Nach einer schnellen Reise
ohne Zwischenfälle ritt Elessar gemächlich durch das Stadttor von
Drachenauge, um sich auf dem Weg zum Hafen zu machen. Obwohl die Sonne
inzwischen fast das Firmament erreicht hatte und hell strahlend den
einzigen Farbtupfer auf einem sonst wolkenlosen blauen Himmel bildete,
reichte ihre Kraft an diesem Herbsttag bei weitem nicht mehr aus, um zu
einer angenehm zu nennenden Temperatur zu führen. Das in der Lautstärke
zunehmende Kreischen der Möwen kündete von der Nähe des Hafens und der
Paladin zog seinen Umhang ein wenig fester um sich, denn als er sich dem
Wasser näherte, hatte er das Gefühl, die Temperatur würde noch weiter
fallen und ein leichter Wind erreichte das Land aus Richtung des Meeres
und spielte mit den langen Haaren des Elfen. Das geschäftige Treiben im
Hafen schien Var'sha, dem Falken, der Elessar an diesem Tag begleitete,
nicht zu gefallen, denn unruhig drehte er den Kopf und äugte hierhin und
dorthin, bevor er sich mit einem schrillen Schrei in die Luft erhob und
sich auf dem Rand des Feuerkorbes, dessen Feuer in der Nacht den
Schiffen den Weg zum Hafen wies und das zu dieser Stunde bereits lange
erloschen war, auf dem Dach des Hafengebäudes niederließ. Die Höhe und
der damit gewonnene Abstand zu dem Gewirr aus Personen und Karren mit
Waren schien den Falken wieder zu beruhigen, denn nach einigen weiteren
Flügelschlägen blieb er majestätisch umherblickend ruhig sitzen.
Mit leichtem
Schenkeldruck lenkte Elessar seine Stute Shi'ouya zum Hafengebäude,
sprang dort von ihrem Rücken und gab ihr, während er sie zwischen den
Ohren kraulte und ihr sanft durch die Mähne strich, durch ein paar
geflüsterte elfische Worte zu verstehen, dass sie warten solle. Dann
betrat er das Gebäude und fragte dort, ob das erwartete Schiff aus Isua
bereits eingetroffen sei und wo er es finden könne. Nachdem man ihm den
Weg zu dem entsprechenden Liegeplatz erklärt hatte, eilte der Paladin
über das Kai zu der besagten Stelle und kam gerade rechtzeitig zum
Beginn der Löscharbeiten; die Passagiere würden also noch ein Weilchen
auf sich warten lassen und so schaute er teils interessiert den
Schauerleuten bei ihrer Arbeit zu, teils versuchte er, seine von
freudiger Erwartung hervorgerufene Unruhe durch eine Meditationsübung zu
mindern. Es war nun schon fast ein Jahr vergangen, seit er den Tempel
seines Ordens im Silmataurea verlassen hatte und der unregelmäßige
Austausch von Nachrichten, deren Überbringung durch einen Boten immer
mehrere Wochen in Anspruch nahm, hatte zwar dazu geführt, dass er über
die Geschehnisse in seiner Heimat ebenso unterrichtet war, wie der Orden
des Lichtes über seine Arbeit, aber seit seiner Abreise hatte er mit
keinem der Angehörigen des Ordens ein persönliches Gespräch geführt.
Umso mehr hatte es ihn gefreut, als er in der letzten Nachricht die
überraschende Neuigkeit gelesen hatte, dass er heute außergewöhnlichen
Besuch erwarten dürfe.
Inzwischen waren die
Löscharbeiten beendet und die ersten Passagiere verließen das Schiff
über die breiten Planken, die die Distanz von der Bordwand zur Kaimauer
überbrückten. Elessar trat näher heran, um im rechten Augenblick zur
Stelle zu sein und wartete auf das Erscheinen seines Gastes, doch erst
einige Minuten, nachdem alle Passagiere das Schiff verlassen hatten,
erschien eine weitere Gestalt an der Reling. Eine in eine himmelblaue
Robe gekleidete, schlanke, hochgewachsene Lichtelfe mit hüftlangen
schneeweißen Haaren, die unbändig über ihren Rücken wallten und den
Eindruck erweckten, als könnten sie Licht selbst in tiefste Dunkelheit
tragen und diese auf ewig bannen, trat auf die Planken und schritt dem
Paladin lächelnd entgegen. Glatt und alterslos waren ihre Züge, doch
ihre Augen verrieten die Kraft und Weisheit des hohen Alters und obwohl
ihre Erscheinung von Stolz und Würde gezeichnet war, vermittelte sie
doch den Eindruck einer Person, deren Leben von Demut, anstelle von
Hochmut geprägt wurde.
Als die beiden Elfen
sich gegenüber standen, strahlten Elessars Augen vor Freude, doch er
legte seine rechte Hand auf seine linke Brust über sein Herz, verbeugte
sich und sprach:
"Lle silma aa'sil
ten'oio, Atara en me'a!"
Er kniete vor ihr
nieder, wobei er den Kopf beugte und wartete, bis sie an ihn herantrat
und ihre Hand leicht auf seinen Kopf legte; anschließend erwiderte sie
die rituelle Begrüßung mit den Worten:
"Ar'lle elen aa'tait
amin silma ten'oio!"
Der Paladin erhob sich
und nun, da die rituelle Begrüßung abgeschlossen war, lachte er auf und
umarmte die Elfe herzlich. In diesem Augenblick traten zwei weitere
Personen auf die Planken, um das Schiff zu verlassen. Elessar kannte die
beiden; der Zwerg namens Brandur Feuerschmied und die Waldelfe Fianna
Sternenkind waren ein ebenso ungleiches, wie herausragendes Paar, was
sie bereits auf vielen Reisen, die sie seit mehr als einem Jahrzehnt nur
noch gemeinsam unternahmen, unter Beweis gestellt hatten; während
Brandur mit seiner riesigen Doppelaxt, die von einem unbekannten Zwerg
aus bestem Stahl geschmiedet und danach mit elfischen Schutz- und
druidischen Stärkezaubern belegt worden war, im Nahkampf nahezu
unbezwingbar war, verließ Fianna sich mehr auf ihren elfischen Bogen,
der bisher noch nie sein Ziel verfehlt hatte. Heute erweckten sie den
Eindruck, dass sie völlig unbeteiligt wären und bildeten während dieser
Reise wohl die Leibwache der Ordenshüterin. Als die beiden Leibwächter
neben Elessar und Elenlantar Ranar, so der Name der Mutter des Lichts,
zum Stehen gekommen waren, legte der Paladin erneut seine Rechte auf die
Brust über dem Herzen und grüßte die beiden mit einem freundlichen
Nicken; dann wandte er sich wieder an die Ordenshüterin:
"Es ist mir eine
Freude, Euch hier begrüßen zu dürfen und ganz besonders freue ich mich,
dass Ihr mir die Ehre erweist, auch weiterhin meine Lehrmeisterin zu
sein!
Wenn es Euch genehm
ist, dann würden wir noch heute meine Ausbildung beginnen, da die
Akademie, an welcher wir diese durchführen müssen, sich hier in der
Hauptstadt befindet. Sobald diese abgeschlossen ist, würden wir die
Reise in die Elfenstadt antreten, wo der Hauptsitz des neuen Ordens zu
finden ist."
Elenlantar nickte und
antwortete:
"Und mir ist es eine
Freude, Euch noch immer wiss- und lernbegierig zu sehen! Mit diesem
Wissen ist es mir ein Leichtes, die Neuigkeiten über den neuen Orden
erst morgen zu erfahren."
Der Paladin lachte leise
auf und deutete mit einer angedeuteten Verbeugung in Richtung des
Hafengebäudes, während er sprach:
"So lasst uns
aufbrechen; wenn Ihr mir bitte folgen würdet!"
Und so geleitete er die
Ordenshüterin und ihre beiden Leibwächter zur Hafenmeisterei, wo er nach
Shi'ouya pfiff, die sich daraufhin zu ihnen gesellte und neben Elessar
hertrabte; Var'sha erhob sich von seinem Platz und kreiste eine Zeit
lang, schrille Schreie ausstoßend über dem Hafengelände, bevor er in
Richtung des Parkes um die Kathedrale davonschoss. Elessar schaute ihm
kurz hinterher, dann machte die Gruppe sich auf den Weg zur Akademie.
Wenig später stand Elessar einmal mehr vor dem riesig anmutenden Geäude,
das die Akademie des Reiches beherbergte, diesmal jedoch in Begleitung
seiner Ordensmutter Elenlantar Ranar. Ihre beiden Begleiter, der Zwerg
Brandur Feuerschmied und die Elfe Fianna Sternenkind, sahen sich auf
Elessars Vorschlag hin die Hauptstadt des Reiches an, um die Wartezeit
zu überbrücken. Anfangs wollten sie diesem Vorschlag nicht zustimmen,
doch nachdem der Paladin alle davon überzeugt hatte, dass der Mutter des
Lichts in den Straßen dieser Stadt keine Gefahr drohte, hatte Elenlantar
den beiden noch einmal ausdrücklich versichert, dass sie sich entfernen
durften; sie würden sich nach der Prüfung Elessars alle im Gasthaus
versammeln und vor der Abreise nach Sha'Nurdra eine Stärkung zu sich
nehmen.
So betraten die beiden
Elfen die große Halle der Akademie und schritten an den Gemälden und
Statuen ehemaliger Herrscher Dragonias zu dem großen Tisch, an dem man
sein Begehr kundtun konnte. Seit seinem letzten Besuch hatte sich
scheinbar nicht viel verändert und Elessar fragte sich, wieso er bisher
keine Nachricht mehr von Meister Orion erhalten hatte, mit dem er damals
vereinbart hatte, dass sie sich bei Gelegenheit zusammensetzen wollten,
um über einen Wissensaustausch zu beraten. Am großen Tisch angekommen,
grüßte er die dahinter sitzende Person mit einem freundlichen Lächeln:
"Paladin zum Gruße!
Mein Name ist Elessar Eledhwen; ich war bereits vor einigen Mondläufen
zur Weiterbildung in der Kunst des Lesens und Schreibens hier und sollte
also in Euren Pergamenten verzeichnet sein. Heute würde ich mich gerne
in einer weiteren Fähigkeit weiterbilden; da das Wissen um diese
Fähigkeit allein den Angehörigen meines Ordens vorbehalten bleibt, habe
ich einen Lehrmeister, oder besser, eine Lehrmeisterin in meiner
Begleitung."
Der Paladin deutete auf
die neben ihm stehende Mutter des Lichts und fuhr fort:
"Dies ist Elenlantar
Ranar, die Hüterin des Ordens des Lichtes im Silmataurea. An wen müssen
wir uns wenden, um eine Genehmigung für meine vorgesehene Ausbildung zu
erhalten?"
Elessar lächelte sein
Gegenüber abwartend weiter an, doch dann fügte er noch hinzu:
"Ach ja, und sagt,
wäre es hernach möglich, eine Audienz bei Meister Orion zu erhalten? Ich
hatte mit ihm bei meinem letzten Besuch eine Beratung über einen
Wissensaustausch zwischen der Akademie und der Bibliothek Sha'Nurdras
vereinbart."
Erstaunt vernahm Elessar
von dem Verschwinden Meister Orions und noch größer war sein Erstaunen,
als ihm Noq als neuer Leiter der Akademie genannt wurde; er blickte in
die ihm gewiesene Richtung und richtig, da stand der ihm bekannte Elf.
Er wandte sich wieder Lurenz zu und antwortete ihm:
"Nun, werter Lurenz,
auch mir ist es eine Freude, Euch kennen zu lernen! Ich werde dann
später einmal Noq um eine Audienz bitten, um die den Wissensaustausch
betreffende Angelegenheit zu besprechen, aber die angestrebte Ausbildung
hat Vorrang.
Es handelt sich um
eine Weiterbildung in einer Fähigkeit, die heilende Wirkungen besitzt,
so dass wir keine besonderen Anforderungen an einen Raum stellen, aber
wenn Ihr derzeit Kranke, Verletzte oder gar Vergiftete, seien es
Personen oder Tiere beherbergt, würde ich mich anbieten, diese im Rahmen
dieser Ausbildung unentgeltlich zu heilen."
Der Paladin wartete
gespannt auf eine Antwort; anschließend wandte er sich an Elenlantar und
deutete ihr mit einer Handbewegung an, voraus zu gehen. Gemeinsam nahmen
sie die große Treppe und machten sich auf den Weg zu dem angegebenen
Raum. An der Tür zum Krankenzimmer angekommen, klopfte der Paladin an
und stellte sich und seine Begleitung vor, um dann Sinn und Zweck seines
Besuchs zu erläutern. Dann ließ er sich die Personen zeigen, die nach
Meinung der Pflegerinnen wohl am ehesten Hilfe nötig hätten, weil sie am
schwersten vom Schicksal getroffen waren und man führte ihn in eine Ecke
des großen Raumes, die durch von an den dicken Deckenbalken aus dunklem
Eichenholz aufgehängte Decken vom Rest des Raumes abgetrennt war. Hier
siechten mehrere Personen regelrecht vor sich hin, alle hilflos und nur
ab und an bei Besinnung, so dass man ihnen ein wenig Wasser oder eine
dünne Suppe einflößen konnte. Ansonsten schaute man regelmäßig nach
ihnen, um die Betten in Ordnung zu bringen oder einen frischen kühlenden
Umschlag aufzulegen, aber mehr konnten die Heiler in diesen Fällen
bisher nicht verrichten. Zwei Personen wurden ihm genannt, die die
Heiler bislang vor die größten Rätsel stellten, eine junge Frau, deren
Körper an vielen Stellen von bläulich-schwarzen Flecken und eitrigen
Pusteln überzogen war, und ein Zwerg, der im Fieberwahn lag und sich
alle paar Minuten unruhig hin- und herwarf; eine der Pflegerinnen ließ
verlauten, dass man vermutete, er wäre vergiftet, doch konnte niemand
sagen, um welches Gift es sich handelte und wie es in den Körper des
Gevatters gelangt war.
So begaben Elessar und
Elenlantar sich in diesen abgetrennten Bereich, um wenigstens ein wenig
ungestört über die bevorstehende Weiterbildung sprechen zu können. Der
Paladin hoffte, dass er wenigstens einige dieser bemitleidenswerten
Geschöpfe von ihrem Leiden befreien konnte, doch dazu musste er erst
einmal die Hürden nehmen, die mit der Verwendung der göttlichen Macht
verbunden waren. Er nahm das Buch mit dem edlen Ledereinband, das er aus
dem Tempel mitgebracht hatte hervor und reichte es seiner Ordenshüterin;
gleichzeitig erzählte er ihr, wie er die Grundzüge des Handauflegens mit
Hilfe des Buches und einem Heilversuch an einer sich selbst zugefügten
Wunde erlernt hatte. Elenlantar hatte zwar selbst keinen Zugang zur
Gabe, doch war sie eine derjenigen Personen, oder sogar die letzte noch
lebende Person, die vor ewigen Zeiten den letzten der Paladine des
damaligen Ordens der Zwölf persönlich gekannt hatte. Sie selbst verfügte
über starke magische Kräfte, die jedoch laut ihrer eigenen Aussage nur
zu einem Teil auf astraler Energie beruhten, doch hatte sie keinerlei
Erklärung dafür, wieso dem so war. Im Orden des Lichtes kursierte das
Gerücht, dass der Gerechte selbst sie einst auserkoren und ihr einen
Teils seiner Macht vermacht hatte, weil sie aus freien Stücken den
letzten Paladin in ihrem Heim aufgenommen und gepflegt hatte. In dieser
Zeit wurde sie von seinen Lehren und Anschauungen inspiriert und hatte
sich daran gemacht, den Orden des Lichts zu gründen und mit der Zeit
hatte sie mit Hilfe des Paladins immer mehr Anhänger gefunden, die sich
dem Orden angeschlossen haben, um auf den Wegen des Lichts zu wandeln.
Erst viel später wurden dann unter den Anhängern die ersten Gläubigen
entdeckt, die Zugang zu der Gabe hatten und somit den Grundstein für die
Hoffnung auf eine einstige Neugründung des Ordens legten.
Die Mutter des Lichts
blätterte eine Weile in dem Buch und sah dann und wann auf, um Elessar
forschend anzublicken; dann vertiefte sie sich in ein bestimmtes Kapitel
und las dieses sehr aufmerksam durch, bevor sie wieder aufblickte und
sich an den Paladin wandte:
"Nun, Elessar, aus
der Schrift wird eines ganz besonders deutlich und dies deckt sich auch
mit den Erzählungen von Menahem, dem letzten der damaligen
Kriegerpriester: je weiter Ihr in Euren Studien kommt und die Verwendung
der göttlichen Macht trainiert, um so schwieriger wird es, sie zu
meistern. Dies müsst Ihr Euch immer vor Augen halten, denn der Nutzen
den Ihr für andere aus ihr zieht, wird zur gleichen Zeit umso
erschöpfender für Euch selbst sein! Und je mehr Kraft Ihr daraus
schöpfen wollt, umso tiefer müsst Ihr in Euch gehen!"
Sie klappte das Buch zu
und legte es beiseite, bevor sie fortfuhr:
"Stellt es Euch
einfach so vor, als würdet Ihr einen großen Stein einen Berg hinauf
rollen. Je weiter Ihr nach oben kommt, desto kräftezehrender wird es
sein, diesen Stein nicht nur zu halten, sondern ihn auch weiter hinauf
zu bringen. Und wenn Ihr ihn denn letztendlich loslasst, damit er ins
Tal hinab rollen kann, umso verheerender wird seine Macht sein und umso
geringer wird die Möglichkeit der Kontrolle sein. Geht also stets mit
Bedacht vor und wägt den Nutzen und den dafür erforderlichen Einsatz
genau gegeneinander ab!
Ihr habt bereits den
Umgang mit der göttlichen Macht erlernt und wisst, wie man sie zum
Heilen von Verletzungen einsetzt; jetzt solltet Ihr einfach versuchen,
das Muster der Macht ein wenig zu ändern, um damit auch Krankheiten oder
Vergiftungen behandeln zu können. Da Ihr jedoch kein Heiler seid, wird
es Euch oft nicht gelingen, eine Diagnose zu stellen und die Krankheit
oder das Gift zu identifizieren, so dass Ihr tatsächlich darauf
angewiesen seid, Eurem Glauben in Paladin zu vertrauen. Er allein mag
entscheiden, ob Ihr schließlich Erfolg habt, oder nicht! Doch solltet
Ihr nie an ihm zweifeln, denn wie alle Götter hat er immer einen Grund,
warum Euch die eine Anwendung gelingt, während eine weitere
fehlschlägt!"
Elessar lauschte
aufmerksam den Worten seine Ordensmutter und nickte des öfteren
verstehend oder zustimmend; als sie ihn schließlich aufforderte, zu
versuchen, bei der Anwendung des Handauflegens das Muster der Macht
seinen Wünschen entsprechend zu verändern und anzupassen, stutzte er
unmerklich. Hatte er nicht beim Erlernen einer weiteren Fähigkeit im
Zusammenhang mit der göttlichen Macht, dem Bannen von Untoten und
Dämonen, gelernt, dass Änderungen im Muster der Macht die Wirkung
während und nach deren Kanalisation bestimmen? Sollte es tatsächlich
genau so einfach - nun, einfach konnte man es nicht gerade nennen, aber
das Prinzip blieb das Gleiche - sein, um die Wirkung des Handauflegens
zu variieren? Der Elf nickte Elenlantar noch einmal entschlossen zu und
schloss dann die Augen, um sich zu konzentrieren; als er den Punkt
inmitten seines geistigen Zentrums gefunden hatte, waren seine
Handflächen alsbald von einem gleißenden Licht umgeben und er fühlte -
nein, trotz der geschlossenen Lider sah er - die Zusammenballung der
göttlichen Macht wie die einzelnen Faserstränge eines Seiles. Er ergriff
im Geiste einzelne Stränge und versuchte, sie zu beeinflussen und somit
ihre Lage zueinander zu verändern, was zur Folge hatte, dass sich auch
die Farbe des Lichtes änderte. Doch anscheinend war er zu hastig
vorgegangen, denn sofort schlug die Farbe nach Blau um und das Licht
umgab nicht weiter die Handflächen, sondern schien sich fächerartig von
ihnen auszubreiten - er war im Begriff, die Macht zum Bannen von Untoten
zu nutzen. Elessar löste seine Konzentration und das Leuchten
verschwand; dann öffnete er die Augen und senkte fast beschämt den
Blick. Doch Elenlantar legte ihre Hand auf seinen Unterarm und sprach:
"Seit wann gebt Ihr
so schnell auf? Auch wenn es sich um eine gottgegebene Fähigkeit
handelt, könnt Ihr keinen Nutzen daraus ziehen, ohne den Umgang mit ihr
zu erlernen. Auch hier gilt: Übung macht den Meister! Also versucht es
weiter!"
Der Priester wusste,
dass seine Ordensmutter Recht hatte und so schloss er erneut die Augen,
um in sich zu gehen. Als er dieses Mal die Stränge der Macht vor seinem
inneren Augen hatte, ging er behutsamer vor und tastete sich langsam
voran, indem er nunmehr immer nur einen Strang ergriff. Mehrere Male
schien es ihm, als entgleite ihm einer der Stränge, weil er sich nicht
recht darauf konzentrierte, doch bei einem weiteren Versuch schaffte er
es dann und endlich änderte sich der Farbton des Lichtes, das seine
Handflächen umgab, nur noch um Nuancen, die ein Außenstehender, der die
Handflächen real betrachtete, wohl nicht erkennen konnte. Elessar wurde
zuversichtlicher und spielte ein wenig mit den Strängen, um
herauszufinden, wie weit er gehen durfte, bis das Muster der Macht sich
erneut verkehrte und für das Handauflegen "unbrauchbar" wurde. Dann
löste er erneut seine Konzentration und blickte die ihm gegenüber
sitzende Elfe an.
"Werte Mutter, ich
denke, ich bin der Quintessenz auf der Spur! Meint Ihr, ich könnte den
Versuch wagen, einen der Kranken heilen zu wollen?"
Elenlantar nickte nur
und antwortete lächelnd:
"Die Kraft und das
Wissen kommen alleine aus Euch!"
Der Paladin schöpfte Mut
aus den Worten seiner Ordensmutter, wusste er doch um ihre große
Weisheit. Was sollte auch schief gehen? Entweder er hatte Erfolg mit der
Behandlung und der Kranke wurde geheilt oder das Handauflegen misslang,
was aber keine negativen Folgen nach sich ziehen würde. So schritt er an
das Bett der kranken Frau und wiederholte die Prozedur, wie er sie eben
mehrmals geübt hatte. Als das Leuchten um seine Handflächen endlich
wieder erstarb und er die Hände von den behandelten Stellen nahm, schien
die Behandlung rein äußerlich geglückt zu sein; die schwarz-bläuliche
Färbung war fast vollständig verschwunden und die Haut wirkte wieder
gesund und rosig, doch die Heilung breitete sich nicht aus. Elessar
versuchte es ein weiteres Mal, doch wieder mit dem gleichen Ergebnis;
die behandelten Stellen wirkten wieder gesund, doch keine andauernde
Heilung war zu verzeichnen. Inzwischen war der Priester sichtlich
erschöpft von der Anstrengung, so dass nicht einmal die aufmunternden
Worte Elenlantars ihm an diesem Tag noch die Hoffnung geben konnten, er
hätte einen wirklichen Lernerfolg zu verzeichnen und sie einigten sich,
die Übungen am nächsten Tag fortzusetzen.
So verließen die beiden
Elfen die Akademie, nachdem sie sich bei Lurenz abgemeldet und ihre
Wiederkehr für den kommenden Tag verkündet hatten und begaben sich in
das Gasthaus, wo sie sich nach einem kleinen Mahl in die Betten ihrer
gemieteten Räume begaben. An diesem Abend lag Elessar trotz seiner
Erschöpfung noch lange wach und überlegte, was er beim nächsten Versuch
ändern könnte. Fast die ganze Nacht verbrachte er mit diesen
Überlegungen, nur unterbrochen von Gebeten und Meditationsübungen, bis
er kurz vor Sonnenaufgang in einen unruhigen Schlaf fiel. Trotz der
wenigen Stunden war er am kommenden Morgen seltsam frisch und ausgeruht
und begab sich nach einem gemeinsamen Frühstück mit Elenlantar erneut in
die Akademie, wo er frohen Mutes erneut ans Werk ging.
Der Ablauf an diesem Tag
war nicht viel anders und wieder war er mit dem gleichen geringen
Erfolg, der in den Augen Elessars schon eher ein Misserfolg war,
gekrönt. Doch noch immer wollte er nicht aufgeben und auch Elenlantar
drängte ihn zum Weitermachen, da sie überzeugt war, dass er es schaffen
würde. So verbrachten die beiden Elfen auch einen dritten und einen
vierten Tag in der Akademie, an denen Elessar in stets der gleichen
Weise lernte, übte und zum Abschluss versuchte, die Kranke zu heilen.
Und endlich, am vierten Tag wollte es ihm gelingen; hatte sich nach den
erfolglosen Behandlungen das Krankheitsbild während den Nächten stets
wieder verschlechtert, konnte der Priester am darauffolgenden Tag immer
wieder die gleichen Körperstellen behandeln. An diesem Tag jedoch
verschwanden nach dem Auflegen der Hände nicht nur alle Hautflecken und
Pusteln, sondern auch das Fieber der Frau ging zurück und sie öffnete
erstmals die Augen, um dem Elf mit einem klaren, nicht durch den
Fieberwahn getrübten Blick ungläubig anzustarren.
Angespornt durch diesen
Erfolg, wollte der Paladin nun auch den vergifteten Zwergen heilen und
versuchte in einer weiteren Behandlung, das unbekannte Gift aus dem
Körper des Zwergen zu vertreiben. Unglücklicherweise schaffte er es
trotz aller Anstrengung nicht, dem Zwergen zu helfen und so wandte er
sich niedergeschlagen ab, um Elenlantar vorzuschlagen, die Heilung am
nächsten Tag noch einmal zu versuchen. Doch diese schüttelte den Kopf
und nahm ihn zur Seite, um beruhigend auf ihn einzureden:
"Nein, Elessar, lasst
es gut sein! Ihr habt gezeigt, dass Ihr Eure Fertigkeiten geschult und
verbessert habt, aber es sind noch sehr viele Studien auf diesem Gebiet
notwendig, um die nächste und höchste Stufe der Perfektion zu erreichen.
Jedoch müsst Ihr erst einmal weitere Erfahrung sammeln, um diesen
Ausbildungsstand in Betracht zu ziehen. Mögen die Götter geben, dass die
hiesigen Heiler dem Gevatter in Zukunft helfen können, doch wenn er noch
hier sein sollte, wenn Ihr wieder kommt, werdet Ihr es zu diesem
Zeitpunkt mit Sicherheit können. Doch nun lasst uns gehen; Eure
derzeitige Weiterbildung ist damit abgeschlossen!"
Mit einem verstehenden
Nicken trat Elessar an das Bett des Zwergen, schlug das Paladinsymbol
über seiner linken Brust und sprach leise "Möge der Gerechte Eurer
Seele gnädig sein!"; dann wandte er sich ab und schritt hinter
Elenlantar zur Tür, von wo aus er einen letzten bedauernden Blick zu dem
daniederliegenden Zwerg warf. Dann eilten die beiden Elfen die Treppe
hinunter zu Lurenz, wo Elessar den Obolus für seine Ausbildung zahlte
und sich verabschiedete.
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