Die Gründung des "Heiligen Orden der Zwölf"
 

Nachdem sich alle Gründungsmitglieder eingefunden und einander begrüßt hatten, wurden noch eine Zeit vereinzelte Gespräche über dies und jenes geführt. Als die Gespräche der einzelnen untereinander dann langsam abklangen, bemerkte man, dass sich eine allgemeine Spannung in Erwartung der kommenden Ereignisse aufgebaut hatte. Da Graham weiterhin als verschollen galt, sollte Kjeldor als dessen rechte Hand, die Durchführung der Zeremonie übernehmen. Elessar machte sich mit einem klingenden Ton eines Dolches an seinem Kelch bemerkbar und als er sicher war, die Aufmerksamkeit der anderen zu besitzen, ergriff er das Wort:

“Werte Ordensbrüder, es ist mir eine Freude, Euch hier und heute zur Gründung des Heiligen Ordens der Zwölf begrüßen zu dürfen. Mehrmals mussten wir diesen Moment, der uns mit Stolz und Freude erfüllt und hoffentlich bald in die Geschichte Dragonias Einzug halten wird, aufschieben, aber nun soll sich die Prophezeiung endlich erfüllen.

Bevor ich das Wort an meinen Freund und Schwertbruder Kjeldor übergebe, möchte ich Euch noch ein paar Worte zu meiner Person berichten, um auch denjenigen, die mich noch nicht so lange kennen, die Beweggründe darzulegen, warum ich mich mit all meiner Kraft für die Neugründung dieses Ordens eingesetzt habe und zukünftig für dessen Erhalt einstehen werde.“

Elessar sah in die Runde und nach einigen Momenten der Besinnung begann er erneut zu sprechen:

“Am einfachsten ist es, wenn Ihr ein wenig von der Geschichte meines Lebens erfahrt. Nun denn, mein Leben.... ja, es war und ist geprägt vom Kampf gegen das Böse. Nachdem das Dorf, in dem ich lebte, von Orks überfallen wurde und alle, sogar Frauen und Kinder regelrecht dahin gemetzelt worden waren, fand mich ein Priester des Ordens des Lichtes schwerverletzt auf und nahm mich mit in seinen Tempel. Ich kann mich zwar noch an den Namen meines Heimatdorfes erinnern, aber, da ich damals nie aus der Häuslichkeit der Dorfgemeinschaft heraus gekommen bin, kann ich heute nicht einmal mehr sagen, wo dieses Dorf lag. Der Tempel des besagten Ordens liegt im Silmataurea, dem Wald des Sternenlichts, wie die Menschen ihn nennen, in einem Reich noch weiter östlich als das Inselreich Isua.

Im Tempel wuchs ich dann auf und begann bereits nach kurzer Zeit, mich in den Lehren ihres Glaubens zu vertiefen, weil sie mir neuen Halt und ein neues Ziel in meinem noch jungen Leben gaben, zumal ich damals mit gerade mal 87 Jahren noch am Anfang meiner Jugendzeit stand. Sie lehrten mich die alten Schriften ihres Glaubens zu lesen und zu verstehen und, da ich mich als geschickt im Umgang mit Waffen erwies, wurde ich einer der ‚Auserwählten’. Selbstverständlich war die Ausbildung hart und entbehrungsreich, aber es hat sich gelohnt, das Wissen um den Glauben unseres Ordens, die alten Schriften und die mächtigen Artefakte zu erfahren, ebenso wie den Umgang mit den verschiedensten Waffen zu lernen. Über die Artefakte werde ich später noch einiges zu berichten wissen.

Seit Jahrhunderten sind die Auserwählten unseres Ordens in der weiten Welt unterwegs, um den Kampf gegen das Böse zu bestehen und der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Eine der Hauptaufgaben besteht darin, etwaiges Wissen um mächtige Artefakte zu nutzen und diese zu finden und sie zum Tempel unseres Ordens zu bringen, um sie dem Zugriff des Bösen zu entziehen. Zwei Vorfälle in jener Zeit meiner drei Jahrzehnte währenden Ausbildung sind es wert, an dieser Stelle ein Wort darüber zu verlieren.“

Elessar machte eine Pause, wie um sich die Worte zurecht zu legen, dann fuhr er fort:

“Der eine Vorfall erzählt den Beginn einer tiefen Freundschaft, als ich eines Tages in den Nordlanden auf der Suche nach einem mächtigen Artefakt war. Es handelte sich um einen magischen Dolch, der die Fähigkeit hatte, Tote, die sich dem Sterben durch den dunklen, verfluchten Stahl freiwillig hingegeben hatten, als seelenlose Diener desjenigen, der den Dolch geführt hatte, wieder auferstehen zu lassen. Zudem wurde die Lebenskraft des Gemordeten der des Mörders zugefügt, so dass der Mörder für jedes genommene Leben eines für sich hinzu gewann. Der dunkle Magier, der sich den Dolch aneignen wollte, hatte erfahren, dass ich hinter dem Dolch her war, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen und sandte einige seiner Schergen aus, um mich zu beseitigen. Sie fielen in einer dunklen Gasse über mich her und nur durch das beherzte Eingreifen eines jungen Recken entging ich damals wohl dem Tod. Nun, dieser Recke war Kjeldor und er führte mich anschließend zum Haus seiner Eltern, da ich nicht ohne Verletzungen aus diesem Kampf hervor ging. Während ich die Gastfreundschaft seiner Familie genoss und gesundete, verbrachten wir viele Stunden in gemeinsamen Gesprächen und es ergab sich, dass Kjeldor von Grund auf guter Gesinnung und reinen Herzens war und ist. Als ich ihm von dem Grund für den Überfall berichtete, erklärte er sich sofort bereit, mir im Kampf gegen diesen Magier beizustehen, um diesen abgrundtief bösen Dolch für immer dem Zugriff irgendeines Lebewesens zu entziehen.

Sobald ich genesen war, machten wir uns dann gemeinsam auf, um die Fährte des Magiers wieder aufzunehmen. Als wir ihn Tage später dann endlich aufspürten, mussten wir mit Schrecken feststellen, dass er sich inzwischen des Dolches bemächtigt und bereits begonnen hatte, seine Armee der Untoten aufzubauen. Da der Magier noch in seinen teuflischen Meditationen versunken war, um die Lebenskraft von vier Gemordeten mit seiner zu vereinigen, hatten wir zuerst nur die vier Untoten gegen uns, mit denen wir auch relativ leichtes Spiel hatten. Scheinbar verstanden wir uns ohne Worte, kämpften für- und miteinander und hielten einander den Rücken frei. Im Nachhinein erregte dies zum ersten Mal meinen Verdacht, dass Kjeldor die ‚Gabe’ beherrschen müsse. In dem darauf folgenden kräftezehrenden Kampf, in dem wir beide all unser Geschick aufbieten mussten und sicher auch göttlichen Beistand hatten, konnten wir gegen den Magier bestehen und den Dolch erbeuten. Aus diesem Kampf gingen wir dann letztendlich auch als Schwertbrüder und Freunde hervor.“

Elessar nahm einen Schluck Wein aus dem vor ihm stehenden Kelch zu sich und sprach dann weiter:

“Der andere nennenswerte Vorfall spielte sich Jahre später im Tempel selbst ab; nach der Rückkehr von einer meiner Questen führte ich ein längeres Zwiegespräch mit unserer Ordenshüterin, der Mutter des Lichts, wie wir sie nennen. Sie ist eine weise und mächtige Elfe, so alt, dass sie selbst sich nicht mehr ihrer Jugend erinnern kann und sie kennt die alten Schriften und deren Bedeutung wie kein anderer. Nachdem ich ihr berichtete hatte, wie ich an das gerade zurückgebrachte Fundstück gelangte und welche Hinweise auf weitere Artefakte ich dabei fand, wurde sie sehr nachdenklich und verfiel in eine Art Dämmerzustand. Gerade als ich begann, um ihre Gesundheit zu fürchten und andere Priester zu Hilfe rufen wollte, erwachte sie aus ihrer Trance und begann mir von einem lange zurückliegenden Ereignis zu erzählen. Was sie zu berichten wusste, musste vor so langer Zeit stattgefunden haben, dass selbst sie sich nicht mehr daran erinnern konnte, wer aus unserem Orden dieses Ereignis selbst erlebt und dann begonnen hatte, es von Ordenshüter zu Ordenshüter weiterzugeben. Aufgrund der von mir dargestellten Erlebnisse entschloss sie sich jedoch, dass es an der Zeit wäre, diesen Brauch zu brechen und mir das folgende Geschehen zu berichten. Damals sei ein dem Tode naher Mensch, der vom reinen Glauben erfüllt war, zu diesem Ort gelangt. Er wurde von einem Elfen, der zufällig an diesem Ort, damals eine einsame Lichtung im Wald nahe eines kleinen Dorfes, weilte, gefunden und gepflegt. Während der Zeit, die er im Siechtum verbrachte, erzählte er im Fieberwahn dem ihn pflegenden Elfen seine Lebensgeschichte, welche diesen so sehr bewegte, dass er beschloss, fortan nur noch Gutes zu tun, den Bedürftigen zu helfen und dem Bösen den Kampf anzusagen. Im Laufe der Zeit fand er immer mehr Anhänger und es nahm nicht viel Zeit in Anspruch, bis sich eine Gemeinschaft bildete, die auf der Lichtung einen kleinen Tempel errichtete und sich fortan ‚Orden des Lichts’ nannte. Leider waren die Wunden des geheimnisvollen Fremden so schwer, dass er nie vollkommen gesundete und wenige Jahre nach der Ordensgründung verstarb.

Der Fremde, der sich Menahem nannte, berichtete in diesen Tagen von einer starken ehrenvollen Gemeinschaft von Kriegerpriestern, zwölf an der Zahl, die sich dem Kampf gegen das Böse verschrieben hatten und für die Lehren ihres Gottes Paladins, dem Herrn der Gerechtigkeit, einstanden. Diese Gemeinschaft nannte sich ‚Heiliger Orden der Zwölf’ und war stark, ehrenvoll und ruhmreich. Zu jener Zeit jedoch hatte das Böse seine Herrschaft soweit vorangetrieben, dass die Gemeinschaft gegen eine schier unbezwingbare Übermacht antreten musste. Die zu der damaligen Zeit mächtigste Waffe eines jeden der zwölf Kriegerpriester war ein magischer Kriegshammer, dem die Macht Paladins selbst innewohnte. Da sich jedoch die Niederlage der Zwölf in ihrem letzten Kampf abzeichnete, sollten die zwölf Hämmer an einem geheimen Ort verwahrt und so dem Zugriff des Bösen entzogen werden. Der letzte Überlebende dieses Kampfes sollte alle Anstrengungen unternehmen, die Kunde des Ordens zu verbreiten und das Geheimnis um das Versteck der Hämmer zu retten, um dafür zu sorgen, dass der Glaube an das Gute und der Kampf für die Gerechtigkeit nie versiege. Da die Kriegerpriester die Gabe besaßen, auch über weite Entfernungen in Gedanken miteinander zu kommunizieren, würde jeder, selbst, wenn sie an verschiedenen Orten kämpfen würden, wissen, sobald er der Letzte seines Ordens wäre; seine Aufgabe wäre es dann, sich unter allen Umständen, notfalls auch durch Flucht, zu retten.“

Auch hier setzte Elessar die Erzählung kurz aus und schien zu überlegen.

“Nun, um es ein wenig abzukürzen, der geheimnisvolle Fremde war der letzte Überlebende des Ordens der Kriegerpriester. Er verwahrte das Geheimnis um das Versteck der Hämmer, welches bis zu einer etwaigen Neugründung des Heiligen Ordens der Zwölf gehütet werden sollte und er war es, der bei manchen Mitgliedern des Ordens des Lichtes die ‚Gabe’ entdeckte und ihre Anwendung schulte. In der Hauptsache waren dies dann die Ordenshüter und die ‚Auserwählten’, die nach ihrer Ausbildung in der Lage waren, mit Hilfe ihrer Macht den Kampf gegen das Böse durch Führung von Federkiel und Schwert zu führen. Und ja, zu meiner Zeit war ich einer dieser Auserwählten, bei dem die Gabe entdeckt wurde und fortan wurde ich Eledhwen, in der Menschensprache ‚Der Lichtbringer’ genannt. Ich machte es mir zur Aufgabe, dereinst die verlorenen Kriegshämmer und andere mächtige Artefakte zu finden und bereiste so die gesamte bekannte Welt bis zu den dem Orden bekannten Grenzen und sogar darüber hinaus.

Aufgrund der Erlebnisse auf meinen Reisen und den Informationen, die ich an besagtem Abend mit meiner Ordenshüterin besprach, kam ich zu dem Schluss, dass die Neugründung des Ordens der Zwölf kurz bevorstehen könne. Im Verlauf dieses Zwiegesprächs, in welchem ich dann die Ur-Geschichte meines Ordens und das Geheimnis um die Hämmer erfuhr, fügten sich alle Hinweise, die ich je gesammelt hatte, zu einem Puzzle zusammen und wiesen auf einen Ort in den Elfenwäldern Dragonias; dort musste einst der Tempel des ursprünglichen heiligen Ordens der Zwölf gelegen haben. Aber noch sollten einige Jahre vergehen, bis ich genügend Hinweise gesammelt hatte, um ganz sicher zu sein, um welchen Ort es sich handelte.

Da ich der Meinung war, dass Kjeldor ebenfalls eine tragende Rolle in den kommenden Ereignissen zukommen sollte, reiste ich als erstes in die Nordlande, um den treuen Freund wieder zu sehen und ihm von meinen Erkenntnissen zu berichten. Als ich erfuhr, dass dieser inzwischen seiner Bestimmung folgend in die Dienste der Armee Dragonias getreten war und in der Streitmacht der Stadt Nuru kämpfte, beschloss ich, dass mein erster Weg nicht auf direktem Weg in die Elfenwälder, sondern ebenfalls nach Nuru führen sollte. Dort angekommen, ergab sich nicht nur, dass Kjeldor inzwischen, meine einstigen Vermutungen bestätigend,  entdeckt hatte, dass er die ‚Gabe’ beherrschte und bereits Anstrengungen zu einer Neugründung des Ordens der Zwölf unternahm, sondern auch, dass er zudem, zufällig oder vorherbestimmt, einen weiteren Mitstreiter, der ebenfalls die ‚Gabe’ beherrschte, kennen gelernt hatte. Es schien wie eine Fügung des Schicksals, dass dieser, ein Mensch namens Graham, auch ausgerechnet Verwalter des Paladin-Tempels in Sha’Nurdra war, dem Ort in den Elfenwäldern, zu dem es mich zog. Mit Hilfe der alten Schriften, die Graham unter Verwahrung hatte, bestätigten sich meine Hinweise, dass der heutige Paladin-Tempel, ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt, auf den verfallenen Grundmauern eben jenes Tempels der Zwölf erbaut worden war. Die Hoffnung, die verschollenen Hämmer oder zumindest Hinweise auf ihren Verbleib zu finden, stieg ins Unermessliche, doch zunächst galt es, die Gründung des neuen ‚Heiligen Orden der Zwölf’ voran zu treiben.

Und heute haben wir alle, die wir uns hier versammelt haben, dieses Ziel vor Augen. Endlich wird der Orden der Kriegerpriester wieder auferstehen, um fortan wieder das Böse zu bekämpfen, wie in alten Tagen. Und somit will ich das Wort an Kjeldor übergeben, dem die Ehre gebührt, die heutige Zeremonie abzuhalten. Er wird dies an Graham’s Statt übernehmen, da wir über den Verbleib unseres Gründervaters noch immer keine Nachricht haben. Möge Paladin seiner Seele gnädig sein!“

Elessar deutete eine Verbeugung in Richtung Kjeldor an und nahm selbst Platz, während dieser sich von seinem Stuhl erhob und in Vertretung Graham’s das Wort ergriff. Kjeldor fasste noch einmal die Eigenschaften, die einen würdigen Diener Paladins auszeichneten, zusammen und verdeutlichte in einigen Sätzen die wesentlichen Aufgaben des Ordens. Dann forderte er alle zu einem gemeinsamen Gebet auf, in dem sie den Segen und die Unterstützung Paladins für ihre persönliche Entscheidung und ihr gemeinsames zukünftiges Handeln erbaten. Im Anschluss an dieses Gebet wurden Amras, Ledun und Thiefshadow von Kjeldor symbolisch in den Novizenstand erhoben, damit die Gildengründung rechtmäßig vollzogen werden konnte. Sodann wurde festgelegt, welches Gründungsmitglied welche Aufgaben innehaben sollte und Elessar und Kjeldor erklärten den anderen die Bedeutung der Intarsien auf dem Versammlungstisch, welche die Aufgaben und damit die Ehrentitel der jeweiligen Ordensbrüder symbolisierten. Um die Gründung rechtskräftig werden zu lassen, deutete Kjeldor den Versammelten an, sich von ihren Plätzen zu erheben und Kjeldor fuhr fort:

“So lasst uns denn die Gildengründung mit einem Schwur besiegeln. Ein jeder von uns wird mit diesem Schwur an sein Wort, überall und jederzeit für das Gute einzustehen, gebunden und nur durch den Tod wird man von diesem Schwur wieder befreit. Der Schwur soll mit jedem weiteren Mitglied des Ordens erneuert werden, um die Gemeinschaft zu stärken und unsere Einigkeit zu verdeutlichen.“

Jeder Anwesende legte daraufhin die linke Hand auf die Intarsie in der Tischplatte vor seinem Platz und die rechte Hand auf das Herz und sprach: “So sei es!“

Zuletzt sprach Kjeldor noch ein kurzes Gebet, das er mit den Worten beendete: “Gerechter Paladin, sei bedankt, dass Du uns ermöglichst, in Deinem Namen die Dunkelheit vom Antlitz Dragonia’s zu verbannen!“

Anschließend ergriffen die anderen Anwesenden ihre Waffen und zollten mit lautem Klopfen auf dem Boden Kjeldor den gebührenden Respekt für seine Worte. Kaum war der Lärm abgeklungen, da erhob sich aus der abgelegensten Ecke des Versammlungsraumes unerwartet ein erneutes Getöse. Alle fuhren mit griffbereiten Waffen herum, waren jedoch verwundert, dass sie nur eine Staubwolke erblickten, die auch bereits im Begriff war, sich zu verziehen. Da Elessar am nächsten stand, eilte er zur Ecke und gewahrte im Fußboden ein klaffendes Loch von etwa einem Meter Durchmesser. Er nahm sich einen der Kandelaber von der Wand, kniete nieder und leuchtete nach unten; dann reichte er den Kandelaber an Kjeldor, der ihm am nächsten stand und sprach:

“Es ist nicht sehr tief und scheint ein niedriger Durchgang zu sein; ich werde mich hinunter begeben und, wenn Ihr mir das Licht reicht, werde ich den Gang untersuchen.“

Gesagt, getan: bevor jemand etwas entgegnen oder eine Warnung aussprechen konnte, war Elessar bereits unten und machte sich, nachdem sein Freund ihm den Leuchter gereicht hatte, an die Untersuchung des Ganges. Auf dem Boden lag eine dicke Staubschicht und da die Luft hier unten so trocken war, waren an den glatten, behauenen Wänden keinerlei Moose oder Flechten zu sehen. Der Gang selbst schien nicht sehr lang zu sein, und man meinte in der Düsternis weiter vorne einen hellen Fleck zu erkennen. Da kein Laut zu vernehmen war und Elessar auch keinerlei Unbehagen an diesem Ort verspürte, schritt er unbekümmert weiter.

Die Zeit schien fast still zu stehen, aber Elessar mochte gerade mal 30 Meter weit gegangen sein, als der Durchgang in einen kleinen Raum mündete, in dem die Dunkelheit durch ein seltsam anmutendes Leuchten verdrängt wurde. Er betrat den Raum und gewahrte an der gegenüberliegenden Wand ein kleines Podest, das von zwei mannshohen, anmutig erscheinenden Steinfiguren flankiert wurde. Die Steinfiguren waren trotz ihrer Größe filigran gearbeitet und jede hielt einen mächtigen Kriegshammer in den Händen und trug eine Rüstung und einen wehenden Umhang mit einem reich verzierten Wappensymbol, das Elessar als das alte Symbol Paladins erkannte. Sie schienen das Podest, das wohl einen kleinen Altar darstellte, zu bewachen, oder vielmehr das, was sich auf dem Altar befand: eine etwa faustgroße Kugel aus einem Elessar unbekannten Material, von der das Leuchten ausging und eine mit Goldbeschlägen verzierte Schatulle.

Elessar kniete nieder, sprach ein kurzes Gebet zu Paladin und sandte dann seine Gedanken zu Kjeldor:

“Mein Freund, mich dünkt, ein Traum wird wahr. Es droht keinerlei Gefahr, aber ich benötige Eure Hilfe. Kommt bitte herunter und folgt einfach dem Leuchten.“

Als Kjeldor angekommen war und den Anblick mit aufkeimender Freude in sich aufgenommen hatte, reichte Elessar ihm den Kandelaber und die Leuchtkugel; dann nahm er die Schatulle an sich und deutete seinem Freund voraus zu gehen.

Nachdem sie zurück im Versammlungsraum waren und alle sich voller Neugier um Kjeldor und Elessar geschart hatten, öffnete Elessar die unverschlossene Schatulle. Zum Vorschein kamen eine versiegelte Schriftrolle und zwölf Siegelringe. Die Ringe, die alle gleich groß zu sein schienen, waren aus einem silbrig glänzenden Metall gefertigt und besaßen eine Siegelplatte aus einem schwarzen Edelstein, vermutlich Onyx. Darin eingebettet war eben jenes alte Symbol Paladins, das auf den Umhängen der Steinfiguren im Altarraum prangte und von welchen das gleiche seltsam fahle Leuchten wie von der Kugel ausging. Elessar nahm einen der Ringe und steckte ihn an seinen Ringfinger; erst schien der Ring etwas zu groß zu sein, aber dann erwärmte sich das Metall kurz und der Ring schrumpfte regelrecht auf die passende Größe, weshalb Elessar verwundert ausrief:

“Seht, den Ringen scheint eine gewisse Magie inne zu wohnen; sie müssen aus Mithril gefertigt und dann mit einem Zauber belegt worden sein! Vielleicht finden wir in der Schriftrolle einen Hinweis. Lasst uns das Siegel brechen!“

Nun war es an Kjeldor, ein kurzes Gebet an Paladin zu senden, worauf er das Siegel der Schriftrolle brach. Die Nachricht, die zum Vorschein kam, war mit Schriftzeichen verfasst, die man nur noch in den alten Schriften finden konnte und die Tinte war aufgrund ihres Alters an vielen Stellen - an manchen sogar bis zur Unkenntlichkeit – verblasst. Es würde schwer werden, den gesamten Text zu rekonstruieren, zumal bisher nur Graham, Elessar und Kjeldor in den alten Schriften bewandert waren und Graham zu alledem nicht anwesend war.

So blickten Kjeldor und Elessar gemeinsam auf die Schrift und versuchten ihr die gewünschten Informationen zu entlocken. Kjeldor deutete auf eine Stelle und meinte

“Hier ist vom Heiligen Orden der Zwölf die Rede und weiter unten steht etwas über Ringe.“;

er zeigte auf eine weitere Stelle:

“Und hier steht ein Wort, das ich mit Umhang übersetzen würde.“

Elessar, der die ganze Zeit über stumm auf die Schriftrolle gestarrt hatte, blickte auf und richtete freudestrahlend das Wort an die versammelte Runde:

“Freunde, ihr seht mich überglücklich! All meine Vermutungen scheinen sich zu bewahrheiten. Der Altarraum da unten muss ein Teil des Tempels des ursprünglichen Ordens der Zwölf sein und vielleicht gibt es unter dem Fundament des heutigen Tempels noch mehr zu entdecken. So weit ich es lesen kann, berichtet die Rolle vom Orden und seinen letzten Tagen.

Die Ringe und die Umhänge waren genau so wie die Hämmer, von denen ich Euch heute bereits berichtet habe, Statussymbole, wobei die Ringe den Novizen als Erkennungs- und Zugehörigkeitskennzeichen verliehen wurden, denn kein Angehöriger des Ordens musste sich verstecken. Die Umhänge schließlich erhielten diejenigen, die ihre Ausbildung abgeschlossen hatten und in den Stand des Paladins, des Kriegerpriesters erhoben wurden.

Weiter unten ist dann die Rede von den verschollenen Kriegshämmern. Wahrscheinlich finden sich in dem Text Hinweise auf ihren Verbleib, aber hier ist die Tinte so stark verblasst, dass wir, wenn überhaupt, nur nach intensivem Studium die Schriftzeichen wieder herstellen können. Die Komplexität der Schrift an dieser Stelle lässt auf jeden Fall vermuten, dass der Text Rätsel enthält, um nicht jedem möglichen Entdecker der Schriftrolle diese mächtigen Waffen offen in die Hand zu legen.“

Elessar legte die Schriftrolle zurück in die Schatulle, reichte jedem der Anwesenden einen Ring und schloss die Schatulle mit den Worten:

“Lasst uns fortan, wie in alten Tagen, diese Ringe als Symbol der Zugehörigkeit zu unserem Orden tragen! Mich dünkt, nicht nur unser gemeinsamer Glaube hat uns am heutigen Tag hier zusammen geführt. Bevor wir uns nun endlich den Feierlichkeiten und unseren Gästen zuwenden, sollten wir noch unseren ersten Mitstreiter herein bitten, um ihn am Tage der Gründung offiziell in den Novizenstand zu erheben. Wie Ihr Euch sicher denken könnt, handelt es sich um niemand anderes als den ehrenwerten Zwergen Bulgrim Blutaxt.“

Elessar wandte sich mit einer leichten Verbeugung an Kjeldor:

“Mein Freund, diese Ehre gebührt Euch!“