum hatten die Gefährten das Gebäude betreten, folgten sie einem
kleinen Gang und erklommen eine kurze Treppe, an deren Kopfende sich
eine doppelflügelige Tür befand, die der Ork öffnete. Und dann bot sich
ihnen ein fantastischer Anblick; die Halle bestand aus einem einzigen
Raum, der links und rechts in seiner gesamten Länge von einer Reihe
unzähliger Säulen gesäumt wurde und am Kopfende, im Zentrum der Querwand
einen riesigen Altar beherbergte. Eine Reihe von Öffnungen im Dach
ließen das Sonnenlicht einfallen und seltsame, bewegliche Vorrichtungen,
die an diesen Öffnungen angebracht waren, reflektierten und bündelten
das Sonnenlicht derart, dass es zielgenau auf den Altar gerichtet wurde
und diesen gleißend hell erstrahlen ließ. Auch innen bestanden Wände,
Boden und die Säulen aus weißem Marmor, so dass das Auge von der
Helligkeit fast geblendet wurde und mehrere riesige metallene Feuerkörbe
ließen die Gefährten erahnen, dass diese Halle auch des Nachts nie in
Dunkelheit versinken würde. Vor dem Altar kniete ein in seine Andacht
versunkener Ork, der sich auf den ersten Blick in nichts von den
anderen, die sie begrüßt hatten, zu unterscheiden schien, doch als er
sich auf ein Räuspern ihres Führers hin erhob und umwandte, gewahrten
die Gefährten auf seinem Haupt eine konische Kopfbedeckung, die fast ein
wenig an eine Art Krone erinnerte und auf der das gleiche Sonnensymbol
prangte wie auf der Brust der priesterlichen Roben. Ihr Führer verneigte
sich tief und wechselte dann leise einige Worte mit dem offensichtlichen
Oberhaupt dieses Tempels; dann verneigte er sich noch einmal, nickte den
Gefährten zum Abschied zu und zog sich zurück.
Ohne auch nur ein Wort zu sprechen, musterte der zurückgebliebene Ork
die Gefährten lange Zeit mit einem fast strengen, aber nicht feindlichen
Blick, wobei auch sein Hauptaugenmerk Amras, Elessar und Kjeldor zu
gelten schien, oder vielmehr den Paladinsymbolen auf den Rüstungen und
Umhängen der drei Ordensbrüder. Was auch immer er entdeckt oder gedacht
zu haben schien, plötzlich erhellte sich seine Miene sichtlich, seine
Züge wurden für einen Ork fast weich und milde und er richtete das Wort
an die Gefährten, zu ihrer Verwunderung in fast akzentfreier
Handelssprache:
“Ich grüße Euch im Licht! Willkommen in Shanu, dem Tempel der Sonne!
Man nennt mich Gunag Paghorim und ich bin, wie Ihr sicher inzwischen
erraten haben werdet, der Hohepriester dieses Tempels. Ihr seid wohl
ebenso überrascht wie wir über Eure Anwesenheit, aber zumindest wir
haben Eure Ankunft, wenn nicht erwartet, so zumindest geahnt oder
erhofft. Aber ich werde versuchen, Eure Fragen, so weit es mir möglich
ist, zu beantworten.“
Gunag ließ sich schwerfällig auf dem Boden nieder - offensichtlich waren
Sitzgelegenheiten zu den Gebeten nicht üblich, denn bis auf den Altar
und die Feuerkörbe war der Raum leer - und deutete den Gefährten, dies
ebenfalls zu tun. Nachdem sie alle in einem Kreis auf dem Boden saßen
oder knieten, klatschte er in die Hände und einen Augenblick später
erschienen Bedienstete und reichten ihm und den Gefährten kleine tönerne
Schalen und Krüge. Kurz darauf brachten sie mehrere niedrige, kleine
Tischchen, die sie in die Mitte des Kreises stellten und auf denen
verschiedene Getränke - Krüge mit Wasser, Honigwein und einer weiteren,
klaren Flüssigkeit - und frisch zubereitete Speisen angerichtet waren,
die den Gefährten zwar teils unbekannt waren, doch appetitlich aussahen
und aufgrund der verwendeten Gewürze einen verführerischen Duft
verströmten. Der Hohepriester wies auf das Mahl und sprach:
“Greift zu! Außer frischen Früchten, Brot und Käse findet Ihr hier
gedünsteten Lachs aus einem nahen Bergsee und Braten von den hier
lebenden Hochlandrindern, außerdem Gemüse aus Rüben und Mangold. Und
während Ihr es Euch schmecken lasst, erzähle ich Euch von diesem Ort und
wieso Eure Ankunft keine allzu große Überraschung für uns darstellte.
Hernach ist dann Zeit für weitere offene Fragen!“
Obwohl ihre letzte Mahlzeit noch nicht allzu viele Stunden her sein
konnte, verspürte Elessar ein eigenartiges Hungergefühl und ließ sich
deshalb kein weiteres Mal bitten, seine Schale mit den köstlich
anmutenden Speisen zu füllen und auch seinen Krug füllte er aus einem
der größeren Krüge, nachdem er sich vergewissert hatte, dass es sich um
Honigwein handelte. Unterdessen hatte der Hohepriester begonnen zu
sprechen:
“Da Ihr Euch sicher nicht nur fragt, an welchem Ort Ihr seid, sondern
auch darüber, dass Ihr hier friedfertige Orks vorfindet, sollte ich ein
wenig weiter ausholen. Ihr seid hier, wie bereits erwähnt, in Shanu, dem
Tempel der Sonne, der im Osten des orkischen Hochlandes nahe der Grenze
zum Aramonland liegt, das man nur wenige Wegstunden von hier über einen
Gebirgspass erreichen kann.
Unser Clan, der diesen Tempel unterhält, hat sich vor sehr, sehr langer
Zeit von den übrigen Orkvölkern losgesagt und unterhält seit diesen
Tagen nur noch sehr lockere Beziehungen zu den anderen Orks, denn wir
werden mehr geduldet, als akzeptiert. Im Gegensatz zu diesen leben wir
im Einklang mit allen anderen Völkern und fühlen uns sehr mit der Natur
verbunden; wir nennen uns selbst die Kinder der Sonne und haben uns in
erster Linie auf den Erhalt des natürlichen Gleichgewichtes und in Folge
dessen vor allem auf die Kunst des Heilens spezialisiert. Wir leben von
dem, was die Natur uns beschert und greifen nur ungern zu den Waffen,
selbst wenn wir unser eigenes Leben verteidigen müssen. Wir verehren
auch keine der üblichen Gottheiten der Orkvölker, da diese in erster
Linie böser Natur und somit meist auf Tod und Zerstörung aus sind;
stattdessen verehren wir aufgrund einer mystischen Begebenheit, die sich
vor Äonen zugetragen hat und auf die näher einzugehen zu viel Zeit in
Anspruch nehmen würde, einen Gott, den wir Tincan, den Herrn des
Sonnenlichts nennen.“
Gunag machte eine kurze Pause, während der er seinen Krug mit der klaren
Flüssigkeit aus einem der bereitstehenden Krüge füllte und diesen in
einem Zug wieder leerte; dann fuhr er fort:
“Auf einer Halbinsel an der westlichen Steilküste des orkischen
Hochlandes gibt es einen weiteren Tempel, Shana, der diesem hier im
Grundriss wie ein Ei dem anderen gleicht; laut den Überlieferungen
unseres Ordens wurden diese Tempel zeitgleich erbaut, da die Weite und
Unwegsamkeit des Hochlandes es unserem Orden unmöglich machte, im
gesamten Land tätig zu werden, doch ist dies so lange her, dass keiner
sich mehr an diese Zeiten zu erinnern vermag und die Quellen der
Überlieferungen sehr unsicher sind. Regelmäßige Besuche der Priester und
steter Wissensaustausch auch mit Tempeln in anderen Ländern sicherten
den Erhalt der guten Mächte, bis eines Tages der Kontakt abbrach: das
Böse hielt Einzug in Shana, der fortan Tempel des Mondes genannt wurde
und seitdem wird dort Luthic, die dunkle Mutter der Heilung verehrt.
Obwohl auch dieser Orden sich nach eigener Aussage der Heilung
verschrieben hat, so sind die Wege, wie die Priester dort ihre Ziele
erreichen, mehr als fragwürdig; sie führen dunkle Rituale durch, in
denen sie mit Hilfe von Blutopfern die Lebensenergie ihrer Opfer auf die
zu heilende Person übertragen. Mehrere Jahrhunderte lang suchten die
Priester, inzwischen selbst zu lebenden Toten geworden, auf der Jagd
nach Opfern die umliegenden Dörfer heim und überzogen das Land mit
Schrecken, bis vor etwas mehr als einem Jahrzehnt alle Priester - bis
auf den Hohepriester, den man nirgends finden konnte - getötet und der
Tempel mit vereinten Kräften geschlossen und alle Eingänge mit riesigen
Felsblöcken abgeriegelt wurden, um dem Bösen keine Möglichkeit mehr zu
geben, seine Brutstätte zu verlassen. Doch am Anfang dieses Jahres
begann das Böse, sich erneut zu regen...“
An dieser Stelle stockte Gunag plötzlich, als wolle er etwas erwähnen,
schien sich dann aber doch anders zu entscheiden und sprach dann fast
hastig weiter:
“Vor einigen Monden nun kam unerwartet ein Mensch über den
Gebirgspass aus dem Aramonland zu uns und erklärte, er kenne unser
Problem und wolle uns helfen, das Böse in Shana zu besiegen; er war groß
und muskulös, fast wie ein Ork und hatte lange, dunkelblonde Haare, die
zu einem Zopf geflochten waren und...“
Der Hohepriester machte eine Pause und blickte vielsagend zu Amras und
Kjeldor, dann zu Elessar; dann zeigte er mit dem Finger nacheinander auf
die Erstgenannten und fuhr fort:
“... seine Rüstung, sowie sein Schild und sein Umhang zeigten
ebendieses Symbol!“
Gunag gab ein Geräusch von sich, das man mit viel gutem Willen als
Seufzen bezeichnen konnte.
“Nun, da wir keine Kämpfer sind, nahmen wir das Hilfeangebot dankend
an und so brachten wir ihn nach Shana; doch unglücklicherweise haben wir
seitdem nichts mehr von ihm gehört. Doch wir gaben die Hoffnung nie auf,
dass er nicht alleine wäre und man nach ihm suchen würde! Und wie es
aussieht, scheint unser Hoffen nicht vergebens gewesen zu sein...“
8. Kapitel
So saßen die Gefährten fast gemütlich beisammen und
manch einer ließ sich die fremdartigen Speisen munden, während Gunag
seinen Bericht fortsetzte und anschließend die Fragen der Gefährten über
sich ergehen ließ. Elessar hielt sich im Hintergrund und lauschte
aufmerksam den Worten eines jeden und versuchte, alle Puzzleteile, die
er erfuhr, zusammenzusetzen und auch die Amazone Emathelyos zog es vor,
sich nicht weiter zu äußern. Amras ergriff als Erster das Wort und
wollte eine nähere Beschreibung des Fremden, dessen Kleidung
offensichtlich von Paladinsymbolen geziert wurde, doch diese Frage wurde
ihm von Varnayrah beantwortet, die den verschwundenen Stadtrat
Sha’Nurdras erwähnte und den zeitlichen Zusammenhang mit dem Krieg gegen
Taros und Thans Truppen aufzeigte und somit den Fremden als Sir Graham,
den ersten Paladin Dragonias identifizierte, was Kjeldor im selben
Augenblick bestätigte. Dies ließ Elessar aufhorchen, denn er hatte
Graham nicht mehr persönlich kennen lernen dürfen, da dieser kurz vor
seiner Ankunft zu einer vermeintlichen Pilgerreise aufgebrochen war und
so erkannte der Priester einige Zusammenhänge.
Gunag nickte ab und zu oder schüttelte hier und da den Kopf und während
Kjeldor leise ein Gebet für die Seele des Vaters der Zwölf sprach,
fragten Silver und Varnayrah nach weiteren Einzelheiten über das Böse
und Amras bat um einen Bericht darüber, wie man erkannt hatte, dass es
sich erneut regte. Als Varnayrah schließlich noch Fizban und den Kampf
gegen die Orks erwähnte und Gunag fragte, ob er diesen Alten kenne oder
eine Idee hätte, wie dieser sie hergebracht hatte, schien der
Hohepriester einen Moment nachzudenken und neigte ehrfürchtig das Haupt,
bevor er langsam antwortete:
“Ich kenne niemanden namens Fizban, doch nach den Taten, die er laut
Eurem Bericht vollbracht hat, wäre ich fast geneigt, zu sagen, Tincan
selbst sei Euch in seiner weltlichen Gestalt erschienen!
Doch langsam lichten sich die Nebel! Ich hatte erwähnt, dass vor mehr
als einem Jahrzehnt vermeintlich alle Priester, bis auf den
Hohepriester, in Shana getötet und alle Zugänge zum Tempel des Mondes
blockiert worden waren...“
Gunag stockte erneut, dann seufzte er und fuhr fort:
“Nun, Ihr werdet später sehen, wovon ich rede, aber nun erst einmal
soviel: der Hohepriester ist - mit den entsprechenden Kenntnissen - in
der Lage, sich selbst und anderen Personen über einen geheimen Weg
jederzeit Zugang zum Tempel zu verschaffen; Anfang des Jahres verschwand
unvermutet einer unserer Priester und kehrte kurz darauf als Untoter
zurück. Das war bevor der Fremde - Graham - erschien und Tincan sei Dank
gelang es uns, diesen Priester in Gewahrsam zu nehmen, bevor er größeren
Schaden anrichten konnte. Wir verhörten ihn und so erfuhren wir, dass
dies kein Einzelfall gewesen war, sondern dass bereits seit geraumer
Zeit Untote wieder das Land heimsuchten.
Eines Tages erschien unerwartet Graham und bot seine Hilfe an und einige
Tage nachdem wir diesen nach Shana gebracht hatten, gab es eines Nachts
einen weiteren Zwischenfall, dem zwei unserer Priester zum Opfer fielen.
Wir fanden sie morgens an den Toren des Tempels, grausam zugerichtet und
dem Tode nahe; wir konnten keinen der beiden retten, doch bevor sie
starben, erzählte uns einer der beiden von einer Gruppe Orks unter der
Führung eines Kriegers und zweier Magier, die sie überrascht hatten und
die auf dem Weg waren, einen - nach eigenen Worten - wichtigen Auftrag
zu erfüllen.“
Der Hohepriester machte eine Pause, dann fuhr er fort:
“Versteht Ihr? Wenn diese Orks und die, gegen die ihr gekämpft habt,
identisch waren, dann wusste jemand, dass Ihr kommen würdet...“
Elessar hatte die Ausführungen des Hohepriesters in den letzten Minuten
nicht mehr verfolgt, so sehr hatte ihn dessen Aussage Fizban betreffend
fasziniert; sollte hier tatsächlich Tincan - Paladin? - in menschlicher
Gestalt unter ihnen gewandelt sein? Einiges spräche dafür und der Glaube
des Priesters war groß genug, um solch ein Ereignis für möglich zu
halten, doch was würden die Gefährten denken? Erst die letzten Worte
Gunags ließen ihn wieder aufhorchen und er dachte an die Konsequenzen,
wenn diese Vermutung sich als richtig erweisen würde, als er den Blick
seiner Liebsten spürte. Er hob den Kopf und erwiderte ihren Blick; sie
wollte wohl dem Hohepriester ebenfalls eine Frage stellen und schien um
seine Zustimmung zu bitten. Obwohl er nicht genau wusste, was sie fragen
würde, vertraute er ihr doch so sehr, um sicher zu sein, dass sie das
Richtige tun würde und nickte unmerklich. Die Waldelfe erwiderte
Elessars Nicken ebenso unmerklich, dann richtete sie das Wort an Gunag
und fragte diesen, ob er je von dem Orden der Zwölf und dem Verbleib
ihrer legendären Waffen, den Kriegshämmern, gehört hätte, wobei sie
erwähnte, dass sie Hinweise hätten, dass die Zwillingstempel dieses
Geheimnis wahrten. An dieser Stelle ergriff auch Kjeldor erneut das Wort
und erwähnte den letzten Überlebenden des alten Ordens, der nach den
Aufzeichnungen, die sie in Sha’Nurdra gefunden hatten, die Kriegshämmer
eigenhändig in das Orkland gebracht hatte, doch der Ork schüttelte nur
bedauernd den Kopf und antwortete:
“Ihr müsst Euch irren! Dunkel erinnere ich mich an eine Schriftrolle
in unseren Archiven, die von einem Dutzend Priester berichtete, die vor
vielen Jahrhunderten halfen, diesen und andere Tempel zu errichten und
sie in den folgenden Jahrhunderten regelmäßig besuchten. Sie trugen
Waffen und waren im Umgang mit diesen ebenso gewandt wie im Umgang mit
dem Wort und besaßen Fähigkeiten, die an die eines Gottes erinnerten.“
Er deutete auf das Paladinsymbol auf Elessars Brust und fuhr fort:
“Wenn meine Erinnerungen mich nicht trügen, trugen sie ebendieses
Symbol und nannten sich auch Ritter des Lichts. Wie ich bereits erwähnt
hatte, verschwanden sie auf mysteriöse Weise; sie wurden nie mehr
gesehen und keine unserer Schriften berichtet davon, dass ein Einzelner
der Ihren später noch einmal aufgetaucht sei. Nur ein Artefakt ist uns
aus dieser Zeit geblieben und das Wissen darüber wird jeweils nur von
Hohepriester zu Hohepriester weitergegeben.“
Elessar setzte gerade an, um nach diesem Artefakt zu fragen, als er
Amras’ Gedankenmuster spürte; dieser bat ihn um eine Unterredung unter
vier Augen und so gab er ihm ein Zeichen, dass er verstanden hatte. Dann
bat er seinerseits Kjeldor über die Gabe, dem Hohepriester dieses Ordens
alle Hilfe zuzusagen und ihn etwas hinzuhalten, während er sich dann
unter dem Vorwand, mit Amras als Dolmetscher noch einige Fragen an ihren
Führer stellen zu wollen, gemeinsam mit Amras nach draußen in den
Tempelgarten begab. Dort blieb er stehen und hörte sich die Fragen
seines Ordensbruders an, die er ihm aufgrund seiner Verwirrung zum Ende
hin nur noch über die Gabe übermittelte. Als dieser geendet hatte, legte
er ihm eine Hand auf die Schulter und blickte ihm fest in die Augen,
während er ruhig antwortete:
“Mein Freund, Ihr zweifelt nicht wirklich an meiner Ehrlichkeit oder
meint Ihr, ich wäre derjenige, den Fizban bezeichnete? Eure Verwirrung
und Furcht spielen Euch einen Streich und Ihr seht manche Dinge in einem
falschen Licht! Varnayrah hat Eure Frage nach dem Paladin besser
beantwortet, als ich das hätte tun können. Und ich habe Euch nie etwas
verschwiegen; alles, was in dieser Schriftrolle stand, habt Ihr ebenso
wie Kjeldor erfahren und es entspricht nicht den Tatsachen, dass unsere
Zahl stetig sinkt: abgesehen von Ledun, der erkannt hat, dass der Weg
des Lichts nicht der rechte Weg für ihn war, sind wir noch immer
vereint, auch, wenn wir zeitweise an verschiedenen Orten dem Bösen
gegenübertreten. Das ist nun einmal unser aller selbsterwähltes
Schicksal! Auch habe ich nie verlangt, dass wir unsere Fähigkeiten
verschweigen, denn, wie Ihr im Kampf gegen die untoten Orks gesehen
habt, setzen wir diese zum Nutzen aller ein; lediglich unsere Gabe mag
für manch einen als Fluch erscheinen oder als Waffe angesehen werden,
die sie nicht ist, und so sollten wir dies nicht jedermann preisgeben.“
Amras noch immer fest in die Augen blickend, nahm Elessar seine Hand von
seiner Schulter und fuhr fort:
“Nun, ich hoffe, ich konnte Eure Zweifel zerstreuen, denn wir sollten
uns wieder hineinbegeben; ich weiß nicht, wie lange es Kjeldor gelingt,
die Aufmerksamkeit von uns abzulenken, ohne dass wir doch noch den
Eindruck erwecken, Ränke zu schmieden.“
Der Priester deutete Amras, voraus zu gehen und gerade, als sie sich
wieder der Gruppe anschlossen, sprach Gunag:
“Ich bin erfreut, dass Ihr uns Eure Hilfe zugesagt habt! So werde ich
Euch nun zum Tor geleiten, damit Ihr Euch auf den Weg nach Shana machen
könnt!“
Der Hohepriester lachte leise auf, als er die verdutzten Gesichter der
Gefährten gewahrte und fuhr dann fort:
“Oh, keine Sorge, Eure Reise wird nicht sehr lange dauern und bedarf
keinerlei Vorbereitungen! Ihr erinnert Euch an das Artefakt, welches ich
vorhin erwähnte? Folgt mir bitte; unterwegs werde ich Euch mehr
erzählen!“
Der Ork deutete ihnen mit einer Handbewegung, ihm zu folgen und ging
dann voraus. Während Elessar neben ihm schritt und die anderen folgten,
führte er sie aus dem Altarraum in den gegenüberliegenden Gebäudekomplex
und dort durch mehrere Gänge. Unterwegs bemerkte Elessar, dass er mit
einem Ring, den er am Finger trug, spielte, während er sprach:
“Das einzige Artefakt, welches uns aus der Zeit der besagten
Kriegerpriester erhalten blieb, stellt eine Möglichkeit des schnellen
Reisens von einem Tempel zum anderen dar; wir nennen es deshalb auch die
„Kurzen Wege“. Es ist ein geheimnisvoller Mechanismus, der mit einem
Schlüssel aktiviert werden muss und nur benutzt werden kann, wenn man
bereits einmal am Zielort gewesen ist. Diese Schlüssel sind es, die nur
von Hohepriester zu Hohepriester weitergegeben werden und Jahrhunderte
zuvor reisten die Novizen während ihrer Ausbildung von Tempel zu Tempel,
damit sie die möglichen Zielorte kannten, sollten sie später einmal zu
Hohepriestern gewählt werden.“
Inzwischen waren sie vor einer Tür angekommen und Gunag öffnet diese, um
den Blick in einen kleinen Raum freizugeben. Als Elessar hineinblickte
und das gewahrte, was er dort sah, hielt er einen kurzen Moment die Luft
an: der Alkoven glich dem in dem unterirdischen Tempel in Sha’Nurdra
aufs Haar und an der gegenüberliegenden Wand hing die gleiche Karte.
Elessar betrat den Raum und näherte sich der Karte, unter der die
gleiche Inschrift zu lesen war:

Ein weiter Weg mit einem einzigen Schritt,
überwindet im Nu
wer das Ende kennt und den Anfang betritt, braucht nur den rechten
Schlüssel dazu.
Eine kostbare Gabe ist dies, hat keinen Anfang und kein Ende und in der
Mitte nichts.
Als er sich umdrehte, bemerkte er, dass sowohl der
Ring am Finger des Hohepriesters, als auch das Muster auf dem Boden zu
glimmen schienen und schlagartig wusste er die Lösung zu diesem Rätsel;
er griff in seine Tasche und ertastete den Ring, den er in Sha’Nurdra
gefunden hatte - und einen weiteren Gegenstand... Verdutzt beförderte er
einen zusammengefalteten Bogen Pergament zutage und öffnete diesen, um
zu lesen, was in einer unregelmäßigen Handschrift darauf geschrieben
stand:
Junger Priester des Lichts, sorgt Euch nicht um Eure tierischen
Gefährten, sondern behaltet immer Euer Ziel vor Augen! Am Ende aller
Dinge werdet Ihr sehen und erkennen! F.
Lächelnd schüttelte er den Kopf und wandte sich erst an die Gefährten,
um ihnen mitzuteilen, dass ihre Pferde und tierische Freunde wohlauf
seien, dann wandte er sich Gunag zu, der an die Karte getreten war und
zu sprechen begann:
“Wenn man das Ziel kennt, kann man mit dem Schlüssel - dem Ring des
Hohepriesters - das Muster aktivieren und mit dessen Hilfe zu dem
gewünschten Ziel reisen. Nach der Aktivierung bleibt das Muster so lange
aktiv, bis man die „Kurzen Wege“ betreten hat; doch merkt auf: die Reise
verläuft nur in die eine Richtung. Unglücklicherweise kann ich Euch
nicht begleiten, denn Kämpfen ist mir fremd! Ihr müsst also den Ring des
Hohepriesters von Shana finden, um hierher zurückzukehren. Seid Ihr
dennoch bereit?“
Elessar nahm seinen Ring hervor, der sofort zu glimmen begann, und
zeigte ihn den Anwesenden; dann nickte er zuversichtlich und antwortete
für die Gruppe:
“Ich habe den Schlüssel, den der Letzte der Zwölf für uns
hinterlassen hat; wir sind bereit! Für Paladin! Für das Licht!“
Gunag nickte ebenfalls und antwortete “So sei es!“; dann drückte
er die Perle seines Ringes in die Vertiefung auf der Karte, die wohl den
Tempel der Sonne markierte und wiederholte diese Prozedur an einer
Stelle weiter westlich, die den Tempel des Mondes markierte. Sofort
flammte das Muster gleißend hell auf, so dass es fast schmerzte und eine
Art Nebel begann sich zu bilden; man hatte den Eindruck, es entstünde
ein Riss in einer Leinwand und dort wurde ein anderer Ort, der Zielort
sichtbar: ein spiegelbildlicher Raum, der jedoch im Gegensatz zu der
hier herrschenden Helligkeit fast dunkel wirkte. Elessar fasste
Carthangiel an der Hand und drückte sie zuversichtlich, dann rief er
Gunag zum Abschied zu “Wünscht uns Erfolg! Auf bald!“ und
unternahm den ersten Schritt in den Nebel... und fand sich in dem
Alkoven im Tempel des Mondes wieder.
~/~
Wenige Augenblicke befanden sich alle Gefährten in
dem Raum in Shana; der seltsame Nebel verzog sich und sie waren allein.
Elessar blickte sich um, ob alle wohlauf waren und schritt dann auf die
Tür zu, damit sie sich auf den Weg durch den Tempel machen konnten, um
Hinweise zu finden, wie sie ihre Aufgabe lösen konnten. Der Paladin
hatte gerade mit Carthangiel den Raum verlassen und hinter ihnen
drängten Kjeldor und Amras in den Gang, als die Tür zu einem Nebenraum
sich öffnete und ein Mann vor sie trat, der Elessar um mehr als zwei
Kopf überragte. Obwohl seine Rüstung verrostet und verschmutzt war, war
noch immer das Paladinsymbol auf der Brust zu erkennen und anhand der
Beschreibung konnte es sich nur um Graham handeln; der Mann sah sie fast
belustigt an und die Ordensbrüder spürten eine Botschaft in ihren
Gedanken:
“Fürwahr, Ihr seid endlich gekommen! Doch leider zu spät!“
Wie von Sinnen laut lachend rief der Mann dagegen, dass alle es hören
konnten:
“Nett, dass Ihr sogar jemanden mitbringt, der wie geschaffen für
meinen Meister ist!“
Graham rammte seinen Eisenschild gegen Elessar, der mit einem Aufschrei
nach hinten fiel und dabei Kjeldor und Amras umriss; im gleichen
Augenblick, in dem er den Schild losließ, ergriff er Carthangiel - die
kurz darauf einen brennenden Schmerz am Hals verspürte und in Ohnmacht
sank - und warf sich die zierliche Elfe wie einen Sack über die Schulter
und stürmte davon. Noch bevor die Ordensbrüder wieder auf den Beinen und
die anderen Gefährten aus dem Raum getreten waren, waren seine lauten
Schritte in den Gängen des Tempels verhallt, doch unbeirrbar machten die
Drachenritter sich auf, um ihre Gefährtin zu suchen. Nach wenigen
Augenblicken hatten sie sich den Grundriss des Tempels ins Gedächtnis
gerufen und folgten nun den Gängen in Richtung des großen Altarraumes.
Auf ihrem Weg bemerkten die Gefährten die Unterschiede zum Tempel der
Sonne: die Gänge waren mit Unrat übersät, Moder und Schimmel bedeckte
Wände und Decken und überall herrschte eine diffuse Dämmerung, die die
Sicht zwar nicht wirklich behinderte, aber auch nicht vereinfachte. Als
sie in dem Gang ankamen, der an der Stirnwand des Altarraumes entlang
zur Außentür führen musste, verhielten sie ihre Schritte; in der
Stirnwand klaffte ein riesiges Loch, das einen Durchgang in den
Altarraum schuf und ein unheiliges, grünlich flackerndes Licht warf
einen Lichtkreis auf den Boden im Gang, in dem sie standen. Vorsichtig
näherten sich die Gefährten diesem Durchlass, um hinein zu spähen und
beim Anblick, der sich ihnen bot, zu erstarren: Graham ehrfürchtig vor
dem Altar, der von zwei steinernen Gargoyles auf Podesten flankiert
wurde, kniend, während ein Priester in einer schwarzen Robe hinter dem
Altar ein dunkles Ritual durchführte. Erst beim zweiten Blick war zu
erkennen, dass Carthangiel reglos auf dem Altar lag und wohl Opfer
dieses Rituals werden sollte; dieser Anblick reichte, um die Gruppe in
den Altarraum stürmen zu lassen und auf Graham und den Priester
zuzueilen.
Der Priester gewahrte die heranstürmenden Gefährten und unterbrach sein
Ritual, um Graham in einer unbekannten Sprache einen Befehl zuzurufen;
dann hob er eine Art Zepter und deutete damit auf die Gargoyles, während
er in der gleichen Sprache wie zuvor, unverständliche Worte sprach. Die
Gefährten, die inzwischen die Mitte des Altarraumes erreicht hatten,
sahen sich Graham gegenüber, der sein Schwert in der Hand hatte und
hörten plötzlich ein Geräusch wie von berstendem Gestein. Sie gewahrten
Risse, die sich in den Statuen bildeten; dann schien sich unter dem
Stein etwas zu bewegen und von einer Sekunde auf die andere brach die
Steinhülle der Gargoyles völlig auseinander und mit einem
markerschütternden Geschrei breiteten die Monster ihre kleinen Flügel
aus und sprangen mehr, als sie schwebten, von ihren Podesten herunter
und griffen - Graham in ihrer Mitte - die Gefährten an. Auch aus den
hinteren Winkeln des Raumes war plötzlich das Knacken und Bersten von
Stein zu hören, während der Priester am Altar sein Ritual seelenruhig
fortsetzte.
Und schon waren die Gegner heran; während Graham direkt auf Kjeldor
zuhielt und mit seinem Schwert ausholte, griffen die Gargoyles die
verbliebenen Gefährten an; Emathelyos und Silver bildeten das
Schlusslicht und wurden von hinten attackiert, während die beiden
vorderen Gargoyles Varnayrah bzw. Elessar und Amras angriffen.
9. Kapitel
Als auch die Steinhüllen der beiden Gargoyle-Statuen
in den hinteren Ecken des Altarraumes geborsten waren und die Gegner
vereint auf die Gefährten eindrangen, kam es ihnen vor, als würde die
Hölle über sie hereinbrechen. Das durchdringende Gekreische der
Gargoyles, das an verzerrte Schreie von Greifvögeln erinnerte, schmerzte
in den Ohren und manch einer war versucht, sich dieselben zuzuhalten,
doch die Gefahr nahte und so machten sich alle bereit zum Kampf.
Amras riss seinen Bogen hoch und schoss einen Pfeil auf den Gargoyle,
der ihm entgegen eilte, doch handelte er zu übereilt und schoss daneben;
als der Gegner heran war und gerade zu einem Schlag mit einer seiner
Klauen ausholte, war jedoch Elessar zur Stelle. Der Paladin stand
seitlich von Amras und hatte anfangs den Blick auf den Altar gerichtet,
auf dem seine Liebste wie leblos lag und Opfer eines dunklen Rituals
wurde; als der Gargoyle heran war, riss er sich von dem Anblick der
Bognerin los und holte mit Gelmir zum Schlag aus. Der Gargoyle hatte
nicht mit diesem Angriff von der Seite gerechnet und so traf das Schwert
mit vollem Schwung die Kehle des Untiers und durchtrennte diese mit
einem Schlag, so dass der Gegner sich an die Kehle fasste und zu Boden
stürzte, wo er sich noch eine Weile zuckend und gurgelnd wand, während
eine grünliche Flüssigkeit zwischen seinen Klauen hervorsickerte, die
zischend auf den Boden tropfte. Kaum hatten die Zuckungen des Körpers
aufgehört, war ein eigenartiges Geräusch, das wiederum an das Knacken
von berstendem Gestein erinnerte, zu hören und die beiden Paladine
blickten auf eine am Boden liegende steinerne Statue eines Gargoyles in
eben der Haltung, in der das Monster kurz zuvor verendet war.
Auch Varnayrah hatte ihren Bogen griffbereit und versuchte, einen Pfeil
auf die Sehne zu legen, doch der Gargoyle war bereits zu nahe und hieb
ihr mit einem blitzschnellen Schlag seiner Klaue den Bogen aus der Hand,
so dass dieser ein paar Schritte entfernt zu Boden fiel; dabei schrammte
die Klaue über den Handrücken der Elfe und hinterließ eine tiefe,
brennende Schramme. Siegessicher leuchteten die Augen des Gargoyles auf
und er wollte gerade nachsetzen, als Varnayrah sich wegdrehte, einen
Schritt zurück trat und ihr Schwert mit einem hellen Ton aus der Scheide
fuhr; noch in der Drehung holte sie zu einem Schlag aus und schwang
Rao’Jathara in einer nach oben geführten Bewegung, die dem Monster den
Leib aufschlitzte. Die lederartige Haut platzte auf und eine
gallertartige Masse drang mitsamt einem Schwall der grünen Flüssigkeit,
die wohl das Blut dieser Bestien darstellte, hervor; der Gargoyle heulte
auf und, während er mit einer Klaue versuchte, die klaffende Wunde
zuzuhalten, zog er sich zwei Schritte zurück, machte sich jedoch dann
scheinbar bereit, noch einmal anzugreifen. Auch Varnayrah bemerkte das
Zischen, als die Tropfen des grünen Lebenssaftes auf den Boden
auftrafen, doch in der Zeit, in der der Gargoyle sich zurückzog, wandte
sie ihre Aufmerksamkeit Graham zu, der mit erhobenem Schwert auf Kjeldor
zuschritt und beschwor ihn, sich zu besinnen.
Der Hüne hielt einen Augenblick inne, als er Varnayrahs Stimme vernahm
und wandte den Kopf in ihre Richtung; einen Augenblick schien sich sein
Blick zu klären, doch dann ruckte sein Kopf wieder in Kjeldors Richtung
und er griff an. Mit einem mächtigen Schwung fuhr Grahams Schwert
nieder, doch Kjeldor hatte den Schlag erwartet und blockte diesen
scheinbar mühelos mit seinem Schild. Graham spürte den Ruck, der durch
die Blockade durch sein Schwert ging, bis in die Schulter seines
Schwertarmes und blickte sein Gegenüber ungläubig an; diesen Moment
nutzte Kjeldor, um den Vater der Zwölf über sein Gedankenmuster zu
beschwören, sich seines Schülers zu erinnern und sich vom Bösen
loszusagen. Nach wenigen Sekunden, die fast in Zeitlupe zu vergehen
schienen, wurden die Züge des einstigen Paladins weicher und zeigten
eine Spur des Erkennens und fast ein Lächeln, doch plötzlich ging erneut
ein Ruck durch Graham, er murmelte “Ja, Meister!“ und das Lächeln
wandelte sich zu einem diabolischen Grinsen. Sein Schwert fuhr erneut in
die Höhe und er bereitete sich auf einen zweiten Angriff vor, doch
Kjeldor war schneller; während er Elessar zurief, dass der Elf
Weihwasser einsetzen solle, führte er mit aller Wucht einen Schlag mit
Bar’Thyron gegen seinen einstigen Mentor aus, doch auch dieser Schlag
zeigte kaum Wirkung. Die Klinge konnte Grahams Plattenrüstung nicht
durchdringen und so stolperte dieser durch die Wucht des Schlages
lediglich zwei Schritte nach hinten.
Silver und Emathelyos hatten in der hinteren Reihe etwas mehr Zeit, sich
auf ihren Angriff vorzubereiten, da die beiden Gargoyles aus den
hinteren Ecken einen längeren Weg hatten. Die Amazone machte sich
schussbereit, doch statt sich auf den nahenden Gegner zu konzentrieren,
wandte sie sich noch einmal an Silver und rief diesem eine Warnung zu;
dies hatte zur Folge, dass sie ihren ersten Pfeil zu hektisch abschoss.
Der sich ihr nähernde Gargoyle sah den Angriff und hatte genügend Zeit,
sich zur Seite zu drehen und dem Pfeil auf diese Weise auszuweichen. Er
hatte jedoch nicht mit der Schnelligkeit der Amazone gerechnet; binnen
eines Augenblickes hatte sie einen weiteren Pfeil auf der Sehne,
visierte kurz an und schoss. Der Gargoyle hatte keine Chance; noch bevor
er den Kopf wenden konnte, um Emathelyos wieder anzuschauen und auf sie
zuzueilen, traf der Pfeil die Bestie ins Auge und durchbohrte das in dem
vogelähnlichen Kopf direkt dahinterliegende Gehirn. Die Bestie war
sofort tot, und als der Körper auf dem Boden aufschlug, war er bereits
zu Stein geworden und zersplitterte wie eine fallengelassene Tonschale
in Tausende von Scherben.
In der Zwischenzeit legte Silver in aller Seelenruhe einen Pfeil auf die
Sehne, zielte und schoss. Diesmal hatte der Elf Erfolg; sein Pfeil traf
den Gargoyle und durchschlug dessen Hals, doch obwohl das Monster vor
Schmerz und Wut aufheulte, schien die Verletzung nicht bedrohlich zu
sein, denn es hielt in seinem Schritt nicht inne und stürmte weiter vor.
Eilig ließ der Elf seinen Bogen fallen und zog sein Schwert aus der
Scheide, um den Angriff des Gegners zu blocken, doch er war nicht
schnell genug; die Klaue des Gargoyles zerfetzte die Kleidung des Elfen
und hinterließ eine tiefe Wunde quer über der Brust), die Silver
schmerzerfüllt nach hinten taumeln ließ. Der Gargoyle fasste derweil mit
einer seiner Klauen nach dem in seinem Hals steckenden Pfeil und
versuchte ihn herauszuziehen, stattdessen brach er ihn jedoch ab und
ließ das Bruchstück zu Boden fallen; dann spreizte er die Flügel und hob
bedrohlich die Klauen, um den Elfen erneut anzugreifen.
Während des gesamten Kampfes führte der Priester seelenruhig und
konzentriert - nur einen Moment war er in eine Art Trance versunken, in
dem er seinen Blick auf Graham richtete und Graham zur Bestätigung
“Ja, Meister!“ murmelte - sein Ritual durch, wobei er einen sich
rhythmisch wiederholenden Sprechgesang von sich gab, den keiner der
Drachenritter verstanden hätte, wenn er Gelegenheit gehabt hätte, dem
Ork-Priester seine Aufmerksamkeit zu schenken. Nur Carthangiel, die
inzwischen aus ihrer Ohnmacht erwacht war und mit Schreck festgestellt
hatte, dass sie sich weder bewegen, noch sprechen konnte, hörte die in
ihren Ohren furchtbar klingenden Worte des Orks, doch zusätzlich hörte
sie auch den Kampflärm und Panik stieg in ihr auf. Anfangs kämpfte sie
gegen ihre Hilflosigkeit und Ängste an, doch als sie merkte, dass sie
keinen Erfolg haben würde, zog sie sich in sich selbst zurück und
stimmte die Melodie ihres Seelenliedes an. So bemerkte sie nicht, dass
der Priester einen Ritualdolch zur Hand nahm und an ihrem linken Arm
direkt über der Narbe, die ihr einst in einer dunklen Stunde zugefügt
wurde, einen Schnitt anbrachte, aus dem anschließend langsam, aber
stetig ihr Lebenssaft dunkelrot in ein Gefäß floss, das der Priester
bereitgestellt hatte.
Nachdem Elessar den Gargoyle, der Amras angreifen wollte, getötet hatte,
hatte er sich wieder voll und ganz auf den Altar konzentriert und so nur
am Rande Kjeldors Aufforderung mitbekommen; geistesabwesend fasste er an
seinen Gürtel und griff dort eine Phiole Weihwasser, die er Kjeldor in
dem Moment, in dem Graham zurücktaumelte, in die Hand drückte, als er
plötzlich den Melodiebogen von Carthangiels Seelenlied spürte. Um ihr
Mut zu geben und ihr zu zeigen, dass sie nicht alleine war, stimmte er
laut das Salasandra an und versuchte so den Sprechgesang des
Ork-Priesters zu übertönen. In Gedanken bat er Paladin um Beistand und
schritt dann, Schwert und Schild hoch erhoben, auf den Altar zu, um den
Priester von der weiteren Durchführung seines Rituals abzuhalten. Der
Ork vernahm Elessars Stimme und blickte erschrocken auf ; als er sah,
dass der Elf sich dem Altar näherte, heulte er wutentbrannt auf und
legte den Ritualdolch auf den Altar, um sein Zepter zu ergreifen und
eine Beschwörung zu beginnen, die offensichtlich gegen den Paladin
gerichtet war. Im selben Moment fühlte Carthangiel eine seltsame Wärme,
die von ihrer Brust ausging - das Paladinsymbol, das sie an einer Kette
um den Hals trug, hatte begonnen, intensiv zu leuchten - und sie spürte,
wie wieder Leben in ihren Körper zurückkehrte und sie wieder Kontrolle
über ihre Muskeln erlangte. Langsam bewegte sie die Finger, um die
Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen zu testen und fühlte dabei den Griff
des Ritualdolches, der neben ihrer Hand lag.
10. Kapitel
Als Varnayrah bemerkte, dass Graham kurze Zeit auf
sie reagierte, dann aber Kjeldor weiterhin attackierte, wandte sie sich
wieder dem Gargoyle zu, der bereits zum nächsten Angriff ansetzte;
voller Erstaunen wurde sie sich bewusst, dass sie wohl etwas zu lange
gezögert hatte, denn die Bauchwunde hatte begonnen, sich wieder zu
schließen. Also verlor sie keine Zeit mehr; mit zwei schnellen Schritten
war sie bei ihrem Gegner und führte mit aller Kraft einen waagerechten
Schlag gegen dessen Kehle, worauf der Gargoyle sich an die Kehle fasste
und mit einem gurgelnden Geräusch in die Knie brach. Varnayrah verharrte
einen Augenblick, um zu sehen, ob sie sich gegen einen weiteren Angriff
würde verteidigen müssen, doch als sie den wankenden Gargoyle sah,
gewann sie den Eindruck, dass der Feind besiegt sei und entschloss sich,
sich nun endgültig Graham zuzuwenden. Langsam schob sie ihr Schwert in
die Scheide, schloss die Augen und konzentrierte sich voll und ganz auf
das Nurti’sandra, das an diesem Ort durch die Präsenz des Bösen so sehr
gedämpft wurde. Nach den ersten Tönen wechselte sie fast übergangslos in
ihr Iama’sandra und als sie darin genügend Kraft und Zuversicht gefunden
hatte, machte sie sich auf die Suche nach dem Melodiebogen von Grahams
Lied. Sie verlor sich völlig in ihrer Konzentration und Erschöpfung ließ
ihre Sinne zusätzlich abstumpfen, so dass sie nicht bemerkte, wie der
Gargoyle sich mit einer letzten Kraftanstrengung erhob und mit böse
funkelnden Augen auf sie zu taumelte, wobei mit jedem Atemzug der grüne,
ätzende Lebenssaft aus der Wunde am Hals pulsierte.
Amras sah, dass Silver verletzt wurde und machte sich bereit, auf den
Gegner des Bogners zu schießen, um diesen an einem erneuten Angriff zu
hindern. Unerwarteterweise fing Silver jedoch seinen drohenden Sturz ab
und nahm trotz seiner Verletzung allen Mut zusammen; noch bevor der
andere Gargoyle erneut angreifen konnte, stürmte der Elf mit dem Schwert
in der Hand auf diesen zu und rammte ihm die Klinge bis zum Heft in den
Bauch, so dass die Spitze auf der anderen Seite wieder austrat. Durch
den eigenen Schwung nach vorne gerissen, taumelten die beiden einige
Schritte weiter, was Silver zum Verhängnis wurde: Amras hatte zwar im
letzten Moment den Bogen verreißen wollen, doch durch das Straucheln
Silvers erwischte der Pfeil den Elfen an der rechten Schulter und drang
tief ins Fleisch. Auch Emathelyos hatte auf den Gargoyle gezielt, doch
sie erkannte die Gefahr, Silver zu treffen, eher und reagierte schnell
genug, um den Pfeil in eine andere Richtung zu lenken; als sie sah, dass
Silver schwer verletzt vor dem Gargoyle zusammenbrach, legte sie flugs
einen zweiten Pfeil auf die Sehne und schoss. Der Gargoyle hatte beide
Arme erhoben, um den vor ihm knienden Elfen mit einem letzten
verzweifelten Schlag der Klauen zu töten, doch der Pfeil der Amazone
drang unterhalb der Achsel in den Körper des Untieres ein und traf das
Herz, so dass dieses sofort starb. Der Gargoyle versteinerte in genau
der Haltung, die er gerade inne hatte und sowohl der Pfeil, als auch das
Schwert wurden ebenfalls zu Stein.
Nachdem Elessar Kjeldor die Phiole mit dem Weihwasser zugesteckt hatte,
versuchte der junge Paladin erneut, seinen einstigen Mentor über sein
Gedankenmuster zu erreichen, um ihn dazu zu bringen, sich von dem Bösen,
das ihn ergriffen hatte, zu befreien. Doch noch immer war die Macht des
Ork-Priesters groß genug, um Graham zu binden und so griff dieser erneut
an. Kjeldor reagierte bltizschnell und schleuderte die Phiole, die im
nächsten Augenblick auf dem Brustpanzer Grahams zerbarst, doch die
einzige Wirkung, die das geheiligte Wasser zeigte, war ein Blinzeln, das
die Spritzer, die die Augen des Hünen trafen, diesem entlockten. Doch
eben dieses Blinzeln führte dazu, dass Grahams Schlag die Wucht genommen
wurde und er somit Kjeldor nur einen Kratzer zufügte; durch den Schwung
nach vorne gerissen, rannte er jedoch offen in Kjeldors Gegenschlag. Da
der junge Paladin den älteren jedoch nicht töten wollte, hatte er den
Schlag nur halbherzig geführt und die Klinge Bar’Thyrons glitt erneut an
dem Plattenpanzer Grahams ab, ohne diesen zu verletzen. Und schon setzte
Graham mit einem irren Leuchten in den Augen nach.
Carthangiel hörte erst, wie Elessars Salasandra sich mit dem ihren
verband und fühlte die von dem Paladinsymbol ausgehende Wärme; als sie
dann auch noch Varnayrahs Gesang gewahrte und merkte, dass langsam
wieder Leben in ihre gelähmten Gliedmaßen zurückkehrte, gewann sie an
Zuversicht und verstärkte ihr Salasandra, damit die vier Stimmen
gemeinsam gegen den Sprechgesang des Ork-Priesters ankämpfen konnten.
Während ihre Finger vorsichtig über den Gegenstand, der neben ihrer Hand
lag, wanderten, hörte sie, wie der Ork begann, eine Beschwörung zu
intonieren; als sie den Gegenstand erkannte, packte sie den Griff des
Dolches und wagte es nun, ihre Augen zu öffnen, wobei ihre Blicke sofort
den dunklen Priester suchten. Sie schwang sich geschmeidig vom Altar, um
mit zum Stoß erhobenen Dolch auf den Priester zuzuspringen, doch noch
bevor ihre Füße den Boden berührten, sprang der Ork zur Seite und...
verschwand mit einem Aufschrei, dem das dumpfe Geräusch eines Aufpralls
folgte.
Als Carthangiel vom Altar gesprungen und der Priester plötzlich aus
seinem Blickfeld verschwunden war, hatte Elessar seine Schritte
beschleunigt und war um den Altar herum zu seiner Liebsten geeilt, die
er sofort in die Arme geschlossen hatte. Nun standen die beiden vor
einer Öffnung im Boden und blickten hinunter; eine kleine Treppe führte
in eine offensichtlich geheime Kammer unter dem Altar und am Fuß der
Treppe lag der Priester, das Zepter steckte im Körper des toten Ork und
war zerbrochen und eine Blutlache breitete sich rasch aus.
Varnayrah war der Erschöpfung nahe und stand kurz vor dem Zusammenbruch,
doch plötzlich hatte sie das gesuchte Lied gefunden; ein sanft
schwingender Melodiebogen, der von einem dichten, schwarzen Nebel soweit
eingeengt wurde, dass er fast vollständig zum Verstummen gebracht wurde.
Mit neuer Kraft rüttelte die Elfe an dieser Hülle, doch sie wurde
zurückgeworfen. Inzwischen hatte der noch lebende Gargoyle Varnayrah
fast erreicht und streckte gerade die Klauen aus, um die Elfe zu packen;
versunken in ihr Lied konnte sie den Gargoyle nicht bemerken und so
versuchte sie erneut, durch den Nebel zu dringen und ganz unerwartet –
sie sollte später erfahren, dass es der Moment war, in dem der Schrei
des Priesters erklang - löste der Nebel sich auf und sie war in der
Lage, den Melodiebogen mit dem ihren zu verflechten; während sie begann,
Graham von der Sonne und dem Licht, das ihn einst erfüllte, zu singen,
tat der Gargoyle seinen letzten Atemzug und erstarrte zu Stein.
Ein Vorhang schien vor Grahams Augen beiseite gezogen zu werden; sein
Blick klärte sich und er wurde aschfahl. Er starrte auf das Schwert in
seinen Händen, mit dem er gerade wieder auf Kjeldor hatte einschlagen
wollen und blickte dann auf seinen einstigen Schüler. Dann ließ er das
Schwert zu Boden fallen, schlug die Hände vor sein Gesicht und rief:
“ Was nur habe ich getan? Wie tief bin ich gesunken? O Gerechter,
welch schwere Bürde hast Du mir auferlegt?“
Er nahm die Hände vom Gesicht, blickte sich um und gewahrte außer
Varnayrah, die inzwischen völlig erschöpft ihren Gesang beendet hatte,
auch einige weitere Personen, die er nicht kannte. Dann sank er vor
Kjeldor auf die Knie und beugte das Haupt:
“Nicht weniger als den Tod habe ich verdient, um diese Schande wieder
gut zu machen!“
11.Kapitel
Der Kampf war vorüber; plötzlich und unerwartet
herrschte Stille, die Stille des Todes, die zumindest einen Moment lang
anhielt. Amras und Emathelyos hielten einen Moment die Luft an, weil sie
fürchteten, Silver hätte im Kampf gegen den Gargoyle und durch Amras
Fehlschuss sein Leben gelassen, Kjeldor und Varnayrah verharrten einen
Moment, als sie Grahams bemitleidenswerten Zustand gewahrten und
Carthangiel und Elessar blickten stumm auf den Leichnam des Orkpriesters.
Doch ebenso plötzlich kehrte Leben in die Gefährten zurück.
Amras eilte auf Silver zu, um zu sehen, ob er ihm helfen kann. Als er
merkte, dass dieser noch am Leben war, versuchte er sein Möglichstes, um
den Bogner zu heilen, doch er selbst war so von den Ereignissen
mitgenommen, dass sowohl sein Heilzauber, als auch sein Versuch, Silver
mittels der göttlichen Macht zu heilen, fehlschlugen. So blieb Amras
letztlich nichts anderes übrig, als dem Gefährten einen Heiltrank
einzuflößen, der diesem auch sofort zu neuen Kräften verhalf. Nachdem es
Silver wieder besser ging, machten die beiden Elfen sich auf den Weg zum
Altar, wo sie sich zu Carthangiel und Elessar gesellten. Emathelyos sah,
dass Amras sich um Silver kümmerte und wandte sich Kjeldor und Varnayrah
zu; als sie sah, dass es Kjeldor gut ging und Varnayrah sich so sehr auf
Graham konzentrierte, dass sie gar nicht bemerkte, dass sie angesprochen
wurde, wanderten ihre Blicke weiter zu Carthangiel und Elessar und sie
fragte die Elfe, ob sie verletzt sei.
Carthangiel, die sich gerade bei ihrem Liebsten für die Hilfe bedankt
hatte, schaute kurz zu der Amazone, um ihr zu antworten und wandte dann
ihren Blick wieder zu Elessar, als erwarte sie eine Aufforderung, die
unter ihr liegende Kammer zu untersuchen. Erst auf des Paladins
aufmunterndes Nicken hin, nahm sie ihre Waffen, die neben dem Altar auf
dem Boden lagen, auf und stieg zögerlich die Treppen hinab. Unten
angekommen, überblickte sie die geheime Kammer; sie war etwa anderthalb
Schritt breit, knapp sechs Schritt lang und recht niedrig. In diesem
Raum hatte der Moder noch keinen Einzug gehalten und so waren Wände,
Boden und Decken noch immer von demselben reinweißen Marmor, den sich
bereits in Shanu gesehen hatten. In der Mitte des Raumes gewahrte sie
zwei kleine Podeste, die leer waren und an der hinteren Stirnwand ein
weiteres Podest, auf dem die Statue eines Gargoyle stand. Langsam stieg
sie über die Leiche des Priesters hinweg und näherte sich der Stirnwand,
wobei sie im Vorbeigehen die beiden Podeste in Augenschein nahm, doch
nichts Auffälliges entdecken konnte. Das Schwert fest in der Hand und
immer wieder nervös auf die Statue blickend, hielt sie weiter auf die
Stirnwand zu; als sie direkt davor stand, streifte ihr Blick noch einmal
die Statue; hatten die Augen des Gargoyle gerade teuflisch aufgeblitzt?
Sie verspürte den Drang, mit dem Schwert auf die Steinfigur
einzuschlagen, doch noch hielt sie sich zurück. Unsicher trat sie an das
Podest und ließ ihre Blicke über die Stirnwand gleiten.
Als Varnayrah sich wieder etwas erholt hatte, öffnete sie die Augen und
lächelte, während sie in Grahams Richtung blickte, doch ihr Lächeln
erstarb, als sie dessen Worte vernahm, mit denen er Kjeldor um seinen
Tod bat. Die Elfe war fassungslos und unter Tränen forderte sie den
Freund auf, sein wiedergewonnenes Leben auf keinen Fall fortzuwerfen.
Anfangs konnte Kjeldor nur zustimmend nicken, doch dann richtete auch er
das Wort an seinen einstigen Mentor; selbstlos trat er auf ihn zu und
legte ihm trost- und vertrauenspendend seine Rechte auf das entblößte
Haupt und ermutigte den Paladin, wieder mit Zuversicht in die Zukunft zu
blicken, da er aus den Fängen des Bösen gerettet wurde. Er zog den Hünen
auf die Beine und reichte ihm unter Freudentränen sein Schwert mit den
Worten, dass er immer ein Verfechter des Guten bliebe. Elessar, der das
Geschehen mitverfolgt hatte, während Carthangiel sich in die
Geheimkammer begeben hatte, nickte Kjeldor wohlwollend zu und
übermittelte ihm über die Gabe:
“So ist es recht, mein Freund! Ich denke, dies war wohl die schwerste
Prüfung unter allen und vor allem Varnayrah und Euch haben wir es zu
verdanken, dass wir nicht scheiterten; Ihr habt soeben Mitgefühl über
alle Maßen gezeigt!“
Inzwischen waren Amras und Silver neben Elessar getreten und hatten die
nach unten führende Treppe entdeckt; der Paladin erklärte den beiden
kurz, dass Carthangiel bereits unten war und dass er vermute, dass es am
Altar einen Mechanismus geben musste, der die versteckte Tür betätigen
konnte. Da es ihm aber seltsam vorkam, dass seine Liebste noch immer
nicht zurück war, entschloss er sich, ebenfalls nach unten zu gehen. Als
er sich daran machte, die Treppe hinab zu steigen, machten Amras und
Silver sich daran, die ihnen zugewandte Seite des Altars nach einem
versteckten Knopf oder Hebel zu untersuchen und wurden auch bald fündig.
Elessar erreichte die letzte Treppenstufe und sah, dass Carthangiel
unschlüssig vor der Statue eines Gargoyle stand. Da in dem Raum nichts
anderes zu sehen war, kniete er bei der Leiche des Orks nieder und
untersuchte diese; das Zepter bzw. ein Bruchstück desselben steckte in
der Brust des Ork nahe des Herzen, während das andere Bruchstück auf dem
Boden neben der Leiche lag. Jetzt, wo es zerstört war, würden sie wohl
nie erfahren, welche bösen und zerstörerischen Mächte diesem Artefakt
innegewohnt hatten, aber letztendlich erfreute es den Paladin, dass ihm
die Bürde, das Zepter an einem sicheren Ort zu verwahren abgenommen
worden war. Er untersuchte die Leiche des Priesters näher, doch alles,
was er fand, war ein Ring an einem Finger, der dem seinen und dem, den
Gunag besaß, glich, wie ein Ei dem anderen: der Ring, der als Schlüssel
für die Kurzen Wege diente. Sie hatten also gegen den lange
verschollenen Hohepriester des Tempel des Mondes gekämpft und diesen
besiegt, auch, wenn er durch eine Unachtsamkeit in den Tod gestürzt war,
bevor sie ihm den Garaus hatten machen können. Da von diesem, laut den
Berichten Gunags, die ganze Gefahr ausging und sie in diesem Tempel auf
keine weiteren Feinde gestoßen waren, sollte dem Treiben des Bösen wohl
endgültig ein Ende gesetzt sein. Bei diesem Gedanken durchfuhr den
Priester ein Gefühl der Erleichterung und er nahm dem Ork den Ring vom
Finger; dann erhob er sich wieder und schritt zu seiner Liebsten, die
noch immer wie gebannt auf den Gargoyle und die Stirnwand starrte und
doch nichts entdecken konnte. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter
und sprach dann beruhigend auf sie ein:
“Mela en’coiamin, ich glaube nicht, dass von dieser Statue noch
irgendeine Gefahr ausgeht! Wir haben das Böse besiegt und jetzt ist es
nichts weiter als Stein! Diese Geheimkammer war wohl eine Art
Aufbewahrungsort, aber nun ist sie - warum, auch immer - leer; lass uns
zu den anderen zurück kehren.“
Als die beiden Elfen nach oben kamen, berichteten Amras und Silver
gerade von ihrer Entdeckung des Mechanismus, mit dem man die Geheimtür
öffnen konnte und Graham, der noch immer niedergeschlagen zu Boden
blickte, wandte seinen Blick auf Kjeldor und meinte:
“Ihr werdet hier in der Kammer nichts finden; der Hohepriester hatte
einmal erwähnt, dass er hier nur noch das Zepter, das er benutzte,
gefunden hatte; alle anderen Artefakte müssen wohl vor sehr langer Zeit,
möglicherweise sogar, bevor der Tempel damals abgeriegelt wurde,
weggeschafft worden sein. Allerdings war der Ork der Meinung, dass es in
Shanu eine analoge Kammer geben müsse, die er hatte plündern wollen,
sobald er genügend Untergebene um sich geschart hatte.“
Plötzlich glomm etwas wie Hoffnung in Grahams Augen auf und er fuhr
fort:
“Nun, wenn Ihr der Meinung seid, ich solle weiterleben, dann werde
ich alles Mögliche tun, um Abbitte zu leisten! Ich werde Euch zunächst
nach Shanu begleiten und mich dort in die Obhut der Priester im Tempel
der Sonne begeben!“
So beschlossen die Gefährten, sich zu dem Alkoven zurück zu begeben, von
wo aus sie nach Shanu zurückkehren konnten; unterwegs befragte Elessar
Graham, wie er überhaupt an diesen Ort gekommen und wie es dem dunklen
Priester gelungen sei, sich seiner zu bemächtigen. Graham überlegte
einen Moment, wo er wohl seinen Bericht beginnen sollte, doch dann
sprudelten die Worte nur so hervor:
“Nach dem Krieg gegen Taros wollte ich zu einer Pilgerreise
aufbrechen, um mich meinen Meditationen hingeben zu können; ich wollte
mir Klarheit über unsere Ziele zur Neugründung des Ordens verschaffen,
weil wir zu dieser Zeit große Schwierigkeiten hatten, weitere Anhänger
zu finden. In der Nacht vor meinem Aufbruch hatte ich dann eine Vision,
die mir die Vorgänge in diesem Tempel vor Augen führten und ich wurde
mir bewusst, dass meine Hilfe benötigt würde. So machte ich mich auf den
Weg und gelangte nach vielen Tagen schließlich über das Aramonland nach
Shanu, wo ich auf die seltsamen Orks, die sich der Heilung und dem Guten
verschrieben hatten, traf. Sie berichteten mir von eben jenem Problem,
das ich in meinen Träumen gesehen hatte und so versprach ich, ihnen zu
helfen.
Der dortige Hohepriester schickte mich über diese seltsamen magischen
Portale nach Shana und dort angekommen, machte ich mich erst einmal
daran, den Tempel auszukundschaften. Ich verbrachte einige Tage und
Nächte damit, mir die Örtlichkeiten genau anzuschauen und
herauszufinden, was die Orks hier überhaupt trieben; dann eines Nachts
hatte ich wieder eine Vision, die mir die Vorgänge in Nighton vor Augen
führten und da ich mir große Sorgen machte, schloss ich mich in einem
der verlassenen Räume ein, um in tiefer Meditation die Vorgänge von
nahem zu beobachten.“
Grahams Stimme war immer leiser geworden und nun blickte er betreten auf
den Boden vor sich; dann fuhr er noch niedergeschlagener fort:
“Fürwahr, ich weiß, es war leichtsinnig, die Weitsicht zu gebrauchen,
obwohl ich alleine war, aber ich musste wissen, was in der Heimat
vorging! Nun, ich wurde von den Orks entdeckt und da ich in diesem
hilflosen Zustand war, war es ihnen ein Leichtes, mich zu überwältigen
und mich zu dem Hohepriester zu bringen. Er vollzog ein magisches
Ritual, während dem er mir einen Teil meines Blutes entnahm und dieses
trank und fortan hatte er alle Macht über mich! Zuletzt war das Böse in
mir so stark, dass ich kaum noch die Kraft hatte, über die Gabe zu
kommunizieren.
So erfuhr er auch von dem Orden und meinen zukünftigen Ordensbrüdern und
sandte seine Schergen aus, um diese aufzuhalten, denn auch er konnte
sich denken, dass sie sich zu gegebener Zeit auf den Weg machen würden,
um mich zu suchen. Er brachte sie nach Shanu, von wo aus sie sich über
Land nach Dragonia begeben sollten; es war eine gut bewaffnete Gruppe
und es mag sein, dass sie noch immer unterwegs sind, da sie von mir zu
der Zeit ihres Aufbruchs keine genauere Ortsangabe als Dragonia erhalten
hatten.“
An dieser Stelle unterbrach Kjeldor den Redefluss seines Mentors und
berichtete in aller Kürze von dem Kampf und dem Sieg gegen die Orks im
Wald nahe Drachenauge, wobei er jedoch in diesem Moment die Einzelheiten
über Fizban verschwieg; dazu würde man später bei ausführlicheren
Gesprächen noch Gelegenheit finden. Als der junge Paladin seinen Bericht
beendet hatte, herrschte einen Moment Schweigen, den Elessar nutzte, um
seinem Ordensbruder über sein Gedankenmuster eine überfällige Frage zu
beantworten:
“Nun, werter Freund, dieser Bericht Grahams beantwortet auch Eure
Frage, zu deren Beantwortung ich bei unserer Ankunft in diesem Tempel
des Bösen keine Gelegenheit mehr fand: wir hatten also mitnichten
Zuhörer in Sha’Nurdra, denn wäre das der Fall gewesen, hätte der Feind
uns die Orks über die Kurzen Wege direkt nach Sha’Nurdra gesendet - und
dazu hätte er auch sein Ziel kennen müssen, wie wir aus dem Rätsel um
diese Reisemöglichkeit wissen - und nicht auf dem Landweg; es war also
einzig der vermeintliche Verrat Grahams, der sie auf unsere Spur
gebracht hat.“
Inzwischen war die Gruppe in dem Raum mit dem Alkoven angelangt und
Elessar aktivierte das Muster mit seinem Ring; wie zuvor wallte der
Nebel wieder auf und der analoge Raum in Shanu wurde sichtbar.
Nacheinander traten die Gefährten hindurch, um sich im selben Moment im
anderen Zwillingstempel wiederzufinden, wo sie bereits von Gunag und
einer Gruppe der Ork-Priester in ihren weißen Gewändern erwartet wurden.
Sie waren erfreut, die Gefährten in Begleitung Grahams gesund
wiederzusehen und weit größer war die Freude, als sie erfuhren, dass der
Hohepriester des Tempels des Mondes endgültig besiegt und getötet worden
war. Schnell berichteten die Drachenritter von den Ereignissen und
Elessar händigte Gunag den Ring des Hohepriesters aus; dann machten sie
sich umgehend auf den Weg in den Altarraum, um den geheimen Zugang zu
der Kammer unter dem Altar zu finden.
Im Altarraum wurden die Gefährten einschließlich Graham von den
anwesenden Orks untersucht und eventuell vorhandene Wunden versorgt;
dann schaute Silver sich den Altar genauestens an, um den Mechanismus zu
finden, der die Geheimtür öffnen sollte. Es dauerte nicht lange, da fand
sich der Hebel an einer Stelle, die seltsamerweise spiegelbildlich zu
der Stelle lag, an der der Hebel in Shana gelegen hatte und die Tür
öffnete sich, allerdings ebenfalls spiegelbildlich. Erwartungsvoll
blickten alle die kleine Treppe hinab und endlich schritt Elessar die
Stufen hinab in die kleine Kammer. Unten angekommen blieb der Priester
voller Ehrfurcht stehen; auch dieser Raum enthielt zwei Podeste, die
jedoch im Gegensatz zu den anderen beiden in Shana nicht leer waren.
Stattdessen standen zwei Waffenständer aus dunklem Eichenholz darauf,
die jeweils ein halbes Dutzend blinkender Kriegshämmer enthielten; sie
standen da, als wären sie gerade erst poliert worden und warteten nur
darauf, im Kampf geführt zu werden. Elessars Herz tat einen Sprung, als
er näher trat und voller Bewunderung ließ er seine Hände über die
Schäfte der Waffen gleiten und erschauerte vor der göttlichen Macht, die
sie offensichtlich innehatten. Als seine Hände über den Griff des
dritten Kriegshammers im ersten Ständer glitten, gewahrte er ein
seltsames Prickeln, als wolle die Waffe ihm etwas mitteilen und er
betrachtete sie genauer; auf einer Seite des Waffenkopfes fand er eine
Gravur, die eben das Symbol darstellte, das seine Position im Orden -
der Geist der Zwölf - bezeichnete und das auch durch eine Intarsie im
Tisch der Zwölf seinen Platz kennzeichnete. Doch für eine nähere
Betrachtung der legendären Waffen würde sich später noch Zeit finden;
der Paladin schritt weiter und ließ seinen Blick weiter durch den Raum
streifen. An der Stirnwand fand sich ebenfalls ein Podest, das im
Gegensatz zu dem in Shana keine Statue beherbergte; stattdessen lag auf
diesem Podest ein kleines, in schlichtes schwarzes Leder gebundenes
Buch, dessen Einband unbeschriftet war. Der Paladin öffnete es und
überflog die ersten Seiten; dann schob er es in eine seiner Taschen.
Dann schritt er zu dem ersten der Waffenständer zurück, nahm die sechs
Kriegshämmer vorsichtig auf und stieg die Treppe wieder hinauf; als er
oben ankam, blickte er erfreut in die Runde und sprach:
“Meine Freunde, unsere Mühen wurden von Erfolg gekrönt! Wir haben das
Erbe der Zwölf wiederentdeckt!“
12. Kapitel
Als Elessar mit den Kriegshämmern auf dem Arm aus der
Kammer trat und verkündete, dass sie erfolgreich gewesen waren, sah man
auch den Gefährten an, dass sie sich freuten. Varnayrah beglückwünschte
ihn als Erste, doch merkte man ihr auch zugleich das Erstaunen über die
auf den ersten Blick plump anmutenden Waffen an; immer wieder kehrte ihr
Blick zu den Kriegshämmern zurück. Der Paladin legte die sechs Hämmer
vorsichtig nieder, als Emathelyos auch schon herbei kam und ihn, ebenso
wie die anderen vor ausgelassener Freude stürmisch umarmte; erstaunt,
doch auch erfreut blickte er die Amazone an, die sich jedoch sofort
verlegen zu Kjeldor zurückzog. Während Amras fragte, ob außer den Waffen
noch etwas zu finden war, dankte Kjeldor den Anwesenden bereits für ihre
Hilfe bei dieser Mission und Carthangiel erwiderte diesen Dank im Namen
der gesamten Waldläufergilde. In der Zwischenzeit war Kjeldor die
Treppen hinab gestiegen und kam nun mit den übrigen sechs Waffen wieder
herauf, die er ebenfalls vorsichtig zu den anderen legte, bis auf die,
die das Zeichen des „Herz der Zwölf“ trug; bedächtig wog er den Hammer
in seinen Händen und versuchte, sich mit dem Gefühl der Waffe vertraut
zu machen. Als er sie zu den anderen legte, nahm Elessar das Buch aus
seiner Tasche und ergriff das Wort:
“Nun, Amras, um Eure Frage zu beantworten, ob noch etwas in der
Kammer zu finden war: ja, dieses Buch mit einer Anleitung zum Training
im Umgang mit den Kriegshämmern habe ich gefunden und wir werden es
weise nutzen, um uns mit der Kampftechnik mit der legendären Waffe des
alten Ordens vertraut zu machen.“
Er steckte das Buch wieder weg und fuhr an Gunag gewandt fort:
“Werter Gunag, ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr wohlmöglich
Tücher oder Ähnliches besorgen könntet, damit wir die Kriegshämmer
sorgfältig einwickeln können.“
Dann richtete er das Wort an die Gefährten:
“Auch ich möchte Euch, wie Kjeldor zuvor, meinen herzlichen Dank
aussprechen! Ohne Euch wäre diese Mission zum Scheitern verurteilt
gewesen und Eurem beherzten Eingreifen haben wir es zu verdanken, dass
das Erbe gefunden und der Gründervater unseres Ordens vom Bösen errettet
werden konnte!“
Er legte den Arm um Carthangiel und zog sie liebevoll an sich:
“Und durch schnelles Handeln konnten wir Schlimmes vereiteln, als
Carthangiel in die Hände des dunklen Priesters gefallen war. Auch dafür
schulde ich Euch auf ewig Dank!“
Inzwischen war Gunag wieder erschienen und brachte weiße Tücher, in die
man die Kriegshämmer sorgfältig einwickeln konnte; anschließend teilte
er den Gefährten mit, dass die Priester von Shanu den nGefährten zu
Ehren ein Festessen veranstalten wollten und lud sie in den
Versammlungsraum des Tempels ein, wo eine große Tafel mit den besten
Speisen und Getränken gedeckt war. Alle nahmen Platz und konnten im
Anschluss sowohl das Mahl, als auch die Gesellschaft zum ersten Mal seit
einiger Zeit wieder ausgelassen genießen; viele Gespräche wurden geführt
und bevor sie sich am Ende der Feier für die Nacht zurück zogen, wandte
Elessar sich noch einmal an die Gefährten:
“Freunde, sicher werdet Ihr Euch auch bereits Gedanken um unsere
Heimreise gemacht haben; da Ihr mit Eurer Hilfe unser vollstes Vertrauen
verdient habt und ich mir Eures Stillschweigens sicher bin, will ich
Euch heute mit einem Gildengeheimnis vertraut machen. Ihr habt die Macht
der „Kurzen Wege“ kennen gelernt und wisst inzwischen, dass sie das
Reisen zu gewissen Zielen erlauben, solange man diese Ziele kennt.
Nun, auch in Sha’Nurdra existierte vor Jahrhunderten ein Tempel, nämlich
der Tempel des alten Ordens der Zwölf, der einen Alkoven mit dem Muster
der „Kurzen Wege“ beherbergte. Wir haben diesen Tempel vor unserer
Abreise entdeckt und dort habe ich auch den Ring gefunden, mit dem ich
unsere Rückkehr von Shana nach Shanu ermöglichen konnte, aber zu der
Zeit unserer Abreise war ich mir der Wirkung dieses Ringes nicht
bewusst. Und da ich den Alkoven in Sha’Nurdra bereits einmal betreten
habe, können wir die „Kurzen Wege“ auch für unsere Heimkehr nutzen!“
Der Paladin blickte in die Runde und versuchte, die Blicke der Gefährten
zu deuten; dann fügte er hinzu:
“Das Betreten der Ruinen des alten Tempels, das derzeit nur über
einen geheimen Zugang in unserem Versammlungsraum möglich ist, ist somit
ein weiteres Privileg, das Euch zuteil wird, doch ich bin mir sicher,
dass dieses Zeichen des Vertrauens ein weiteres Mittel ist, das unsere
Gilden zusammenschweißen und unsere zukünftige Zusammenarbeit
ermöglichen wird, so dass ich Euch keinen Eid abverlange, dass Ihr über
diesen Tempel - zumindest vorerst - absolutes Stillschweigen bewahrt.
Doch sollten wir uns, bevor wir unsere Heimreise antreten, noch zur Ruhe
begeben, denn auch, wenn der Weg kurz sein wird, so liegen doch einige
Strapazen hinter uns, die etwas Erholung rechtfertigen.“
So begaben sich die Gefährten nach und nach zu den ihnen zugewiesenen
Lagern und jeder, dem nach erholsamen Schlaf zumute war, nutzte die
Gunst der Stunde. Elessar blickte Carthangiel fragend an, ob auch sie
ein wenig schlafen wollte und bat anschließend einen der Orks, sie zu
ihrer Schlafstatt zu führen. Am nächsten Morgen traf man sich erneut in
der Versammlungshalle des Tempels, wo ein ausgiebiges Frühstück für die
Gefährten bereit stand; erst nach einer Weile, als sie ihr Frühstück
beendet hatten, gesellten sich Graham, Gunag und einige andere Orks zu
ihnen und man merkte Graham an, dass er wohl wieder mit sich und dem
Gerechten im Reinen war.
Elessar bemerkte, dass der Hüne den Ring des Hohepriesters von Shana am
Finger trug und so verwunderte es ihn nicht, als Graham eröffnete, dass
er in der Nacht ein ausgiebiges Gespräch mit Gunag geführt hatte und
davon berichtete, wobei er sich hauptsächlich an Elessar und Kjeldor
wandte:
“Meine Ordensbrüder, der Zeitpunkt des Abschieds ist nahe! Doch es
wird, so hoffe ich, kein bitterer Abschied sein, denn obwohl ich Euch
nicht begleiten werde, muss dies kein Abschied für immer sein! Ich habe
mich heute nacht lange mit Gunag unterhalten und hinterher bin ich in
Gebeten und Meditationen zu einem Entschluss gekommen: ich werde hier
verweilen und helfen, Shana wieder aufzubauen und den Tempel wieder dem
Licht zuzuführen. Jetzt, wo wir das Böse dort besiegt haben, werde ich
mit der Hilfe der Priester des Tempels der Sonne den Unrat und die
Trümmer im Tempel des Mondes beseitigen und alles wieder auf Hochglanz
bringen. Und so Paladin will, wird es mir gelingen, dass eines Tages die
Zugänge wieder geöffnet werden und das Volk in der Umgebung wieder ohne
Angst zu diesem Tempel aufblicken kann! „
Elessar nickte bei diesen Worten verstehend und legte dem Ordensbruder
eine Hand auf den Unterarm:
“Werter Graham, mir war es nicht vergönnt, Euch bei meiner Ankunft in
Sha’Nurdra kennen zu lernen, doch nun, da ich Euch kennen gelernt habe,
muss ich sagen, dass jedes Wort, das mein Freund Kjeldor mir über Euch
berichtet hat, der Wahrheit entsprechen muss. Ihr seid ein wahrer Diener
des Lichts! Und grämt Euch nicht; Euer Platz an der Tafel der Zwölf wird
Euch jederzeit erwarten, solange der neue Orden besteht!“
Nun sollte das große Verabschieden beginnen, doch Gunag klatschte
unvermittelt in die Hände und ergriff noch einmal das Wort:
“Freunde, bevor Ihr nun von uns scheidet, wollen auch wir, die
Priester der Sonne, Euch für Eure Hilfe danken! Wir sind keine Kämpfer
und üben den Umgang mit Waffen nur, wenn wir diese zur Jagd benutzen,
aber dafür verstehen wir uns umso mehr auf die Rüstkunst, denn nur so
können wir in manchen Situationen größere Verletzungen vermeiden. Graham
hat mir in der Nacht noch versichert, dass die gefundenen Waffen seinen
Brüdern Belohnung genug sein würden, doch für die anderen unter Euch
haben wir noch eine spezielle Gabe...“
Der Hohepriester wies auf die ihn begleitenden Orks, von denen jeder ein
sonderbares Rüstungsteil auf den Händen präsentierte; es war eine Art
Kombination eines Handschuhs mit einer Armschiene, an deren oberen Ende
ein kleiner, im Durchmesser ungefähr einen Fuß messenden, Schild
befestigt war. Auf dem Handrücken, sowie auf dem Schild prangte eine
goldene Sonne, die dem Ordenssymbol der Orks in Größe und Aussehen
glich. Die vier Orks traten vor die vier Waldläufer und boten diesen
diese Gabe mit einer angedeuteten Verbeugung, die tiefen Respekt und
größten Dank repräsentierte, dar, während Gunag fortfuhr:
“Diese Rüstungen bieten dem Arm eines Bogenschützen, der den Bogen
hält, optimalen Schutz vor Verletzungen, denn das Leder ist speziell
gearbeitet und gehärtet und auch der Holzschild ist mit einer Schicht
dieses besonderen Leders überzogen. Nehmt dieses Geschenk als Dank für
Eure Heldentaten und zur Erinnerung an unseren Tempel!“
Zuletzt reichte er Elessar noch einen ansehnlichen Ledersack, in dem man
die Goldmünzen klimpern hörte.
“Und dieses Gold stellt Euch der Tempel zur freien Verfügung; teilt
es ganz nach Belieben unter Euch auf!“
Elessar nahm das Gold entgegen und verbeugte sich:
“Habt Dank! Ich bin sehr erfreut, dass wir auf diesem Wege zu Eurem
Tempel gefunden haben und wäre sehr erfreut, wenn Ihr mir erlauben
würdet, Euch ab und an zu besuchen! Das Gold jedoch sollen auch unsere
Freunde von der Waldläufergilde erhalten, da wir derzeit über
ausreichend Gold in unserer Gildenkasse verfügen!“
Endlich hatten sich alle bedankt und veranschiedet und man machte sich
auf den Weg zu dem Raum mit dem Alkoven; Elessar, der einen Teil der in
Tücher gewickelten Kriegshämmer transportierte, während die restlichen
von den anderen Ordensbrüdern verwahrt wurden, aktivierte das Muster,
indem er die Perle seines Rings erst in die Mulde drückte, die Shanu
repräsentierte und sie dann in die Mulde einführte, die Sha’Nurdra auf
der Karte repräsentierte. Während der Nebel aufwallte und der Raum auf
der Gegenseite langsam sichtbar wurde, wandte er sich an Carthangiel und
reichte ihr, wie bei ihrer ersten Reise über die „Kurzen Wege“, seine
Hand und lächelte sie an. Seine Finger umschlossen die ihren zärtlich
und drückten sie liebevoll, dann wandte er sich noch einmal um und
nickte Gunag und Graham zum Abschied zu und vermochte seinen Augen nicht
zu trauen; doch er war fest überzeugt, dass - und er hätte das später
jederzeit unter Eid wiederholt – neben Graham eine in gleißendes Licht
gehüllte Gestalt mit einem langen weißen Bart und einem zerbeulten,
spitzen Hut auf dem Kopf stand und dem Hünen eine Hand auf die Schulter
gelegt hatte und den Gefährten lächelnd zum Abschied zuwinkte. Ob die
anderen dies wohl ebenfalls bemerkt hatten? Der Priester nickte
verstehend in Fizbans Richtung und erwiderte das Lächeln, dann wandte er
sich endgültig um und schritt in den Nebel.
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In Sha’Nurdra angekommen, führte Elessar die
Gefährten durch den Geheimgang zu dem Loch in der Decke, das zum
Versammlungsraum der Gilde führte; dort wurde den Gefährten die Ehre
zuteil, am Versammlungstisch der Zwölf Platz zu nehmen. Der Priester
bedankte sich noch einmal ausgiebig für die Hilfe der Waldläufer und
erklärte nach einem Blickwechsel mit Kjeldor und dessen bestätigenden
Nicken dem überraschten Amras dann vor allen Anwesenden, dass er sich in
Kürze auf seine Weihe zum Paladin freuen dürfe, die das Ende seine
Novizenzeit bedeuten würde. Dann entschuldigte er sich jedoch, denn er
wollte unbedingt nach draußen, um zu sehen, wie es Shi’ouya und Var’sha
ging.
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